CHROME

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The Godfathers Of Space-Tech Acid-Rock

Im Juni gastierte Helios Creed mit seiner Neuauflage von CHROME in Köln, im Gepäck ein neues Album namens „Feel It Like A Scientist“. Vor dem Konzert bot sich die Gelegenheit, per Interview auf die Geschichte dieser oft als musikalischer Impulsgeber angeführten Band mit ihrem unkonventionellen, schwer einzuordnenden atonalen Psychedelic-Industrial-Noise-Rock einzugehen. Ursprünglich waren CHROME Mitte der Siebziger in San Francisco vom 1995 verstorbenen Damon Edge gegründet worden. Gitarrist Creed kam nach dem ersten Album „The Visitation“ (1976) dazu, 1983 trennten sich die Wege der beiden wieder.

Helios, du selbst bist ja schon häufiger in Europa auf Tour gewesen, allerdings nie unter dem Namen CHROME. Ein neues CHROME-Album gibt es ebenfalls. Handelt es sich um dieselbe Band, die das Album eingespielt hat und hier heute Abend auf der Bühne steht?

Ja, die ist auch auf dem neuen Album zu hören. Wir haben das Album zusammen aufgenommen. In den USA haben wir in dieser Konstellation schon gespielt, aber bisher noch nicht in Europa.

Wie wird man eigentlich Mitglied von CHROME?

Man ist dann ein Mitglied von CHROME, wenn man lang genug mit uns gespielt hat und irgendwann merkt: Wow, ich kann mich fünfmal verspielen und komme damit durch, weil es niemand merkt. Denn bei CHROME klingt vieles, als ob wir uns verspielen würden. Das Besondere an CHROME ist, dass Fehler manchmal besser klingen als etwas, das man absichtlich tut – wir streben das sogar an. Das macht es aus, bei CHROME zu sein und zu verstehen, was wir zu tun.

Das neue Album trägt den Titel „Feel It Like A Scientist“. Was genau wolltest du damit zum Ausdruck bringen?

Das ist noch ein alter Titel von Damon. Er wollte so mal ein Album nennen, aber hat es nie getan. Ich dachte, ich ehre ihn damit, wenn ich das Album so nenne. Es ist auch eine Textzeile in einem der Songs. Es passt irgendwie zur Platte und zur Musik. Für mich erschien es der richtige Titel zu sein.

Was denkst du, haben die Leute für eine Erwartungshaltung hinsichtlich des neuen Albums und wenn du jetzt wieder unter dem Namen CHROME auftrittst?

Keine Ahnung, wir versuchen einfach unser Bestes zu geben und spielen Songs vom Album und einige Klassiker, die die Leute schon lange nicht mehr live hören konnten, wie „Armageddon“, „Firebomb“ oder „TV as eyes“. Wir spielen auch zwei ganz neue Songs. Ein bisschen was von allem also, damit die Leute etwas erleben können, was sie bisher noch nicht erleben konnten. Denn wie schon gesagt, ich habe hier zwar bereits als Helios Creed gespielt, aber nie als CHROME. Ich finde es wichtig, den Leuten CHROME zurückzubringen, auch wenn es nicht einfach ist.

Wann warst du denn das letzte Mal hier?

Das muss vor 20 Jahren gewesen sein. Ich war ja mal auf Amphetamine Reptile, ein Label, das in Deutschland recht populär war, auch wenn ich sicher nicht der populärste Künstler dort war. Ich war dann auch hier in Deutschland ausgiebig auf Tour und habe dabei sicher mehr deutsche Städte gesehen als die meisten Deutschen.

Wie erklärst du dir diese damalige Popularität hierzulande im Vergleich zu den Staaten rückblickend?

Es scheint, als ob Europäer generell Rock mehr zu schätzen wissen. In den Staaten wird alles durch HipHop-Müll dominiert, und das ist schon seit 20 Jahren so. Es wird langsam ermüdend und es muss mal wieder ein so Rock-Ding kommen, das wäre zumindest meine Vorhersage. Es erinnert mich auch etwas an die Zeit, als CHROME „Alien Soundtracks“ aufgenommen haben. Populär waren da schlechte Disco-Musik oder idiotische Bands wie AIR SUPPLY. Und als wir unsere Sachen aufnahmen, dachte ich nicht, dass das unsere Musik etwas verändern würde, aber das tat es doch. Und jetzt habe ich das Gefühl, dass das wieder möglich ist, deshalb war ich sehr daran interessiert, diese CHROME-Sache durchzuziehen. Es ist wie mit einer Welle beim Surfen: man muss sich die Richtige schnappen. Ich bin ja Surfer, ich bin auf Hawaii aufgewachsen. Ich war zwar kein besonders guter Surfer, aber ich habe da fast zwölf Jahre gelebt. Mein Vater war bei der Marine und wir zogen dorthin, als ich 14 war.

Und wie bist du dann letztendlich in San Francisco gelandet?

Irgendwann, ich glaube mit 22, wollte ich eine Band gründen, aber auf Hawaii gab es keine Möglichkeit dazu, und so ging ich nach San Francisco. Jeder sagte mir zwar, ich solle nach LA gehen, aber mein Verstand sagte mir: Nein, scheiß auf LA. Ich wollte psychedelische Musik machen. Auch wenn die Psychedelic-Szene am Ende war, musste es doch irgendjemand geben, mit dem man eine Band gründen konnte. Ich versuchte jahrelang, eine Band gründen, aber ich fand nur alte Hippies, die Blues spielen wollten, und ich hasse Blues. Ich meine, ich hasse Blues natürlich nicht, aber ich will ihn nicht selbst spielen. Dann traf ich Damon. Und es war nicht mal Rock, was er da gespielt hat.

Wo siehst du denn den großen Unterschied zwischen der Musikszene in San Francisco und Los Angeles?

Momentan ist es so, dass LA eine Stadt ist, in der langsam wieder was los ist. San Francisco hingegen leidet unter der Gentrifizierung und die Szene verschwindet immer mehr, wie es auch in New York der Fall ist. Es verändert sich alles und ich weiß nicht, wie das noch enden soll. Und das ist schade, denn ich mag San Francisco, ebenso wie New York. Die Achtziger war aber eine gute Zeit für San Francisco. In den Sechzigern war ich ja noch ein Kind und für die Hippie-Zeit zu jung, aber in den Achtzigern hättest du mal in San Francisco sein sollen. Es waren so viele coole Leute aus Europa dort und die hatten dort echt eine tolle Zeit. Und wir waren ja auch alle von Musik aus Europa inspiriert. Wir haben versucht, die Stadt besser zu machen, aber mit den Yuppies kam dann die Gentrifizierung, und plötzlich wusstest du nicht mehr, wo du leben solltest, weil alles zu teuer wurde. Inzwischen ist es wirklich schlimm, wie ich gehört habe, es ist kaum noch jemand da, den ich kenne. Wir können dort schon noch auftreten und eine gute Show in der Great American Music Hall spielen, aber mir erscheint es auch so, als ob sich in den USA generell viel verändert hätte.

Und wie gestaltete sich dann in San Francisco dein erstes Zusammentreffen mit CHROME, die ja zu diesem Zeitpunkt bereits existierten?

Als ich Damon das erste Mal traf, hatten wir gleich das Gefühl, wir könnten zusammen eine Band gründen. Es gab dann noch Gary Spain, der sehr talentiert war, und John Lambdin, der Gitarre gespielt hat und dessen Stil ich sehr mochte. Lambdin war schon Gitarrist auf dem ersten CHROME-Album „The Visitation“, an dem ich noch nicht beteiligt war. Und dann stiegen irgendwann beide aus und nur ich und Damon blieben übrig.

Was war damals dein Eindruck von „The Visitation“? CHROME klangen da ja noch etwas konventioneller.

Ich fand, dass es ein tolles Album war. Ich hielt CHROME anfangs allerdings für Garys Band. Aber ansonsten schien niemand die Platte zu mögen, aber dafür ich, und das nahm immer mehr zu. Und dann traf ich Damon und sagte ihm: „Ich liebe die Platte. Mein einziger Kritikpunkt ist, dass sie härter und rockiger sein könnte.“ Und er meinte, dass Rock nicht sein musikalischer Background sei. Aber dafür meiner. Und er saugte dann quasi diese Inspiration durch mich auf und ich seine. Wir waren die besten Freunde und Brüder, die du dir vorstellen konntest, bis er Fabienne traf ...

Die ersten CHROME-Platten kamen ja fast alle bei Damons eigenem Label Siren Records heraus. War das für euch die einzige Möglichkeit, eure Platten unter die Leute zu bringen?

Ja, wir konnten keinen Plattenvertrag bekommen. Wir versuchten zwar einen zu bekommen und schickten einigen großen Firmen dann „Alien Soundtracks“, aber die meinten nur: „Wir halten eure Musik für einen schwachen THE DOORS-Abklatsch und für schlechte Charles Manson-Musik. Von uns kriegt ihr keinen Plattenvertrag.“ Zumindest hatten sie sich die Platte angehört. Wir haben das, was sie uns schrieben, dann benutzt, um Werbung für „Alien Soundtracks“ zu machen. Und die Leute liebten das! Hinzu kam, dass Damon eine reiche Familie hatte und so die finanziellen Möglichkeiten, die Platten überall hinzuschicken, um zu sehen, ob jemand anbeißen würde. Und die Presse mochte die Platte auch, denn jeder suchte zu dieser Zeit nach interessanter neuer Musik und war gelangweilt vom üblichen Rock’n’Roll. Sie wollten nicht Huey Lewis haben, sondern etwas Seltsames, Schräges, quasi THROBBING GRISTLE gekreuzt mit einer normalen Rockband. Und natürlich haben wir THROBBING GRISTLE auch geliebt.

THROBBING GRISTLE und CHROME sind sind ja musikgeschichtlich in gewisser Weise Weggefährten. Wie bekannt war eine Band aus Nordengland damals an der Westküste der USA?

Sie waren sehr populär, zumindest was meine Freunde anging: Punkrocker, die Acid und so einen Mist nahmen. Ich habe sie auch live gesehen und sie haben mich ziemlich inspiriert. Man wusste aber nicht genau, wie man mit ihnen umgehen sollte: Ließ man sie in einem großen Laden spielen, kam manchmal keiner, ließ man sie in einem kleineren Laden spielen, war der komplett ausverkauft. Ich habe sie mal in einem recht großen Laden vor 100 oder 150 Leuten gesehen. Es war gut, weil sie einfach Krach gemacht haben. Mit Genesis P-Orridge war ich später auch befreundet, ich habe viel mit ihm aufgenommen und tauche auf seinen Platten auf, auch wenn es viele vielleicht nicht wissen.

Ich muss gestehen, dass ich zwar einiges über CHROME gelesen hatte, aber erst 1984 das Album „Into The Eyes Of The Zombie King“ in die Finger bekam, auf dem du gar nicht mehr dabei warst. Damon hatte sich mit seiner Angetrauten Fabienne Shine mittlerweile nach Frankreich abgesetzt.

Ja, zu dieser Zeit hatten wir uns getrennt. Aber mir wurde immer gesagt, dass es eine gute Platte sei. Damon versuchte damals, mit CHROME ohne mich weiterzumachen. Aber er hat zu dieser Zeit zu viel getrunken und gegessen, neben anderen Dingen, und das hat ihn zum Schluss umgebracht. Und er hatte Depressionen. Ich sagte ihm zwar: „Damon, komm zurück nach Kalifornien und wir fangen wieder neu an.“ Aber er sagte: „Ich will nicht, dass du mich so siehst, ich wiege 150 Kilo.“ Ist mir egal, nimm ab und werde wieder gesund, komm wieder auf die Beine. Aber er hat es nicht auf die Reihe gekriegt, und das Nächste, was ich hörte, war, dass er gestorben war.

Hast du jemals Schuldgefühle empfunden, weil du vielleicht hättest mehr für ihn tun können, trotz aller persönlicher Differenzen?

Ich konnte nicht viel tun. Ich fühle mich deshalb auch nicht schuldig, weil er komplett außerhalb meiner Reichweite war. Es überstieg einfach meine finanziellen Möglichkeiten ihm zu helfen. Klar, vielleicht hätte ich irgendwie Geld beschaffen können, um zu ihm zu fliegen und ihn hierher zurückzubringen. Vielleicht fühle ich mich deswegen sogar ein wenig schuldig, ja, aber es war damals einfach nicht möglich.

Klingt nach einem dieser sinnlosen Rockstar-Tode ...

Er hat immer das getan, was er tun wollte. Er war ein sehr unsicherer Mensch, und wenn er nicht der größte Rockstar werden könnte, wollte er sich umbringen. Alle seine Helden hatten sich umgebracht. Er wollte Mitglied im „Club 27“ werden, aber er war schon viel zu alt dafür, haha. Ich bin jetzt 60 und definitiv zu alt, um mich noch umzubringen, haha. Es wird in nicht allzu weiter Ferne auf ganz natürliche Weise passieren.

Du hast ja auch deine heftige Drogen-Phase hinter dir.

Ja, die hatten wir alle, aber damit hab ich nichts mehr am Hut. Und ich bin Alkoholiker. Ich meine, ich habe schon seit Jahren keinen Schluck mehr getrunken und gehe Alkohol aus dem Weg, aber ich bin für suchterzeugende Dinge sehr empfänglich. Ich trinke auch keinen Kaffee mehr, aber ich rauche noch. Das ist mein einziges Laster, ab und zu rauche ich Gras.

Haben dir Drogen jemals geholfen beim Songschreiben?

Nun, ich habe meine erste Soloplatte „X-Rated Fairy Tales“ auf Speed in einer Toilette geschrieben. Aber heute könnte ich das nicht mehr. So high sein kann man nur in seiner Jugend sein, heute würde einen das wahrscheinlich sofort umbringen. Mein Vater ist mit 63 gestorben und ich würde ganz gerne älter werden als er.

Schaut man sich Fotos von dir und Damon aus der Frühzeit von CHROME an, blickt ihr da immer ziemlich finster drein. Was für ein Image wolltet ihr transportieren?

Bei CHROME experimentierten wir mit einer Mischung aus angsteinflößend und humorvoll. Wir versuchten, den Leuten Angst zu machen und machten dann etwas, was belustigend wirkte, also in musikalischer Hinsicht. Man muss lachen, während man gleichzeitig Angst hat. Das ist ein seltsames Gefühl, aber ein ziemlich gutes.

Die Aura des Mysteriösen, die CHROME umgab, wurde ja noch dadurch gesteigert, dass die Band bis auf einen einzigen Auftritt 1981 in Italien nie live aufgetreten ist.

Das stimmt. Man hat uns zwar Auftritte angeboten, aber wir lehnten sie ab. Ich wollte gerne spielen, aber wie gesagt, Damon war ein sehr unsicherer Mensch. Er hatte wohl Angst, dass ich als Gitarrist die Band an mich reißen könnte, aber das war überhaupt nicht meine Absicht. Er war leider paranoid. Er war adoptiert worden und fühlte sich nie geliebt und deswegen traute er niemand. Und Fabienne förderte das auch noch. Sie brachte ihn dazu, nach Europa zu gehen und dort eine neue Band zu gründen, weswegen ich ziemlich sauer war. Und ich dachte: Du kannst mich mal, dann gründe ich auch meine eigene Band. Und mit der hatte ich dann mehr Erfolg als mit CHROME.

Also könnte man böserweise sagen, dass Fabienne Shine – auch bekannt als Sängerin der französischen Hardrockband SHAKIN’ STREET – die Yoko Ono von CHROME war?

In gewisser Weise schon, ja, sie hat ihm das alles eingeredet, denn es war alles in bester Ordnung, bevor er sie traf. Irgendwann merkte er dann, dass er einen großen Fehler gemacht hatte, fing an zu trinken, schluckte Pillen und aß zuviel, und ruinierte sein Leben.

Wie kam diese Show in Italien zustande?

Ich habe ihm irgendwann gesagt, wenn wir keine Shows spielen, dann höre ich auf, ich will nicht nur Platten aufnehmen, ohne live zu spielen, das macht keinen Spaß. Und er meinte: „Ich sehe aber nicht gut genug aus“. Das ist den Leuten doch egal, Damon, sie sind an deiner Musik interessiert! Also buchten wir eine Show in Bologna in Italien und noch eine in San Francisco. Mehr Live-Auftritte von Damon und mir gab es nicht, außer diesen beiden Shows.

Du hast ja schon angesprochen, dass Damon ein sehr unsicherer Mensch war. Was lässt sich sonst über seine Persönlichkeit sagen?

Er sprach immer mit ziemlich tiefer Stimme und trug große Sonnenbrillen für Frauen. Und hatte etwas Übergewicht. Das machte meiner damaligen Frau ziemlich Angst, sie hielt ihn für einen riesigen Frosch, haha. Aber er war ein einzigartiger Kerl. Und er war sehr beliebt bei den Leuten, das überraschte mich immer wieder. Die Leute liebten ihn. Tja, und jetzt ist er wohl eine dieser toten Kult-Figuren ...

Gab es jemals eine gerichtliche Auseinandersetzung bezüglich der Nutzung des Namens CHROME?

Nein, ihm gehörte ja der Name, er hatte ihn sich schützen lassen. Ich war sogar dabei, als er es tat. Aber trotzdem war ich ziemlich sauer, weil ich so viel Zeit in die Band investiert hatte. Und dann entschied er, ohne es mir zu sagen, mich zu ersetzen und in Europa damit weiterzumachen. Ich war echt sauer, ich glaube, ich habe jede CHROME-Platte, die ich hatte, zerbrochen. Ich nahm das halbe Wohnzimmer auseinander, weil ich so sauer war. Und dann war meine Frau auf mich sauer: „Du verdammter Loser, du hast deine Band verloren und jetzt dein Haus zerstört. Verschwinde!“ Und meine Songwriter-Credits unterschlug er natürlich auch. Er glaubte wohl, er käme damit durch. Er wusste offenbar nicht, was er tat, und verlor langsam den Verstand.

Wie ich gehört habe, hatte Damon eine Schwester, die nach seinem Tod über den musikalischen Nachlass ihres Bruders gewacht hat.

Ja, aber die ist inzwischen tot. Es gab immer jemanden aus dieser Familie, der versucht hat, an das Geld zu kommen, ich weiß auch nicht warum. Du hast die ganze Arbeit gehabt und die sollen das Geld kriegen?! Nur weil sie mit Damon verwandt waren?! Rechtsanwälte kämpfen für ihre Klienten, und wenn du verlierst, verlierst du bei solchen Geschichten eben, egal, ob du die Arbeit gehabt hast. Sie finden immer einen Weg, um dich übers Ohr zu hauen. Und ich fühlte mich ziemlich übers Ohr gehauen. Ich habe, wie gesagt, dann erst mal als Helios Creed weitergemacht. Nach Damons Tod dachte ich, ich sollte vielleicht den Namen wieder übernehmen, bevor ihn sich jemand anders unter den Nagel reißt. Ich meine, ich mache das ja auch für Damon, denn sein Name wird dadurch ebenfalls berühmter. Oder CHROME verschwinden einfach, wenn ich es nicht tue.

Und wem gehören nun die Rechte an den Rereleases, die immer mal wieder auftauchen?

Cleopatra behaupten, sie gehören ihnen, aber sie gehören mir. Aber Brian Perera ist ja auch ein schmieriger Bastard, haha. Aber das sollte ich vielleicht besser nicht sagen, haha!

Zu der DIY-Mentalität von CHROME gehörte ja auch immer das Layout der Platten, wie auch der krakelige Band-Schriftzug. Am einprägsamsten dürfte dabei das Cover der Platte „3rd From The Sun“ sein.

Damon hat die meisten Cover gemacht. Was man auf „3rd From The Sun“ sieht, ist ein Türklopfer in Form eines Löwenkopfs, auf den er Augen geklebt hatte, das war eigentlich alles. Ich fragte ihn dann auch, was das mit dem Löwenkopf bedeuten soll: „Nun, das ist eine Warnung an Außerirdische, nicht zu diesem Planeten zu kommen, weil wir hier ziemlich kriegerisch aussehen.“ Und das gefiel mir. Wir hätten das gerne mit der Voyager-Raumsonde mitgeschickt, aber sie nahmen lieber Chuck Berry. So ein Mist, warum haben sie unsere Platte nicht genommen, um die Außerirdischen zu warnen sich fernzuhalten, denn wir sind richtig abgefuckt, haha. Dementsprechend sind auch die Songs geschrieben: Diese Typen müssen völlig verrückt sein, da fliegen wir besser nicht hin, hahaha!


 


Auch wenn Damon Edge ...

... und sein langjähriger Partner Helios Creed nach ihrer Trennung 1983 noch Musik in der Tradition ihrer Band CHROME aufnahmen, machen die Platten „The Visitation“ (1976), „Alien Soundtracks“ (1977), „Half Machine Lip Moves“ (1979), „Red Exposure“ (1980), „Blood On The Moon“ (1981) und „3rd From The Sun“ (1982) den essentiellen Kern des Schaffens aus.

Julian Cope, der mit THE TEARDROP EXPLODES Ende der Siebziger/Anfang der Achtziger mal fast ein britischer Popstar war und später Autor des nicht unumstrittenen Standardwerks „Krautrocksampler“ sowie Archivar seltsamer Klänge (siehe seine Website headheritage.co.uk) wurde, ist immer schon ein großer Fan von CHROME gewesen. Ein Grund: Deren deutlich Beeinflussung durch deutsche Bands wie CAN oder NEU!. In seiner 2005 online veröffentlichten „Chromeology“ reduziert Cope das essentielle Schaffen von Damon Edge auf die ersten vier Alben. Er schrieb: „they still work as a holistic canon with which to blow yer brains out“. Das Album ist ein Proto-Industrial-Bastard mit Tinnitus verursachendem Groove, der sich seinen Platz in der Rock’n’Roll-Geschichte redlich verdient hat, aber in der „I Was A Punk Before You Were A Punk“-Liste oft ignoriert wird.

Das Debüt „The Visitation“ (noch ohne Creed) sieht Cope aber aufgrund des von Hendrix inspirierten Heavy Rock angesiedelt im Hinterland zwischen „The Death of Prog“ und „The Birth of Punk“. Ein Werk, das trotz bereits deutlich vorhandener CHROME-Charakteristika die Beschränkungen von Westküsten-Psychedelic-Rock nicht überwinden konnte. Das gelang erst mit dem Nachfolger „Alien Soundtracks“. Cope: „CHROME absolutely nailed their muse to the floor“. Auf keinem anderen Album erreichten CHROME einen derartig extremen Cut-up-Collagen-Sound, als ob man irgendwelche psychedelischen Schnittabfälle wahllos vom Boden aufgesammelt hätte, und bei dem das Gespann Edge und Creed den bisherigen Songwriter John Lambdin ziemlich alt aussehen ließen.

„Half Machine Lip Moves“ danach ist dann zwar laut Cope „shatteringly unlistenable in places“, enthält aber mit „TV as eyes“ einen der großen CHROME-Klassiker, gegen dessen monolithische Punk-Riffs selbst THE STOOGES, BLUE CHEER und PERE UBU verblassen. Waren die ersten Platten noch auf Edges Label Siren Records erschienen, nahm Beggars Banquet sie in England für „Red Exposure“ unter Vertrag. Es ist deshalb nach wie vor das am leichtesten zu bekommende und zugänglichste CHROME-Album, eingespielt von Edge und Creed als Duo. Für Cope besitzt das Album zwar immer noch viele gelungene Momente, kommt aber nicht mehr an die Vorgänger heran, denn „CHROME’s fire-breathing dragon no longer had an amphetamine pessary up his psychic jacksie.“ Das gilt dann gleichermaßen auch für „Blood On The Moon“ und „3rd From The Sun“, die aber immer noch genug CHROME-typische Momente aufweisen, um sie auch heute noch außergewöhnlich und visionär erscheinen zu lassen.

 


Diskografie

The Visitation (1976) • Alien Soundtracks (1977) • Half Machine Lip Moves (1979) • Red Exposure (1980) • Blood on the Moon (1981) • 3rd from the Sun (1982) • Into the Eyes of the Zombie King (1984) • Another World (1985) • Eternity (1986) • Dreaming in Sequence (1986) • Alien Soundtracks II (1988) • Mission of the Entranced (1990) • Liquid Forest (1990) • One Million Eyes (1991) • The Clairaudient Syndrome (1994) • Retro Transmission (1997) • Tidal Forces (1998) • Ghost Machine (2002) • Angel of the Clouds (2002) • Half Machine from the Sun: Lost Tracks `79-`80 (2013) • Feel it Like a Scientist (2014)