CEREBRAL BALLZY

Foto

New York-Neurose

CEREBRAL BALLZY, fünf Kids aus New York City, veröffentlichen 2011 ihr selbstbetiteltes Debütalbum. Die Presse überschlägt sich vor Begeisterung, live offenbaren sich die Hardcore-Punks jedoch als mittlere Katastrophe, augenscheinlich heillos überfordert mit sich selbst, dem Hype und ihrem Lifestyle. Ernüchterung stellt sich ein. Drei Jahre später dann der (hoffentlich) große Befreiungsschlag namens „Jades & Faded“, veröffentlicht über Cult Records, das Label von THE STROKES-Mastermind Julian Casablancas. Im Juli kamen CEREBRAL BALLZY ohne Gitarrist Mason auf Tour und machten unter anderem in Berlin Halt, wo sich Sänger Honor Titus und Schlagzeuger Tom Kogut Zeit für ein Interview nehmen.

Mit eurem neuen Album seid ihr von Cooking Vinyl zu Cult Records gewechselt. Beide Labels sind nicht gerade für ihre Punk- und Hardcore-Releases bekannt. Warum habt ihr sie ausgesucht?

Honor: Weil wir ganz unterschiedliche Musikstile mögen. Vor allem Cooking Vinyl hat eine Geschichte, die wir sehr mochten. Julian ist ein guter Freund von uns. Es hat sich ganz natürlich ergeben. Wir haben den gleichen Geschmack, was Literatur und Musik angeht, deswegen ist es einfach passiert.

Eure neuen Songs sind viel melodischer als zuvor und haben einen gewissen Garage-Vibe. Hatte Julian darauf Einfluss? Immerhin spielt er in einer der bekanntesten Garagerock-Bands der vergangenen Jahre ...

Honor: Im weitesten Sinne schon, ja.


Tom: Vor allem war es einfach das, was wir machen wollten. Wir wollten uns mit unserer Musik einige Schritte nach vorne bewegen und nicht das Gleiche tun, was wir schon beim letzten Mal gemacht haben.

Honor: Es hat sich einfach so entwickelt. Wir sind New York Boys, wir kommen aus einer Stadt, die sich permanent verändert.

War es eine Herausforderung für euch, so melodische Songs aufzunehmen? Honor, du singst zum Beispiel zum ersten Mal richtig ...

Honor: Ja, wir entwickeln uns musikalisch unglaublich schnell voran, das ist offensichtlich. Die Reaktionen der Leute haben uns das auch bestätigt. Es ist natürlich vieles anders, aber wir wollen mit unserer Musik etwas rüberbringen und etwas von uns zeigen.

Tom: Und bei den Aufnahmen mit Dave Sitek zu arbeiten, hat uns wirklich geholfen. Wir hatten diese Idee und er hat uns dabei geholfen, sie so umzusetzen, wie wir es wollten, zum Beispiel melodischer zu sein. Wir haben uns dadurch alle sehr weiterentwickelt.

Euer Debütalbum war unbestritten sehr erfolgreich. Habt ihr danach Druck verspürt, mit „Jades & Faded“ gewisse Erwartungen erfüllen zu müssen?

Honor: Nicht unbedingt. Wir machen, was wir wollen. Wir wollten einfach Songs aufnehmen, große Songs, große Melodien – das sind sie zumindest für uns. Das tun wir nur, um uns selbst glücklich zu machen. Nach der Veröffentlichung von „Jaded & Faded“ waren alle so begeistert ... Die Leute kennen bereits die Texte, dabei ist das Album gerade erst im Juni erschienen. Das ist sehr cool.

Als „Cerebral Ballzy“ 2011 erschien, wart ihr alle noch sehr jung. Ist der Sound des neuen Albums nun ein Resultat des Älter- und Erwachsenwerdens?

Honor: Ja, das merkt man besonders an einem Ort wie New York. Ich habe das Gefühl, dass wir in den letzten vier Jahren 15 Jahre älter geworden sind.

Tom: Außerdem sind wir um die ganze Welt gereist. Für Kids wie uns sind das sehr prägende Erlebnisse.

Mit eurem Debüt habt ihr für Aufsehen gesorgt, ihr wurdet als „next big thing“ im Hardcore-Punk gehandelt. Das ist nun drei Jahre her. Habt ihr diese Zeit gebraucht, um euch von diesem „Hype“ zu distanzieren?

Honor: Absolut, wir wollten uns nur auf unsere Musik konzentrieren. Es gab so viele Einflüsse, so viele verschiedene Ablenkungen in unserem Leben, dass wir uns einfach zurückgezogen und an unserer Musik gearbeitet haben. Und das Ergebnis klingt ziemlich cool.

Wie fühlt ihr euch, wenn ihr zurückdenkt an die Band und die Menschen, die ihr damals wart? Im letzten Interview für Ox #104 habt ihr zum Beispiel gesagt, dass manche Leute überrascht waren, dass noch keiner von euch gestorben ist ...

Honor: Haha, äh, ja. Nun, wir ... Wir sind froh, am Leben zu sein, haha.

Tom: Das kann man wohl so sagen. Wir sind glücklich, dass wir noch hier sind, haha.

Also blickt ihr manchmal auf eure Vergangenheit zurück und denkt „Noch mal Schwein gehabt“?

Tom: Jeden Tag.


Honor: Ja, wir haben viele Sachen getan, sowohl gute als auch schlechte. Wir haben so viele Erfahrungen gemacht und diese in unserem Album verarbeitet. Wir hatten die Möglichkeit, uns selbst zu analysieren und das in unsere Songs einfließen zu lassen. Unser erstes Album war einfach ein wütendes „Fuck you!“ an alles und jeden. Das zweite fängt meiner Meinung nach etwas von New Yorks Schönheit, aber auch den Verfall der Stadt ein.

Könnt ihr euch noch mit den alten Songs identifizieren?

Honor: Natürlich, wir haben sie geschrieben. Diese Songs sind wie ein Tattoo, bis in alle Ewigkeit sichtbar.

Eure Heimatstadt New York spielt eine sehr wichtige Rolle in euren Songs. Denkt ihr, dass ihr die gleiche Musik auch in einer ganz anderen Stadt hättet machen können?

Honor: Nein, nicht ansatzweise. Es geht einfach um diese Energie und das Timing von New York. Es ist wie eine Neurose. Das gibt es sonst nirgendwo auf der Welt.

Tom: Es ist wie eine Atmosphäre, die ein Teil von dir wird und sich in allem äußert, was du tust.

Honor:Unsere Musik besitzt einfach eine gewisse Niedergeschlagenheit und Geschwindigkeit, die nur New York erzeugen kann.

Tom: Man fühlt sich gleichzeitig miserabel und glücklich.

Könnt ihr euch vorstellen, irgendwann mal aus New York wegzuziehen?[/b]

Tom: Ich weiß nicht recht. So richtig wegziehen? Vielleicht mal eine Pause einlegen, etwas Zeit woanders verbringen.

Honor: Ja, wir lieben Berlin, wir lieben London ...

Tom: Wir waren gerade in Wien, da scheint es recht entspannt zu sein.

Honor: Wir mögen künstlerische Städte.

Tom: Und Party-Städte, haha.

Das Artwork von „Jaded & Faded“ unterscheidet sich ziemlich von den typischen Raymond Pettibon-Arbeiten, die ihr sonst benutzt habt. Von wem stammt es und warum habt ihr euch dafür entschieden?

Honor: Der Künstler heißt Kevin Francis Gray, er macht vor allem Skulpturen. Ich habe ihn vor ein paar Jahren in New York getroffen und seine Arbeiten gesehen. Die sind einfach wunderschön. Er ist ein wirklich netter Typ und wollte die Band unterstützen, deswegen lag es nahe.

Tom: Und dann war da noch ein anderer Freund von uns namens Alessandro Bergonzoni, der Fotograf ist. Er hat das Coverfoto geschossen. Es war also eine echte Gruppenleistung, dieses coole Artwork zu bekommen.

Honor: Das Cover ist auf eine herausstechende Weise sehr kühl und rauh. Es soll aussagen, dass wir den Punk weitertragen, haha.

Im Oktober kommt ihr mit OFF! zurück auf Tour ...

Honor: Sie sind großartig und mittlerweile echt wie Familienmitglieder für uns. Sie sind unsere Onkels oder so.

Ist das nicht verrückt, mit so einem Idol wie Keith Morris auf Tour zu gehen?

Honor: Ja, total. Er ist ein neurotischer, brillanter Typ, wie wir auch, haha. Deswegen kommen wir ziemlich gut miteinander klar.

Tom: Die Personenkonstellation innerhalb von OFF! ist unserer sehr ähnlich, die Charaktere ähneln sich. Sie sind wie die erwachsene Version von uns.

Irgendwo im Internet habe ich gelesen, dass Mason die Band im Frühjahr verlassen hat. Stimmt das?

Honor: Nein, nein, er hat ein paar private Probleme. Er ist unser bester Freund. Irgendwann werden wir Masons hübsches Gesicht wiedersehen. Aber gerade ist er nicht mit uns auf Tour.

Würdet ihr als CEREBRAL BALLZY weitermachen, wenn einer von euch aussteigen würde?

Honor: Nein, auf keinen Fall. Das sind meine Brüder. Nur wir zusammen können CEREBRAL BALLZY-Songs schreiben und spielen, keine andere Personenkonstellation kann das. Das ist wie ein Fingerabdruck.