OKKULTOKRATI

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Licht ins Dunkel

„Night Jerks“, das jüngste Album der Norweger OKKULTOKRATI ist ein echter Bastard. Punk, Hardcore, Metal, Avantgarde, Sludge – von allem ist ein bisschen eingearbeitet. Entsprechend irritiert reagieren Puristen, beschweren sich je nach eigener Ausrichtung entweder über punkige Schludrigkeit, zu langatmige Klangexperimente oder zu viel Düsternis. Wie die Band damit umgeht und was OKKULTOKRATI eigentlich bewegt, erläutert Sänger Tarblack.

Ich habe kürzlich einige Reviews zu eurem letzten Album „Night Jerks“ gelesen und festgestellt, dass die Kritiker in zwei Lager gespalten waren: Auf der einen Seite standen jene, die es enthusiastisch abgefeiert haben, auf der anderen diejenigen, die damit nichts anfangen konnten und einfach total überfordert waren.

Ja, wie alle große Kunst spaltet es die Leute in die, die es verstehen, und jene, die es hassen. Daran, dass die Leute es hassen, erkennst du, ob du etwas wirklich Gutes geschaffen hast. Das ist immer so.

Aber bei den letzten beiden Alben sah das ein wenig anders aus, oder?

Nein, das würde ich nicht sagen. Aus irgendeinem Grund ist das bei uns einfach so. Vielleicht wird es irgendwann mal ein Album geben, bei dem sie es uns etwas leichter machen, aber bisher gab es immer irgendjemanden, der so was geschrieben hat wie: „Ah, das habe ich schon hundertmal gehört, dieses Riff.“ Oder: „Warum spielen sie nicht etwas Spannenderes oder Experimentelleres?“ Du kannst es nicht jedem recht machen, so ist es eben. Wenn du damit anfängst, machst du auf jeden Fall etwas falsch.

Auf musicandriotsmagazine.com versucht man euch beispielsweise als „verrückt/okkulten Metal-befeuerten Hardcore-Punk“ einzuordnen. Könnte darin, dass ihr absolut nicht eindeutig kategorisierbar seid, das eigentliche Problem der irritierten Hörer liegen?

Ja, absolut. Aber einige Dinge erweisen sich im Prozess als erstrebenswert und interessant. Damit meine ich nicht Musik, die aus Selbstzweck eigenartig ist, sondern etwas, das auch hörbar und interessant, vielleicht sogar catchy ist. Musik, bei der du sofort hörst, dass Qualität dahinter steckt, bei der du vielleicht sogar mitsummen kannst, haha. Es gibt da immer ein gutes Pop-Element, manchmal tief begraben unter vielen Schichten, aber es ist da.

In einem Rock-A-Rolla-Interview hast du 2012 gesagt: „I’d rather fuck with your mind and rip out your soul with some well crafted rock songs!“ Das passt ja auch irgendwie in diesen Kontext.

Ja, weil wir bei unserem letzten Album fast ausschließlich RAMONES, MISFITS, STOOGES und die SPITS gehört haben, hat sich das natürlich auch in unsere Musik eingeschlichen. Dieser recht einfach gestrickte Punkrock-Ansatz war auch schon vorher ein Teil unseres Stils, also war es auch nur logisch, es auch anzusprechen. Es ist immer ein wenig billig, das Wort „Rock’n’Roll“ zu verwenden, weil es schon so ausgelutscht ist, aber zu diesem Zeitpunkt hat es meiner Meinung nach einfach gepasst.

Aber das war 2012. Seitdem ist ja wahrscheinlich einiges passiert.

Stimmt. Zunächst wurde unser Gitarrist Paul krank. Erst war nur seine Hand betroffen und die Ärzte hielten es für eine Sehnenscheidenentzündung, die von der ständigen Bewegungswiederholung beim Gitarrenspielen stammt. Nach und nach breitete es sich aber auf seinen ganzen Körper aus und er konnte kaum noch laufen oder eine Gitarre halten. Eine lange Zeit wussten die Ärzte überhaupt nicht, was es war, und konnten ihn nicht behandeln, dadurch wurde es immer schlimmer. Als er keine Gitarre mehr spielen und auf diese Weise Musik machen konnte, hat er angefangen, Synthesizer zu spielen, bei dem du ja nur Knöpfchen drücken musst. Er ist auch ein paar Mal live mit ÅRABROT aufgetreten. Wir haben zwei oder drei Shows letztes Jahr gespielt, bei denen er auch am Synthesizer war, und wir haben ein eigenes Synthie-Nebenprojekt laufen. Aber nachdem er medikamentös richtig eingestellt wurde, konnte er auch wieder Gitarre spielen. Vor dieser Tour wollten wir aber unbedingt noch ein wenig neue Musik rausbringen. Wir hatten noch ein paar Songs herumliegen und sind für die Aufnahmen in die schwedischen Berge mitten ins Nirgendwo gefahren. Das Studio war in einer ehemaligen Kirche, die für Akustik ausgelegt war, mit großer Orgel und allem Drum und Dran. Eigentlich sind wir nur für die Aufnahmen der alten Songs hingefahren, aber als wir da waren, haben wir auch neue Musik geschrieben. Es war einfach sehr inspirierend und kam alles ganz natürlich, wie von selbst, hat einfach Gestalt angenommen. Plötzlich haben wir festgestellt: Das ist keine EP, das ist jetzt ein Album, es sind nicht mehr einfach nur vier Songs, das ist etwas viel Größeres. Das war eine neue Erfahrung für uns und ein interessanter Prozess. Wir haben nur drei Tage dafür gebraucht.

Haben nur diese Landschaft und das Kirchenstudio euer Songwriting beeinflusst?

Es gab da eine ganze Reihe von Einflüssen. Dieses schwedische Dorf mit seinen 300 Einwohnern, mitten im Winter, da siehst du niemanden draußen. Es ist düster und kalt. Wir waren deshalb fast die ganze Zeit im Gebäude, aber es war eine sehr entspannte Atmosphäre. Kjetil Nernes von ÅRABROT, der da lebt und uns dorthin eingeladen hat, hat dort auch eine Menge Instrumente herumliegen. Ein riesiger Synthesizer, viele Tierfelltrommeln, all das lag herum und wartete nur darauf, ausprobiert zu werden. Also haben wir eine ganze Menge herumprobiert und aufgenommen, es mit zurück nach Oslo gebracht und dort weiter daran gefeilt. Das hat dann noch einige Wochen gedauert. Paul hat sich daran gemacht, den 16-minütigen „Cosmic winter song“ zu vollenden, der war ursprünglich noch länger, 24 Minuten oder so. Er hat ihn dann so umgestaltet, dass er auch auf die LP passt. Er hat ihn aber auch optimiert. Er ist sogar noch besser als die Rohfassung geworden, viel intensiver. Das ist alles richtig gut gelaufen. Es zeigt eine Seite der Band, die zwar schon da gewesen ist, aber so noch nie auf Platte gepresst wurde. Das war irgendwo tief im Inneren versteckt.

Mein erster Eindruck von der Grundstimmung dieses Albums war, dass es sich sehr düster, aufwühlend und ein Stück weit auch beängstigend anfühlt. Das erklärt sich dann wohl daraus.

Auf jeden Fall. Du kannst nicht irgendwo in eine Sache auf einer Seite reingehen und komplett unverändert auf der anderen wieder rauskommen. Bis zu einem gewissen Grade ändert sich ja alles immer ein bisschen. Aber gerade, wenn du Dingen wie Sterblichkeit ins Auge siehst, mündet das natürlich in einer Veränderung. OKKULTOKRATI wird wahrscheinlich immer auch Experimente beinhalten, das macht die Sache für uns einfach interessant, nicht dasselbe immer und immer wieder zu tun, sondern immer auch etwas Neues auszuprobieren. Vielleicht wird das nächste Album ja wieder ganz anders sein.

Auch mit den Texten experimentiert ihr. Es werden viele verschiedene Themenkomplexe angesprochen, immer wieder das Okkulte, ernstere Themen wie Angst und Entfremdung, aber auch Narren, Dummköpfe, also Jerks, wie es im Albumtitel heißt ...

Darum geht es auf diesem Album. Während unsere ersten beiden Platten tatsächlich komplette Konzeptalben waren, bei denen jeder Song mit einem roten Faden versehen war, der sich konsequent durch das Album zog, hat „Night Jerks“ das nicht. Hier geht es eher um verschiedene Dinge, die mich interessieren und die ich dann so ausgewählt habe, dass sie der Stimmung des Songs entsprechen. Es ist ein wenig anders, aber es spiegelt uns wider.

Versteckt sich hinter alledem auch eine humorige Seite?

OKKULTOKRATI sind eine ernsthafte Band, aber wenn du danach suchst, wirst du auch einen unterschwelligen Humor finden. Das lasse ich offen für Interpretationen, das will ich nicht vorgeben. Wenn Leute es nicht ernst nehmen und als Witz auslegen wollen, ist das ihre Sache. Es gibt da ein paar ernsthafte Dinge und auch einige weniger ernste.

Das erinnert mich wieder an ÅRABROT, die ja auch die beiden Pole Kunst und Trash ständig gegeneinander ausspielen.

Ja, Kjetil reizt den schmalen Grad zwischen intellektueller, hoher Kunst und primitiver, menschlicher Sexualität ganz gerne aus. Ich vermische Hochkultur und Alltagskultur auch ganz gerne miteinander. Das passt, denn Rock’n’Roll wurde immer als etwas Einfältiges und Simples wahrgenommen, aber es kann auch etwas sehr viel höher Entwickeltes sein, etwas Interessantes und Reizvolles. Es hat zwar diesen Kaugummigeschmack, aber es kann auch sehr subversiv sein. Und wenn wir noch ein wenig weiter daran arbeiten, kann unsere Musik beides sein, gefährlich und catchy. Wir werden sehen.

Eure Ästhetik spiegelt dieses Zwiegespaltene ja auch ein Stück weit wider.

Das haben wir immer versucht. Wir hatten das Glück, auf unserem ersten Album sehr eng mit Sebastian Rusten zusammenarbeiten zu dürfen. Er ist ein sehr talentierter Künstler. Für seine Bilder braucht er sehr lange, weil er ausschließlich mit ganz kleinen Punkten und sehr detailliert arbeitet. Das hat sehr gut zu unserer Musik gepasst. Aber er macht eben einfach sein Ding und arbeitet nun mal sehr langsam, und wir brauchen ein Artwork manchmal recht schnell, also haben wir uns beim letzten Mal für Esben Titland entschieden. Er ist ebenfalls ein guter Freund und hat auch einige HAUST-Artworks gestaltet. Wir kannten ihn also und wussten, dass er eine möglichst einfache Version liefern würde, was wiederum gut zu dem Punkstil auf „Snakereigns“ passte. Sebastians Detailtreue wäre hier auch einfach fehl am Platz gewesen. Aber für das neue Album hat Esra Røise, die normalerweise viel Fashionkram macht, das Bild für das Frontcover gemalt. Ich habe ihr gesagt, woran wir arbeiten und was wir uns vorstellen. Ich hatte da ein Bild namens „The last fox hunt“, das sie neu interpretiert und damit auf ein ganz anderes Level als die Fotografie gehoben hat. Das hat echt gut funktioniert, sie hatte es innerhalb von wenigen Tagen fertig und es greift die Stimmung des Albums auf. Es ist kälter und beunruhigend.

Neben CD und Vinyl habt ihr „Night Jerks“ auch auf Tape herausgebracht.

Wir haben ein Label namens Ormeyngel, das in den letzten Jahren nicht mehr so aktiv war. Aber darüber haben wir ungefähr zehn Tapes herausgebracht, nur unseren eigenen Kram, Nebenprojekte und Sachen von Freunden. Ja, wir mögen das Tapeformat, es ist sehr unverbindlich. Du kannst limitierte Auflagen rausbringen und Wiederauflagen ohne Extrakosten. Das ist toll! Die Leute können billig an die Musik herankommen. Und der Tapesound ... ich will schlechten Sound hier nicht romantisieren, aber es hat nun mal seinen ganz eigenen Klang. Damit muss man eben klarkommen. Wenn du in den Siebzigern oder Achtzigern geboren bist, bist du ja damit aufgewachsen. Mit der CD ist der Musik einfach dieser Demo-Aspekt abhanden gekommen, einfach mal eben deine drei oder fünf besten Songs rauszubringen und es selbst über das Tape zu vermarkten. Mit der CD haben dann alle angefangen, auch ältere Songs draufzuschmeißen, weil die Standard-CD eben 75 Minuten lang ist. Es gab dann kaum noch einen Filter und du hattest diese ganzen billigen CDs mit schlechter Musik, die den Markt überschwemmt haben und es damit viel schwerer gemacht haben, die gute Musik zu entdecken. Es gab einfach zu viel. Es ist ein bisschen so wie das Internet jetzt. Du brauchst jemanden, der dir den Weg zeigt. Darum ist das Tape einfach ein gutes Format.

„OKKULTOKRATI are on their own trip here and based upon the path so far, Night Jerks is merely the latest step on the trail to infinitely stranger climes“, sagt thesleepingshaman.com. Hat er recht?

Das ist auf jeden Fall so. Es ist ein interessanter Trip und ich weiß noch nicht, wohin er uns führt. Ob wir noch einmal so etwas machen oder etwas vollkommen anderes. Wir haben kein Manifest. Wir hören viel unterschiedliche Musik und wenn die Leute das mögen, ist das ein Bonus, aber es ist nicht unser Antrieb. Paul schreibt alle Songs, er ist das kreative Genie der Band. Er bringt seine Ideen ein, wir probieren ein bisschen aus oder nehmen direkt auf. Das ist jedes Mal anders, jeder Song hat einen anderen Hintergrund. Wenn ein Konzept einfließt, kommt das erst mit den Texten. Aber im Vorfeld gibt es keinen großen Masterplan, das ist eher eine Stream-of-Consciousness-Geschichte.