BITCH QUEENS

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Schweizer Schweden

Melchior, wie wird man in der beschaulichen Schweiz zum Punk?

Auch wenn man es nicht glaubt: Gerade in diesem Land ist es ziemlich leicht, gegen den Strom zu schwimmen. Dieses Biedere hier kann einem ganz gehörig auf die Nerven gehen. Da muss man dann ausbrechen. Schon als Teenager kommst du nicht darum herum – zumindest, wenn du auch mal etwas anderes erleben willst. Letztlich spielen wir zwar keinen lupenreinen Punk, sondern eher Musik, die an den skandinavischen Rock à la GLUECIFER oder HELLACOPTERS angelehnt ist, aber wir haben hervorragende Szene-Verbindungen.

Existiert diese Szene auch, wie in Deutschland, städteübergreifend?


Nein. Die Punk-Szene bei uns ist eher eine beschauliche. Jede Stadt hat zwar ihren Club. Aber es gibt beispielsweise kaum noch besetzte Häuser. In Basel ist eines der letzten vor knapp einem Jahr abgebrannt. Zudem geht die Polizei rigoros gegen derlei Einrichtungen vor. Als Band bist du gezwungen, viel im Ausland zu spielen, in Deutschland oder Tschechien. Dort gibt es viel mehr Auftrittsmöglichkeiten. Und ein größeres Publikum.

Du hast eure Orientierung am skandinavischen Rock erwähnt. Wer euer neues Album hört, der hört vor allem eine kleine Kopie von TURBONEGRO. Ich sage mal: Ihr klaut dreist – aber auch gut.

Haha. Da stimmt schon. Allein unser Outfit mit Jeanskutten und Make-up zeigt das ja. Aber: Es gibt schlechtere Referenzen als TURBONEGRO! Und: Ich würde unsere Musik trotzdem eher allgemein fassen und als Skandinavien-Rock mit Punk-Elementen bezeichnen. Denn wenn man genau hinhört, klingen auch viele andere Einflüsse durch.

Sind die Skandinavier also tatsächlich die so gerne beschworenen besseren Rocker als Briten und Amerikaner?

Da ist was dran. Aber ich bin eben als Teenager mit dieser Musik aufgewachsen. Und was ich dabei immer extrem toll fand: Viele der skandinavischen Bands bestehen nicht nur aus hervorragenden Musikern, sie haben auch einen schönen Humor und nehmen sich selber nicht so ernst. TURBONEGRO sind da ja das beste Beispiel.

Punk-Puristen hingegen dürfte euer Rock mit eher „dreckigen“ und weniger politischen Texte sauer aufstoßen.

Ein gutes Thema. Wir sitzen manchmal tatsächlich zwischen den Stühlen. Für die Rocker sind wir dann zu sehr Punk. Und für die Punks zu sehr Rocker. Ich finde das schade, weil ich mich schwer tue mit engstirnigen Musikhörern. Gerade in der Punk-Szene sollte man die Mühe, die eine Band in ihre Songs steckt, respektieren und sich zumindest mal mit der Musik auseinandersetzen.

Die BITCH QUEENS sind hierzulande bislang unter dem Radar der Öffentlichkeit geflogen. Wie ist das in der Schweiz?

Bei uns kennen uns die Leute aus der Szene. Alternativer Rock und Punk sind hierzulande nicht so angesagt. Britisch inspirierter Indiepop ist eher angesagt, und außerdem HipHop in Mundart. Und überhaupt landessprachliche Musik. Die geht hier immer. Da haben wir natürlich keine Chance.

Trotzdem habt ihr mit Strange Magic mittlerweile sogar ein US-Label an der Hand.

Richtig. Und das ist toll! Ich würde sagen: Wir haben jetzt eine Zehenspitze im amerikanischen Markt. Was daraus wird, muss man abwarten. Natürlich planen wir, dort einmal eine Tour zu spielen. Aber so etwas ist ja immer mit einem unglaublich hohen Aufwand verbunden ...

Du sagst, ihr würdet euch selbst nicht so ernst nehmen. Aber dieses Bemühen um Hörer in den USA zeigt doch das Bestreben, die Sache professionell aufzuziehen.

Absolut. Das ist ja auch notwendig, für unsere Art von Musik herrschen heutzutage schließlich nicht gerade rosige Bedingungen. Das bedeutet: Wir müssen viel investieren und kommen um das klassische „Do It Yourself“ gar nicht herum. Es ist richtig harte Arbeit. Vor allem, weil wir alle berufstätig sind.

Eurem Album hört man die Mühe, die ihr reingesteckt habt, meiner Meinung nach auch in jeder Sekunde an. Es klingt wuchtig und hervorragend produziert.

Danke. Wir haben uns dieses Mal auch richtig viel Zeit gelassen. Ein Dreivierteljahr allein für das Songwriting ist schon eine Nummer. Dagegen haben wir früher wahre Schnellschüsse gelandet. Da war unsere Maxime: Das Zeug muss raus, raus, raus! Jetzt war es anders. Und das hat der Musik gutgetan.

Euer Video zum Song „Gimme a kiss“ wurde wegen anstößiger Szenen jüngst von einem Schweizer TV-Sender zensiert.

Die Sache wurde größer, als wir uns das vorstellen konnten. Ich hatte dem Sender das Video zugeschickt. Als die Absage kam, habe ich mit ein paar Kumpels darüber gesprochen. Die haben die Sache irgendwie weitergeleitet – und auf einmal kam der „Blick“ an!

Die Schweizer Bild-Zeitung.

Genau. Und bei denen waren wir dann auf Seite eins! Wir waren plötzlich ein Thema bei Leuten, die uns gar nicht hören, und haben genüsslich weiter in der Wunde gebohrt, wenn wir darauf angesprochen wurden. Das Schöne: Seitdem kennen uns ein paar Leute mehr. Und es haftet uns der Ruf an, dass wir auf die Konventionen pfeifen.

In Deutschland gibt es immer mehr populäre Punkbands, die deutsche Texte singen. Sogar die DONOTS tun das jetzt. Könntest du dir vorstellen, jemals ein BITCH QUEENS-Album in Mundart herauszubringen?

Ich denke nicht. Denn hier entwickelt man automatisch so eine Art Grundabneigung gegen Musik in der Landessprache. Das ist sogar schade, weil es in der Schweiz auch gute Musik in Landessprache gibt. Aber vieles ist eben totaler Mist. Und in diesen Sumpf möchte man nicht einmal eine Zehenspitze tunken.