SCHROTTGRENZE

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Dorfpunks revisited

Wenn es eine Band schafft, zwanzig Jahre durchzuhalten und sich nicht von ihrem Weg hat abbringen zu lassen, hat sie es auch verdient, dass dieses Jubiläum gebührend gewürdigt wird. SCHROTTGRENZE aus Hamburg haben das nun geschafft. Auch wenn sie zwischendurch ein paar Jährchen Pause eingelegt haben, so sind sie auch heute noch, über zwei Dekaden, nachdem sich die beiden Masterminds Timo Sauer und Alex Tsitsigias in der Raucherecke ihres Gymnasiums in Peine kennen gelernt hatten, munter und hungrig wie eh und je.

Anlässlich des runden Geburtstages der Band ist nun via Tapete Records eine Werkschau von gleich zwei Tonträgern erschienen. Bei „Fotolabor“ handelt es sich um ein klassisches Best-Of-Album mit 25 ihrer schönsten Lieder inklusive eines nagelneuen Songs, auf „Schnappschüsse“ findet man Demos, Alternativ- und Live-Versionen und noch vieles anderes Rares und Obskures, was im Laufe der Jahre so angefallen ist. Darüber hinaus sind SCHROTTGRENZE nun auch wieder live auf den Bühnen der Republik zu bestaunen. Ihre drei Jubiläumsshows in Hamburg, Berlin und Köln waren im Handumdrehen ausverkauft, weitere Konzerte und Festivals stehen nun an. Mit Timo und Alex ließ ich die zwanzig Jahre Bandgeschichte Revue passieren und wir versuchten, den Weg von einer klassischen Deutschpunk-Combo zu einer facettenreichen Indierock-Band nachzuzeichnen.

Für die Zeit der Anfangstage als kleiner Dorfpunk in der Eulenstadt Peine bedient sich Alex gleich einmal eines metaphorischen Vergleiches. „Es war wie das Leben im Auenland, nur dass das Auenland bei uns nicht grün, sondern grau war. Mit 14 wusste man ja auch noch nicht, was einen hinter der Stadtgrenze so erwartet. Dementsprechend war es zuerst auch gar nicht so schlecht. Wir hatten ein unabhängiges Jugendzentrum, in dem wir ab und an auch mitgearbeitet hatten und dadurch relativ früh die Gelegenheit bekamen, dort auch aufzutreten.“

Dementsprechend wurde SCHROTTGRENZE auch sehr früh eine aktive Live-Band. Und das mit einem Sound, der zu der Zeit so gar nicht angesagt war. Deutschsprachiger, melodischer Punk war fast eine Nischenerscheinung, US-Hardcore war angesagt, sowohl in den Metropolen als auch auf dem Land. Dennoch ließ das UJZ Peine die kleinen Jungs von SCHROTTGRENZE gerne bei sich auftreten. Und nicht nur dort fand die Band schnell Anklang. Trotz ihres jugendlichen Alters wurden SCHROTTGRENZE schnell von der Punkrock-Szene akzeptiert, was für den Nachwuchs generell nie besonders leicht war. Schließlich musste man sich seine Sporen ja erst noch verdienen. Alex erklärt sich diese frühen, kleinen Erfolge wie folgt: „Wir spielten ja von Beginn an nicht die zeitgenössischste Punk-Musik. Die Bands, an denen wir uns orientierten, sprachen eher die ältere Generation an. Das waren frühe Deutschpunk-Bands wie SLIME, die Fun-Punk-Welle der späten Achtziger Jahre, die bereits zu unserer Zeit wieder total out war, und dann natürlich RAMONES und viel 77er-Punkrock. Das hat uns sicher von vielen gleichaltrigen Bands unterschieden, die sich alle dem amerikanischen Melodycore verschrieben hatten.“

So kam dann auch der erste Plattendeal mit Scumfuck Mucke zustande, wie Timo zu erzählen weiß. „Wir waren ja noch völlig naiv. Aber es war an der Zeit, mit unserer Musik rauszugehen, und so haben wir unsere ersten Aufnahmen an diverse Fanzines wie das Plastic Bomb oder eben auch das Scumfuck Tradition geschickt. Und dort schrieb dann Willi Wucher, dass er das großartig fände, was diese kleinen Jungs aus Peine da machen würden. Außerdem waren wir auch große Kunden bei seinem Mailorder. Und eines Tages lag dann einer Bestellung ein Zettel bei, auf dem Willi fragte, ob wir nicht zusammen eine EP machen wollten. Natürlich wollten wir. Und schon waren wir kurz darauf im Studio. So kamen wir zu unserem ersten Vinyl ,Unehrlich, verlogen und stinkfaul‘, was ich dir ja auch damals beim Wixer von den BOSKOPS in die Hand gedrückt hatte.“

Damit hat Timo recht und ich erinnere mich noch gut daran, wie bei den Chaostagen 1995 in Hannover plötzlich diese jungen Burschen im BOSKOPS-Headquarter auftauchten, um ein Interview mit der Band für ihre Schülerzeitung zu machen. Das war schon ein lustiges Bild. Auf der einen Seite die gestanden Punk-Legenden BOSKOPS, daneben der Nachwuchs SCHROTTGRENZE und zwischendrin zahlreiche Chaostage-Touristen wie unsere damalige Stay-Wild-Crew oder Wölfi von DIE KASSIERER. Wer so punksozialisiert wird, bleibt dann auch nicht lange in der Provinz stecken und sucht sein Glück in der weiten Welt. Und so kam es, dass SCHROTTGRENZE zu einer Hamburger Band wurden.

„Dass Hamburg unsere neue Heimat wurde, war zwangsläufig“, erklärt Timo. „Hamburg war für uns schon immer das Eldorado. Bands wie ... BUT ALIVE und die ganzen Weird System-Sampler wie ,Slam-Brigade Haifischbar‘, wo all die Bands zu hören waren, die diesen Sound spielten, den wir total geil fanden. Oder die ,Schmuddelkinder‘-Compilation von Vince Lombardy Records. Hamburg verkörperte damals eine Romantik, die wir aus Peine nicht kannten.“

Ob es SCHROTTGRENZE heute noch geben würde, wenn der damalige Umzug nach Hamburg nicht stattgefunden hätte, kann sich Alex unter Umständen dennoch vorstellen. „Vielleicht wäre es eine andere Form von Band geworden. Der Grund, SCHROTTGRENZE zu gründen, war für uns neben dem eigentlichen Musikmachen auch die damit verbundene Möglichkeit, die Stadt immer wieder verlassen zu können. Deshalb waren ja auch Fanzines für uns von so enormer Wichtigkeit, weil wir da lesen konnten, was es alles im Ruhrgebiet, in Hamburg, in Köln oder sonst wo an Bands und Veranstaltungen gab. So konnten wir uns ein Bild davon machen, wo wir hinwollten. Wenn wir allerdings nie rausgekommen wären, hätten wir die Band vielleicht immer weiter gemacht, um überhaupt einen Grund zu haben, etwas von der Welt zu sehen. In Peine wird ein hungriger Geist ja nicht satt.“

Doch mit dem Umzug nach Hamburg tauchten auch die ersten Probleme auf. Denn die Unbekümmertheit einer Schülerband war dahin, der Ernst des Lebens – und sei es in Form eines Studiums – ließ sich nicht mehr ignorieren. Und so verließen dann auch immer wieder Mitglieder die Band, da sie sich nun um andere Dinge kümmern wollten. „Unser alter Gitarrist Lars ist zum Beispiel wieder zurück nach Peine gezogen und hat die Musik an den Nagel gehängt“, berichtet Timo. „Das wäre für Alex und mich ja gar nicht in Frage gekommen. Selbst als mit SCHROTTGRENZE mal Pause war, haben wir in irgendwelchen anderen Projekten weitergemacht.“

Nach der ersten Single folgte 1995 auch schnell das erste Album „Auf die Bärte, fertig, los!!!“ – erneut bei Scumfuck Mucke, wie Timo erzählt. „Die Single lief gut, dadurch wollte Willi dann auch unser erstes Album machen und finanzierte ein Studio. Wir waren natürlich Feuer und Flamme und voll auf dem Scumfuck-Zug. In zwei Monaten hatten wir das Album voll im BECK’S PISTOLS-Modus geschrieben. Das Ergebnis war dann aus heutiger Sicht wirklich furchtbare Scheiße und wir wurden zu Recht von vielen Seiten deswegen angefeindet. Wir wurden da auf Konzerten von feministischen Gruppen belagert und mussten uns ständig verteidigen. Zu der Zeit hatten wir noch gar keine Fans, aber schon viele Leute, die uns hassten. Heute können wir drüber lachen. Schließlich steckten wir da noch tief in der Pubertät und suchten unsere Identität.“

So kam es dann auch zwangsläufig zum ersten von mehreren Labelwechseln in der Geschichte der Band. Die Texte von SCHROTTGRENZE orientierten sich mehr am klassischen Deutschpunk und weg vom sexistischen Prolltum, so dass nun Impact Records aus Duisburg auf die Band aufmerksam wurde. Dort wurde dann auch mit „Super“ 1998 das zweite Album veröffentlicht. Und zum ersten Mal unterschrieb die Band einen richtigen Vertrag, der aus heutiger Sicht allerdings reichlich fragwürdig war. „Da stand auf dreißig Seiten ein solcher Schwachsinn drin, das kann man sich heute kaum noch vorstellen. Trotzdem hatten wir in unserer jugendlichen Naivität unterschrieben.“ Von Dauer konnte das Verhältnis zu Impact Records auf einer solchen Basis nicht sein und SCHROTTGRENZE standen bald wieder ohne Plattenfirma da.

„Doch dann lernten wir die WOHLSTANDSKINDER und ihr Label Vitaminepillen Records kennen und waren uns sicher, jetzt passt alles. Also nahmen wir unser drittes Album in Angriff, das aber vom Tontechniker komplett verhunzt wurde. Da wir unsere ganze Kohle da reingesteckt hatten, fielen wir echt in ein Loch. So brach für uns das neue Jahrtausend an“, zieht Timo nüchtern das Fazit dieser Zeit. „Da ich inzwischen in der Musikindustrie arbeitete, kamen so neue, komische Kontakte zustande und wir hatten plötzlich einen Verlagsdeal mit verdammt viel Kohle in der Tasche. Und jetzt sollte alles besser werden. Wir nannten uns nun FINGERS und nahmen ein Demo nach dem anderen auf, ohne wirklich voranzukommen. Im Endeffekt war das die schlimmste Phase der Band. Wir haben da so unglaublich schlechte Songs aufgenommen und an Majorlabels geschickt. Wir haben sogar ein Demo mit Rod von DIE ÄRZTE eingespielt. Das war aber auch ganz mies und danach war die Kohle verprasst und der Ofen aus.“

Es folgte eine längere Pause und niemand wusste, ob es SCHROTTGRENZE jemals wieder geben würde. Doch das Feuer loderte noch in den Jungs und nach einem guten Jahr beschlossen sie, wieder da weiterzumachen, wo man mal stand, und ohne Verlag und Majorlabel-Ambitionen unter altem Namen zu spielen, was wie ein Befreiungsschlag für die Band war, erklärt Timo.

„Von da an fingen die guten Jahre von SCHROTTGRENZE an. Ab 2003 hatten wir nun auch endlich unseren Sound präzisiert und konnten eine wachsende Fanbase verzeichnen. So erschien das folgende Album ,Vaganten und Renegaten‘ und die EP ,Belladonna‘ folgerichtig in Eigenregie beim selbstgegründeten Label Meisterbetrieb, wo 2004 auch der vorläufige Meilenstein ,Das Ende unserer Zeit‘ erscheinen sollte. Wir hatten bereits alles aufgenommen und in die Wege geleitet, als plötzlich Weird System bei uns anriefen und fragten, ob wir die Platte nicht bei denen veröffentlichen wollten. Wir wollten und das war ein Segen, da Weird System das erste Label war, bei dem wir uns gut aufgehoben fühlten. Die arbeiteten ganz anders als die, die wir bisher kennen gelernt hatten: Bodenständige Hamburger Kaufleute ohne Allüren.“

Und obwohl nun alles rund lief, war die Band weiter hungrig nach mehr und Veränderung. Die Musik wurde immer indielastiger und Bezug zur Punk-Szene immer weniger. Als dann eines Tages im Jahr 2006 Tim Renner von Motor Music anrief und SCHROTTGRENZE ein Angebot unterbreitete, griff die Band zu und wagte den nächst größeren Schritt. Jetzt war ein größeres Budget da und eine viel größere Zielgruppe konnte erreicht werden. Es folgten die beiden Alben „Château Schrottgrenze“ und „Schrottism“. Die Band war auf ihrem Zenit. Timo: „Wir haben in der Zeit soviel getourt, dass wir ständig an unser Limit stießen. Zwei Jahre haben wir versucht, von der Musik zu leben, waren ständig unterwegs. So wechselte häufig die Besetzung und wir brannten langsam aus.“

2007 war dann auch Schluss. Burnout. Die Band war platt. Eine Pause musste her. Aus vorerst einem Jahr wurden dann aber sieben, da sowohl Alex unter anderem mit STATION 17 und dem BIERBEBEN als auch Timo mit T.U.S.Q. die Finger nicht von der Musik lassen konnten und sich anderweitig betätigten. Allerdings nicht mehr hauptberuflich, sondern ohne den Zwang, von der Musik leben zu müssen.

So verstrichen die Jahre, bis 2014 die Band HERRENMAGAZIN ihr Jubiläum feierte und für ein Geburtstagskonzert SCHROTTGRENZE dabei haben wollte, da dort nur Bands auftreten sollten, die sich bereits aufgelöst hatten. Da ließen sich Timo und Alex nicht lange bitten und standen so zum ersten Mal seit sieben Jahren wieder gemeinsam auf der Bühne. „Das war so ein Top-Moment, der den ganzen Abend anhielt“, schwärmt Alex. „Die Proben zuvor haben schon großen Spaß gemacht, das Konzert war geil. Da hatten wir Blut geleckt. Der ausschlaggebende Momente war dann aber der, als Tapete Records an uns herantraten und fragten, ob wir nicht eine Compilation bei ihnen rausbringen wollten. Das wollten wir und so entstand auch die Idee, wieder mehr Konzerte zu spielen.“

Die ersten fanden nun gerade statt, weitere werden diesem Sommer folgen und wir schauen mal, was wir in Zukunft von SCHROTTGRENZE noch alles zu hören bekommen werden, denn an neuem Material arbeitet die Band auch schon ...