Slovenly Records

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Eine Art Jetset-D.I.Y.-Plattenvertrieb

Pete „Stickerguy“ Menchetti kenne ich schon eine halbe Ewigkeit. Mitte der Neunziger erreichte mich eine Platte von SCARED OF CHAKA (jener Band, bei der James Mercer von THE SHINS einst spielte), auf dem Slovenly-Vorgänger 702 veröffentlicht, ich veranstaltete auf den Touren von SCARED OF CHAKA Konzerte mit der Band, war Gast von Pete in Reno, Nevada, besuchte ihn in seiner (zwischenzeitlichen) neuen Heimat Neapel, er war mein Gast, und so wurden wir Freunde, wobei es in den letzten Jahren zunehmend schwerer wurde, sich zu treffen: Pete führt das Leben eines Nomaden, ist ständig unterwegs, in Personalunion als Labelboss, Tourmanager und auch noch Geschäftsführer der Aufkleberdruckerei Stickerguy. Zeit für ein Interview ...

Pete, ich erreiche dich gerade in Reno, Nevada, es hätte aber auch Amsterdam oder Brasilien oder sonst wo auf der Welt sein können. Was führst du für ein Leben?


Also ich habe zwei Wohnsitze, einen in Reno und einen in Amsterdam. In letzter Zeit habe ich mich aber in beiden Städten nicht viel aufgehalten, ich war die letzten drei Jahre fast ständig auf Reisen. Ich reise seit über zwanzig Jahren sehr viel, aber nicht so viel wie in letzter Zeit. Das ist in letzter Zeit echt schon fast krank und an der Grenze dessen, was noch gesund ist – aber es ist auch eine unglaubliche Erfahrung.

Dabei spielst du noch nicht mal in einer Band und bist auch kein Geschäftsmann, der für einen Großkonzern arbeitet. Was treibt dich durch die Welt?

Möglich gemacht hat diese Art des Lebens AirBnB. Ich vermiete mein Haus in Reno und mein Hausboot in Amsterdam, wenn ich unterwegs bin. Und wenn ich die vermietet habe, kann ich ja nicht mal da wohnen, selbst wenn ich wollte, haha. Mir macht das Reisen Spaß, das ist der Hauptgrund. Und da ich ein Label mache, hat es sich als sehr hilfreich herausgestellt, Bands und Kunden in aller Welt persönlich zu treffen. Es macht Spaß und es macht die Arbeit leichter. Ein Beispiel: einem Plattenladen in Brasilien kann ich zig Mails schicken, ob die nicht meine Platten verkaufen wollen – da kommt keine Antwort. Stehe ich dann aber persönlich im Laden mit einem Karton Platten, dann läuft das. Und dann bleibt man auch in Kontakt und sie kaufen weiterhin die Platten. Und so funktioniert das überall.

Du bist also so eine Art Handelsvertreter in eigener Sache.

So könnte man das sagen, haha. Ich bin wohl so eine Art Jetset-D.I.Y.-Plattenvertrieb.

Außerdem bist du auch ein recht gefragter DJ. Was legst du auf?[/b]

Sixties-Garage-Punk, klassischen Punkrock, Ska, Cumbia, Soul, R&B ... Ich sammle schon ewig Platten und kann für verschiedenste Bereiche ein Set anbieten. Ich lege natürlich nur Vinyl auf, bevorzugt in kleinen Clubs und Kneipen. Mein Lieblingsclub ist der Pacific Park in Amsterdam. Letztes Jahr war ich in Südamerika unterwegs auf einer kleinen DJ-Tour, und das habe ich eben verbunden mit dem Besuch von Plattenläden, um zu sehen, ob die nicht die Platten meines Labels anbieten können. Und außerdem knüpfte ich Kontakte, um dort Touren für meine Labelbands zu buchen.

Wie geht man mit einer Vinylsammlung auf DJ-Tour ...?

Ich hasse es, CDs aufzulegen, und Musik vom Computer zu spielen kann ich auch nicht leiden, ich sitze ja sowieso schon fast den ganzen Tag am Rechner, um Mails zu schreiben und zu beantworten. Also nehme ich Vinyl mit, ausschließlich Singles, und in in zwei Singlekoffern bekommt man schon ganz schön viel unter, das reicht locker für drei Stunden. Die Singleboxen füllen gerade mal die Hälfte meines Rucksacks. Außerdem habe ich auch immer zwei tragbare Plattenspieler dabei: das eine ist ein Columbia GP-3 aus Japan, der sogar auf dem Kopf stehend funktioniert.

Gab es einen bestimmten Punkt in deinem Leben, wo du festgestellt hast, dass das Leben an einem Ort langweilig ist und dass du stattdessen Dauerreisender sein willst?

Ja, das war, als ich das erste Mal eine Band auf Tour begleitete. Das war 1995 die US-Tour von SCARED OF CHAKA und dann kam 1997 die Europatour, auf der wir uns auch das erste Mal getroffen haben. Die Show, die du damals mit der Band veranstaltet hast, war übrigens die erste auf dieser Tour! Das lief ja noch fast alles per Fax und Telefon, eMail kannte man damals eigentlich noch nicht, wobei du und ich damals schon Mailadressen hatten, wenn ich mich recht erinnere. Ich hatte damals ja sogar Computertechnik studiert – und abgebrochen ... Diese Europatour führte mir vor Augen, wie langweilig es ist, zu Hause zu bleiben, und außerdem hatte ich die Schnauze voll von den USA, Europa gefiel mir viel besser. Ein paar Jahre später zog ich dann sogar nach Italien, nach Neapel. Nach vier Jahren zog ich nach Amsterdam, dann nach einem Jahr nach Spanien, lebte dort anderthalb Jahre und ging anschließend wieder nach Amsterdam.

Gibt es einen Ort, den du als „mein Zuhause“ bezeichnen würdest?

Ja, ein paar! Auf jeden Fall aber Reno. Ich komme ursprünglich aus einem kleinen Ort im Bundesstaat New York, da lebte ich, bis ich acht war. Dann zogen wir nach Nevada, und mit zehn zog ich nach Reno und lebte dort bis zu meinem 26. Lebensjahr. Reno ist also meine Heimatstadt.

Es gibt, wenn man so will, zwei Pete Menchetti: der eine macht das Label Slovenly – früher 702 Records – und ist als DJ und mit Bands unterwegs, und der andere ist der „Stickerguy“, der Chef jener Firma, die seit zwei Jahrzehnten gefühlt jede Band und jedes Label in den USA mit Aufklebern versorgt.

Die Aufkleberfirma war zuerst da, Anfang der Neunziger. Das Label kam ein Jahr später. Ich hatte mit dem Stickergeschäft etwas Geld verdient und so gründete ich das Label. Das Aufkleberdrucken hat was mit Punkrock zu tun, jedes Label und jede Band hat welche. Das ist unser Kundenkreis und wir nehmen bewusst keine Aufträge von Majorlabels oder irgendwelchen großen Firmen an. Wir sind eine kleine Firma, wir arbeiten für die Kleinen. Wir haben tausende kleiner Kunden, nicht zehn große. Das sind Bands, Labels, Skateshops, Plattenläden, Tattooshops, kleine Cafés ... Kleine Indiefirmen eben.

Bis vor ein paar Jahren war es noch schwer für kleine Firmen, günstig kleine Auflagen Aufkleber drucken zu lassen, da kam man an einer Firma wie Stickerguy kaum vorbei. Mittlerweile gibt es online überall Billiganbieter – wie überlebt man gegen so eine Konkurrenz?

Als Stickerguy 1993 den Betrieb aufnahm, waren wir die ersten zehn Jahre fast konkurrenzlos. Wir inserierten in Fanzines wie Maximumrocknroll und Flipside und später Razorcake, und so kamen wir an unsere Kunden – jeder in der Szene kennt seitdem Stickerguy. Das ist bis heute so, egal wohin ich in den USA komme: Ich drücke jemandem einen Stickerguy-Aufkleber in die Hand und bekomme zu hören: „Bei euch habe ich auch schon drucken lassen!“ Sogar in Malaysia und Äthiopien habe ich schon Leute getroffen, die mal bei mir bestellt haben, hahaha. Heute gibt es zig Firmen, die unser Geschäftsmodell kopiert haben, was in gewisser Weise schmeichelhaft ist, aber trotz der gewachsenen Konkurrenz sind wir heute immer noch gut im Geschäft. Wir sind einfach billig, und wir bekommen gute Bewertungen. Was nervt, sind jene Kunden, die beim Bestellen zwar genau lesen können, dass es drei bis vier Wochen dauert, bis wir liefern, und die einen hinterher dann wegen angeblich langer Lieferzeit nur neutral bewerten.

Wie schafft man es, mit einer Firma selbständig zu sein und trotzdem ständig zu reisen?

Ich drucke die Aufkleber ja nicht selbst, das machen meine Leute in Reno. Ich bin für die Koordinierung der Aufträge zuständig, und das kann ich von überall dort aus tun, wo ich Internetverbindung habe. Ich habe meinen Job schon aus dem Tourbus erledigt, über Smartphone, irgendwo im Niemandsland von Uruguay.

Dein erstes Label war 702 Records, später wurde der Name zu Slovenly geändert. Wie ging das los?

Wie schon gesagt ging das los, als ich das erste Mal im Leben mehr als 1.000 Dollar auf dem Konto hatte. Ich war zwanzig, wusste nicht, was ich mit so viel Geld anfangen sollte, und weil ich damals in Reno Konzerte veranstaltete – im Keller meines Hauses –, lernte ich viele Bands kennen, und eine sagte, sie habe Aufnahmen, wolle eine 7“ machen, habe aber kein Geld ... und da kam ich ins Spiel. Anfangs machte ich viele Platten von Bands von Freunden, einfach so als Gefallen, selbst wenn mir die Band nicht zu 100% zusagte. Das war so von 1994 bis 2000. Dann beschloss ich, meine Strategie zu ändern, aus meiner Erfahrung als Sammler und Fan von Labels wie Crypt, In The Red oder Estrus heraus. Das waren Labels, bei denen ich blind jeden Release kaufen konnte. Und so ein Label wollte ich auch machen, einfach etwas fokussierter. Und das war der Beginn von Slovenly Records.

Das Labelgeschäft hat sich seit der Jahrtausendwende stark geändert, die Verkäufe sind generell stark zurückgegangen, vor allem bei CDs, und viele Leute konsumieren nur noch per Stream. Wie schlägt sich da ein vor allem auf Vinyl konzentriertes Label wie Slovenly?

Ich habe CDs schon immer als notwendiges Übel angesehen, ich hasse CDs. Aber viele Bands wollten und wollen eben CDs, weil sie praktisch sind. Dass die heute eigentlich keiner mehr kauft, stimmt mich also nicht traurig. Das Plattengeschäft hat sich in den letzten zwanzig Jahren stark verändert, jedes Jahr ändert sich was, man muss sich ständig neu orientieren. Das kann echt ermüdend sein, denn eigentlich will ich doch nur coole Platten veröffentlichen und meine Bands glücklich machen. Aber es ist eben ein anhaltender Lernprozess. Die neueste Entwicklung ist, dass Cassetten wieder gefragt sind und die Downloads zurückgehen, weil mehr gestreamt wird. Verrückt ... Und was den Vinylboom betrifft: ja, schön, freut mich, aber für ein Label wie Slovenly, das immer schon Vinyl gemacht hat, ist es heute schwerer geworden, weil die Presswerke alle ausgelastet sind. Bekam man früher seine Platten nach ein oder zwei Monaten, dauert es jetzt vier oder fünf, weil die Majors Scheiße wie NIRVANA und LED ZEPPELIN pressen lassen. Und teurer sind die Presswerke auch geworden. In den USA ist das genauso wie in Europa, ich presse auf beiden Kontinenten, je nachdem, woher die Band kommt.

Apropos Bands: Was begeistert dich derzeit so, dass du es veröffentlichen musst?

Zum Beispiel ACID BABY JESUS aus Athen. Die machen meisterlichen Psychedelic-Garage-Rock’n’Roll. Das ist für mich eine der besten Platten der letzten Jahre. Oder USELESS EATERS, von denen ich eine Zusammenstellung von Singles aus den letzten Jahren veröffentlicht habe. Die sind definitiv in meiner Lieblingsband-Top-5-Liste. Richtig gut sind auch BLIND SHAKE aus Minneapolis. Das sind drei kahlköpfige Freaks, die richtig guten Mathrock-Punk spielen. Die muss man unbedingt mal live sehen!

Was muss eine Band haben, damit sie dich so sehr fasziniert, dass du sie auf deinem Label haben willst?

Das ist schwer zu sagen ... Irgendwie muss eine Band einzigartig sein, besonders. Ich mag zum Beispiel die BLACK LIPS, aber ich mag keine Bands, die wie die BLACK LIPS klingen. Eine Band muss einfach ihren eigenen Sound haben – und wenn sie irgendwie seltsam ist, reizt mich das auch. Die Bands auf Slovenly haben alle einen anderen Stil, letztlich kann man sie aber doch alle unter „Punk“ einordnen. Slovenly ist eben ein Punklabel.

Man kann Slovenly auch nicht vorwerfen, irgendwelchen Trends zu folgen und Bands einer bestimmten Stilrichtung zu veröffentlichen, nur weil das gerade angesagt ist. Und das aggressive Marketing manch anderer Labels ist auch nicht deine Sache. Welche Prinzipien hast du?

Meine „Mission“ ist eigentlich nur, einer Band dabei zu helfen, irgendwie in der Lage zu sein, vielleicht von ihrer Musik zu leben. Denn machen wir uns nichts vor: Wenn du mit deiner Band richtig gute Musik machen willst, richtig gute Shows spielen, richtig gute Platten machen willst, dann ist das eben ein Vollzeitjob, und das muss bezahlt werden. Wenn du nebenher noch irgendeinen Job machen musst, hast du aber nicht die Energie, die es braucht, um dich als Band weiterzubringen.

Wie viele Menschen sind außer dir bei Slovenly involviert?

Ich habe mein Büro in Amsterdam oder wo immer ich gerade bin. Dann gibt es Joe und Christine Almeida, die sich von ihrem Büro in Pennsylvania aus um Slovenly kümmern. In Berlin sitzt Oihane, und in Tokio hilft mir Rin Ishioka. Wir fünf sind alle von guter Musik besessen, und die wichtigste Voraussetzung, um eine Band zu veröffentlichen, ist, dass wir sie lieben.

Beinahe haben wir vergessen, dass du ja nicht nur Platten veröffentlichst, sondern auch Touren buchst.

Ja, ich buche schon lange Touren in Europa und Asien, und seit neuestem auch in Südamerika. Ich bin dann auch meistens mit den Bands unterwegs als Tourmanager. 2012 etwa war ich mit THEE OOPS aus Sardinien in China, Südkorea und Japan unterwegs. 2013 ging es mit den SUBSONICS nach Japan und Australien, und zuletzt war ich Anfang 2015 in Chile, Argentinien, Brasilien und Uruguay mit THE ANOMALYS unterwegs. Mit meinen Bands neue Länder zu erkunden, ist eine meiner Leidenschaften. Der „Trick“ ist, dass ich eigentlich überall, wo ich dann mit einer Band auf Tour hinkomme, vorher schon mal allein war, um die richtigen Leute zu treffen. Das macht die Sache sehr viel einfacher.

So spannend das alles klingt: Hast du dir schon mal über deinen CO2-Fußabdruck Gedanken gemacht? Du dürftest doch jedes Jahr zigtausende Flugmeilen ansammeln.

Oh ja, da denke ich auf jeden Fall dran. Ja, ich fliege eine Menge, andererseits haben – zumindest hier in den USA – alle meine Mitmenschen ein Auto und legen wirklich jede Strecke mit dem Auto zurück. Ich aber habe seit zwanzig Jahren kein Auto mehr besessen, und wenn ich es mit einer Rechtfertigung meines Lebensstils versuchen muss, kann ich nur das anbringen. Man könnte mein Tun natürlich auch noch auf ein politisches Level bringen: Musik bringt Menschen zusammen und kann so vielleicht Kriege verhindern. Wenn Menschen sich mehr für Punkrock interessieren, ist Gott oder Jesus oder Allah oder was auch immer weniger wichtig für sie und das verhindert vielleicht Gewalt und Krieg.