MR.IRISH BASTARD

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Nach der Feier kommt der große Kater

Die DROPKICK MURPHYS touren. MAHONES und REAL McKENZIES haben neue Platten am Start und begeben sich ebenfalls „on the road“. Die POGUES sind unverwüstlich. Irish Folk und „Celtic Punk“ sind gerade schwer angesagt, auch hierzulande, was sich unter anderem an MR. IRISH BASTARD zeigt: Die Band veröffentlicht neun Jahre nach ihrer Gründung das sechste Studioalbum. Und „The World, The Flesh & The Devil“ beweist einmal mehr den Ausnahmestatus, den die Münsteraner in der Szene genießen: Die Songs stellen nicht das Trinken in den Mittelpunkt, es gibt nicht die zigste Version von „Dirty old town“ oder „The wild rover“. Es geht um Tiefsinn und Melancholie. Sänger Chris erklärt beim Interview, warum er es lieber nachdenklich als fröhlich und ausgelassen hat.

Chris, euer neues Album steht kurz vor der Veröffentlichung. Ihr seid sicher gespannt und aufgeregt.


Ja, denn so ein Album herauszubringen, das ist ja immer ein sehr langer Weg: Es beginnt mit dem Schreiben der Texte und dem Arrangieren. Immer mehr Songs kommen zusammen. Man nimmt erste Stücke auf. Und irgendwann ist man dann an dem Punkt, an dem man sich denkt: Jetzt haben wir schon so lange an dieser Platte gearbeitet – jetzt wird es Zeit, sie rauszubringen. Und das ist immer wieder aufs Neue aufregend.

An „The World, The Flesh & The Devil“ habt ihr anscheinend recht lange gearbeitet, denn es ist das erste Album seit vier Jahren.

Wir haben im Dezember 2012 mit der Platte angefangen – genauer gesagt, habe ich damals angefangen, an den ersten Songs zu schreiben. 2013 kam die Vorproduktion. Und 2014 haben wir das Album aufgenommen. Das ist eine lange Zeit. Aber sie geht rasend schnell vorbei und ist eigentlich nie lang genug. Denn man hat ja immer diesen Gedanken im Hinterkopf, noch etwas machen zu müssen. Und noch etwas. Und noch etwas. Nach dem Motto: Bloß nicht nachlassen. Es ist bei mir manchmal wie in der Schule oder an der Uni: Je näher der Abgabetermin rückt, umso verrückter macht man sich. Dabei bin ich überhaupt nicht der Typ, der unter Druck arbeiten kann.

Musst du dich eigentlich vor jedem Album eine Weile in Irland aufhalten, um in Stimmung fürs Songschreiben zu kommen?

Nein. Die Songs sind ja relativ vielschichtig. Bei „Drink another day“ zum Beispiel steht zwar Saufen und Bier und damit um irische Lebensfreude auf dem Deckel. Aber eigentlich ist das Stück, wenn man mal genau reinhört, wesentlich tiefsinniger und handelt davon, dass man jeden Tag eine neue Chance erhält, um etwas besser zu machen und sich in der Welt zu beweisen – auch wenn man gerade mal wieder alles in den Sand gesetzt hat. Das sind ja Gedanken und Situationen, die einfach menschlich sind. Und menschliche Gefühle wiederum erlebe ich durchaus auch in Münster, haha.

Du erwähnst „Saufen“, „Bier“, „irische Lebensfreude“. Das sind gute Stichwörter, denn genau das ist ja auch irgendwie das Problem von Folkpunk-Bands: Sie werden häufig vor allem als Party- und Sauflied-Combos wahrgenommen.

Ja, diese Gefahr besteht. Und dem versuchen wir aus dem Weg zu gehen. Ich will jedenfalls nicht nur übers Saufen und Feiern singen. Aber es gibt da ja auch noch ein anderes Problem: Viele Bands setzen extrem auf bekannten Melodien und spielen alte Songs nach. Es gibt schließlich verdammt viele irische Traditionals. Und auch das bloße Nachspielen wollten wir bei „The World, The Flesh & The Devil“ erneut vermeiden. Das haben wir zwar schon hier und da einmal gemacht, aber das hält sich bei uns immer in Grenzen. Wir wollen auch tiefer gehen und zurückhaltender agieren, mit mehr Variationen. Wir versuchen, die typischen Fettnäpfchen zu vermeiden. Ich hoffe, es ist uns auch jetzt wieder gelungen und die Leute erkennen das.

Im Gegensatz zu euch arbeiten etwa die DROPKICK MURPHYS als aktuelles Flaggschiff des Genres ganz extrem mit Klischees. Wie häufig bekommt ihr trotzdem ein Angebot in der Art: „Kommt doch mal vorbei und spielt bei unserem Irland-Fest oder auf unserem Mittelaltermarkt“?

Haha, inzwischen glücklicherweise nicht mehr so häufig. Aber früher hatten wir diese Situation schon ein paarmal: „Habt ihr nicht Bock, ein paar Songs zu spielen – so drei Blocks à zwanzig Minuten und mit ein paar bekannten Nummern dabei?“ Das war noch nie unser Ding.

Eine These: Ihr hättet die mitunter recht ernsten Botschaften in euren Songs ja auch in ein anderes Gewand packen können. Punk ist vielschichtig. Warum habt ihr euch damals, bei der Gründung, für Folkpunk entschieden?

Du hast recht: Es gibt wahnsinnig viele Arten und Wege, seine Geschichten zu erzählen. Aber gerade die alten Geschichten aus Irland sind so vielfältig, düster, bittersüß und emotional. Sie haben mich schon immer fasziniert – nicht zuletzt, weil meine Eltern irische Wurzeln haben. Diese Melancholie und der Ernst im Irish Folk sind ein wichtiger Teil der irischen Seele. Die Iren wissen: Nach der Feier kommt immer auch der große Kater. Und das spiegelt nun einmal kaum eine andere Musikrichtung wider. Daher haben wir uns damals nicht nur für Punk, mit dem wir alle aufgewachsen sind, entschieden, sondern für Folkpunk. Und um an dieser Stelle noch einmal auf die Frage nach dem Saufen und Feiern zurückzukommen: Wer dieses Düstere nicht erkennt und meint, dass sich irische Musik immer nur ums Trinken dreht, hat diese Kultur nicht verstanden.

Musst du den Blues haben, um zu komponieren?

Nein, ich bin beim Komponieren ein totales Gewohnheitstier. Ich stehe morgens auf, schnappe mir meine Gitarre und arbeite an Fragmenten. Melodien, Riffs, Texte, Halbsätze – so was. Und darum herum baue ich den Rest. Das ist ein eher technischer Vorgang. Das hat nichts mit meinem Gemütszustand zu tun. Ich habe auch keine festen Schreibtischzeiten. Ich schreibe es jederzeit auf, wenn mir eine Idee kommt. Sobald mich die Muse küsst, halte ich sie fest. Und das ist anstrengend, haha. Wie Karl Valentin einmal sagte: Kunst macht viel Arbeit. Das kann ich bestätigen.

Ihr gebt euch nach außen hin immer als große Familie. Dennoch: Bist du derjenige, der das letzte Wort für sich beansprucht?

Nein. Aber wir ringen immer um die beste Idee. Und die muss nicht immer von mir kommen.

Was war der erste POGUES-Song, den du je in deinem Leben gehört hast?

Oh, den Song weiß ich nicht mehr. Aber „Rum, Sodomy & The Lash“ war die erste POGUES-Platte, die ich besaß.

Ich frage das, weil mich die POGUES damals in den Achtzigern, als ich sie zum ersten Mal hörte, in Sekundenschnelle anfixten. Einmal gehört – und ich wusste: Ich muss irgendwann nach Irland und die Musik dort erleben. Besser heute als morgen. Was für einen Moment des Anfixens für eure Musik hattest du?

Es war der Moment, in dem es darum ging, die Band zu gründen. Das war 2005, da spielten die POGUES und die DROPKICK MURPHYS gemeinsam in Dublin – und es hat außer mir unglaublicherweise gar nicht so viele Menschen interessiert. Aber ich wusste sofort: Das will ich auch machen. Also schnappte mir ein paar alte Kumpels, mit denen ich schon als Teenie im Musikkeller der Schule gemeinsam gespielt hatte. Wir trafen uns. Wir probierten das aus. Wir fanden noch mehr Leute in Münster, die Bock darauf hatten – und es ging los.

Ihr seid ja auch mit den POGUES aufgetreten. Wie war es?

Das war in Münster – und man soll seine Helden ja am besten niemals kennen lernen ... Aber das war schon großes Tennis mit Spider Stacy und vor allem Phil Chevron, der ja im vergangenen Jahr leider gestorben ist, zu sprechen, das war klasse.

Und Shane MacGowan?

Er wird ja leider immer extrem abgeschirmt. Daher war es sehr schwer, an ihn heranzukommen. Immerhin: Wir haben zwischendurch einmal seine Bodyguards abgelenkt und ein Foto mit ihm machen können, haha. Das musste sein.

Du hast irische und deutsche Wurzeln. Also wirst du vielleicht sagen können, was die Iren denken über das weit verbreiteten Irland-Faible der Deutschen?

Sie finden das gut und freuen sich, wenn jemand sich für ihre Musik und Kultur interessiert. Ich habe das zuletzt vor gar nicht allzu langer Zeit erfahren, als der Moderator eines irischen Radiosenders am Ende seiner Musiksendung ausgerechnet unsere Coverversion von Ricky Martins „La vida loca“ spielte, um den Iren zu zeigen, was für schöne Sachen dabei rauskommen, wenn sich Menschen außerhalb Irlands mit Irland beschäftigen. Keine Ahnung, wie der an diesen Song gekommen ist.