KYLESA

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Songs from the zone

Gerade mal zwei Jahre sind seit „Ultraviolet“ vergangen, dem letzten Album der 2001 in Savannah, Georgia gegründeten Band. Mit „Exhausting Fire“ haben Phillip Cope (voc, git) und Laura Pleasants (voc, git) – eindeutig die kreativen Köpfe von KYLESA – nun einen beeindruckenden Nachfolger eingespielt, der den mit „Ultraviolet“ eingeschlagenen Kurs weiter verfolgt. Psychedelic, Wave/Goth, Punk, Sludge, Doom und Metal werden zu einem komplexen Ganzen verwoben, das durch seine kompakte Eingängigkeit besticht. Ich sprach zuerst mit Laura, dann mit Phil.

Laura, erreiche ich dich irgendwo auf Tour? Gefühlt seid ihr ja ständig unterwegs.


Nein, ich bin zu Hause, und ehrlich gesagt war ich seit langem schon nicht mehr so lange am Stück daheim – seit letztem September. Mir ist es aber nicht langweilig geworden, irgendwas war immer, etwa das Songwriting und die Aufnahmen für dieses Album. Und abgesehen davon ... habe ich mein Haus renoviert, zusammen mit meinem Freund. Das war eine Menge Arbeit, etwa das Badezimmer – die ganzen Fliesen habe ich neu verlegt. Die Wände und Decken haben wir neu gemacht, alles neu gestrichen, da waren also mal ganz andere Fähigkeiten gefragt. Zwar war das auch alles Handarbeit, aber doch was anderes als Gitarrespielen.

Hast du deine Finger versichert? So was gibt es ja für Musiker.

Hahahaha, nein! Weder Finger noch Hände noch andere Teile meines Körpers sind versichert. Hätte ich das, hätte ich sicher keine Renovierungsarbeiten selbst ausführen dürfen.

Ich finde ja, dass stupide Arbeiten an Haus oder Garten sich sehr gut dafür eignen, die Gedanken schweifen zu lassen und auf neue Ideen zu kommen. Wie ist das bei dir?

Die Platte war schon fertig, als wir mit der Renovierung begannen. Aber grundsätzlich sind solche „No-brainer-Aktivitäten“ wie Hausstreichen schon sehr gut geeignet, um sich Gedanken über neue Projekte zu machen. Letzten Herbst habe ich einem Freund das Haus gestrichen, ich brauchte einen Nebenjob, und damals stand das Songwriting für das Album an. Ich hatte also viel Zeit, mir wieder und wieder unsere Demos anzuhören, und man kann sich wirklich bestens Gedanken machen, während man so eine Wand streicht.

Brauchst du eine bestimmte Umgebung, um kreativ zu sein, hast du bestimmte Rituale?

Oh ja, da bin ich sehr eigen. Ich brauche dafür mein „Nest“, ich muss mich wohlfühlen und meine Ruhe haben. Nur dann kann ich an neuen Songs arbeiten. Und ich muss in der richtigen Stimmung sein, darf mich nicht von Alltagsdingen stören lassen. Wenn ich mir Gedanken darüber machen muss, wie ich meine Rechnung zahlen kann, oder weiß, dass ich noch einkaufen gehen muss, dann komme ich nicht in die richtige Stimmung. Unglücklicherweise muss man diese störenden Aktivitäten aber ja irgendwann tun, und so reserviere ich mir bestimmte Zeiten am Tag für diese kreativen Stunden. In denen setze ich mich dann in mein Zimmer, spiele Gitarre, nehme Songideen auf, höre Musik – das geht nur in „the zone“. Ich brauche eine bestimme Lichtstimmung, es muss gemütlich sein, ich mache Räucherstäbchen und Kerzen an.

... und du hast eine Katze auf deinem Schoß.

Leider nein, ich bin allergisch. Ich mag Katzen, aber muss ständig niesen, wenn eine in meiner Nähe ist.

Störungen nerven in solchen Situationen. Signalisierst du das deinem Freund?

Wenn ich da so sitze und Gitarre spiele oder am Computer bin und er mich anspricht, merke ich das oft gar nicht, so vertieft bin ich in das, was ich da gerade mache. Und ich mache dann auch deutlich, dass ich nicht gestört werden will. Das führte dazu, dass ich während der Zeit, als wir das Album schrieben, auch meinen Untermieter mal für ein paar Stunden rausgeschmissen habe, weil mich irritierte, dass noch jemand im Haus war. Ich brauchte einfach ein paar ungestörte Stunden.

Das Verständnis dafür, dass dieses „Rumsitzen“ tatsächlich harte, kreative Arbeit ist, bringt nicht jeder auf.

Mein Vater hat mir auch mal diese Frage gestellt. Der ist ein Geschäftsmann alter Schule aus dem Süden und hat mit Kunst und Musik nichts am Hut. Wir sind so verschieden, dass es echt bizarr ist, dass der Mann mein Vater ist – nicht ohne Grund hat er mal zu mir gesagt: „Du bist die Tochter deiner Mutter.“ Wir unterhielten uns also darüber, was ich gerade mache, ich erzählte vom Songwriting, und er wollte wissen, ob ich mich dafür in einen bestimmten Zustand versetzen müsse. Und so erzählte ich ihm dann, was ich dir gerade beschrieben habe. Ich muss mich also bewusst in einen bestimmten Gefühlszustand versetzen, ich brauche dieses Gefühl von Ruhe, erst dann kommt auch diese gewisse Energie, innerer Frieden, die Fähigkeit, die Gedanken zu fokussieren. Um kreativ sein zu können, muss ich viel Zeit alleine verbringen. Mein Vater fand meine Ausführungen faszinierend, weil er überhaupt nicht so funktioniert. Mein Bruder ist wie er, er stellt die gleichen Fragen. Der hat Angst, ich würde zu einem totalen Einsiedler, nur weil ich mich eine Weile nicht bei ihm melde und in meinem Zimmer sitze und Gitarre spiele. Ich habe nur gelacht und gesagt, dass er sich keine Sorgen um mich machen braucht. Wobei ich manchmal, glaube ich, nach so einer „Session“ schon etwas komisch bin. Wenn ich dann ausgehe, bekomme ich schon mit, dass ich manche Menschen verstöre mit meinem Verhalten. Und dann gehe ich eben nach Hause.

Beim Vorgängeralbum „Ultaviolet“ und auch bei „Exhausting Fire“ fällt auf, dass du deine Stimme variabler einsetzt als früher. Wie kam das?

Ich habe einfach festgestellt, dass wir als Bandkollektiv den Gesang betreffend steigerungsfähig sind. Angesichts des Genres, in dem wir mit unserer Musik zu Hause sind, fand ich es immer angemessen, entsprechend brutal zu singen oder schreien. Dafür habe ich mir eine ordentliche Ladung Whiskey reingehauen und wenn ich dann ausreichend viel rumgeschrien hatte, war meine Stimme irgendwann richtig „eingespielt“, also schön rauh und kaputt – da klang sie am besten. Aber mit der Zeit wurde mir diese Routine langweilig, und ich merkte, dass ich daran etwas ändern will. Ich fand den Gedanken interessant, unseren heavy Gitarrenriffs eine eher leichte, melodiöse Stimme entgegenzusetzen. Zudem habe ich in der Vergangenheit versucht, meine Weiblichkeit hinter diesem lauten Brüllgesang zu verstecken. Und so entschloss ich mich, künftig meine weibliche Stimme gezielt einzusetzen. Wenn ich so singen könnte wie der Typ von BOLT THROWER, dann würde ich das tun, aber ich bekomme das rein körperlich nicht hin, also bemühe ich mich gar nicht erst. Stattdessen habe ich mich in der jüngeren Vergangenheit darauf konzentriert, mehr mit dem zu arbeiten, was ich habe, und es zu meinem und dem Vorteil der Band einzusetzen. Außerdem sind wir in der glücklichen Situation, mit Phil einen weiteren Sänger mit einer markanten Stimme in der Band zu haben, und beide Gesangsstile passen gut zusammen. Zwei Leute, die schreien, brauchen wir gar nicht. Und deshalb war es mir wichtig, für die neue Platte stark an meinem Gesang zu arbeiten, wobei der natürlich zur Musik passen muss. Denn egal wie Musik oder Gesang letztlich sind, sie müssen zusammenpassen.

Die Veränderung, die mit dem letzten Album eingetreten ist, setzt sich beim neuen fort: mehr Psychedelic, mehr Goth, mehr Abwechslung.

Phil hat begonnen, sich sehr für heavy Synthiesounds und vielfache Klangschichten zu interessieren, und das hört man genauso raus wie meine Vorliebe für alte Goth-Bands, also Musik aus dieser Übergangsphase von Punk und Goth, New Wave, Dark Wave, Death-Rock. Aus jener Zeit Ende der Siebziger, Anfang der Achtziger gibt es eine Menge cooler Bands mit Frauengesang. Zudem mag ich den Gitarrensound jener Zeit, etwa bei COCTEAU TWINS oder DEAD CAN DANCE – und natürlich THE CURE. Cleane Gitarre und viel Choruseffekt, darauf stehe ich. BAUHAUS liebe ich sehr, und wenn man sich die mal genauer anhört, merkt man an der Art des Gitarrenspiels, dass die viel Psychedelic gehört haben. Auch wenn sich Psychedelic Rock und früher Goth-Rock an sich deutlich unterscheiden, gibt es bei den Gitarrensounds große Ähnlichkeiten, etwa was den Einsatz von Delay betrifft, die viby Gitarrenlines – einerseits wirkt alles clean, andererseits ist doch Distortion im Spiel. Und es steckt jede Menge dunkler Energie darin.

Wie waren die Erfahrungen mit dem letzten Album? Waren die alten Fans bereit, die neuen Wege von KYLESA mitzugehen?

Eigentlich unterscheiden sich unsere Alben ja kaum voneinander. Manche Fans sind von Anfang an dabei, anderen kamen erst mit „Static Tensions“ oder „Spiral Shadow“ dazu – und manche entdeckten uns erst mit „Ultraviolet“, speziell mit dem Video zu „Unspoken“. Abgesehen davon haben wir Fans aus den verschiedensten musikalischen Lagern: Metalheads, Rocker, „normale“ Musikfans, manche kommen aus dem Indie-Sektor, andere stehen eher auf Psychedelic. Metal-Leute sind aber wohl in der Mehrzahl. Wenn man all denen jetzt die Frage stellen würde, was sie von uns erwarten, gäbe es wohl die verschiedensten Antworten. Die einen mögen die alten Sachen lieber, andere die neuen, und sowieso ist es bei vielen wie bei mir auch: Man entdeckt eine Band mit einer bestimmten Platte, verliebt sich in die, und dann kommt keine andere je an dieses Album heran. Es ist vielleicht nicht mal die beste Platte jener Band, aber es ist deine Lieblingsplatte. Sorgen machen würde ich mir, wenn alle nur eine Platte nennen würden. So deute ich das so, dass alle unserer Platten ihre Stärken haben.

Trotzdem hätten die „alten“ KYLESA jederzeit in eine Biker-Bar gepasst, wohingegen ein Teil der neuen Songs in so einer Umgebung eher unpassend wirken würde.

Da gebe ich dir absolut recht. Ich merke immer wieder, dass ich zwar sehr unterschiedliche Musikstile mag, und bei Phil ist das genauso, aber dass nicht alle anderen Menschen und gerade auch unsere Fans genauso ticken. Wobei ich aber doch denke, dass auch unsere Fans einen breit gefächerten Musikgeschmack haben. Warum ich das weiß? Weil ich mich oft mit unseren Fans über Musik unterhalte – neulich zum Beispiel über Dolly Parton. Und um auf deine Frage zurückzukommen: Wenn wir heute in einer Biker-Bar spielen würde, käme mir das sicher komisch vor, hahaha.

Was hat es mit dem Artwork des neuen Albums auf sich? Es sieht irgendwie ... anders aus. Soll das ein Medusenkopf sein?

Ja, es hat was von einem Medusenkopf. Es ist von Sean Beaudry. Wir haben uns lange mit ihm über unsere Vorstellungen vom Artwork unterhalten. Ich erzählte ihm, dass ich mich gerade sehr für den Mond interessiere, die Muster auf seiner Oberfläche, dass ich sehr von den Mondphasen und dem Vollmond beeinflusst bin, und dieses Jahr gab es schon vier Mondfinsternisse mit einem „Blutmond“. Ehrlich, bei Vollmond passiert immer wieder irgendwelcher komischer Scheiß in meinem Leben. Mein Leben wurde bei der Gelegenheit mal wieder völlig auf den Kopf gestellt, ohne jetzt ins Detail gehen zu wollen. Über all das sprach ich mit ihm, über die Gegensätze zwischen heiß und kalt, hell und dunkel, und er fragte mich, ob ich mal etwas über den Einfluss des Saturns in den alten Zivilisationen gelesen hätte, und daraus entstanden dann weitere Ideen. Außerdem unterhielten wir uns darüber, dass es beim Album um den Neuaufbau geht, in verschiedener Hinsicht, und so entwickelte er dieses Motiv mit einer Sonnengöttin, die sich in ein medusenhaftes Wesen verwandelt, das Leben wie Tod bringen kann. Auf dem Backcover sieht man passend dazu den Mond, und auf dem Textblatt ist ein Vogelkopf abgebildet, dem aus einem Auge ein Eigelb fließt. Es geht beim Artwork um die großen Themen Leben und Tod, den ewigen Zyklus, um Wärme und Kälte, um Wiedergeburt und Neuanfang.

Wie sehr wird die Band von dir und Phil bestimmt?

Phil und ich sind die einzigen Originalmitglieder, es gab eine Menge Line-up-Veränderungen, wobei Carl, unser einer Schlagzeuger, auch schon seit 2006 dabei ist. Die Band besteht also im Grunde aus Phil, mir und Carl. Würde Carl morgen sagen: „Ich bin raus“, dann wäre die Band tot.

Eine Zeit lang hatte man das Gefühl, als würdet ihr schon in Europa wohnen, so oft wart ihr auf Tour. Seit einer ganzen Weile habt ihr euch nun rar gemacht. Wann also ist es mal wieder soweit?

Ich weiß! Ich vermisse meine Freunde in Deutschland, und ich bin echt gerne da, besonders Berlin hat es mir angetan. Ich kann schon mal verraten, dass wir Anfang nächsten Jahres wieder zu euch kommen werden – dann, wenn das Wetter so richtig unschön ist, haha.

 


Phil, ich kenne das Album erst seit gestern, konnte es dreimal hören. Eine wirkliche Meinung zu einer Platte kann man sich aber ja erst mit etwas zeitlicher Distanz bilden. Wie also ist deine Meinung zu „Exhausting Fire“?

Eine gute Frage ... Nun, offensichtlich gefällt es mir, sonst würden wir es nicht veröffentlichen. Aber das sagt wohl jede Band, also lasse ich jetzt solche Sprüche à la „Das ist das Beste, was wir jemals gemacht haben“. Wir haben hart an dem Album gearbeitet, da steckt viel Herzblut drin, und hoffentlich gefällt es vielen Leuten. Der Maßstab ist, dass ich selbst Spaß daran habe, es mir anzuhören.

Was muss ein cooles Album für dich mitbringen?

Also alle bei KYLESA habe einen sehr breiten Musikgeschmack. Für mich ist der wichtigste Punkt, dass das Album gut klingt – es muss gut gemacht, gut aufgenommen sein. Ausnahmsweise mag ich auch mal irgendwelche „Kelleraufnahmen“, wenn die Energie gut eingefangen wurde. Ganz allgemein muss einfach die Energie stimmen, es muss Seele haben. Ob ein Album Seele hat, das kann ich immer sehr schnell entscheiden. Beim Aufnehmen einer Platte kann ich das leicht feststellen, ich merke und ich sehe das. Wenn ich unsere Platten aufnehme, lass ich einfach niemanden von der Band fort, bis ich dieses Gefühl habe. Jeder muss mit der nötigen Energie und Emotion zur Sache gehen. Es läuft bei mir nicht so, dass man da eben noch schnell was auf der Gitarre einspielt. Nein, wir gehen das ganz gezielt an, denn wie gesagt, die Energie muss stimmen, und da hat jeder von uns so seine Vorlieben. Laura etwa spielt ihre Sachen am liebsten bei Kerzenlicht ein, die Stimmung ist sehr wichtig. Und entsprechend höre ich mir Musik auch unter diesem Aspekt an. Ich mag Musik, die eine bestimmte Stimmung transportiert. Manche Bands nehmen ja zu Click-Tracks auf, aber das Ergebnis ist sehr steril. Doch wenn sie das brauchen, sollen sie das machen – solange sie textlich oder von der generellen Vision der Platte her die Kurve kriegen. Ein Album muss eben ausstrahlen, worum es der Band geht. Und eine Platte muss einen bestimmten Zweck, eine Richtung haben, sie darf nicht einfach aus zusammengewürfelten Teilen bestehen.

Wie entspannt oder gestresst seid ihr bei der Studioarbeit? Ich habe da keine Erfahrung, aber ich kann mir vorstellen, dass es, wenn du als Produzent von Laura wieder und wieder eine Gesangspassage neu forderst, durchaus zu Spannungen führen kann.

Oh ja, diese Situationen gibt es. Aber das ist ja bei jeder Band so, mit der ich arbeite. Doch egal, wie stressig das zwischenzeitlich ist, es endet immer so, dass die Musiker zufrieden sind und sich eingestehen, dass ich recht hatte. Ich kenne eben beide Seiten, bin Musiker und Produzent, weiß genau, wie es sich anfühlt, wenn man sich anspannt, weil man immer wieder eine Passage über Kopfhörer hören muss, und das in einer Umgebung, die nicht deine gewohnte ist. Da kann es manchmal hart sein, die nötige Energie aufzubringen, die es braucht. Deshalb bin ich vorsichtig im Umgang mit Musikern, pushe sie nicht zu sehr. Außer es ist nötig, weil es gut für den Song ist, denn wenn ich denke, dass jemand richtig wütend sein muss, damit der Song gut wird, dann fordere ich das auch heraus. Bei der Produktion von KYLESA-Platten bin ich natürlich immer noch etwas härter und kritischer als bei anderen Bands, wobei meine Bandkollegen auch von mir mehr verlangen – als Produzent wie auch Musiker. Und die sind natürlich im Umgang viel direkter, als sie es bei einem externen Produzenten wären, haha.

Bist du Perfektionist?

Ich wäre gerne einer, aber in der Realität – und das schließt KYLESA ein – ist das Budget einfach nicht groß genug, um alles perfekt zu machen. Wir leben ja nicht mehr in der Ära, als Bands endlos viel Zeit im Studio verbringen konnten. In der Regel produziere ich die Platten anderer Bands in fünf bis zehn Tagen, und da muss ich das Beste rausholen, was möglich ist. Das Problem ist, dass heute weder Labels noch Bands noch relevante Budgets für Aufnahme und Produktion haben. Gerade neue Bands gehen meist gar nicht mehr ins Studio, die nehmen im Proberaum auf. Unter der Situation, dass kein Geld mehr fürs Studio da ist, leiden vor allem Underground-Bands. Früher war eigentlich immer eine Woche Studio drin, sie konnten zumindest so viele Platten verkaufen, dass das Geld dafür wieder reinkam. Doch heute ist das kaum noch möglich.

Von was für einer Summe sprechen wir da? 10.000 Dollar für eine Woche im Studio und eine solide Aufnahme?

10.000? Also bei mir wäre das günstiger, denn ich kenne ja die Situation, wie wenig Geld zur Verfügung steht. Zum Glück sind KYLESA ja mein „Hauptjob“, das Produzieren mache ich nebenher und ich bin froh, wenn ich genug habe, um über die Runden zu kommen. Wenn ich Leuten erzähle, was da übrig bleibt, ist die Reaktion immer, dass ich doch viel mehr verdienen müsste. Ich antworte nur, dass ich mir aussuchen können will, mit welchen Bands ich arbeite. Wer wirklich darauf angewiesen ist, mit einem Studio sein Geld zu verdienen, hat es schwer – hier in den USA schließen viele Studios, gerade auch größere, bekannte. Es gibt zwar auch heute noch gute, bekannte Studios, aber die sind meist nichts als etwas glorifizierte Heimstudios. So ein klassisches Studio mit richtig gutem, altem Material, das findest du kaum noch. Ganz zu schweigen von welchen mit einem alten, erfahrenen Toningenieur. Viele junge Bands denken, sie könnten alles selbst aufnehmen, aber die kapieren nicht, dass man nicht für das Material, die Ausstattung bezahlt, sondern für die Erfahrung. Es kommt einfach darauf an, dass du jemanden hast, der das Equipment in- und auswendig kennt, der genau weiß, wie man damit umgehen muss, und wie man damit eine gute Platte macht. Es ist eben nicht einfach, eine gute Platte aufzunehmen, auch wenn die ganzen Hersteller von Homerecording-Ausstattung und -Software das gerne erzählen. Ich bin in der glücklichen Situation, dass ich mich nach Bedarf in ein gutes Studio einmieten kann und mir so keine Sorgen manchen muss, wie ich jeden Monat die Miete dafür reinholen kann.

Sprechen wir über das neue Album. Hattest du eine bestimmte Vision davon?

„Rebuilding“, Wiederaufbau, das war das grundlegende Thema, über das wir immer wieder sprachen, nachdem das Album zuvor das Thema Verlust behandelt hatte. Meine Vorstellung waren Songs, die wie eine Fortsetzung derer auf „Ultraviolet“ klingen, aber bei denen sich nach und nach die Atmosphäre ändert. Die Platte fängt düster an, durchläuft verschiedene Stimmungen und endet – zumindest nach KYLESA-Standards – verhältnismäßig positiv. Mir war also wichtig, dass die Alben aufeinander aufbauen, das eine eine Fortsetzung des vorherigen ist. Also so wie das Leben. „Ultraviolet“ war der Tiefpunk dieses Lebens, und „Exhausting Fire“ ist jetzt nicht gerade Partymusik, aber da steckt zumindest der Wille, die Kraft drin, es besser zu machen, so schwer es auch fällt.

Wie geplant sind eure Alben?

Wir blicken eigentlich nicht zurück, aber wir achten darauf, uns nicht zu wiederholen –textlich oder bei Gitarrenriffs. Deshalb höre ich mir vor neuen Aufnahmen die alten Platten noch mal der Reihe nach an, um wieder ein Gefühl für sie zu bekommen. Einerseits haben wir also einen gewissen Plan, eine Vorstellung, wie das Endresultat sein soll, andererseits ist vieles auch Zufall. Aber man muss auch einfach den Dingen ihren Lauf lassen, damit eine Weiterentwicklung stattfinden kann. Von der ersten Idee bis zur fertigen Platte ändert sich deshalb vieles. Der Mittelweg liegt zwischen Kontrolle und Chaos. Viel anstrengender finde ich, ein Album zu einem bestimmten Zeitpunkt fertig zu haben. Heutzutage ist es enorm wichtig, den Veröffentlichungstermin gut zu timen, und damit dann alles läuft, muss das Album frühzeitig fertig sein. Dieser Termindruck ist ganz schön stressig. Aber man muss dann auch einfach in der Lage sein, einen Strich zu ziehen und zu sagen, dass es jetzt gut ist, denn sonst arbeitet man ewig an einem Album.

Bist du mit „Exhausting Fire“ zufrieden?

Ja, auch wenn ich in einer perfekten Welt zwei Monate mehr Zeit für den Mix gehabt hätte. Wären mir unbegrenzt Geld und Zeit zur Verfügung gestanden, hätte ich ein noch besseres Album machen können. Aber irgendwann bin ich auch die einzige Person, die überhaupt noch einen Unterschied zwischen dem einen und dem anderen, noch besseren Mix eines Songs heraushört. So intensiv und kritisch wie der Engineer, der die Platte mixt, hört sich ja niemand ein Album an. Und irgendwann steht man dann auch kurz davor, wahnsinnig zu werden, wenn man ein winziges Detail hört, das sonst niemand wahrnimmt. Aber jedes Mal, wenn ich den Song höre, fällt mir das wieder auf und ich zermartere mir das Hirn, wo das Geräusch herkommt. Nach so einer Aufnahmesession brauche ich auch wirklich eine Woche, um wieder normal zu werden. Du nimmst alle Geräusche in deiner Umgebung ganz anders und sehr scharf wahr, weil dein Gehör so extrem darauf trainiert ist, Klänge getrennt zu hören. Du kommst aus dem Studio und alles hört sich so seltsam dreidimensional an, das ist krass. Und beim kleinsten Geräusch erschrickst du. Da hilft es dann nur, nach Hause zu gehen und erst mal zu schlafen.

 


Diskografie

Kylesa (CD/LP, Prank, 2002) • To Walk A Middle Curse (CD/LP, Prosthetic/Havoc, 2005) • Time Will Fuse Its Worth (CD/LP, Prosthetic/Havoc, 2006) • Static Tensions (CD/LP, Prosthetic/20 Buck Spin/La Familia, 2009) • Spiral Shadow (CD/LP, Season Of Mist/Relapse, 2010) •

Ultraviolet (CD/LP, Season Of Mist, 2013) • Exhausting Fire (CD/LP, Season Of Mist, 2015)