NAVEL

Foto

We’re all Frankies!

Vor sechs Jahren waren NAVEL mal kurz der heiße Scheiß. Damals waren die Schweizer beim nicht mehr existenten Berliner Label Louisville Records unter Vertrag und wurden als europäische Version von NIRVANA gehypet. Aber irgendwann war Schluss mit Grunge. Es folgte 2011 mit „Neo Noir“ ein dunkles, sperriges Noise-Album und dann 2013 ein weiterer Kurswechsel, hin zu urwüchsigen, amerikanischen Klängen. Und damit hat das Quartett aus Basel offenbar seine endgültige Bestimmung gefunden. Wir sprachen mit Bassist Marco Naef über das neue Album, „Songs Of Woe“.

Marco, euer neues Album heißt „Songs Of Woe“ – also Lieder über Nöte. Geht es euch so schlecht?


Jari fällt es leichter, über seinen Schmerz zu singen als über die Sonne. Bis auf ein oder zwei Songs sind das alles Liebeslieder. Wenn man Künstler ist, dann gibt es immer eine Gratwanderung, wenn man eine Beziehung hat. Da braucht man extrem viel Freiraum. Das merke ich auch bei mir selbst. Ich habe Frau und Kind und brauche einfach meine Zeit, in der ich daheim herauskomme. Sonst funktioniere ich nicht. Man muss einfach immer wieder ausbrechen und Leute wie Jari machen das auf extreme Weise. Das ist natürlich nicht einfach in einer Beziehung. Dann läuft es eben manchmal nicht so gut und man muss sich wieder finden. Gegenseitige Wertschätzung, loslassen zu können und wieder zusammenfinden beschäftigen alle in der Band, weil wir sehr viel gemeinsam unterwegs sind. Man kann nicht auf jeder Hochzeit tanzen und muss immer Kompromisse eingehen.

Wie sind die Reaktionen auf das neue Album?

Wir haben noch kein schlechtes Feedback bekommen. Eher im Gegenteil. Außerdem ist es noch nicht so lange draußen. Man kann meiner Meinung nach ein Album nicht nach einmaligem Hören beurteilen. Leider wird das aber oft so gemacht. Deswegen wird sich das sicher bei einigen noch entwickeln. Und weil es kein Mainstream-Hit-Album ist, weiß ich, dass jemand, der sich diese Zeit nimmt, unsere Arbeit bestimmt zu schätzen weiß und die Platte vielleicht irgendwann liebt.

Die Band hat eine lange Entwicklung hinter sich. Gestartet als gehypete Grunge-Band hin zu jetzt sehr amerikanischer Roots-Musik. Wie kam es zu dieser Entwicklung?

Das steckt einfach in Jari drin. Auf die Grunge-Phase hatte er einfach irgendwann keinen Bock mehr. Deshalb spielen wir auch diese Songs nicht mehr. Dieser Hype aus der Phase bei Louisville Records mit der Tour mit QUEENS OF THE STONE AGE und dem Gig in Austin beim SXSW-Festival ist aber immer noch in den Köpfen der Leute drin. Davon will er sich lösen und mit seinen neuen Songs ernst genommen werden. Jari will einfach alles ausprobieren, was er noch nicht gemacht hat, sagt er manchmal. Wenn er ein Reggae-Album machen wollte, würde er das durchziehen. Seit Sommer 2014 ist Jakob Laeser neu als Schlagzeuger bei uns eingestiegen. Vorher waren wir nie so eine Einheit, jetzt ist der Zusammenhalt aber extrem stark. Das merkt man auch bei den Konzerten. Und Jari meinte gerade kürzlich zu mir: „Für mich fängt es jetzt erst richtig an!“

Hat man es als Schweizer schwerer als Bands aus UK, USA oder Schweden?

Ich glaube schon. Es gab immer wieder gute und erfolgreiche Schweizer Bands. Das ist aber nicht vergleichbar mit Bands aus den Staaten. Es kommen ja auch viel mehr Bands aus Übersee. Ich habe das Gefühl, dass die Leute Bands aus der Schweiz nicht richtig ernst nehmen. Aber das kratzt uns eigentlich nicht großartig.

Wo ist die Homebase der Band?

In Basel. Unser Gitarrist Massimo kommt aus Bern und Jakob aus dem Nachbarkanton Aargau. Die beiden fahren jeweils anderthalb Stunden nach Basel. Jari und ich wohnen direkt in Basel und neben dem Hauptbahnhof ist auch unser Proberaum. In einem fünfstöckigen Atelierhaus, betrieben von einem Verein namens Flatterschafft. Jari selbst hat in der sogenannten Hammervilla sein eigenes Atelier. Das ist ein altes, wunderschönes Haus mitten im Zentrum, das gerade zwischengenutzt wird. Das gehört den Architekten Herzog & de Meuron, die das Vogelnest-Olympiastadion in Peking oder die Münchner Allianz Arena entworfen haben. Jari hat dort ein eigenes Atelier im Keller, in dem er auch das Album gemischt und die Vocals eingesungen hat. In dem Atelier baut er zum Beispiel auch seine Amps und seine Effektgeräte selbst.

Wie beurteilst du die aktuelle Bandszene in der Schweiz?

Ich finde Schweizer Musiker wie Fai Baba oder THE ANIMEN super! Das Einzige, was mir in der Szene fehlt, ist das Kollektive, also dass man auch mal etwas zusammen macht. Zum Beispiel mal eine 7“-Split produziert oder so was. Es gibt ein paar Leute, die machen das regelmäßig, wie die Desert-Session in Basel, bei der lokale Musiker für drei Tage zusammenkommen und ein komplettes All-Star-Album aufnehmen. Davon gibt es aber viel zu wenig. Alle sind viel zu egoistisch, finde ich. Immer dieser Neid! Man könnte viel mehr zusammen machen.

2008 gab es einen Vorfall bei einem NAVEL-Konzert, der die Band ziemlich verändert hat. Was ist da genau passiert und was ist seitdem anders?

Jari hat früher immer die übelsten Shows abgezogen. Und damals bei diesem Konzert in Leipzig hat er im Publikum auf seiner Gitarre einen Handstand gemacht. Dann ist er umgekippt und auf eine Bierflasche gefallen, die auf dem Boden stand. Die ist dann zerbrochen und hat sich in seinen Rücken gebohrt. Seitdem wollte er einfach nicht mehr diesen Clown machen. Er geht immer noch voll ab, aber macht nicht mehr irgendwelchen Scheiß, bei dem er sich verletzen kann. Er hat einfach mehr Bewusstsein entwickelt. An diesen Vorfall wird er jeden Tag erinnert, weil er dadurch ziemliche Rückenprobleme hat. Das war sehr einschneidend für ihn, er wäre ja auch fast verblutet, als er sich diesen Splitter herausgezogen hat. Das hätte er nicht machen sollen.

Reicht euch NAVEL zum Leben?

Nein, Massimo ist Computerspezialist. Jakob ist Schlagzeuglehrer, ich arbeite als Fahrradkurier und Disponent und Jari nimmt in seinem eigenen Studio in Laufen andere Bands auf. Das ist auch so ein riesiges ehemaliges Fabrikgebäude namens Biomill, in dem auch ein Konzertschuppen und diverse Proberäume drin sind. Eine ehemalige Mühle für Getreide.

Im Innencover der Albums ist eine kleine Widmung: „We’re all Frankies!“ Was hat das zu bedeuten?

Es gibt ja den Song „Frankie Teardrop“ vom ersten Album von SUICIDE. Da geht es um einen Typen, der sein Leben lang nur gearbeitet hat, weil er seine Familie versorgen musste. Aber es hat nicht gereicht und irgendwann hat er das System nicht mehr ausgehalten und alle umgebracht. Seine Familie und sich selbst. Und wir sind alle ein bisschen wie dieser Typ. Abhängig von dem, was wir uns erschaffen haben. „We’re all Frankies!“ hängt einfach mit dieser Geschichte zusammen.

Wie sehen eure nächsten Pläne aus?

Es wäre toll, wieder beim SXSW-Festival in Austin zu spielen. Ein Traum wäre auch, eine USA-Tour zu machen. Ich finde es zum Beispiel total geil, wie es unsere Labelmates THE PICTUREBOOKS machen. Im April und Mai wollen wir ein paar neue Songs aufnehmen und im Sommer natürlich viele Festivals spielen.

Könntet ihr euch vorstellen, euren Fokus ganz auf Amerika zu legen?

Das wäre noch zu früh. Nach dem Neuanfang ist alles noch zu frisch. Es läuft gerade gut, aber wir wollen nichts überstürzen. Das wird irgendwann kommen, wenn wir so weitermachen. Es gibt ein paar Songs, da würden die Amerikaner total ausflippen, da bin ich mir sicher. Auch in England. Gestern war ein Ire bei unserer Show, der hat gesagt, wir müssen unbedingt auf die Insel kommen. Das würde total ankommen. Und Jari kann auch fast akzentfrei Englisch sprechen. Dafür müsste es aber auch eine Riesenpromo geben. Wir waren ja im Oktober 2012 mal in New York und diese Stadt killt dich, wenn du das erste Mal da bist. Da gibt es keine Wertschätzung. Da spielen fünf Bands an einem Abend und bringen jeweils ihre Freunde mit, danach verpissen sie sich. Das war hart. Ich bin damals auch früher nach Hause geflogen, weil ich die Stadt nicht ausgehalten habe. Man kann nicht einfach hinfahren und erwarten, mit offenen Armen empfangen zu werden. Da müsste schon eine gute Promotion laufen, sonst kommt da kein Schwanz.