THE PICTUREBOOKS

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Indianergeheul und explosive Rhythmik

Die Tage der krachigen Indie-Sounds sind Geschichte. THE PICTUREBOOKS sind vom Trio zum Duo geschrumpft und die Quote der Bärtigen im Publikum steigt stetig. Nach den hochgelobten Alben „List Of People To Kill“ (2009) und „Artificial Tears“ (2010) haben sich Fynn und Philipp zu einem radikalen Kurswechsel entschlossen. Im Studio von Fynns Vater Claus Grabke (Skateboard-Legende und Sänger von THUMB, ALTERNATIVE ALLSTARS, EIGHT DAYZ) haben sie lange getüftelt und experimentiert. Und jetzt hat das Duo aus Gütersloh gemerkt, dass es mit dem neuen Gemisch aus Blues-Gitarren, Indianergeheul und explosiver Rhythmik seinen Horizont massiv erweitern konnte.

Ihr wart einen Monat lang in Amerika unterwegs, um Werbung für euer neues Album „Imaginary Horse“ zu machen. Wie war es?

Fynn: Ziemlich buckelig. Die Straßen sind ganz anders als hier. Vor allem die Highways in Kalifornien sind schlimm. Da waren die alten DDR-Autobahnen nichts dagegen. Arizona wurde dann langsam besser und in Texas konnten wir sogar für zwei Minuten mal Tempo 130 fahren. Sonst gilt überall 120 km/h Maximum. Wir hatten uns aber einen Ford E 350 V8 gekauft und sind dann mit viel Platz, Cruise Control und Air Condition losgefahren. Auf den Fahrten zwischen den Locations siehst du teilweise stundenlang keine Menschen, kein Haus, nichts. Nur Wüste. Und du weißt, wenn du liegen bleibst, dauert es ein paar Stunden bis irgendjemand kommt. Aber in den Städten gibt es natürlich super Clubs und eine tolle alternative Szene. In Michigan haben wir zum Beispiel in einer Stadt namens Marshall gespielt, da gab es einen genialen Club, der hieß Dark Horse Brewery, und die Leute dort sind durchgedreht. Das ging soweit, dass sie uns Bargeld auf die Bühne geworfen haben. Da kam man sich schon manchmal vor wie eine Stripperin.

Euer neues Konzept ist ja sehr auf Amerika ausgerichtet. Mit Riding Easy Records habt ihr ja sogar ein US-Label als neuen Partner neben eurem Berliner Stammlabel Noisolution. Warum diese Konzentration auf die Staaten?

Fynn: Wir mussten uns von den Altlasten der ersten beiden Alben befreien. Von Gedanken wie: Was könnten deutsche Magazine denken? Man kennt die Kommentare von Visions und Konsorten. Du weißt, was denen gefällt. Das setzt einen irgendwie unter Druck. Davon mussten wir uns mit den Trips nach Amerika frei machen. Auf einmal haben wir gemerkt, es gibt da draußen so viel mehr als wir kennen. Man kann es sich natürlich einfach machen und eine deutsche Version von irgendwas sein und hat damit Erfolg. Das ist aber nicht unsere Idee. Deshalb war das Abkapseln ein sehr wichtiger Prozess für uns. Wir hatten auch ganz lange keinen Kontakt zu unserem Label. Wir haben in dieser Zeit in unserer Garage so viele neue Songs geschrieben und direkt aufgenommen, weil alles da stand und wir nur auf „Aufnahme“ drücken mussten. Wir hatten zwei Mikros, drei Meter von uns weg, und dann haben wir immer live gespielt. Das erste Konzert mit den neuen Songs war vor ungefähr einem Jahr in Los Angeles. Cedric Bixler-Zavala, von THE MARS VOLTA und AT THE DRIVE-IN, hat uns über Instagram entdeckt und aus Begeisterung gleich zwei Shows für uns organisiert. Die erste war im Harvard & Stone, das ist ein prominenter Club in Hollywood. Der Laden war voll und zehn Minuten vor der Show kamen die EAGLES OF DEATH METAL vorbei, weil sie einfach nur ein Bier trinken wollten. Dann haben sie spontan ihre Instrumente geholt und mitgespielt. Das hat natürlich dann für eine unglaubliche Mundpropaganda gesorgt und alles ins Rollen gebracht.

Ihr habt in eurer Musik alles Überflüssige weggelassen. Ihr habt keinen Bassisten mehr. Am Schlagzeug fehlen die Becken. Warum diese extreme Reduktion?

Philipp: Wir waren ja mit unserem Bassisten Tim sehr viel auf Tour. Und irgendwann ging das Geld aus für Becken. Alle zwei Shows brauchte ich ein neues Becken. Das war einfach scheiße. Und weil ich dann sowieso keine Lust mehr hatte, die Becken aufzubauen, habe ich einfach mit großen Trommeln herumexperimentiert. Und so wurde daraus das, was es jetzt ist.

Fynn: Wir können bei uns zu Hause jederzeit in einem professionellen Studio arbeiten, in dem alles möglich ist. Aber dann bist du irgendwann nicht mehr kreativ. Wir können alle erdenklichen Instrumente und Studiotricks nutzen, sogar ein Orchester einladen. Wir sind schließlich im Studio von meinem Papa. Deshalb haben wir beide uns gegenseitig nicht mehr erlaubt, Musik zu hören, damit wir keine Einflüsse von außen mehr haben. Dann sind wir durch einige Zufälle an indianische Musik geraten. Und diese Rhythmen fanden wir super.

Welche Rolle spielt dein Vater in der neuen Entwicklung?

Fynn: In erster Linie ist mein Papa mein bester Freund. Und wir können das mit der Geschäftsbeziehung gut verknüpfen. Dann kann ich gut damit umgehen, dass gleichzeitig mein Vater, mein Freund und unser Manager vor mir steht. Das können wir trennen. Er ist Produzent, Live-Mischer und Berater der Band. Dieses Dreierteam geht durch dick und dünn. Mein Papa macht das auch schon lange, deshalb hat er immer gute Tips gegen Lagerkoller. Indem man einfach geradeheraus ist und nicht alles verschluckt.

Philipp: Wir sind ja alle zusammen groß geworden. Claus hat uns von Anfang an begleitet, von den ersten Proben auf dem Dachboden bis zu den ersten beiden Alben. Die hat er im Studio mitproduziert, deshalb war auch klar, dass er uns live mischt. Er weiß, wie wir klingen sollen und wollen.

Die Texte zu den neuen Songs sind völlig spontan entstanden. Teilweise erst beim Singen. Andere machen sich wochenlang Gedanken. Was steckt hinter dieser Strategie?

Fynn: „PCH diamond“ zum Beispiel handelt vom Pacific Coast Highway, der von Seattle immer an der Küste entlang bis nach Mexiko führt. Und das ist ein sehr spezieller Ort für uns und fürs Album. Als wir nach 14 Stunden Reise am Pazifik standen, war das ein Moment, in dem uns ein Schauer über den Rücken gelaufen ist. In dem Song singe ich von Huntington Beach, einer sehr coolen, alternativen Stadt, die auch Surf City genannt wird. Und der Song beschreibt einfach nur Wort für Wort, was wir dort erlebt haben. Da habe ich zum Beispiel einen Schamanen getroffen, der mir einen Ring verkauft hat. Bei diesem Song habe ich mir richtig hingesetzt und geschrieben. Die meisten anderen Texte sind spontan entstanden, als ich die Riffs geschrieben habe. Ich singe einfach irgendwas und nehme das dann ganz oft mit dem Handy auf. Alte Blues- oder Rockabilly-Songs klingen ganz ähnlich. Da wirkt die Stimme wie ein weiteres Instrument. Ganz egal, was der Inhalt ist, das passt einfach! Das Thema Rhythmik war bei diesem Album das Allerwichtigste und das gilt natürlich auch für den Gesang.

Euer letztes Album „Artificial Tears“ ist nach den Augentropfen für euren Studiohund benannt. Was hat es mit dem Titel „Imaginary Horse“ auf sich?

Fynn: Als Kind hatte ich ein imaginäres Pferd, das hieß Pon Pon. Ein imaginärer Freund, den viele Kids haben, der immer an meiner Seite war. Mit diesem Song fängt das Album auch an. Und wir beide fanden das so gruselig und gleichzeitig auch cool, dass wir uns dafür entschieden haben. Außerdem kann in den Namen „Imaginary Horse“ auch jeder selbst was hineininterpretieren.

Großes Thema sind bei euch auch Motorräder und Skateboards. Warum stellt ihr das so in den Vordergrund?

Philipp: Für uns ist Skateboard-Fahren kein Sport, sondern eine Leidenschaft. Darüber haben wir uns kennen gelernt und das hat uns natürlich geprägt. Die nächsten zwei Monate können wir zwar nicht fahren, weil die Angst vor Verletzung zu groß ist, aber danach geht’s gleich auf die Rampe. Skateboard-Fahren gehört einfach dazu, ich könnte mir nicht vorstellen aufzuhören, nur weil ich dreißig bin.

Fynn: Wir bauen ja auch unsere eigenen Motorräder. Das machen viele andere Bands auch, nur hängen sie es nicht an die große Glocke. Und wir haben uns gesagt: Wieso eigentlich nicht? So sind wir eben! Und gerade bei diesem Album ganz extrem. Wir haben ja sogar in der Garage aufgenommen. Und schön war für uns natürlich, als in Los Angeles viele bekannte Motorrad-Bauer oder Profi-Skater auf uns zu gekommen sind und unsere Shirts kaufen wollten. Wir haben unser Image nicht geplant, es ist einfach so passiert.