ROGER HASS

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Ein schlimmer Finger aus Berlin

Berlin-Reinickendorf, Achtziger Jahre. Der grüne Randbezirk im Norden, nahezu durch und durch bürgerlich, korrespondierte mit der These der Düsseldorfer Punk-Bewegung, dass nicht die Unterschicht den Punk auf die hiesigen Straßen bringt, sondern eher die Söhne und Töchter mitunter recht gut situierter Familien. Neben den legendären SUURBIERS, DISASTER AREA und Farin Urlaub waren es auch DIE SCHLIMMEN FINGER, die aufhorchen ließen und 1984/85 ziemlich durchstarteten. Wir trafen Sänger und Gitarrist Roger Haß (Jahrgang 1962) zum Reden über die vermeintlich gute alte Zeit, aber auch, weil er noch heute im Musikgeschäft tätig ist und sein Blick somit vielschichtig.

1981 ging es los mit DIE SCHLIMMEN FINGER, 1984 seid ihr durchgestartet, viele Gigs in Berlin, Split-Single mit DISASTER AREA ... An wem habt ihr euch orientiert, und warum ging es in die Fun-Punk-Ecke?


Das war Zufall. Ich hatte in der Schule eine Band gehabt, die hieß FKZ, das war die Abkürzung für „Frauen und Kinder zuerst“, da fing ich mit deutschen Texten an. Aber während ich mehr Punkrock machen wollte, waren die anderen Jungs auf der Deutschrockwelle. Ich lernte dann Leute kennen von C&A, also „Chaos und Aufruhr“, aus denen dann später DISASTER AREA entstanden. Und Markus, der Gitarrist von C&A, der hat mit mir dann DIE SCHLIMMEN FINGER gegründet, die zu Beginn aber auch anders, nämlich D. MARKS hießen. Markus ging dann von der Gitarre an die Drums und dann suchten wir weitere Mitstreiter. Wir hatten Tom, der jetzt noch Musik macht mit den BAD BRIANS, der spielte bei uns Gitarre, und Martin, der später nach Hamburg ging, der großen Liebe wegen, übernahm den Bass.

Wie kamst du einst zum Punk? War es der Spaß an lauter, unkonventioneller Musik, oder steckte da wirklich eine Utopie im Hinterkopf, hier alles irgendwie doch verändern zu wollen?

Die normalen Rockbands wurden immer pompöser, es wurde immer übersättigter, mit Streichern, einfach aufgeblasen. Durch die zwei Zeitschriften, die man noch lesen konnte, also Musikexpress und Sounds, habe ich zuerst irgendwann nicht so harte Punkbands gehört, wie DOCTORS OF MADNESS. Die erste ULTRAVOX-LP entdeckte ich und THE JAM und THE CLASH. Bei mir fing es 1977/78 richtig an, da kamen aus Amerika DEVO, die ich im Kant Kino gesehen habe, und natürlich BLONDIE. SIOUXSIE AND THE BANSHEES sah ich 1981 in der Neuen Welt, und ich hatte sogar eine Karte für die SEX PISTOLS, aber die hatten sich vor der Tour ja aufgelöst.1981 gründeten wir DIE SCHLIMMEN FINGER und Markus und ich waren echt auf tausenden von Konzerten. Die Preise waren ja auch anders und es ging uns in erster Linie ums Treffen und dabei hat man dann musikalisch eine Menge Sachen entdeckt. Aber konkreter zur Frage, ich bin schon eher links und hatte schon den Ansatz, etwas zu machen, zu ändern, das war vielleicht auch ein bisschen naiv. Speziell bei den Fingern hatten wir ja lustige, ironische Texte. Aber bei der ersten Band in der Schule, da war mein erster Text: „Industrienation, Isolation in Beton, keine Kommunikation“ so was in der Art, haha. Es gab auch unheimlich viele Demos zu der Zeit.

Am 2. März 1985 habt ihr in St. Gallen in der Grabenhalle gespielt, wovon es auch ein Kaufkassetten-Tape gab. War das eine richtige Tour, wie lief das alles ab?

Wir hatten keinen, der uns in den Arsch trat, wir hatten niemanden der, wie bei DIE TOTEN HOSEN, was für dich gemacht hat. Klar, in Berlin wurden wir oft gefragt: „Hey wollt ihr spielen?“ Oder wenn DISASTER AREA spielten, nahmen die uns mit. Wir haben uns da selbst nie drum gekümmert. Die Schweizer Band DER BÖSE BUB EUGEN hatten einen Gig im Knox, einem kleinen Club am S-Bahnhof Tiergarten und der Booker des Ladens fragte uns, ob wir denen unsere Backline borgen würden. Im Zuge dessen gaben wir ihnen einige Demos von uns mit, die diese dann im Lande verteilten, woraufhin wir Angebote aus St. Gallen, Basel oder Genf bekamen. Das war spannend, denn auf den Tapes stand ja nur die Telefonnummer meiner Eltern drauf, haha. Und St. Gallen war unser erster Auftritt außerhalb Berlins, hier spielten wir ja ständig, auch mit ABSTÜRZENDE BRIEFTAUBEN im Blockschock oder so. In St. Gallen waren auch über 1.000 Leute bei unserem Auftritt. Okay, in Berlin spielten wir auch vor solche Mengen, aber da waren wir eben an dem jeweiligen Abend eine unter mehreren Bands. Aber in St. Gallen, da waren wir echt überrascht. Da hingen dann riesige Plakate von uns, mit einem tanzenden Iro-Punk drauf. Wir hatten eine österreichische Vorband namens SEX AND THE BRAIN mit Sängerin, und wir hatten da das erste Radiointerview. Ich war ja eigentlich total krank an dem Tag, mein Gesang war nicht besonders. Zunächst wollten die sogar eine Live-LP davon machen, aber ich stand auf der Bühne mit zwei Rollen Klopapier und Chinaöl und war froh, es irgendwie überhaupt hingekriegt zu haben. Einige besoffene österreichische Punks kamen anschließend und meinten: „Ihr seid ja geiler als DIE TOTEN HOSEN!“ Das Geile ist, dass ich kürzlich im Internet einen Beitrag über die Geschichte der Grabenhalle fand, wo einer schrieb: „Irgendwann 1985 mussten die Ausländer wieder ran, DIE SCHLIMMEN FINGER aus Berlin, das war die Geburtsstunde des Fun-Punks in der Ost-Schweiz.“ Apropos Fun-Punk, der Sänger der SUURBIERS, Micha Wahler, der ja leider tot ist, wollte auch mal mit mir in einer Band spielen, aber da wir ja beide Sänger waren, ist daraus nichts geworden.

Die Sache mit den Kassetten lebt ja wieder auf. Früher hast ja selber welche veröffentlicht. Wie stehst du dazu, dass dies wieder Mode wird, obwohl man ja meinen könnte, dass inzwischen die Hardware dafür fehlt ...

In Indien gibt es ja den Kassettenmarkt noch. Ganz früher war das geil, weil du dir ein Studio fürs Recording nicht leisten konntest. Meinen Kassetten-Sampler „Schubdidu“ habe ich hier im Keller mit den Bands entweder selbst aufgenommen oder eben schon das fertige Lied von denen bekommen. Ich verkaufte und verschenkte den, bis alle Exemplare weg waren. Es gibt eine Internetseite, wo ein Typ alle alten Sampler digitalisiert hat und auf der du so was jetzt runterladen kannst. Das sind schon schöne Erinnerungen, ein Zeitdokument und du konntest so was machen, ohne großartige Kosten zu haben.

1991 brachte Ox-Kollege Kalle Stille ja mal eine EP von euch heraus. Potenzial war also da, bereust du das recht frühe Ende der Band? Was wäre da noch drin gewesen?

Ja, auf jeden Fall. Mein Traum wäre gewesen, dass unsere erste Besetzung zusammengeblieben wäre. Aber es war eine superschöne Zeit.

Es gibt ja wieder eine Band, die unter eurem Namen firmiert. Ist so was nicht respektlos, oder siehst du das eher belustigt?

Das ist eine relativ junge Band, die sich einfach nur den Namen ausgedacht hat. Es ist eben ein schöner Name, haha. Wenn es uns noch geben würde, könnte man da sicher mal anrufen.

Als dann die Gitarren in die Ecke gestellt wurden, hast du direkt in der Musikbranche weitergemacht. Was genau hast du nach dem Ende der Finger gemacht?

Na ja, reingerutscht in die Konzertveranstaltungsszene bin ich damals durch Monika Döring, die im Loft am Nollendorfplatz das Booking gemacht hat und den Club leitete. Und sie holte Bands wie NIRVANA oder TOY DOLLS, und die zu diesem Zeitpunkt auch oft noch unbekannt waren. Ich jobbte da, denn wenn du studierst und eine Band hast, kannst du ja nicht irgendwo von acht bis sechzehn Uhr arbeiten gehen und brauchst etwas, das du nachts machen kannst. Da war dann alles dabei, Auf- und Abbau, Security, Plakate kleben ... Und in der Zeit habe ich auch relativ viele Konzerte angeschaut. Das war vor dem Fall der Mauer so, dass du in Kreuzberg und Schöneberg die meisten Clubs gehabt hast, wo du hingegen konntest, also Blockschock, K.O.B, das Stonz, teilweise auch Jugendclubs wie das Drugstore an der „Potse“, wo Punk-Konzerte stattfanden, und dann gab es noch das Quartier Latin oder das KZ36. Sogar in Charlottenburg gab es besetzte Häuser. Ich erinnere mich noch an einen Hinterhof, Crash hieß das, dort waren ehemalige Garagen und ansonsten freies Gelände, und in einer großen Garage spielten live Punkbands, und eine der kleineren Garagen war komplett voll mit leeren Hansa-Pils-Dosen, haha. Da fingen auch Bands an wie BETON COMBO, aber die spielten da, als sie noch richtig schlecht waren. Aber es machte Spaß, du trafst Kumpels, trankst billiges Bier und nebenher sahst du noch eine Band, schon komisch für einen solchen Bezirk wie Charlottenburg, haha. Ich studierte ja damals Politik, machte alle Scheine, aber halt nicht das Diplom. Und irgendwann hatte ich dann die technische Leitung für die Konzerte im Loft. Später gab es eine Firma namens Downtown, wo ich dann alles richtig lernte. Da habe ich mich um das ROLLING STONES-Konzert im Olympiastadion gekümmert und so weiter. Zu der Zeit gab es in diesem Bereich noch kein richtiges Berufsbild. Erst seit 1998 gibt es die Ausbildung zur Veranstaltungskauffrau oder zum Veranstaltungstechniker. Ich machte meinen Meister, was deshalb ging, weil man anerkennen lassen konnte, wenn man zuvor fünf Jahre in diesem Bereich gearbeitet hatte. Das mussten dann einige Firmen unterschreiben, aber ich war ja da auch schon zwölf Jahre lang dabei. Seit 2010 kümmere ich mich nun um die technische Leitung der Columbiahalle.

Was sind die größten Auffälligkeiten zwischen dem Damals und Heute? Ein größeres Zuschaueraufkommen, ein besserer Sound, höherer Eintritt?

Heutzutage ist es einfacher, Musik zu machen und etwas zu veröffentlichen, aber es ist schwerer, dies zu finanzieren und davon zu leben. Das Internet hat gute und schlechte Seiten, es ist auch zu einer Übersättigung gekommen, du kannst an jeder Ecke, zu jeder Zeit auf Musik zugreifen, das ist ein Overkill. Wenn wir uns früher eine Vinylplatte kauften, fieberten wir der schon entgegen. Auch bei den Konzerten, auch wenn die bisweilen sehr teuer sind, hat man so extrem viele Bands, die verfügbar sind. Viele wollen heute von der Musik leben, früher trat man auf aus Spaß oder um die Platte zu promoten. Für kleine Bands ist es schwieriger geworden, weil die Clubs natürlich Umsatz machen wollen. Der Club lebt ja nicht direkt vom Eintritt, sondern eben vom Getränkeverkauf, aber er nimmt dann auch lieber bekanntere Bands, weil er weiß, die haben noch immer genügend Anhänger.

Das Interesse an Konzerten, auch im größeren Rahmen, nimmt zu. Geht damit nicht die Gefahr einher, dass es quasi keinen echten Underground mehr gibt und alles bald auf dem Reißbrett geplant wird?

Na ja, viele Sachen entstehen ja auf dem Reißbrett, das fängt schon bei den Casting-Shows an. Den Untergrund kann es immer geben, es kommt eben auf das Verhalten der Leute an. Ende der Siebziger gab es das ja schon mal, dass die Leute gierig auf was Neues waren. Das war das Coole am Punk, dass du selber Musik machen konntest, ohne vorher zehn Jahre Gitarre geübt zu haben. Und es kam ja auch viel Gutes dabei heraus, die Bands wurden durch das viele Spielen immer besser. Hör dir mal ZK an. Oder nimm den „Into The Future“-Sampler, da denkt man auch, das klingt aber schräg. Aber das war nicht so wichtig, da ging es um das Machen, das Konzerterlebnis. Ich glaube schon, dass es heute ein Überangebot gibt, aber man kann sich immer noch was raussuchen, es gibt durchaus noch eine Nische.

Im Gegensatz zu Fun-Punk scheint es heute normal, deutsch zu singen und sich politisch deutlich zu positionieren. Bei dir hing mal früher ein „Gegen Gegen“-T-Shirt auf der Wäscheleine. Wie siehst du die stetige Politisierung im Punk und in unserer Gesellschaft?

Ich finde nicht, dass es zunimmt, es ist eigentlich weniger geworden. Das grundsätzliche Problem in Deutschland, und das gibt es schon sehr lange, ist, dass die Leute, die Veränderungen wollen, teilweise gegeneinander arbeiten. Bei der Antifa gibt es gute Leute, aber es gibt auch total dogmatische, intolerante Leute. Anstatt zusammenzuhalten, geht es ins Klein-Klein. Es gibt auch total viele Punks, die eigentlich Spießer sind, oder andere Punks, die schlichtweg keine Punks sind, sondern Alkoholiker. Die Leute, die eigentlich was Gutes wollen, reiben sich untereinander auf, so wie früher mit diesen kleinen linken Splitterparteien, zusammen hätten die damals bereits ihre 10% gehabt. Jeder hat seine eigene Persönlichkeit und sein eigenen Erfahrungen, die er im Leben gemacht hat. Das Problem sind die dogmatischen Leute, die nichts anderes als ihres zulassen, ob extreme Islamisten oder auch extremen Christen.