California über alles

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Alex Ogg und sein DEAD KENNEDYS-Buch

Fakt: Die DEAD KENNEDYS sind in Sachen Sekundärliteratur extrem unterrepräsentiert im Vergleich zu punkhistorisch mindestens genauso bedeutenden Bands wie RAMONES, SEX PISTOLS oder THE CLASH. Da muss Abhilfe geschaffen werden, dachte sich der englische Musikjournalist Alex Ogg, und machte sich an die Arbeit. Nach jahrelanger Recherche erschien im Herbst 2014 „Fresh Fruit for Rotting Vegetables“, das Ende April nun in deutscher Übersetzung unter dem Titel „ California über alles“ veröffentlicht wird. Ich befragte Alex zum Entstehungsprozess des Buches – und zu den DEAD KENNEDYS.



Alex, wie alt bist du, was machst du und warum bist du immer noch Punk nach all den Jahren?


Ich bin 48 Jahre alt und habe einige Jahrzehnte als Journalist gearbeitet. wobei ich im Moment einen Job als Englischlehrer habe. Ich hatte grundsätzlich schon immer eine von Punk geprägte Einstellung zum Leben – nicht unbedingt hinsichtlich der Optik, sondern weil es für mich seit meiner Jugend Sinn ergeben hat. Ich glaube an Meritokratie, also an die Leistung des Einzelnen, und an die Fähigkeit der Menschen, das eigene Leben selbst zu gestalten. Dank der im Punk verwurzelten Idee des D.I.Y. ist es mir gelungen, der kleinstädtischen Umgebung zu entkommen, in der ich aufgewachsen bin, dafür werde ich immer dankbar sein. Ich mag auch jede Menge anderer Musik, aber ich bin immer noch begeistert vom Sound und den Ideen, die der Punk hervorgebracht hat. Und ich fühle mich diesen prägenden Erfahrungen zutiefst verpflichtet.

Warum ein Buch über die DEAD KENNEDYS und warum nur bis zur Veröffentlichung ihres ersten Albums? Da bleiben sechs Jahre unverarbeitet ...

Es ist ein Buch über „Fresh Fruit And Rotting Vegetables“, das erste Album der DEAD KENNEDYS, weil ich das so sehr liebe. Ich hätte gerne mehr geschrieben, aber jeder, der mit der Bandgeschichte auch nur flüchtig vertraut ist, weiß, dass es ab diesem Punkt etwas heikel wird, was die Rechtslage betrifft. Ich dachte, es sei besser etwas zu schreiben, auf das ich stolz sein kann, anstatt faule Kompromisse einzugehen und jeden glücklich zu machen – denn das funktioniert nicht im DK-Land. Außerdem bin ich wirklich der Meinung, dass es das wohl vollkommenste politische Punk-Album ist. Ich höre es immer noch ständig und entdecke immer wieder neue Sachen, die mir vorher nicht aufgefallen waren.

Während bereits etliche Bücher über THE CLASH, SEX PISTOLS und THE RAMONES veröffentlicht wurden, waren die DEAD KENNEDYS unbearbeitetes Terrain, wie du anmerkst. Woran lag das?

Es ist zum Teil die Schuld der Band selbst, da sie sich so spektakulär zerstritten haben, dass Journalisten lieber die Finger von dem Thema gelassen haben. Aber es ist ebenfalls beeindruckend, wenn man so will, dass die DEAD KENNEDYS nie versucht haben, es diesen Bands gleichzutun und sich im Rock’n’Roll-Zirkus zum Affen zu machen. Warum es bislang kein ernstzunehmendes DEAD KENNEDYS-Buch gab? Ich denke, DKs gehören zu den Bands, die jeder kennt, der sich ein bisschen mit Punk auskennt. Und jeder, der meint, dass er sich mit Punk auskennt, und mit dem Schreiben darüber ein bisschen Geld verdienen will, wird sich immer für THE CLASH entscheiden. Das ist einfach viel lukrativer.

Was macht die DEAD KENNEDYS für dich so einzigartig im Vergleich zu anderen Bands?

Es ist die Kombination aus Jellos Texten und den hervorragenden musikalischen Fähigkeiten der Band. Das eine verstärkt die Wirkung des anderen. Die DKs verfügten über eine besondere Schärfe, musikalisch wie sprachlich. Und sie hatten verdammt viel Humor.

Das Buch ist das Resultat deines Versuchs, vor vielen Jahren einen Rerelease-Booklet-Text mit Biafra und East Bay Ray abzustimmen. Du bist damals dann zwischen die Fronten geraten – im Vorwort beschreibst du das – im Streit von „die Band“ versus Jello Biafra über Autorenrechte und Tantiemen. Nachdem sich der Staub etwas gelegt hat, was ist dein Resümee der ganzen Geschichte und welche Lehren ziehst du daraus?

Da bin ich immer noch äußerst vorsichtig. Die Band wird anführen, dass sie ihren Fall vor Gericht gewonnen hat – und oberflächlich betrachtet sind sie im Recht. Es ist alles ziemlich komplex, und ich habe selbst erleben müssen, wie explosiv die Stimmung noch ist. Beim Schreiben des Buchs habe ich möglichst vermieden, mich auf eine Seite zu stellen. Ich kann nur so viel sagen, dass der Umgang mit mir seitens einer der Beteiligten ziemlich desillusionierend war.

„Fresh Fruit And Rotting Vegetables“ zählt für dich zu den besten Punk-Alben überhaupt. Manchmal verliert ein geliebtes Werk an Zauber, wenn man ihm zu nahe kommt. Wie ist es dir ergangen, nachdem du ein Buch darüber geschrieben hast?

Das ist eine sehr interessante Frage, über die ich viel nachgedacht habe. Es gab eine Zeit, in der ich keine Lust mehr auf das ganze Thema hatte. Aber ich habe mich letztlich an „Fresh Fruit ...“ immer noch nicht sattgehört. Ich lasse mir auf keinen Fall die Freude daran verderben. Letztlich wird die Musik und ihre ursprüngliche Intention immer überwiegen. Es wäre eine Schande, wenn das alles in Vergessenheit geriete. Das ist es unter anderem, was ich mit diesem Buch beabsichtige: Etwas zu feiern, das es eigentlich verdient, mit den größten Kunstwerken, die das späte 20. Jahrhundert hervorgebracht hat, in einer Reihe zu stehen. Diese Bedeutung hat es für mich.

Gibt es bislang irgendwelche Rückmeldungen zum Buch, auch von Seiten der Band ...?

Für Jello scheint alles okay zu sein, aber Jello ist auch auf seine neuen Sachen fokussiert. Das heißt, er interessiert sich dafür, dass die Band richtig dargestellt wird, und er hat über alles noch mal drüber geschaut, bevor es veröffentlicht wurde. Er war sehr anständig zu mir, das war er immer. Seitens der Band herrscht Stille. Ich habe nichts Negatives von ihnen gehört, obwohl das eine Frage der Zeit sein könnte. Die Besprechungen und das Feedback waren durchaus positiv. Auch wenn jeder zu fragen scheint, warum hast du nicht die ganze Geschichte erzählt?

Punk und Hardcore scheinen viel von ihrem Einfluss eingebüßt zu haben gegenüber jener Zeit, in der die DEAD KENNEDYS auf die Bühne traten. Während Punkbands früher fast die einzige Quelle für radikale politische Statements in der Musik waren, ist davon in den letzten Jahren kaum noch was zu hören. RAGE AGAINST THE MACHINE, könnte man argumentieren. waren die letzte irgendwie mit Punk verbundene, wirklich bekannte politische Band – und das ist zwanzig Jahre her.

Das würde ich so nicht unbedingt unterschreiben, weil ich denke, dass man den Einfluss sehen muss, den Punk auf die verschiedensten Bereiche ausübt. Ich bin bis heute Chronist in Sachen Punk und merke, dass ich lange noch nicht alles erfasst habe. Ich will nicht Gefahr laufen, mich wie ein alter Sack anzuhören, von wegen früher war alles besser, ich war von Anfang an dabei, und so weiter. Für einen Jugendlichen heute, der eine großartige Punkband sieht, kann das das ein genauso inspirierendes Erlebnis sein, wie es für mich war, „Holiday In Cambodia“ zu hören.

Die „Fake Kennedys“ werden im Juni in Europa sein. Du hast bestimmt eine Meinung zu dieser Version der DEAD KENNEDYS ...

East Bay Ray sagte zu mir, dass man kein Recht habe, über die „Fake Kennedys“ zu urteilen, bis man sie live gesehen hat. Also habe ich mir vor ein paar Jahren ein Ticket gekauft – und bin bald wieder gegangen. Auf dem Heimweg vom Konzert habe mir eine Tüte Chips gekauft. Die Tüte Chips war bei weitem das Aufregendste an diesem Tag.

 


DEAD KENNEDYS – wie Alles begann

Betitelt nach einem der besten Songs der Band, ist „California über alles“ das erste umfassende Buch über eine der wichtigsten und einflussreichsten US-Punkbands. Es konzentriert sich auf die Gründungsphase der Band in der San Francisco-Punkszene des Jahres 1978 und beschreibt chronologisch die Entwicklungen bis zum Erscheinen des ersten Albums „Fresh Fruit For Rotting Vegetables“ im September 1980 und dem Ausstieg des ersten Gründungsmitglieds, Drummer Ted, im Februar 1981. Autor Alex Ogg sprach dafür mit Zeitzeugen und (Ex-)Bandmitgliedern, trug viele Zitate über Band und Platten zusammen ein und ordnet das Schaffen in den punk- und zeitgeschichtlichen Kontext ein. Das Buch enthält neben Artwork von Winston Smith, dem Hausgrafiker des von der Band gegründeten Alternative-Tentacles-Labels, auch zahlreiche, teils bislang unveröffentlichte Fotos. Ins Deutsche übersetzt wurde das Buch von Joachim Hiller. Ab Ende April 2015 ist es im Handel.