KARIES

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HÜSKER DÜ, nicht WIPERS

Esslingen. Eine dieser Städte, an denen ich immer nur vorbeifahre auf dem Weg nach Stuttgart. Dabei existiert dort mit dem Komma ein Konzertort, dessen Programm ambitionierter ist als das vieler Clubs in der nur ein paar Kilometer entfernten Landeshauptstadt. Ob dieser geschmackssichere Hort der Subkultur dazu beigetragen hat, dass sich in seiner Umgebung eine ganze Reihe spannender Bands wie DIE NERVEN, HUMAN ABFALL und KARIES etablieren konnten? Bei KARIES trommelt Kevin Kuhn von DIE NERVEN, und so hatte ich einen guten Grund, diesen zu seinen Aktivitäten zu befragen. „Seid umschlungen, Millionen“, das erste KARIES-Album, erschien Ende 2014 auf This Charming Man.

Kevin, du musst dir immer wieder den „Vorwurf“ anhören, irgendwie WIPERS-mäßig zu trommeln. Was sagst du dazu?


So geläufig ist mir dieser „Vorwurf“ gar nicht, aber das ist nett zu hören. Die WIPERS sind wohl die Band, die auf den KARIES-Tourneen unterwegs am häufigsten gehört wird.Ich habe mich allerdings noch nicht ganz so sehr mit der Band beschäftigt, wie ich vielleicht sollte. Ehrlich gesagt, als ich ernsthaft mit dem Trommeln anfing vor etwa dreieinhalb Jahren, war das Schlagzeugspiel von Grant Hart von HÜSKER DÜ das Maß aller Dinge für mich. Also vom Stil her gar nicht mal so unähnlich. Einmal in Frankfurt hatte ich die Möglichkeit, ihm das sogar persönlich zu sagen.

Kannst du Nicht-Musikern erklären, was diesen WIPERS-Sound und -Rhythmus ausmacht? Also was wird wie gespielt, damit das so klingt, was ist der Trick?

Ich sehe mich gar nicht so recht in der Position, das genau zu beurteilen, aber bei HÜSKER DÜ nehme ich an, es ist zum einen wie die Snare gespielt wird. Man lässt nicht jeden Snareschlag klar definiert knallen, wie sonst üblich in der gängigen Punkmusik, sondern man nimmt den Stick und lässt ihn quasi auf dem Fell tanzen, so entsteht ein „pfefferiger“ Sound. Das Drumming bei den WIPERS wie auch bei den Hüskers hat jeweils eine ganz eigene Form von „Swing“, so dass nicht konsequent stumpf durchgetaktet wird, sondern die Drums einen wabernden, teilweise unruhigen Klangteppich bilden, der mit den anderen Instrumenten greift.

In unserer „Drummerboy“-Rubrik fragen wir Schlagzeuger immer, ob ihr Instrument für sie eine „Liebeshochzeit“ ist oder ob sie eher zufällig hinter den Trommeln gelandet sind. Wie war das bei dir? Und gibt es irgendwelche Trommler-Vorbilder?

Der Wunsch, Schlagzeuger zu sein, war schon immer da, aber im Endeffekt passierte es wohl tatsächlich eher zufällig. In den meisten Bands, in denen ich vor DIE NERVEN war, spielte ich Gitarre. Damals, 2011, war ich bei der Live-Band von Julian Knoths Soloprojekt PETER MUFFIN am Bass, ab und an gab es dann Instrumentenwechsel und ich durfte ans Schlagzeug. Später fragte Julian mich, ob ich für eine einzelne NERVEN-Show in Würzburg einspringen könnte, das war mein erster Gig als Vollzeittrommler, dieses „Einspringen“ häufte sich und dann hieß es, wir machen ein Album. So viel dazu. Die einzige Übung, die ich davor hatte, waren ein winziges Kinderschlagzeug, einige Schuhkartons und ein paar Besuche im Jugendzentrum. Sehr wenige Sachen bereiten mir mehr Freude, als am Schlagzeug zu sitzen und mit anderen Songs zu spielen, allerdings mache ich daraus keinen Lifestyle, wie die Leute, die einen Stimmschlüssel um den Hals tragen. Ohne Mitmusiker Schlagzeug zu spielen langweilt mich, daher übe ich auch nie. Sollte ich mal aber anfangen. Die Schlagzeuger, die ich am meisten bewundere, sind Grant Hart, Stewart Copeland, Pete Thomas, Roger Taylor und Karen Carpenter – und nichts und niemand geht über Ringo Starr.

„Achtziger und NDW“ wirft euer Label recht knapp zur Beschreibung eurer Musik als Stichwort in den Raum. Sind das Stichworte, die ihr auch gewählt hättet?

Das kommt von Chris von This Charming Man, befürchte ich. Begriffe, mit denen sich KARIES davor geschmückt haben, waren eher die gängigeren wie „Post-Punk“, „Noise-Punk“ und in der Frühphase, als Jan noch zusätzlich Keyboard gespielt hat, „Casio-Punk“. Da kann ich nicht viel zu sagen, mit Genrebegriffen kannst du mich jagen. Aus Jux hab ich mal auf ein Gigposter „Neue Alte Neue Deutsche Welle“ geschrieben. „Achtziger“ meinetwegen, es gab ja tolle Musik und tolle Soundästhetik, das war nicht so steril wie vieles heute. Obwohl ich mal annehme, dass niemand der Beteiligten sich bei dieser Platte explizit bemüht hat, original nach den Achtzigern zu klingen. Das ist wohl viel mehr die Summe aus den jeweiligen Einflüssen und Max Riegers Produktion.

Beide Bands, in denen du spielst, haben deutsche Texte. Zufall? Und wie wichtig sind dir Texte?

Zufall, eventuell aber auch nicht. Da musst du Benjamin fragen, er fing an, deutsche Texte zu schreiben. Ich schreibe ja bei DIE NERVEN und bei KARIES so gut wie keine Texte. Das machen die anderen. Auf Deutsch kann ich das auch nicht wirklich. Bei anderen Bands und Projekten schreibe ich entweder auf Englisch oder, wenn auf Deutsch, nur zugekifften Nonsens. Natürlich sind Texte sehr wichtig, aber die Musik steht an erster Stelle. Daraus möchte ich jetzt keinen Grundsatz machen, es gibt ja unendlich viele Möglichkeiten das zu handhaben, aber wenn es um Songs schreiben geht, ist es für mich am wichtigsten, dass die Worte phonetisch mit der Musik Hand in Hand gehen. Der Klang ist wichtiger als die Aussage. Viele deutschsprachige Pop- und Rockmusiker und auch viele Punkbands scheinen das anders zu sehen. Ich mochte auch aus diesem Grund sehr lange keine deutschsprachigen Bands. TRIO, frühe TOCOTRONIC und ein paar andere bilden da Ausnahmen. Erst in den letzten Jahren hab ich vor allem durch Julian Knoth und die KARIES-Jungs wunderbare Interpreten wie Andreas Dorau, GRAUZONE, ÄTZER81 und DER PLAN kennen gelernt, die Deutsch very pleasing for the ears machen. Aber das ist jetzt nur meine Meinung.

Wozu braucht man eigentlich mehr als eine Band? Man könnte meinen, dass eine – den Eindruck hat man – gut laufende Band wie DIE NERVEN ausreicht, um einem von allem „Was mache ich nur in meiner Freizeit?“-Stress zu befreien.

Es ist nie genug. Musik machen ist wie ein Rausch. Wer Lust hat, eine AOR-Band mit NWOBHM-Einflüssen zu gründen, kann sich gerne bei mir melden.

Bevor wir uns zu sehr auf deine Person konzentrieren: Bitte erklär uns, wie KARIES funktionieren. Wer sind die anderen, wie habt ihr euch gefunden, wie kommt ihr angesichts verschiedener Wohnorte zusammen, und was verbindet euch musikalisch?

Da bin ich aber erleichtert – bevor die Leser merken, dass ich überhaupt nicht interessant bin. Benjamin Klaus Schröter habe ich im Februar 2012 kennen gelernt. Er war zu der Zeit in den Bands PILOT und den kurzlebigen LES CRAPULES. Von letzteren hab ich das einzige Konzert veranstaltet, bei dem kleinen Musikfestival „Trashival“ in Gaby’s Gruft. So lernten wir einander kennen. Benny hat zu jener Zeit ein paar Solodemos von unter anderem „Einen Monat noch“ aufgenommen und wollte dann für das darauf folgende Trashival eine Band um diese Demos herum gründen. Mit dabei waren zwei Freunde aus seiner Proberaum-Jugendzeit in Göppingen, die jetzt beide in Berlin wohnen, Max Nosek und Jan Rumpela, beide früher bei SKY VALLEY. Die lernte ich dann beim ersten KARIES-Gig im August kennen. Ich wurde dann auch mal gefragt, ob ich mitspielen möchte, aber da ich eben für dieses Trashival schon mit drei anderen Bands verpflichtet war, sagte ich ab. Julian Knoth war damals der KARIES-Drummer. Als Julian dann aus Zeitgründen für ein Konzert ausfiel, sprang ich ein. Wir probten einmal zusammen und nächsten Tag wurde sehr spontan das „Fun ist ein Stahlbad“-Tape eingespielt und seither bin ich fest dabei. Die Band funktioniert ungefähr so: Benny, Max und Jan sind alle sehr fleißig und nehmen viele Demos und Ideen auf, ob allein, zu zweit oder zu dritt. Benny und Max schreiben die Texte, beide stilistisch sehr unterschiedlich. Komplett zu viert treffen wir uns meist nur einmal vor einem Konzert, um zu proben, gelegentlich muss auch der Soundcheck als Probe herhalten. Aus den Demos und den Songskizzen machen wir dann gemeinsam den fertigen Song. Ungefähr die Hälfte der Songs auf „Seid umschlungen, Millionen“ nahmen ihre jetzige Form während der Sessions an. Ende Februar treffen wir uns mal eine Zeit lang in Berlin, um an neuen KARIES-Songs zu werkeln. Da wir jetzt öfter live beziehungsweise ganze Touren spielen dürfen, sind wir viel souveräner und sicherer als Band geworden und ich bin gespannt, wohin sich das noch entwickelt. Wir sind noch ganz am Anfang, musst du wissen. Was uns musikalisch verbindet, weiß ich nicht genau. Ich schätze, JOY DIVISION und die WIPERS sind Bands, auf die wir uns alle einigen können. Aber jeder hat seine persönlichen Vorlieben.

Lange Zeit hatte man die Region Stuttgart nicht wirklich auf dem Schirm, was Punk und Artverwandtes betrifft. Mit DIE NERVEN, KARIES und HUMAN ABFALL hat sich das geändert. Welche Bands habe ich vergessen, welche sind erwähnenswert – und würdest du so weit gehen, von einer „Szene“ zu sprechen?

Das Wort „Szene“ ist schrecklich, töten Sie es mit Feuer bitte. In Stuttgart gibt es derzeit einen undefinierten Kreis aus ein paar dutzend Leuten, die Musik machen, Konzerte veranstalten, Bands aufnehmen, Platten auflegen und sonst in irgendeiner Form kreativ sind. Und ein Konsens von „einfach mal machen“ schwingt irgendwie mit. Man kennt sich und ist befreundet. Der gröbste Kern an Musikern ist auf dem Album „Von Heimat kann man hier nicht sprechen“ eingefangen worden. Dabei ist es mitnichten alles Punkmusik, was da entsteht. Wer wo mitmischt und wie es überhaupt zu irgendwas kam, ist an sich schon einen mehrseitigen Artikel wert. Für mich fing alles 2010 mit einem Konzert der Band ROCKET FREUDENTAL an, die sind schuld. Auf jeden Fall erwähnenswert: MOSQUITO EGO, JAMHED, DIE SÄULEN DES KOSMOS, PETER MUFFIN, ALL DIESE GEWALT, LEVIN GOES LIGHTLY, JFR MOON, FIZZE, PROFESSOR KOPF BAND, JOCKEL UND DIE VOGELSCHAR, STELLA & RENÉ, RUMPFBOIGE, TROMBOSE QUITTE, BLUNT KNIVES ... garantiert vergesse ich hier wen.

Wie wichtig ist es, dass es in der Region eine „Underground-Bastion“ wie das Komma in Esslingen gibt?

Nicht nur wichtig, sondern absolut essentiell. Das Komma, allen voran wegen Joerg Freitags musikalischem Feingefühl, und vor allem Moritz Finkbeiners „Für Flüssigkeiten und Schwingungen“-Waggon, 1999 bis 2013, waren die einzigen Anlaufstellen, um exotischere, abenteuerliche Musik zu erfahren, und boten so ziemlich jeder derzeit aktiven Band aus eben jenem Dunstkreis eine Plattform für etwas, worauf man in der umsatzorientierten Konzertkultur in der übrigen Stadt, aber auch in den gängigen Jugendhäusern auf Unverständnis gestoßen wäre.

Was treibst du abseits der Musik? Bleibt da noch Raum für Studium oder Job – und ist dieses Musikerdasein etwas, was du dir für die weitere Zukunft als Hauptlebensunterhalt vorstellen kannst?

Meinen letzten Job hab ich im August gekündigt und seither war ich quasi non-stop auf Tour mit verschiedenen Bands. Da blieb wenig Zeit für irgendetwas anderes. Gerade läuft es recht gut und da ich im Keller im Haus meiner Mutter wohne, komme ich gut über die Runden. Ich bin enorm dankbar und glücklich, auf solch einem kontinuierlichen Level genau das zu machen, was ich am meisten liebe, und wenn ich es mir aussuchen dürfte, möchte ich jeden Tag aufstehen, um Musik zu hören und zu machen. Bis ich tot umfalle. Bring it on!

Zum Abschluss: Was wird 2015 bringen in Sachen Musik, an der du beteiligt bist? Die KARIES-Aufnahmen sind schon ein Jahr alt, das „Fun“-Album von DIE NERVEN ist auch schon seit einem Jahr raus ...

Die nächste DIE NERVEN-LP befindet sich in den finalen Produktionsstufen, mehr dazu in den Folgemonaten. Außerdem wird in den nächsten Wochen eine KARIES 7“ mit neuen Songs aufgenommen. Und natürlich ist ein Nachfolger zu „Seid umschlungen, Millionen“ geplant. Meine „andere“ Band, WOLF MOUNTAINS, ein Garage-Psych-Punk-Disco-Rock-Trio, von denen es bisher zwei Tapes gibt, nimmt im Frühjahr ein paar Songs für eine LP auf. Zur Zeit dieses Interviews nehme ich auch als meine Ein-Mann-Band MELVIN RACLETTE ein neues Album auf. Ein klebrig-süßes Pop-Rock-Album auf Englisch. Und eventuell gastiere ich hier und da mal bei irgendwem anders. Wenn mich jemand lässt. Mal sehen.