YOB

Foto

Dynamik zwischen den Extremen

Im engen Korsett von Doom-Sound gelingt es YOB aus Eugene, Oregon seit fast zwanzig Jahren, die Perspektive auf dieses in Teilen angestaubte Genre zu schärfen, indem sie es mit eigenwilligen Texturen in die Jetzt-Zeit überführen. An dieser Stelle ein offenes Gespräch über Vergangenes und Aktuelles mit Gitarrist und Sänger Mike Scheidt in seiner Funktion als künstlerischer Impulsgeber und unumstrittener Kopf der Doom-Blues-Psych-Metal-Band YOB – neben Bassist Aaron Rieseberg und Schlagzeuger Travis Foster.

Mike, eure offizielle Website nennt sich yobislove.com. YOB ist Liebe? Nicht unbedingt das, was einem in den Sinn kommt, wenn man eure Musik hört.

Das war nicht unsere Idee, sondern die der Fans. Grund dafür ist vielleicht unsere Herangehensweise an unsere Musik oder die Stimmung, die YOB auslösen will, aber auch, wie wir mit den Menschen umgehen, die uns umgeben.

Auf dem neuen Album „Clearing the path to ascend“ erkenne ich einen Stimmungswechsel, wenn man die erste Hälfte mit der zweiten vergleicht. Während die erste bestimmt ist von heftigen Growls und eher bedrohlich-finsteren Klängen, erscheint die zweite deutlich euphorischer und der Gesang ist vornehmlich klar, dazu der beruhigende Abschluss.

Das ist in Teilen richtig, ja. Der Beginn des Albums ist wütend und stürmisch. Es hat seinen Ursprung an einem Ort der Verzweiflung. Durch Text und Musik werden diese Gefühle ausgelöst und es geht darum, sich im Verlauf des Albums von den negativen Emotionen zu befreien, indem sie umgewandelt werden in etwas, das sich besser anfühlt. Das scheint mir für jede Person ein Grundbedürfnis zu sein: Sich von negativen Gefühlen frei zu machen, die uns im Leben begleiten und mit denen wir sogar geboren wurden. Der Fluss der Platte soll diese Bestrebung widerspiegeln. Sie soll an einem schönen, jede Person einschließenden Ort enden. Dieses Album so aufzubauen, ist für uns eine Form von Selbst-Therapie. Wenn sich jemand davon angesprochen fühlt: großartig!

Wann genau stellt sich dieser therapeutische Effekt ein?

Das ist für jeden in der Band unterschiedlich. Bei mir, sobald ich zu Hause allein an den Arrangements und den Riffs arbeite. Sobald mir etwas einfällt, das sich richtig anfühlt. Diese Eindrücke teile ich mit der Band. In unseren wöchentlichen Treffen bearbeiten wir diese und zwar so lange, bis jeder in der Band einen Aha-Moment erlebt, zu dem wir gemeinsam gelangen. Und wenn nicht: Jeder hat ein Vetorecht, was die Musik und Texte angeht. Wenn einer nur einen Teil nicht mag, kommt er nicht aufs Album. Ein Einverständnis muss da sein, denn geformt wird unsere Musik von uns, von mir, Aaron und Travis, von unserer Perspektive auf das, was ich mir ausdenke. In den Proben lernen wir während des Aufnahmeprozesses die Stücke besser kennen und probieren sie einfach aus. In diesen kreativen Momenten entsteht die Erfüllung von dem, was uns mit der Musik verbindet. Diese direkte Zusammenarbeit und ein demokratisches Verhältnis innerhalb der Band ist die beste Möglichkeit, kreativ zu sein. Den Begriff, den wir benutzen, ist Meritokratie. Das soll heißen: Wer kann was am besten? Business? Songwriting? Natürlich, wir können alle Songs schreiben und glauben, wir würden etwas dazu beisteuern. Aber wer schreibt sie am besten? Jeder kümmert sich um eine bestimmte Sache und ist verantwortlich dafür.

An welchen Orten fühlt ihr euch bei Live-Auftritten mit eurer langsamen, harten Musik am wohlsten?

Heute im FZW in Dortmund, eine neu errichtete Mehrzweckhalle mit einer, meiner Erfahrung nach, tollen Akustik. In einigen Tagen in Leipzig im UT Connewitz, ein über hundert Jahre altes Gebäude, vom Kino zu einem Konzertsaal umgebaut. Mit YOB haben wir in vielen Kellern gespielt, in kleinen Clubs, auf Outdoor-Festivals, in Stadien vor bis zu 20.000 Zuschauern ... Ich respektiere Künstler, die eine bestimmte Umgebung brauchen, um dort bestimmte Schwingungen zu erzeugen. Ich hingegen würde verrückt werden, wenn ich ständig darüber nachdenken müsste, den richtigen Ort zu finden, um den perfekten YOB-Sound zu erreichen. Unsere Herausforderung ist Abend für Abend, unabhängig von der PA, den Umständen, von der Enge der Wände oder der Anzahl der Leute, oder wie alt das Gebäude ist, tief in uns zu blicken und unsere Persönlichkeit nach außen dringen zu lassen, um unser Inneres mit den äußeren Umständen in Einklang zu bringen. Es ist natürlich schön, wenn die Venue unserem Sound entgegenkommt, ändern können wir daran nichts. Das Ergebnis wäre, dass für uns die Hälfte der Shows Enttäuschungen wären, weil sie am falschen Ort stattfinden. Dadurch kommt das Publikum zu kurz. Damit will ich nicht herabwürdigen, was für eine besondere Erfahrung es sein kann, in einer Kirche zu spielen, sondern nur klarstellen, dass wir als Band dafür verantwortlich sind, dieses besondere Umfeld zu schaffen.

Zuletzt habt ihr ja mit TOOL in großen Stadien gespielt.

Ja, 2012 haben wir neun Konzerte zusammen mit ihnen gespielt, und zuletzt im März drei Shows, als wir mitten in den Albumaufnahmen steckten. In der Nacht nach der letzten Show sind wir direkt zurück in den Proberaum gefahren, um morgens weitermachen zu können.

Wie bewertest du die aktuelle Zusammenarbeit mit Neurot Records? Ins Leben gerufen wurde das Label ja von NEUROSIS-Mitgliedern ...

Neurot kenne ich natürlich schon länger. Scott Kelly führte mit mir 2003 ein Radio-Interview anlässlich unserer Platte „Catharsis“. Zu meiner Überraschung erfuhr ich, dass er tatsächlich ein Fan von uns ist. Über die Jahre sind wir langsam zu Freunden geworden. Wir bekamen auch die Möglichkeit, mit NEUROSIS zu spielen. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung von „The Great Cessation“ kamen Scott und Steve von Till auf uns zu und sagten: „Sagt Bescheid, wenn ihr ein Album für Neurot machen wollt.“ Wir waren jedoch erst seit kurzer Zeit bei Profound Lore, einem fantastischen Label, und waren einfach nicht bereit, erneut zu wechseln. Dementsprechend war erst nach der Fertigstellung von „Atma“ die Richtung unklar. Während einer Solo-Tour, die ich mit Scott machte, begannen wir, uns ernsthaft damit auseinanderzusetzen. Obwohl wir ebenfalls mit einigen anderen Labels – zum Teil deutlich größeren – sprachen, entschieden wir uns recht schnell für Neurot. NEUROSIS gründeten das Label, um ihren Sinn für Integrität, für Familie und ihre Idee von „Stammeszugehörigkeit“ umsetzen zu können. Sie tourten weltweit in einem kleinen Van, haben also schon sehr häufig genau das gemacht, was wir im Moment ebenfalls tun und daher wissen sie, wie sie uns helfen können. Sie lassen uns aber machen, was wir wollen. Ihnen das fertige Album zu überreichen, war wirklich ein nervenaufreibender Moment. Einmal aufgrund des großen Respekts, den wir vor ihnen auf künstlerischer Ebene haben. Und weil sie uns blind vertraut haben. Sie haben uns unter Vertrag genommen, ohne vorher einen einzigen Ton des Albums gehört zu haben. Dass alle Seiten nach Fertigstellung des Albums zufrieden sind, ist so gesehen eine große Erleichterung für uns.

Steve von Till sprach mal in einem NEUROSIS-Interview von einer „Dynamik zwischen den Extremen“. Gibt es Ansätze in der Musik von YOB, die diesen künstlerischen Ansatz stützen? Also dass sich leisere Sounds in extremer Form an diese fast apokalyptischen Ausbrüche anlagern ...

Unserer Musik wohnt große Dynamik inne, ja. Ich denke, es kommt häufig zu dem Missverständnis, dass ruhige Phasen eines Stücks gleichzeitig als leicht wahrgenommen werden und die lauten für heavy gehalten werden. Hin und wieder ist es genau anders herum. Dann sind die leisen Momente entsetzlich schmerzhaft, und sobald man das Pedal tritt und die Lautstärke sich entfaltet, kommt es zu einer Freisetzung der in der Ruhe-Phase aufgebauten Spannung. YOB tendieren dazu, in den sanften Momenten Gefühle von Intimität und Offenheit zu entblößen. Wir versuchen damit etwas freizusetzen, was unter den riesigen Sound-Wänden liegt und was diese Emotionen dann genauso ausdrückt wie die stürmischen Phasen der Verzerrung. Mit YOB wiederum können wir gleichzeitig laut sein und unheimlich schön, oder eben laut und richtig aggressiv oder sogar abstoßend. Es kommt eben auf den Moment an, und um welche Emotion es uns geht. Lautstärke um der Lautstärke willen kommt in unserer Musik nicht vor, sie ist immer bewusst gewählt.