AMPHETAMEANIES

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Schottischer 2Tone-Ska im Wandel der Zeit

Wie doch die Zeit vergeht. 2001 habe ich die sympathischen Schotten das erste Mal live in Rosslau auf dem This is Ska Festival gesehen und interviewt. In der Zwischenzeit erschien 2007 das zweite Album „Now, That’s What I Call ...“, mit dem ich sie erneut in Limburg beim Kalkwerkfestival treffen durfte. Nun ist das dritte Album „Last Chance Bordello“ (CD über die Band, Vinyl auf Rat Race Records) erschienen. Ich sprach mit Sängerin Jane und Bassist Gordy über die Veränderungen seit dieser Zeit in der Band, über ihre Musik sowie über Schottland.

An sich war ja eure dritte Platte bereits 2010 angekündigt ...

Gordy:
Da gibt es zum einen diesen Plan und dann eben das richtige Leben mit wichtigeren Dingen. Dabei fingen wir bereits kurz nach „Now! That’s What I Call ...“ mit den ersten Takes an, um ähnlich schnelle Songs mit besserwisserischen Texten zu schreiben. Aber dann kam doch alles etwas anders. Der Prozess an sich hat nicht länger gedauert. Alles in allem waren wir etwa zwanzig Tage im Studio unserer Freunde BELLE AND SEBASTIAN in Glasgow, die uns dafür auch nichts berechneten, wie auch Mick Cooke und John Disco für die Aufnahmen und den Mix. Was weniger räumliche Akustik benötigte, sprich direkt eingespielt werden konnte, haben wir in Micks Blue Cat Studio, einem umgebauten Gartenhäuschen bei ihm zu Hause aufgenommen. Den letzten Feinschliff, bei dem wir dann auch etwas Geld investierten, haben wir im La Chunky Studio, gleich in der Nachbarschaft der BELLE AND SEBASTIAN-Bleibe, durchführen lassen. Die haben dafür einfach das bessere Equipment und ein Sofa, das groß genug ist, um die komplette Band das Resultat hören zu lassen.

Jane: Es hat sich seitdem bei uns allen ziemlich viel getan – Gutes und Schlechtes –, was sich dann auch in den Stücken widerspiegelt. All unsere Ideen wirken insgesamt etwas erwachsener und diese Stimmung macht sich in den Stücken bemerkbar.

Gordy: Erwachsener, nicht zuletzt weil einige von uns mittlerweile eigene Familien haben, was das Bandleben verständlicherweise einschränkt, aber unserer Freundschaft keinen Abbruch tut.

Mit „Good one go“, „Nothing’s okay“ und „House on a hill“ habt ihr schon länger drei professionelle Videos von „Last Chance Bordello“-Songs ins Internet gestellt.

Gordy:
Wir produzieren alle Videos selbst. Heute haben selbst billige digitale Kameras ziemlich gute HD-Video-Eigenschaften und im Internet findet man großartige Bearbeitungsprogramme. Beim Filmen bekommen wir immer professionelle Unterstützung von Stu Reidman, der bei den AMPHETAMEANIES auch immer für das Coverartwork der Platten verantwortlich ist. Meisten treffen wir uns an einem Nachmittag, um ohne große Vorbereitungszeit einfach mal die Kamera draufzuhalten. Danach kaufen wir Unmengen Snacks und Bier, um in stundenlanger Arbeit am Computer an drei Minuten Spaß zu basteln. Bei „Good one go“ dachten wir, es wäre clever, einen Greenscreen zu verwenden, um hinterher diverse Special Effects einzubauen. Wir haben fast ein Jahr lang unzählige Sonntagnachmittage verschwendet. No more fucking Greenscreen!

Jane: Was dann auch der Grund dafür war, dass wir uns für „Nothing’s okay“ auf das Wesentliche konzentrierten: eine coole Location, in diesem Fall ein altes, stillgelegtes Hallenbad, und ein großes weißes Hasenkostüm.

THE AMPHETAMEANIES waren mal elf MusikerInnen. Wie sieht das heute aus und was ist aus den Ex-Meanies geworden?

Jane:
Zu elft waren wir nur kurze Zeit ganz am Anfang, als wir immer mal wieder Instrumente doppelt besetzten, um möglichst viele Auftritte machen zu können. Bald aber hat sich eine Konstellation von neun Leuten ergeben, so auch in den letzten Jahren.

Gordy: Die Aufnahmen zu „Last Chance Bordello“ begannen wir noch mit dem „Now, That’s What I Call ...“-Line-up. Helen an den Keyboards wurde Mutter und hat zudem noch einen Vollzeitjob. Chris Ellison ist jetzt an der Hammondorgel.

Jane: Lindsey an der Posaune wollte sich beruflich weiterentwickeln und fing noch mal an zu studieren. Außerdem ist sie eine ziemlich wichtige Spielerin des Roller-Derby-Teams Glasgow, deren Training auch sehr viel Zeit beansprucht. Aber beide singen im Background bei „No fun tomorrow“ und sind immer noch in der Band, nur leider derzeit einfach anderweitig beschäftigt.

Gordy: Mick ist immer noch für die Bläserarrangements verantwortlich, aber seit er Kinder hat, haben wir in John Hentze, einem ziemlich verrückten Wickinger von den Faröer Inseln, Ersatz an der Trompete gefunden, der gemeinsam mit Tom Smith an der Posaune hervorragend harmoniert.

Jane: Das Wichtigste bei all den Veränderungen ist, dass jemand die Band unterstützt, mit dem man schon lange befreundet ist.

Gordy: Die wohl größte Veränderung kam mit Keith Bleach am Schlagzeug ...

Jane: ... mit dem Gordy, Helen und ich bereits eine musikalische Vergangenheit in Form einer BLONDIE-Coverband hatten ...

Gordy: ... und der mit Jane mittlerweile verheiratet ist. Eine ungewöhnliche Konstellation, die nur in wenigen Bands funktioniert. Joel war seit dem zweiten Album dabei und hatte seit längerer Zeit immer mehr Schwierigkeiten mit seiner Schulter. Eine Folge seiner jahrelangen beruflichen Tätigkeit. Trotz Schmerzen und mehreren Operationen spielte er noch alle Drumtracks zu „Last Chance Bordello“ ein. Jane und Stan aber teilen sich immer noch den Gesang, ich zupfe nach wie vor den Bass, John spielt normalerweise Gitarre, wenn ihn nicht Jim von den REZILLOS vertritt. Bei den Bläsern sind immer noch Trompeter Mick und Saxophonist James dabei. Wir haben zu allen früheren Meanies noch guten Kontakt. Noch heute unterstützt uns Alex Kapranos ab und zu live an der Gitarre, wenn er nicht mit FRANZ FERDINAND unterwegs ist. Das verwirrt dann immer die coolen Indie-Kids.

Jane: Auch wenn man irgendwann nur noch vereinzelte Auftritte mitmachen kann, bleibt ein Meanie immer ein Teil der Familie.

Trotz aller Veränderungen wart ihr live in Großbritannien in all den Jahren immer präsent. Ist eine Tour zum neuen Album geplant?

Gordy:
Das Album ist fast fertig, die neue Besetzung eingespielt, so dass wir frischer denn je sind und uns auf die Konzerte konzentrieren können. Unsere Auftritte in Schottland in diesem Jahr waren großartig. Die Commonwealth Games in Glasgow bescherten uns bisher ungeahnte Publikumsmassen. Das war alles sehr aufregend.

Jane: Wir können uns über mangelnde Anfragen für 2015, selbst zu größeren UK-Festivals wirklich nicht beklagen, wollen aber unbedingt auch mal wieder aufs Festland kommen. Wir hatten in Holland und Deutschland sehr viel Spaß und hoffen, Marc von Rat Race kann uns hier behilflich sein.

Über Schottland wird in Deutschland eher selten berichtet. Am 18. September 2014 jedoch blickte ganz Europa etwas genauer hin, ging es doch darum, ob sich die schottische Bevölkerung von Großbritannien lösen und unabhängig sein will. Wie habt ihr das alles erlebt und wie denkt ihr darüber?

Jane:
Die Band und unser Umfeld waren für die Unabhängigkeit Schottlands. Viele schottische Musiker, Künstler und Schriftstellen plädierten dafür. Lediglich die ältere Generation hielt an der alten Führung fest, aus Angst vor Veränderungen. Der jüngere und fortschrittlich denkende Bevölkerungsteil jedoch hoffte auf eine Veränderung zum Besseren.

Gordy: Was sind wir von den Medien, dem politischen Mainstream und sogar den Supermärkten angepisst! Weil die allesamt Angst, Furcht und Zweifel an den schottischen mündigen Wähler schürten, um eine reelle Chance für eine Veränderung zu verhindern. Gleichzeitig aber hatten wir eine Wahlbeteiligung wie schon Jahrzehnte nicht mehr. Man wird sich auch darüber hinaus mit den Argumenten auseinandersetzen und kritischer sein dem Establishment gegenüber. Es war keine Zeitverschwendung, egal wie’s jetzt ausgegangen ist. Dass die Unabhängigkeit von den Medien gerne so stereotyp wie in „Braveheart“ zwischen England und Schottland dargestellt wurde, untergräbt die Wahrheit. Fakt ist, die Regierung des Vereinigten Königreichs wurde von der Finanzindustrie und den Banken in London vereinnahmt und verfolgt die Richtung der USA mit ihrer freien Marktwirtschaft. Wir Schotten haben weder etwas gegen das Land England noch gegen die meisten dort lebenden Menschen, schließlich sind wir alle eines: Menschen in einem postindustriellen Land, das sich gesellschaftlich immer noch vom Zweiten Weltkrieg erholen muss und eigentlich nur ausreichend zu Essen, gute Bildungsmöglichkeiten und eine Gesundheitsvorsorge haben möchte. Unglücklicherweise gingen die derzeitigen politischen Führungskräfte gemeinsam mit den heutigen Wirtschaftsbossen zur Uni, so dass diese Ziele für die Gemeinschaft zugunsten zum persönlichen Vorteil einiger weniger vernachlässigt wurden. Und genau davon hofften viele in Schottland endlich loszukommen. Egal, ob diese Veränderung über Wahlen oder andere politischen Wege erreicht werden, Hauptsache, die Regierung besteht nicht mehr aus diesen alten White-Cambrigdge-Typen mit ihren steuerfreien Konten in Belize.

Jane: Ein unabhängiges Schottland ohne aufgeblasene konservative Führung Großbritanniens und frei von politischer Agenda wäre großartig. Weitermachen und nach vorne blicken. We live to fight another day!

 


Song by Song

„Last Chance Bordello“ in den Worten der Band

„Gut punch“
ist der schmerzvolle Versuch, all das Unverständliche, was in der Welt geschieht, zu verstehen.

„The wrong one“, von Mick geschrieben, handelt davon, irgendwann festzustellen, dass du dich in die falsche Person verliebt hast.

„Out of reach“ könnte so etwas wie die Fortsetzung von „Last night“ sein, nur dass man mittlerweile verheiratet ist, aber immer noch streitet.

„House on a hill“ ist die apokalyptische Vorstellung eines überfluteten Londons, wodurch Schottland plötzlich voll wäre mit englischen Flüchtlingen. Wären nämlich die Leute im Süden Englands selbst von so was betroffen, würden diese nicht ständig jammern über Flüchtlinge aus anderen Ländern. Da man das eingangs als anti-englisch interpretierte, haben wir Itch, früher Sänger von KING BLUES und mittlerweile solo unterwegs, gefragt, ob er einen Rap-Teil aus der Cockney-Perspektive dafür einsingen könnte, was dem Stück inhaltlich eine Wendung gab. Als wir die fertige Version das erste Mal der kompletten Band präsentierten, waren erst mal alle sprachlos, gefolgt von wildem Gelächter bis hin zu PUBLIC ENEMY-Rumgepose.

„Good one go“ von John Disco hat etwas Funkiges und dreht sich einmal mehr darum, eine falsche Entscheidung im Leben gefällt zu haben.

„Nothing’s okay“ handelt vom Unverständnis des Umfelds, eine glückliche Fassade aufrechtzuerhalten, während man langsam zerbricht.

„Horses for courses“ ist eine englische Redewendung und bedeutet soviel wie „Konzentriere dich auf das, was du kannst“. Und wir sind ziemlich gut in Sachen schräge Ska-Instrumentals.

„Another train“ ähnelt einem Gespräch mit einem guten alten Freund, das dein eigenes Leben reflektiert und dich an vergangene Situationen erinnern lässt. Während der Text eher nachdenklich ist, geht es musikalisch in Richtung Northern Soul mit stampfendem Beat und fettem Bläsersatz.

„The haunting“ von Mick hat was Dunkles und Paranoides. Es dreht sich alles um den Rhythmus-Sample mit den sich unerbittlich wiederholenden Pieptönen, die von einem Casio-Kinderkeyboard stammen.

„Be yourself“ thematisiert die tiefe Verachtung gegenüber den meisten Indierock-Songwritern. Hört doch endlich damit auf, einen auf großen Philosophen zu machen und schreibt einfach mal über was Echtes und Ehrliches.

„Took some time“ von John ist der optimistischste Song auf dem Album, der all das zuvor Angesprochene auf den Punkt zusammenfasst und eigentlich auch ein passender Titel für das Album gewesen wäre.

„Tales of the Arizona Highway Patrol“ ist ein alter Bühnenklassiker und unser Versuch, so etwas wie „Night boat to Cairo“ zu produzieren. Also eine Art Ska-Monumentalwerk mit bewusst dezenten Lyrics, der exotischen Szenerie wegen.

„Leaving“ handelt davon, sich aus welchen Gründen auch immer zu betrinken, um damit irgendeinen Schmerz zu betäuben.

„No fun tomorrow“ entstand, als Mick, John und Helen ihre ersten Kinder bekamen. Aus diesem Song stammt übrigens auch die Zeile für den Plattentitel „Last Chance Bordello“. Ein Platz, an dem man sich einfach gehen lassen kann, um am Tag darauf wieder vernünftig seinen Verpflichtungen nachzugehen.