PAGAN LOVE SONGS

Foto

15 Jahre Heidenspaß

Im August diesen Jahres feierten die Brüder Thomas und Ralf Thyssen das 15-jährige Bestehen ihrer „Pagan Love Songs“-Partys, ursprünglich im Zwischenfall in Bochum gestartet und inzwischen im Bahnhof Bochum-Langendreer fortgesetzt. Zusätzlich haben die Brüder mit ihren „Pagan Love Songs“-Compilations sehr gut auf den Punkt gebracht, wo die Qualität liegt im Goth-Genre und dabei die Freakshow wohlweislich ausgespart. Neben den „Darkness Before Dawn“- und den „New Dark Age“-Compilations gehören die „Pagan Love Songs“ zum Besten, was diese Szene zu bieten hat. Anlass genug, Thomas Thyssen einige Fragen zu stellen.

Thomas, wie hat sich deiner Wahrnehmung nach die Wave- und Gothic-Szene in den letzten anderthalb Jahrzehnten verändert? Was hält dich solange bei der Stange?


Wir haben schon etliche Jahre vor der Gründung von „Pagan Love Songs“ – also Anfang der Neunziger Jahre – angefangen gemeinsam aufzulegen und Events zu veranstalten, so zum Beispiel im eXX in Moers, einem alten, umgebauten Benediktinerkloster, direkt an der B57. Aber es ist eine berechtigte Frage. Der Drive ist seit jeher derselbe: Wenn du eine Idee hast, setze sie selber um, anstatt darauf zu warten, dass dies andere für dich tun. Musik ist nach wie vor, und hier kann ich, denke ich, auch für Ralf sprechen, unsere größte Passion. Wenn es von jetzt auf gleich nichts Neues mehr geben würde, was uns bewegt, dann würden wir vermutlich auch komplett das Handtuch werfen. So hat sich lediglich verändert, dass quasi kaum noch etwas – ich würde mal auf weniger als 10% jährlich tippen – aus der vermeintlichen „Szene“, die sich selber auch so tituliert, stammt, was auch wirklich Potenzial hat und stil- sowie geschmackssicher ist – alles rein subjektiv natürlich. Dabei gibt es da draußen zur Zeit eine unfassbare Menge an grandiosen, talentierten Bands und Künstlern, die – zum Glück, mag man fast schon sagen – nie irgendwelche großartigen Berührungspunkte mit der Mainstream-Gothic-Szene hierzulande hatten, sondern einfach nur das machen, worauf sie Bock haben. Hier schließt sich der Kreis dann auch wieder, wieso, weshalb, warum wir immer noch da sind – und weitermachen.

Die dritte und aktuelle „Pagan Love Songs“-Compilation empfinde ich bisher als die gelungenste und abwechslungsreichste Zusammenstellung. Drei Compilations in 15 Jahren, für mich könnten das bei dieser Qualität durchaus mehr sein. Wie siehst du das?

Danke, das freut mich natürlich zu hören. Mir selbst gefällt Volume 3 auch am besten. Eigentlich waren es drei Compilations in zehn Jahren, wenn man es genau nimmt, denn der erste Teil war ein Geschenk an uns selber zum fünfjährigen „Pagan Love Songs“-Bestehen 2004. 2009, zum zehnten Geburtstag, folgte dann Volume 2 und der Abschluss der Trilogie erschien nun, termingerecht zum 15th Anniversary Special im Bochumer Bahnhof Langendreer, wiederum fünf Jahre später. Ich denke, dass es, neben dem großen organisatorischen und administrativen Wust an Arbeit, den so eine Sampler-Zusammenstellung mit sich bringt, vor allem qualitativ schwierig gewesen wäre, wenn man mehr Compilations im selben Zeitraum veröffentlicht hätte. Ich habe von 2009 bis 2011 jährlich pünktlich zum „Wave Gotik Treffen“ in Leipzig je einen Teil meiner „Darkness Before Dawn“-Doppel-CD-Sampler-Trilogie herausgebracht, die sich nahezu ausschließlich auf Newcomer und bisher unentdeckte Perlen konzentrierte. Hier merkte ich zum Schluss ganz deutlich, dass Termindruck nicht zwingend dienlich ist, wenn man ein Produkt abliefern möchte, hinter dem man auch selber von der ersten bis zur letzten Sekunde stehen möchte.

Nach welchen Kriterien wählt ihr die Acts und das Artwork für die Compilations aus?

Die Sampler sollen seit jeher den Flow einer „Pagan Love Songs“-Clubnacht und dementsprechend auch der aufgelegten Künstler und Acts aus dem entsprechenden Zeitraum widerspiegeln. Volume 1 stand noch ganz im Zeichen der Deathrock-Renaissance und dem vermeintlichen Neo-Batcave-Revival, wohingegen Teil 2 schon viel waviger und Goth-Rock-orientierter war. Volume 3 gefällt mir alleine schon deswegen am besten, weil hier die Abstimmung zwischen Gitarre und Elektronik, zwischen Wave, Minimal, Goth, Post-Punk und Artverwandtem am meisten aufgegangen ist, zumindest für mein Empfinden. Das Artwork entstand seit jeher in engster Zusammenarbeit mit Matthias Gephart aka Disturbanity, einem uralten Freund aus Pott-Zeiten, der mittlerweile, wie wir selber, ebenfalls in Berlin beheimatet ist. Geppi war schon zu Frühzeiten Stammgast im Zwischenfall, wir mochten von Beginn an seine Grafikarbeiten und Layouts, so dass eine Zusammenarbeit einfach auf der Hand lag. Bei Volume 3 hat Matthias jetzt nur noch das Cover- und Shirt-Design übernommen. Der Rest entstand in einer Kollaboration mit Peer Lebrecht, den man vor allem als Sänger der Berliner Gothic-Rock-Band GOLDEN APES kennen dürfte, wobei sein gestalterisches Talent auch nicht zu verachten ist.

Ihr habt zahlreiche Konzerte im Rahmen des „Pagan Love Songs“-Konzepts veranstaltet. Wie wird es in dieser Hinsicht weitergehen? Ich hatte den Eindruck, dass die Aktivitäten hier etwas spärlicher geworden sind.

Der Eindruck täuscht. Es sind lediglich weniger Konzerte im Ruhrgebiet geworden, speziell seitdem der Zwischenfall leider den Flammen zum Opfer fiel. In der Zwischenzeit habe ich vornehmlich mit den überaus geschätzten Kollegen und guten Freunden Ian P. Christ und Philipp Strobel von DEATH#DISCO in Berlin gemeinsame Sache gemacht. Vom leider einzigen Deutschland-Konzert der kongenialen BLACKLIST aus New York über das kultige „Sex, Drugs & Drum Machines“-Goth-Rock-Festival in der Kulturfabrik Moabit bis hin zu Shows mit Anne-Marie Hurst von THE SKELETAL FAMILY und THE GHOST DANCE, SAD LOVERS & GIANTS, SNAKE CORPS, THE CHAMELEONS VOX, MADRE DEL VIZIO oder auch Gitane Demone, die früher bei CHRISTIAN DEATH aktiv war. Jetzt gerade gab es zum großen „Pagan Love Songs“-15th Anniversary mit dem exklusiven THE FAIR SEX-Konzert zu deren dreißigjährigen Bestehen sowie dem Live-Debüt von WIRES & LIGHTS, der neuen Band von Ex-PASSION PLAY-Mastermind und Ex-FRANK THE BAPTIST-Bassist Justin Stephens auch endlich mal wieder ein Lebenszeichen unsererseits im Ruhrgebiet.

Goth, Death Rock und Minimal Wave sind Genres, die eigentlich ihre Wurzeln in den Achtziger Jahren haben. Muss man Nostalgiker oder archivierender Anachronist sein, um sich so lange für diese Musik zu begeistern?

Nein, einfach nur passionierter Musikliebhaber. Solange ich zurückdenken kann, mochte ich stets eher Moll- als Dur-Akkorde. Seitdem ich mich erinnern kann, waren es immer eher die abseitigeren Pop-Songs, die mich geflasht haben, und die mir dann den Weg von den Charts hin zum Underground geebnet haben. Seitdem ich bewusst Musik höre, also ab der frühesten prä-pubertären Teeniezeit, interessiere ich mich für Musik aus eben jenen Sparten, ohne damals überhaupt gewusst zu haben, wie diese denn nun heißen und was diese Genres überhaupt bedeuten beziehungsweise wofür sie stehen. Ein Leben komplett ohne Musik wäre für mich schlicht nicht vorstellbar.

Warum habt ihr damals den Titel „Pagan Love Songs“ den VIRGIN PRUNES entlehnt?

Wir mochten und mögen zum einen natürlich sowohl den Song beziehungsweise die VIRGIN PRUNES an sich sehr, sehr gerne. „If I Die I Die“ ist nach wie vor eines der großartigsten Alben, die ich jemals hören durfte. Zum anderen war es aber vor allem der ausgesprochene Klang des Titels, der irgendetwas in uns „triggerte“, als wir über mögliche Namen für unser gemeinsames Party-Baby nachgedacht haben. Logischerweise musste dann der Plural herhalten, schließlich legen wir an einem Abend etliche Songs auf, und nicht nur einen. Und ja, der Typo in „Pagan Love Songs“, also nicht wie das im Original zusammengeschrieben „lovesong“, ist gewollt. Unter Nerd-Trivia lässt sich vermutlich noch verbuchen, dass das erste „Pagan Love Songs“-Logo sogar tatsächlich auf Gavin Fridays Handschrift basierte. Ein Die-hard-VIRGIN PRUNES-Fan hatte aus eben jener Ende des 20. Jahrhunderts eine True-Type-Font kreiert, die wir zufälligerweise im Internet fanden. Passte natürlich zu uns.