GRAVE PLEASURES

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BEASTMILK 2.0?

BEASTMILK aus Finnland waren 2013 mit ihrem Album „Climax“ die Überraschung des Jahres, begeisterten genreübergreifend mit ihrem düsteren Goth-Rock. Doch kaum war die Band 2014 auf Tour gewesen, begann sich das Bandgefüge aufzulösen und im März 2015 stieg Gitarrist Johann „Goatspeed“ Snell aus. Die „Rest-Band“ um Mastermind und Sänger Mathew Joseph McNerney – Bassist Valtteri Arino, Gitarristin/Komponistin Linnéa Olsson, Drummer Uno Bruniusson und Gitarrist Juho Vanhanen – erfanden sich also mal eben unter dem Namen GRAVE PLEASURES neu. Das heißt, neu ist eigentlich nur der Name, die Sound-Trademarks sind geblieben, und mit „Dreamcrash“, das Anfang September beim Major Sony erscheint („Climax“ kam über Svart), nehmen sie einen zweiten Anlauf, die Rockmusikwelt zu erobern. Ich sprach mit Mat, 36, der in seinem früheren Musikerleben in der Death-Metal-Szene auf den Namen Kvohst hörte.

Euer Albumcover zeigt eine verbeulte Flugzeug-Blackbox auf Felsen liegend. Das erinnert mich stark an Bilder vom Germanwings-Absturz in Frankreich vor ein paar Monaten.


Wir hatten die Idee für das Cover schon eine ganze Weile vor dem Absturz. Wir konnten dann Samantha Muljat von Bloodbankdesign für das Artwork gewinnen, die auch schon für GOATSNAKE oder EARTH gearbeitet hat. Das Konzept stand also schon länger, doch wenn so etwas passiert, wird eben auch ein Bezug hergestellt, für den es keinen Hintergrund gibt. Darüber haben wir keine Kontrolle. Das Letzte, was wir wollen, ist Menschen zu verletzten, die bei dem Unglück Angehörige verloren haben. Was wir vielmehr im Sinn hatten, war ein Motiv, das unser Albumthema „Dreamcrash“ widerspiegelt. Die Blackbox ist ein schönes Symbol dafür, was nach einem Absturz noch bleibt, was man nach einem Crash noch an Schlussfolgerungen ziehen kann. Wenn man weiß, was bei einer Katastrophe passiert ist, kann man irgendwie damit abschließen und weiterleben. „Dreamcrash“ ist ein Kunstwort, es steht dafür, nachdem man alles verloren hat, an einen Punkt zu gelangen, an dem man neu anfangen kann. Vielleicht erfährt man nach etwas so Traumatischem auch wieder neues Glück.

Wie ist dein Verhältnis zu Träumen? Träumst du viel, kannst du dich noch an etwas erinnern am nächsten Morgen, sprichst du über sie?

Innerhalb der Band sprechen wir oft über unsere Träume, diskutieren sie. Wir schreiben unsere Träume auf, haben sogar ein Traumtagebuch geführt, als wir zusammen im Studio waren. Das haben wir auch gemacht bei der Tour von BEASTMILK gemeinsam mit IN SOLITUDE. Auf diesem Weg lernt man sich besser kennen, wir haben uns gegenseitig analysiert. Das ist interessant, und manche von uns, so stellte sich heraus, glauben an gewisse metaphysische Phänomene und an Schicksal, während andere für alles eine wissenschaftliche Erklärung suchen. Daraus entstanden interessante Gespräche und es entwickelten sich grundlegende Überlegungen daraus. Es erschien uns deshalb ganz natürlich, Träume zum Thema des Albums zu machen. Es geht uns darum, was jeder für sich aus seiner Realität macht, um die Wünsche und Ängste. Darum, wie man aus dem Abgrund wieder nach oben klettert. Wir erkannten, dass es viele Träume gibt, die erstmal zerstört werden müssen, um Neues zu schaffen – auch neue Träume.

Seine Träume zu diskutieren hat sicher auch einen „Teambuilding“-Aspekt.

So haben wir das noch gar nicht gesehen, aber klar, solche Gespräche bringen einander näher als Gruppe. Jeder lebt doch in seiner eigenen Welt, sich darüber auszutauschen ist interessant. Die Spezies Mensch ist ja in dieser Hinsicht etwas Besonderes, sie erschafft sich eine eigene Wirklichkeit nur auf der Basis von Träumen und des Vorstellungsvermögens. Das unterscheidet uns von allen anderen Lebewesen.

Wie offen wart und seid ihr bei euren Traum-Diskussionsrunden? Man träumt ja manchmal das seltsamste Zeug, das man doch auch gerne für sich behält.

Also wir sind da extrem offen. Wenn man sich als Künstler seinen Künstlerkollegen gegenüber nicht öffnet, wird sich das früher oder später negativ bemerkbar machen. Um ehrliche Kunst zu machen, war für uns von Anfang an Offenheit sehr wichtig. Es ist eine aufregende, erfrischende Erfahrung mit dieser Band, dass wir beschlossen haben, mit unseren Hemmungen offen umzugehen. Schafft man das, kann man auch mit anderen ganz offen umgehen. Wir wollen mit GRAVE PLEASURES ganz nach oben, das ist für uns nicht einfach nur irgendeine Band. Wir wollen wirklich die beste Band sein, die jemals existiert hat, und deshalb geben wir alles. Ein Gedanke wie „Hm, kann ich darüber wirklich mit meinen Bandmates sprechen?“ ist da hinderlich, es ist vielmehr aufregend, wenn das möglich ist. Es gibt dann plötzlich viel weniger Grenzen und Hindernisse. Es ist gerade wirklich spannend und sehr schön.

Sind GRAVE PLEASURES denn BEASTMILK 2.0?

Ich würde sagen ja. Aber wir begeben uns natürlich mit diesem Album in die Hände der Hörer und die müssen entscheiden. Für uns ist es ein neues, weiteres Kapitel, und für mich ist es in Sachen Songwriting eine Fortführung dessen, was ich für BEASTMILK gemacht habe. Einerseits ist es also eine Fortsetzung, andererseits ein Neustart. Ich denke, Musiker sind oft nicht mutig genug, das Bisherige komplett auseinanderzunehmen und neu zusammenzusetzen. Stattdessen wird einfach immer unter dem alten Namen weitergemacht. Mir fallen da kaum Beispiele ein, von MISFITS, SAMHAIN und DANZIG mal abgesehen. Man hört aber immer klar raus, dass Glen Danzig dahintersteckt. Und deshalb ist GRAVE PLEASURES ein neues Kapitel, auch wenn es viele Ähnlichkeiten zu BEASTMILK gibt.

Euer Plattenlabel hat sich sicher gewünscht, ihr hättet den gut eingeführten Namen BEASTMILK behalten.

Haha, ja. Aber wir haben getan, was sich für uns richtig anfühlte – und Sony haben das verstanden, auch wenn es natürlich Diskussionen darüber gab. Die haben aber gemerkt, dass es uns ernst ist mit der Band und sie wirklich etwas Gutes bekommen. Wir sind echt und nicht künstlich.

Wie bist du musikalisch da gelandet, wo BEASTMILK und GRAVE PLEASURES stehen? Du warst lange Jahre mit verschiedenen Projekten – VOMITORIUM, CODE, DØDHEIMSGARD, HEXVESSEL – in der Black-Metal-Szene aktiv. Die Beinahe-Popsongs eures neuen Albums sind da ein starker Kontrast.

Ich bin der gleiche Mensch wie damals, aber ich habe mich verändert, meine Interessen haben sich verändert. Als Musiker finde es ich nicht spannend, sich zu wiederholen, sondern denke, dass man Ambitionen haben sollte. Als ich Black Metal machte, entsprach diese Musik meinen Interessen und Wünschen, doch irgendwann hatte ich das Gefühl, alles erreicht zu haben, mit CODE etwa. Wir hatten zwei wirklich gute Avantgarde-Black Metal-Alben gemacht, und als es ans dritte Album ging, fiel mir nichts mehr ein. Ich wusste, dass es für mich da nichts mehr zu erreichen gibt, und so zog ich weiter. Mit DØDHEIMSGARD hätte ich mir eine weitere Platte vorstellen können, aber letztlich hatte ich auch alles das erreicht, was es zu erreichen gab. Ich kam da ja neu dazu, weil meine Ideen gefragt waren, und es war genial, weil das meine Lieblingsband war, aber als dann der alte Sänger zurückkam, war es für mich Zeit weiterzuziehen und was Neues auszuprobieren – mich zu wiederholen, das liegt mir nicht. Und BEASTMILK ... „Shine“ als Album steht dadurch, dass wir mit GRAVE PLEASURES ein neues Kapitel aufgeschlagen haben, nur noch stärker da. Die Leute haben ja immer die seltsame Vorstellung von Bands und Bandnamen, die sehen das als Firma, als Markenname an, als Vertreter eines Image. Ich finde das eindimensional und konstruiert, und es gibt schon genug Großkonzerne in der Welt, da muss man deren Vorgehen nicht nachmachen. Ich sehe mich da eher in der Tradition von großen Regisseuren, die machen auch immer neue, andere Filme und wiederholen sich nicht.

Lass uns über deine, eure musikalischen Einflüsse sprechen. Du bist etwas zu jung, um Bands wie SISTERS OF MERCY oder FIELDS OF THE NEPHILIM selbst erlebt zu haben, als die in den Achtzigern groß waren. Dennoch sehe ich in denen einen deutlichen Einfluss.

Ich war damals noch ein Kind, doch das war die Musik, die meine beiden großen Schwestern Tag und Nacht spielten. Das waren richtige Goth-Punks, die hörten THE CURE und SIOUXSIE AND THE BANSHEES und all so was, und ich bekam die Musik natürlich auch mit. Als ich dann älter war und als Teenager begann auszugehen, war ich zwar Metal-Fan, aber in den Clubs wurde eigentlich nur SISTERS OF MERCY, JOY DIVISION und so weiter gespielt. Die Goth-Szene in London war damals sehr groß, viel größer als die Metal-Szene. Meine bewussten Einflüsse sind von daher zwar Metal, ich wollte immer ein Metal-Typ sein. Doch die unbewussten Einflüsse, das wurde mir später klar, sind andere, und die kann ich nicht rausfiltern, und das ist die Musik, die ich als Kind hörte. Gleichzeitig denke ich, dass man diesen Hintergrund nicht überbewerten sollte. Sowieso kann man sich als Künstler nicht gegen seine Einflüsse wehren, ob die nun von irgendwem als „cool“ empfunden werden oder nicht.

Tom Dalgety, der auch schon mit KILLING JOKE gearbeitet hat, hat euer Album produziert. War dieser Background wichtig?

Wir haben nach jemandem gesucht, der versteht, was wir wollen. Wir hätten auch irgendeinen Metal-Produzenten nehmen können, aber da hätte ich die Gefahr gesehen, dass so jemand zu viel über uns weiß, dass das alles zu sehr auf Nummer sicher hinausläuft. Wir wollten aber den Blick eines Außenseiters. Tom fand schon BEASTMILK klasse, und ich finde es wichtig, als Künstler auch mal seine Komfortzone zu verlassen. Man sollte bereit, sein Risiken einzugehen, nicht die naheliegendste Wahl zu treffen, mit Menschen arbeiten, die neue Aspekte einbringen. Deshalb haben wir bei BEASTMILK auch mit Kurt Ballou aufgenommen, der ja aus dem Hardcore und Metal kommt und die Produktion aus einem ganz anderen Blickwinkel anging. Das Resultat ist eine wirklich spannend klingende Platte. Und das ist auch unser neues Album, finde ich, denn ich mag keine Platten mit einem vorhersehbaren Sound. Deshalb denke ich auch, dass das Album bei ganz unterschiedlichen Leuten funktionieren wird, dass wir damit genauso gut im Vorprogramm von KILLING JOKE ankommen können, aber auch bei einer Popband. Wie bei BEASTMILK schon stehen wir zwischen den Genres, uns mögen Punks genauso wie Black-Metal-Kids und Pop-Fans.

Bei BEASTMILK hieß es, sie kommen aus Helsinki, doch du bist Engländer, hast lange in Norwegen gelebt. Wo wohnst du derzeit?

Ich lebe in Tampere, Finnland, wie auch der Bassist und der Gitarrist. Die beiden anderen kommen aus Schweden, leben aber in Berlin. Die Band ist also halb in Finnland, halb in Berlin zu Hause. Wir sind sehr international, die europäische Musikszene ist letztlich aber doch recht klein, da kennt jeder jeden. Es ist kein Problem, die Band trotz der Distanz zu betreiben. Unsere eigentliche Heimat ist aber Finnland, hier proben wir, hier haben wir aufgenommen. Dabei spreche ich noch nicht mal Finnisch, obwohl ich mit einer Finnin verheiratet bin. Die Sprache ist einfach schwer ...

Und was hat dich einst nach Norwegen geführt?

Ich war damals ein typischer Black-Metal-Tourist. Ich habe an der Uni Norwegisch studiert, hatte lange Haare, interessierte mich für Wikinger ... total klischeehaft, aber so war das eben in den Neunzigern. Ich habe damals viele der wichtigen Leute aus der Szene kennen gelernt, noch bevor sich das alles auflöste. Ich war dann auch selbst in einer Band, es war eine interessante Zeit. Und heute ist das sowieso alles ganz anders, zum Glück, und heute ist nicht mehr nur Norwegen die Heimat von Black Metal.