TAUCHER

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Punk im Herzen

Was macht eigentlich Stephan Mahler (früher SLIME)? Was ist musikalisch aus ihm geworden nach dem Ausstieg bei KOMMANDO SONNE-NMILCH? Und ... was ist mit DIE UNBEZAHLBAREN passiert, die Mitte der Neunziger mit „Mutti“ auf Slime Tonträger mal ein grandioses Album veröffentlicht hatten. Und ... was wurde eigentlich aus der Hamburger Hardcore-Band ARMSTRONG? Die Antwort auf all diese Fragen lautet: TAUCHER. Thorsten Bargemann und Sebastian Herde von DIE UNBEZAHLBAREN spielen hier Gitarre respektive singen, Stephan spielt Schlagzeug, und Marco Sarobjanski, früher ARMSTRONG, den Bass. Beim ersten Hören ihres Debütalbums „Erstmal alles“ war ich noch etwas verwundert, denn „typischer“ Punkrock, am Ende gar irgendwas, das auf Rachut-Band macht, war nicht zu hören, stattdessen deutschsprachige Rockmusik, die mich spontan aufs Glatteis führte, mich an jene „neue“ deutschsprachige Rockmusik denken ließ, die derzeit die Charts bevölkert, JUPIITER JONES, SPORTFREUNDE STILLER und die ganze Pest. Kann nicht sein, denke ich, und begebe mich mit dem Album in Klausur, entdecke die „unbezahlbare“ Connection und fange an zu verstehen. Und ab da ist die Begeisterung grenzenlos. Punk? Ist durchaus im Spiel, aber nicht vordergründig. Hier nun Stephans Antworten auf meine Fragen.

„Aktuell würde ich am liebsten eine Punk/Rock’n’Roll-Band à la NIGHT MARCHERS starten, aber habe noch nicht die richtigen Leute dafür gefunden.“ Das hast du 2012 im Ox-Interview gesagt. Nun klingen die TAUCHER doch ganz anders. Wie kommt’s?


Ja, ganz früher ist man auch ins Studio gekommen mit seiner Punkband und hat gesagt: Hier, mach mal einen Sound wie SEX PISTOLS daraus ... Es ist anders gekommen mit dem Zusammentreffen von Thorsten und mir. Und er hatte schon viele Songs und Ideen im Gepäck. Die Art, wie er Gitarre spielt, ist auch komplett anders, nicht so dreckig, mit Hang zum Pop, was mir auch sehr liegt. Die anderen TAUCHER, Thorsten Bargemann und Sebastian Herde, waren mal bei DIE UNBEZAHLBAREN – jener Band, von denen der BOXHAMSTERS-Song „Unbezahlbar“ im Original ist und an die sich wohl kaum noch jemand erinnern kann.

Wie habt ihr zueinander gefunden?

Thorsten kam auf mich zu. Er hatte ein Paar Demoaufnahmen mit Sebastian gemacht, und die haben mich ziemlich begeistert. Wir haben uns dann zu dritt in Hamburg getroffen und einfach losgespielt, und es hat gleich geknallt. Ich hatte nach meinem Ausstieg bei KOMMANDO SONNE-NMILCH zwei Bands gehabt, die aber nicht so abgingen, und Thorsten hat dann für unsere Band seine bisherige Formation PARK aufgelöst und ab da gab es TAUCHER. Sebastian hat auch weiterhin sein Singer/Songwriter Projekt ICH UND MEIN TIGER. Und Marco spielte in einigen Punk/Hardcore-Bands, die bekannteste war wohl ARMSTRONG.

Was ist euer gemeinsamer Nenner, musikalisch und überhaupt?

Unser gemeinsamer Nenner ist unsere bandinterne Energie – ich kann mich nicht erinnern, dass ich in einer Band spielen durfte, wo eine solche Bereitschaft zu gegenseitigem Verständnis und zur Auseinandersetzung gegeben war. Dazu kommt natürlich unser musikalischer Ansatz – Punk im Herzen – und die Offenheit, musikalisch zu experimentieren. Wir sind auch poppigen Einflüssen gegenüber sehr offen.

Du hast dich – ungewöhnlich für eine Band, in der du mitspielst – ziemlich zurückgenommen, fast alle Texte und Songs sind von eurem Gitarristen Thorsten, von dir stammt nur ein Text. Wie kommt’s?

Na ja, was die Kompositionen angeht, kam das schon häufiger vor, zum Beispiel bei ARM oder vor allem KOMMANDO SONNE-NMILCH, wo unsere Songs alle entweder aus Sessions oder den Ideen von dem Gitarristen Andreas stammten und alle Texte von Jens waren. Bei TAUCHER liegt es aber auch auch daran, dass Thorsten schon ziemlich vorgelegt hatte mit Songs, die schon fertig waren. Zukünftig werden der Einfluss von mir und vor allem Sebastian sicher spürbarer werden.

Die Fotos auf der CD und im Booklet sind alle von Edgar Herbst aus dem mare-Bildband „Island“. Warum diese Fotos?

Erst mal sind dies hammergeile Fotos, die für uns das ausdrücken, was wir auch mit unserer Musik ausdrücken möchten – Liebe, Hoffnung, der Schmerz des Lebens. Ob Island oder sonst wo auf der Welt, das sind Themen, die alle Menschen überall bewegen, und Edgar hat das für uns einzigartig eingefangen mit seiner Arbeit in Island. Der Bildband entstand in Zusammenarbeit mit Heike Olertz, die eine gute Freundin von mir ist, so kam der Kontakt zustande.

Aufgenommen habt ihr die zwölf Songs laut Booklet schon im Dezember 2012, erst im Frühjahr 2014 kam die Platte. Seid ihr das überhaupt noch?

Das ist ein verdammter Druckfehler ist, aufgenommen haben wir im Dezember 2013. Warum ich 2012 geschrieben habe und warum mir das bei sechsmaliger Kontrolle des ganzen Covers und Booklets nicht aufgefallen ist, keinen blassen Schimmer ...

„Statt Etiketten zu kleben, in Bewegung bleiben. Auf zu neuen Ufern, statt im Gestern zu dümpeln.“ Damit charakterisiert ihr eure Musik, es ist vielleicht ein Wink in Richtung jener Bands, die einem bei der Erwähnung deines Namens einfallen, gleichzeitig seid ihr mit durchaus gefühlvollen, melodiösen, teils recht poppigen Songs abseits von Punk-Klischees auch ganz schön weit im Feld gegenwärtiger deutschsprachiger Rockmusik ...

Erst mal: Mit dem Satz ist gemeint, dass wir es uninteressant finden, immer dasselbe zu tun, sondern gerade musikalisch immer neue Wege gehen möchten. Wenn Leute ihre Bands von früher wiederbeleben, so ist das verständlich, aber ich finde, das hat mit der Schwierigkeit zu tun, im Jetzt und entsprechend der eigenen Entwicklung eine adäquate und zutreffende kreative Ausdrucksform zu finden. SLIME, TOXOPLASMA und so weiter – die neuen Platten sind alle okay. Ich finde nur, dass die sehr rückwärtsgewandt sind. Klar, dass man das gut abliefern kann. Ich hätte mit Elf noch fünf weitere Platten machen können, die versucht hätten, so geil wie „Schweineherbst“ oder „Alle gegen Alle“ zu sein. Dass wir als TAUCHER jetzt die Erwartungen nicht erfüllen, geht schon in Ordnung. Ich bin sicher, die Leute, die es möchten, spüren, dass wir, um nicht nur im Punk-Vokabular zu sprechen, wahrhaftig sind.

Es ist kein Geheimnis, dass du der einzige aus der alten SLIME-Clique bist, der „bürgerlich“ geworden ist, mit einer eigenen Firma ganz abseits des Musikgeschäfts. „Mahler Stoffe“ ist deine andere Obsession, oder kann man da überhaupt von „Obsession“ reden?

Mich interessieren solche Schubladen nicht mehr. Mich interessieren eher Begriffe wie Aufrichtigkeit, Herzlichkeit und das Bewusstsein über das eigene Handeln. In alles, was ich je unternommen habe, habe ich 100% Herzblut und meine ganze Energie gesteckt. Die Faszination für Stoffe gab es seit jeher, die Sinnlichkeit, die Haptik, die Funktion und die Schönheit fand ich immer schon toll. Meinen Laden habe ich in den letzten 18 Jahren aufgebaut, die Möglichkeit dazu erhielt ich durch das Wissen meines Vaters, von dem ich Mitte der Neunziger zwei Jahre lang den Handel gelernt habe. Es hat sich natürlich in den letzten Jahren viel verändert – mittlerweile arbeite ich in einem coolen Team und mache nicht mehr alles selbst. Aber von wegen Obsession: Die Befriedigung und die Identität, die mir die Musik gibt, ist etwas komplett anderes.

Zum Schluss muss ich noch das SLIME-Buch von Daniel Ryser ansprechen: Du kommst dort immer wieder nicht wirklich gut weg, was mich ehrlich gesagt gegen das ganze Buch eingenommen hat, denn so, wie du dort beschrieben wirst, habe ich dich nie wahrgenommen. Grämt dich das – und was für alte Rechnungen waren da noch offen, was wird da journalistisch „gefärbt“ wiedergegeben?

Ja, das war für mich auch heftig zu lesen, echt krass. Ich war überrascht und auch verletzt, zumal da zum Teil Dinge gesagt werden, die einfach unwahr sind, vor allem von Christian. Wir waren gute Freunde und hatten viele Bands zusammen, mir war nicht klar, wie sehr er in dieser Zeit unter mir gelitten und gegen mich gekämpft haben muss. Er hat den Kontakt zu mir vor zehn Jahren beendet und jetzt rechnet er mit mir ab. Aber der Versuch, mich zu diskreditieren beziehungsweise meine Bedeutung für die Band herunterzuspielen, ist fadenscheinig. Erst hatten sie Angst, dass SLIME ohne mich nicht funktionieren, und jetzt, da SLIME ohne mich auszukommen scheinen, wird daraus „Wir hätten ihn stoppen sollen“ ... Ich hätte mir gewünscht, dass das Buch als eine Möglichkeit wahrgenommen wird, gegenseitig Respekt und Dankbarkeit für die geile Zeit zusammen auszudrücken. Diese Chance wurde leider vertan. Insofern finde ich das auch von Daniel Ryser journalistisch zweifelhaft, dass er dies forciert hat.