WOLFGANG „WÖLLI“ ROHDE

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Punk-Veteran und Kämpfer

Eigentlich war dieses Interview ganz anders geplant. Es sollte ein normales Gespräch mit jemandem werden, der den Punk im Land ausbrechen sah und der es mit einer Band aus der Szene bis in die Stadien geschafft hatte, ehe es zuletzt ruhig um ihn wurde. Eine kleine Retrospektive. Dann jedoch kam der Juni 2015. DIE TOTEN HOSEN traten bei Rock am Ring auf. Und Frontmann Campino sprach auf der Bühne erstmals öffentlich von der Krebserkrankung seines Kumpels Wolfgang „Wölli“ Rohde. Im Anschluss widmete die Band ihrem ehemaligen Schlagzeuger den Song „Steh auf, wenn du am Boden bist“. Die Medien berichten seitdem regelmäßig über den Sechzigjährigen und seinen Kampf gegen die Krankheit. Das Interview mit Wölli in dessen Garten in Meerbusch bei Düsseldorf drehte sich also plötzlich nicht mehr nur um die Musik.

Wölli, wie geht es dir?


Ich komme gerade aus der Klinik – und mir geht es gut. Ich habe nämlich die Chemotherapie vor ein paar Wochen gestoppt. Ich hatte keinen Bock mehr auf die Scheiße.

Wie lange dauerte die Therapie bisher?

Ach, das fing alles im Juni 2014 an. Da wurde Nierenkrebs diagnostiziert und ich wurde operiert: Die rechte Niere ganz raus, beide Nebennieren raus. Und von der linken Niere haben sie auch ein noch ein Drittel abgeschnitten. Wäre es nur dabei geblieben, wäre ich heute ein glücklicher Mensch. Aber leider hat der Krebs auf die Lunge gestreut – und an dieses Geschwür ranzukommen, ist wohl schwierig. Also haben es die Ärzte dann mit zwei Chemotherapien versucht. Die haben mich aber nur fertig gemacht.

Das berichten in der Tat viele Krebspatienten ...

Ja. Und das ist kein Wunder. Ich sage dir: Ich gebe heute nichts mehr auf Krankenhäuser und Ärzte! Wirklich. Ich hatte erst vergangene Woche eine Besprechung mit einem Klinikarzt. Er sagte zu mir ganz beiläufig: „Also, Herr Rohde, wir fangen dann morgen mal mit einer neuen Therapie an.“ Worauf ich antwortete: „Ich weiß nicht, was Sie morgen machen. Aber ich werde auf gar keinen Fall eine neue Therapie anfangen.“ Er war dann ein wenig entrüstet und druckste herum. Also legte ich nach und sagte ihm: „Sie sollten lieber mal die Schäden beseitigen, die Sie bei mir angerichtet haben. Ich muss alle vier, fünf Tage zu meinem Hausarzt und mir schmerzstillende Spritzen abholen, weil ich sonst nicht laufen kann. Das ist eindeutig eine Nachwirkung Ihrer Chemotherapie! Sie haben mich kaputt gemacht! Und jetzt machen Sie mich erst einmal wieder heile, ehe wir was Neues anfangen!“ Nein, das kann so nicht weitergehen. Ich bin wirklich total angepisst von der Schulmedizin. Das sind alles Wichser! Worauf haben die alle ihren Eid geschworen? Die sind nur darauf aus, dir das nächste Gift reinzuhauen.

Das sind deutliche Worte ...

Kannst du ruhig so schreiben! Von mir aus auch den Namen des Krankenhauses ... Die machen das alles ohne Rücksicht auf Verluste. Überleg mal: Ich habe während der Chemo im Monat Tabletten für umgerechnet 5.642 Euro gefressen. Ein halbes Jahr lang. Und das hat überhaupt nicht geholfen. Im Gegenteil: Die mussten mich während dieser Zeit mehrmals mit dem Notarztwagen abholen. Die mussten mich aus dem zweiten Stock meiner Wohnung, wo ich schlafe, runtertragen, weil ich keinen einzigen Schritt mehr gehen konnte. Es ging gar nix! Und dann fangen die an mit: „Ja, Herr Rohde, wir haben die Therapie ja jetzt mehrfach wegen eines Krankenhausaufenthaltes unterbrochen. Wir machen es noch mal von vorne.“ Dabei hätten die doch spätestens nach diesen Vorfällen wissen müssen, dass diese Medikamente nicht anschlagen. Bei solchen Nebenwirkungen! Ich sage dir: Das waren die schlimmsten Monate meines Lebens ... Ich lag im Bett, habe nix gegessen ... Und ich hatte so düstere Gedanken wie noch nie zuvor. Ich bekam Depressionen, bin eingeschlafen und habe kurz vorher gedacht: Wölli, du willst gar nicht mehr aufwachen. Da war mein Autounfall damals, im Jahr 2000, wegen dem ich das Schlagzeugspielen aufgeben und bei den Hosen aussteigen musste, gar nichts gegen. Aber was soll’s: Ich bin damals wieder auf die Beine gekommen. Und ich komme auch jetzt wieder auf die Beine. Ohne Chemo! Ich mache jetzt seit Kurzem eine Ayurveda-Kur, die ist sensationell! Die hat mich wieder ein wenig aufgemöbelt.

Du legst eine bewundernswerte Einstellung an den Tag. Wölli, der Kämpfer!

Ja, ich kämpfe für mich. Aber irgendwie auch gegen diese Medizinindustrie, die hinter all dem steht und die nur aus Verbrechern besteht. Die wollen nur ihren Mist verkaufen. Sieh mal: Jeder weiß doch, dass die Krankenhäuser in finanzieller Not stecken. Also heißt es: „Verschreiben, verschreiben, verschreiben!“ Aber weißt du was: Lass uns aufhören, über Krankheiten zu reden. Mir geht es gerade wieder gut. Lass uns lieber über Punkrock sprechen, haha. Das ist mein Metier. Damit kriege ich wieder Spaß anne Backen.

Deine musikalischen Projekte – WÖLLI UND DIE BAND DES JAHRES, die Reunion der SUURBIERS, dein eigenes Label Goldene Zeiten – halten dich also immer noch am ehesten bei der Stange?

Absolut! Diese Dinge sind mein Lebenselixier. Seit jeher. Ich weiß noch, wie damals zum Beispiel MASSENDEFEKT bei mir das kleine Einmaleins der Musik gelernt haben. Die wussten gar nichts. Die kommen ja auch aus Meerbusch und suchten damals einen Schlagzeuger. Drei Tage lang liefen die regelmäßig um mein Haus rum, um zu schauen, ob da wirklich der Hosen-Wölli wohnt. Irgendwann klingelten sie und fragten ganz schüchtern, ob ich nicht mal Bock hätte, ein bisschen mit ihnen zu jammen. Ich sagte: „Alles klar! Dann lass mal loslegen!“ Das hat sie, glaube ich, ziemlich überrumpelt, haha. Und als wir die ersten kleinen Auftritte hatten, da standen die Jungs noch mit dem Stock im Arsch auf der Bühne rum. Ich musste die schubsen, damit sie sich mal bewegten. Nach und nach ging es dann immer besser. Irgendwann trennten sich unsere Wege zwar wieder, aber ich verfolge das weiterhin.

Dann wirst du ja auch mitbekommen haben, dass es für MASSENDEFEKT derzeit ja ganz gut läuft.

Das stimmt. Aber ich bezweifle, dass Bands wie sie noch größer werden können.

Warum?

Weil sich das Musikgeschäft einfach extrem verändert hat im Laufe der Jahre. Es gibt nicht mehr diese Unterstützung von Labels für Bands, wie es sie früher einmal gab. Und das Hörverhalten hat sich verändert. Als Band kannst du heutzutage kaum noch Geld verdienen, wenn du nicht eine Riesennummer bist. Wir haben mit den Hosen damals noch richtig gut Geld mit CDs und Platten gemacht. Die Touren selber waren eigentlich in erster Linie ein „Dankeschön“ an die Fans, mit entsprechend niedrigen Eintrittspreisen und billigen T-Shirts. Sie waren nicht die Haupteinnahmequelle. Heute ist es genau andersherum: Heutzutage müssen Bands mit Konzerten Geld verdienen – das ist aber für die meisten sehr schwer. Die Download-Portale haben vieles kaputtgemacht. Und genau darum geht es für viele Bands eben nur noch bis zu einem gewissen Grad, bis zu einer gewissen Grenze – und dann ist Schluss. Das Geschäft ist nicht mehr so durchlässig nach oben. Ich drücke Bands wie MASSENDEFEKT natürlich allein schon aus alter Verbundenheit die Daumen und wünsche ihnen alles Gute! Aber den großen Kick, den kriegen heutzutage nur noch wenige hin. Da muss viel zusammenkommen. Ich habe ja nicht umsonst vor wenigen Monaten mein Gewerbe – das Label, den Tralala-Musikverlag – abgemeldet.

Das dürfte ein schwerer Schritt gewesen sein.

Ja, ein sehr schwerer. Ich hatte Tränen in den Augen, denn ich habe das alles mit Herzblut gemacht. Ich hatte so brillante Bands wie PLANLOS oder STIGMA. Ich hatte alles da reingesteckt. Sogar meine Rente ist dafür draufgegangen. Das, was ich mir fürs Alter und für schlechte Zeiten zurückgelegt hatte.

Das klingt jetzt ein wenig wie „Er rannte sehenden Auges in den Untergang“.

Na ja, aber jedes Hobby, dem du mit Herzblut nachgehst, kostet doch Geld. Auch Briefmarkensammeln, haha. Und meines ist eben seit jeher die Musik. Ich habe mein Leben lang Musik gemacht und dachte mir damals, als ich selber nicht mehr spielen konnte: Dann lässt du eben andere spielen und hilfst ihnen.

Darf ich fragen, über wie viel Geld wir hier ungefähr reden?

Nach Aussage meines Steuerberaters habe ich knapp 270.000 Euro verballert. Na ja, ich habe eben über zwanzig Produktionen gemacht. Und eine Produktion allein kostet ja schon 15.000 Euro mit Studioaufnahme, Herstellung und so weiter.

Das hört sich vor allem nach reichlich Arbeit im Hintergrund an. Irgendwann standest du dann aber doch wieder auf der Bühne und hast auch selbst Musik gemacht mit WÖLLI & DIE BAND DES JAHRES.

Das musste früher oder später so kommen. Ich bin eben nicht gemacht für den Schreibtisch, das habe ich irgendwann gemerkt. Ich kann nicht nur den ganzen Tag lang am Computer sitzen, Mails versenden, Briefe eintüten und Pakete zur Post bringen. Ich musste auch wieder was richtig Kreatives tun. Und irgendwann kamen Mitglieder einer meiner Bands, PILOT aus Köln, auf mich zu und sagten, sie wollten ein paar eigene Stücke auf ihre Homepage stellen, sie aber von einem anderen singen lassen. Ob ich nicht Lust dazu hätte. Die hatte ich. Ich wollte es zumindest versuchen. Und als sie das Ergebnis hörten, sagten sie zu mir: „Alter, da musst du was draus machen. Das ist super!“ Und das hat mir die Augen geöffnet. Ich hatte mich ja immer nur als soliden Backgroundsänger gesehen und nie gedacht, dass ich auch ganz vorne stehen könnte. Letztlich kann ich sagen: DIE TOTEN HOSEN sind noch nie nach Wacken eingeladen worden, WÖLLI & DIE BAND DES JAHRES schon, haha! Darauf bin ich stolz!

Wobei euer Album ja auch schon vier Jahre alt ist. Was wurde aus der Band?

Sie ist auf Eis gelegt. Irgendwann kam eben die Krankheit. Und es ist nicht einfach, sich etwas Neues einfallen zu lassen, wenn es dir so dreckig geht. Mir fiel nur so Düster-Scheiße ein. Und ich schaffte es nicht, Songs mit Struktur zu schreiben. Dazu fehlte mir die Kraft. Aber mal sehen, was in Zukunft passiert.

Du bist Jahrgang 1950 ...

Jawohl! Und seit ein paar Tagen Rentner und offiziell zu 100% behindert. Sprich: Ich bin alt, haha. Aber nicht im Kopf, da bin ich jung geblieben!

Worauf ich hinaus will: Wenn du mit deinem heutigen Wissen und deiner heutigen Erfahrung an deinen Einstieg bei DIE TOTEN HOSEN und noch weiter zurückdenkst, dann muss dir diese Zeit im Rückblick doch als eine extrem unbeschwerte vorkommen, oder?

Absolut. Ich war zwar schon 36, als ich zu den Hosen kam. Aber damals haben wir nie an die Zukunft gedacht. Wir sind nicht angetreten, um die Musikwelt zu erobern. Es machte einfach Spaß. Auch, weil das immer – und bis heute! – so ein Fünf-Freunde-Ding war. So eine Gang-Sache. Die Hosen haben mir immer gesagt: „Bei uns kommst du nur im Sarg raus!“ Wobei ich auch betonen möchte: Wir konnten uns auch diszipliniert verhalten. Es war nicht so, dass wir jeden Morgen volltrunken vom Abend zuvor zur Probe kamen, haha.

Und du als Ältester hast diese Disziplin in die Band gebracht?

Nein, ganz so schlimm war es nicht, haha, auch wenn die anderen tatsächlich alle erst Anfang zwanzig und damit vergleichsweise jung waren. Ich sage es mal so: Ich habe zu all ihren verrückten Ideen schon mal meinen reiferen und etwas langweiligeren Senf dazugegeben.

Wie wichtig ist dieses von dir angesprochene Gang-Ding für eine Band?

Es ist das Wichtigste! Ein Lied mit drei Akkorden zu schreiben – das kann doch jeder. Notfalls schiebst du dir das alles auf dem Computer zusammen. Aber richtig gut wird es erst, wenn du die Energie einer echten Band da reinsteckst. Das hört man raus. Leider gibt es diesen Zusammenhalt heutzutage bei Bands immer weniger. Der Erfolg ist wichtiger. Wir sind mit den Hosen früher am Mittwoch und am Freitag immer in der Altstadt gewesen. Alle zusammen. Und da haben wir uns dann auch mal besoffen. Das war Pflichtprogramm! Wir waren eben eine richtig eingeschworene Truppe. Eine Band, wie sie sein sollte.

Korrigiere mich, wenn ich falsch liege, aber: Du bist nicht nur bei den Hosen, sondern bei allen Projekten, an denen du als Musiker bis heute beteiligt warst, stets der Älteste gewesen ...

Das ist richtig.

Erzählst du den jungen Leute gerne von der guten, alten Zeit?

Ja, das kommt vor. Da wurde schon so manches Bandtreffen zur Märchenstunde und ich kam mir vor wie der Opa, der Märchenonkel, der seinen Enkeln von der Welt erzählt, haha. Aber ich habe nun einmal viel erlebt – und war gerade mit den Hosen in zig Ländern. Das sind viele, viele Erfahrungen, die ich weitergeben kann. Auch deshalb arbeite ich ja auch so gerne mit jungen Bands zusammen: Ich hatte viel Glück im Leben. Und ich möchte etwas von diesem Glück weitergeben.

Aber lassen sich die Jungspunde von heute überhaupt noch Ratschläge geben?

Nicht immer. Aber meistens. Irgendwann überwiegt eben doch die Vernunft, haha. Und das ist gut so. Wenn ich sehe, was da so alles passiert ... Du glaubst nicht, was für schlimme Bandfotos ich schon gesehen habe. Und die sollten veröffentlicht werden! Da musste ich erst mal sagen: „Leute, ihr könnt euch doch nicht in einen Garten stellen, euch ablichten lassen – und im Hintergrund sind noch Gartenmöbel zu sehen!“ Oder nimm Interviews: Viele junge Bands denken, sie wüssten, was da auf sie zukommt, weil sie alle diese Musikmagazine lesen. Und letztlich wissen sie gar nichts. Da muss man ihnen erst mal einen roten Faden geben, an dem sie sich orientieren. So nach dem Motto: „Pickt euch die interessantesten und wichtigsten Fragen aus anderen Interviews raus, überlegt euch, was ihr darauf antworten würdet – und merkt euch das.“ Ich meine: Ich habe in meinem Leben jede Frage gehört. Ich muss es wissen, haha.

Du hast mit DIE TOTEN HOSEN über Jahre hinweg eine Karriere aufgebaut. Was würdest du sagen: Wie geduldig sind im Vergleich dazu die heutigen jungen Bands?

Denen fehlt oftmals die Geduld, ganz klar. Sie wollen alles sofort schaffen – und geben dann nach dem zweiten Album auf. Das drückt sich ja auch in diesen ganzen Casting-Modellen aus. Da wird nicht darauf geachtet, dass die Musiker vom Typ her zusammenpassen. Da geht es darum, dass hier noch ein Bassist und da noch ein Gitarrist dazukommen müssen, die gut aussehen und das Instrument schön tief auf den Knien hängen haben. Ich habe meine eigene Band, WÖLLI & DIE BAND DES JAHRES, ja auch aus diesem Grund aufgelöst.

Also war es nicht nur der Krebs?

Nein. Ein paar von denen hatten irgendwann einen Anfall der Art „Wir brauchen nicht mehr zu üben!“. Und das geht mit meiner Philosophie, die ich von einer Band habe, nicht überein. Wir haben seinerzeit im Vorprogramm der Hosen vor 12.000 Leuten im ISS Dome in Düsseldorf gespielt – und haben in den drei Wochen davor nicht ein einziges Mal geprobt! Weil die keinen Bock dazu hatten und überzeugt waren, dass es auch so geht. Ich habe nur gesagt: „Leute, denkt ihr nicht, dass sich eine Band auch weiterentwickeln, dass sie an sich arbeiten muss?“ Aber das haben sie nicht verstanden. Und dann kam eben die Krankheit noch dazu. Und das war’s dann.

Ist deine Band also jetzt, nach einem Album, definitiv schon wieder Geschichte?

Nein, das nicht. Ich bin kein Einzelgänger. Ich brauche eine Band. WÖLLI & DIE BAND DES JAHRES sind in dieser Besetzung Geschichte. Aber sie lebt als Kollektiv weiter. Wenn ich in Zukunft neue Songs am Start haben sollte, dann rede ich mit den Jungs als Erstes. Und wer dann keine Zeit oder Lust hat, der wird durch einen anderen ersetzt. Ganz einfach.

Was ist aus dem Festival „Rock im Turm“ geworden, das du hier in Meerbusch seinerzeit aufgezogen hast, um jungen Punkbands ein Forum zu bieten?

Ach, das ist ein leidiges Thema ... Das Festival gibt es nicht mehr. Das habe ich aufgegeben, weil ich zwei Kollegen dabei hatte, mit denen ich mich verkracht habe. Beim letzten Mal lief der Vorverkauf nicht gut. Und ich schlug vor: „Lasst uns das Ding absagen. Aus wirtschaftlichen Gründen.“ Und was lese ich am nächsten Tag in der Zeitung, verfasst von einem dieser beiden ehemaligen Kollegen? Wir hätten das Konzert absagen müssen, weil linke Bands gespielt hätten. Und wo linke Bands spielen, da versammeln sich auch rechte Typen. Die Stadt und ihre Bewohner müssen aber geschützt werden. Unfassbar! Ich musste noch nach einem halben Jahr Mails beantworten und mich rechtfertigen. Dabei bin ich seit jeher einer, der in solchen Situationen sagt: „Jetzt erst recht!“ Ich meine: Wir haben mit den Hosen auch nie den Schwanz eingezogen. Auch nicht, als wir schon eine große Nummer waren. Wir haben uns zu fünft mit zwanzig Skinheads geprügelt! Da kannst du dir vorstellen, wie weh mir diese Sache hier in Meerbusch getan hat. Ernsthaft: Ich möchte meinen Ruf doch nicht ruinieren, indem die Leute glauben, ich hätte gekuscht vor Nazis! Und ich habe neulich schon wieder mit so einem Thema zu tun gehabt.

Was ist passiert?

Da war hier in Meerbusch eine NPD-Veranstaltung, bei der ich ein paar mal „Scheiß Nazis!“ gerufen habe. Immerhin ist es für mich schon seit den Sechzigern, seit meiner ersten Demonstration in Berlin, Bürgerpflicht, gegen so was auf die Straße zu gehen und sich dagegen gerade zu machen! Jedenfalls wurden nach meinen Rufen die ersten Polizisten auf mich aufmerksam. Und dann wollte ich mir beim Bäcker hinter mir etwas zu essen holen, weil ich mich nach eineinhalb Stunden Stehen ein bisschen flau fühlte. Eine junge Polizistin ließ mich nicht durch, obwohl ich ganz normal mit ihr sprach und ihr zu verstehen gab, dass ich mich doch sogar vom Versammlungsort entfernen würde. Also bin ich hintenrum über ein Blumenbeet gelaufen – und wurde von ihren Kollegen aufgehalten. Die haben mich auf den Boden gerissen und hinter sich her gezogen, obwohl ich denen meinen Schwerbehindertenausweis zeigte. Und jetzt habe ich eine Anzeige am Hals und soll mich vor Gericht äußern. Da gehe ich aber nicht hin! Habe ich keinen Bock drauf. Es gibt auch einen Reporter, der glücklicherweise alles aufgenommen hat. Und dessen Video zeigt, dass ich nichts gemacht habe. Ich meine: Ich habe zu der Zeit sechzig Kilo gewogen und hatte eine Chemotherapie hinter mir! Da soll ich eine Hundertschaft angegriffen oder versucht haben, die Bühne, auf der die Rechten standen, zu stürmen? Selbst wenn ich gewollt hätte: Ich wäre doch keine drei Meter weit gekommen. Aber Polizisten wie diese gibt es eben. Diese Typen siehst du nachmittags als Prolls bei RTL ...

Hätte dir da keiner helfen können?

Ach ... Der Direktor des Gymnasiums, das mein Sohn besucht, hatte am Tag zuvor noch alle Eltern gebeten, zur NPD-Versammlung zu gehen und dagegen zu demonstrieren. Und auch wenn ich zu dieser Zeit tagsüber meist stundenlang auf der Couch daheim lag, war es klar für mich, dass ich da mitmache. Es war mir ein Bedürfnis. Mein Sohn und seine Kumpels waren ja auch da. Sogar die Bürgermeisterin und die Leute von der Initiative gegen rechts in Meerbusch haben mich vor Ort noch freudig begrüßt. Aber dann – nichts. Und hinterher hat sich keiner von denen gemeldet. Glaubst du, da hat mal einer gefragt: „Wölli, wie geht es dir? Was ist denn da passiert?“ Keiner! Im Gegenteil: Die haben alle die erste Info, dass ich angeblich eine Polizistin beleidigt hätte, für bare Münze genommen und sich nicht die Mühe gemacht, meine Sicht der Dinge zu hören. So nach dem Motto: „Das ist ja ohnehin nur einer von diesen Punks. Einer von den Hosen. Der ist also ein Chaot!“ Das sind Leute, die früher, als ich nach Meerbusch zog, ankamen, mir auf die Schulter klopften und sagten: „Toll, dass du hier bist! Einer von den TOTEN HOSEN – das ist toll für die Stadt!“ Wie auch immer: Du kannst dir sicher sein, dass ich da auch noch entsprechend reagieren werde.

Viele Menschen schrecken eben immer noch vor einer offenen Konfrontation mit Rechten zurück.

Und was machen diese Menschen stattdessen? Reden! Aber reine Theoretiker gibt es schon genug. Jeden Tag kommen doch drei Buchvorschläge von diesen Typen in den Medien, die sich um die Resozialisierung von Ex-Rechten drehen. Von Typen, die sagen, man müsse sich das alles erst mal durch den Kopf gehen lassen und darüber diskutieren. Von wegen. Die sollen sich mal was anderes durch den Kopf gehen lassen! Von denen war doch noch nie einer auf der Straße, um sich zu wehren. Die haben sich noch nie gegen irgendwas gestellt.

All das zeigt jedenfalls, dass du für dein Alter wesentlich jünger als andere Sechzigjährige tickst.

Haha, das ist eben so. Ich musste damals, als ich zu den Hosen kam, ja auch meinen alten Freundeskreis aufgeben. Da wurden die Hosen-Freunde meine Freunde. Und das waren allesamt Leute, die zehn, fünfzehn Jahre jünger waren. Das hatte zwar manchmal den Nachteil, dass ich mich mit ihnen nicht über Themen unterhalten konnte, die für mich eine Rolle spielten. Das hat mich allerdings auch jung und frisch gehalten.

Im Rock’n’Roll spielt das Alter ja ohnehin eine eher untergeordnete Rolle.

Das stimmt. Ich bin ja mit vielen Stars aufgewachsen, die heute noch aktiv sind. Das ist schön. Aber das kann auch mal peinlich werden.

Zum Beispiel?

Neil Young. Ein Held meiner Jugend. Doch als ich zuletzt ein Konzert von ihm im Fernsehen sah, da war ich geschockt! Dass der Idiot nicht mal auf die Idee kommt, im hohen Alter seine Stücke um ein, zwei Töne runter zu transponieren. Er versucht das immer noch in der ursprünglichen Stimmlage. Aber über sechzig geht das eben nicht mehr. Der Gesang war permanent schief. Young hat die hohen Töne einfach nicht mehr getroffen. Ich musste den Fernseher jedenfalls nach einer halben Stunde ausmachen. So einen Mist habe ich selten gehört. Diesen Untergang wollte ich mir nicht mehr anschauen. Ich konnte das nicht ertragen. Dass sich da so einer auf der Bühne quält. Schlimm! Genau so wie bei den Schnörkelschriftrockern ...

Schnörkelschriftrocker?

Na ja, du weißt schon: Die, die so tolle Cover haben mit schöner Schrift und nackten Frauen drauf.

Verstehe.

Siehst du. Die sind auch so drauf. Ewige Jugend und so. Und dann gibt es da noch Bands wie U2 oder die Stones mit ihrer verlogenen Einstellung. Die haben drei, vier, fünf Schlösser was weiß ich wo rumstehen – und singen vom Straßenkampf! Lächerlich!

Man hört, du bist Vollblutmusiker. Außerdem hast du noch zwei Söhne und musst es demnach wissen: Wann fängt man am besten mit der musikalischen Sozialisation von Kindern an?

Das geht gar nicht früh genug. Und da ist es erst mal auch egal, was für Musik sie hören. Es geht erst mal nur darum, was Musik in ihnen, in uns generell auslöst. Diese Magie! Musik erzeugt Schwingungen, egal, in welcher Sprache oder Form. Und wenn du später dann mit anderen zusammen Musik machst, dann ist das das Schönste. Das ist eine so wunderbare, intime Angelegenheit! So was hast du sonst ja nur mit deiner Freundin oder Frau. Das sollte eigentlich jeder erleben.

Wie steht es um die musikalische Karriere deiner Söhne?

Den Kleinen, der kürzlich 18 wurde, den hat es richtig gepackt. Der spielt schon lange Schlagzeug und Gitarre. Beim Großen war es anders. Bei dem hat es gedauert. Aber vor zwei Jahren bekam auch er plötzlich einen Knall – und er hat sich eine Ukulele gekauft.

Eine Ukulele?

Ja, haha. Der Blödmann dachte, das wäre einfacher als Gitarre, weil die Ukulele nur vier Saiten hat. Da hat er sich getäuscht. Aber man muss ihm eines lassen: Er hat sich reingearbeitet in die Sache und sich alles, was man übers Ukulelespielen wissen muss, selber draufgeschafft.

Ein Vater hat ebenso Verantwortung wie ein Musiker, dem Zehntausende im Stadion zuhören. Du kennst beide Seiten. Hast du dir in den Anfangsjahren bei den SUURBIERS und später bei den Hosen jemals über Verantwortung Gedanken gemacht?

Nein. Das fing erst später an, als die Konzerte größer wurden. Vorher war das ja alles überschaubar. Da waren 150 Leute im Club, da hast du nicht an Verantwortung gedacht. Im Gegenteil: Du glaubst ja nicht, wie oft ich die anderen gesucht habe, weil sie plötzlich von der Bühne runtergesprungen und im Publikum verschwunden sind. Und später kamen sie mit Blessuren zurück. Wilde Jahre waren das, haha.

Punkrock-Jahre. Apropos: Du hast den Punk hierzulande ausbrechen sehen und ihn ein Stück weit mitgestaltet. Du bist also ein Punk-Veteran. Hat der Punk heutzutage – da RAMONES-Shirts bei Modeketten verkauft werden und Bands den schnellen Erfolg wollen – noch eine Existenzberechtigung?

Ja. Das würde ich schon sagen. Er entwickelt sich einfach nur weiter. Auch HipHop ist heute ja so etwas wie Punk, wenn du dir Künstler wie Marteria oder so anschaust, die von unten kommen und Gesellschaftskritik in ihre Texte einbauen. Diese Subkultur – und das ist es ja, was Punk ausmacht – wird letztlich immer da sein. Anders gesagt: Solange es kommerzialisierten Mist gibt, werden sich immer Anti-Bands bilden. So wie wir damals mit den SUURBIERS: Wir wollten mit dem ganzen GENESIS- und YES-Kram nichts zu tun haben – und haben deshalb Punk gemacht. Das Einzige, was nach und nach wegfällt, das sind die Typen mit Ecken und Kanten. Die gibt es immer weniger. Das ging bis Kurt Cobain. Heute hast du nur noch Mike Ness und SOCIAL DISTORTION ...

Und was ist mit den Hosen?

Die sind die letzte große Rockband, haha. In dieser Größe wird es danach kaum mehr etwas geben.

In welchem Moment wurde Musik für dich zur wichtigsten Sache der Welt?

Ich habe schon früh Musik gehört. Auch als Hippie, ehe ich Punk wurde, haha. Ich stand auf Dylan und Co., also auf Künstler, die die Welt verändern, die bürgerliche Moral auf den Kopf stellen wollten. Als dann dieser Progrock-Kram aufkam, war ich erst mal ernüchtert. Das war zu bombastisch. Da habe ich mich abgewendet und sogar meine Trommelstöcke vorübergehend an den Nagel gehängt, weil mir das keinen Spaß mehr machte. Aber dann war ich 1978 in London und habe mein erstes Punkrock-Konzert gesehen. Es spielten 999, EDDIE & THE HOT RODS und die VIBRATORS. Und das hat mein Leben verändert. Die haben in einem alten Theater gespielt und die Zuschauer sind zuerst alle brav in Zweierreihen da reingegangen. Drinnen war, ehe es losging, viel Blabla und Smalltalk. Aber dann kam die erste Band – und ich war geflasht! Alle im Saal tobten. Die Leute sind ausgerastet und haben jeden Refrain mitgebrüllt. Und so was kannte ich noch nicht. Das war etwas vollkommen Neues. Ich bin ein paar Tage später nach Berlin zurückgekommen – und habe mir erst mal meine Haare, die mir damals noch bis zum Hintern gingen, abgeschnitten. Ich wurde Punk. Denn ich wusste: Das ist das, was ich machen will. Das ist mein Ding. Auch als Schlagzeuger: trommeln, ausflippen, schwitzen, bis zum Anschlag gehen – nichts anderes. Ich wusste danach für alle Ewigkeit: Wenn ich nach einem Konzert nicht völlig verausgabt bin, dann ist es ein schlechtes Konzert gewesen.

Wenn du das mit heute vergleichst: Sind DIE TOTEN HOSEN noch Punkrock?

Ja klar! Das würde ich nie abstreiten. Natürlich, musikalisch ist das nicht mehr Vollpunkrock. Und wenn einzelne Lieder beim Münchener Oktoberfest laufen, dann wird es kritisch, haha. Aber die Leute wollen das eben hören, also ist es in Ordnung. Das ändert ja nichts an ihren Wurzeln, an ihrer Einstellung und an ihrem Charakter. Die Jungs sind nach wie vor meine besten Freunde. Auf die lasse ich nichts kommen. Sie haben mich auch in den vergangenen Jahren nicht hängen lassen und haben mir geholfen. Campino hat mich bei Songtexten beraten. Die Band hat mich regelmäßig im Krankenhaus besucht. Die Hosen geben mir immer noch so viel – das macht mir auch viel Mut! Sie sind einer der Gründe, warum ich sage: Ich trete dem Krebs in den Allerwertesten und schaffe es!

 


1968

Nach einer bestandenen Elektriker-Ausbildung entzieht Wolfgang Rohde sich dem Grundwehrdienst und zieht nach Berlin, um sich der Szene um Rio Reiser (TON STEINE SCHERBEN) anzuschließen, wobei er das Schlagzeugspielen erlernt.

1970

Rohde siedelt nach Großbritannien über und beginnt in London für diverse Tonstudios Reggae-Platten zu mixen.

1986

Zurück in Berlin spielt Rohde im Studio Schlagzeug für ABWÄRTS, die EINSTÜRZENDEN NEUBAUTEN und die SUURBIERS. Mit mittlerweile 36 Jahren wird er von den einige Jahre jüngeren TOTEN HOSEN, die bereits mit „Opel-Gang“ und „Unter falscher Flagge“ einen gewissen Bekanntheitsgrad erlangt hatten, gebeten, ihren Drummer Trini Trimpop zu ersetzen. Also zieht er nach Düsseldorf und sitzt bereits bei „Damenwahl“ (1986) bei den Hosen am Schlagzeug.

1988

Mit der LP „Ein kleines bisschen Horrorschau“ erreichen Rohde und DIE TOTEN HOSEN den kommerziellen Durchbruch.

1999

Nach mehreren Bandscheibenvorfällen fällt es Wolfgang „Wölli“ Rohde immer schwerer, ganze Konzerte zu spielen. An den Aufnahmen für das Hosen-Album „Unsterblich“ beteiligt er sich nur begrenzt an ruhigen Stücken. Nach der Veröffentlichung gibt Rohde seinen Posten an den Briten Vom Ritchie ab.

2000

Rohde wird in einen schweren Autounfall verwickelt und überlebt knapp. Das Schlagzeugspielen muss er nun vollends aufgeben.

2001

Im November ruft er das Newcomer-Festival „Rock am Turm“ in Meerbusch ins Leben, um Nachwuchsbands zu fördern.

2004

„Wölli“ gründet sein eigenes Plattenlabel Goldene Zeiten, mit dessen Hilfe er talentierten jungen Bands eine Grundlage bieten möchte.

2007

Anfang des Jahres gründet Rohde mit einigen Musikern seines Labels die Band GOLDENE ZEITEN ORCHESTRA, bei der er als Texter, Komponist, Produzent und Sänger fungiert. Die erste Single nennt sich „Ein bisschen Nikotin“, ein Album ist für 2008 geplant.

2010

Er gründet mit Freunden das Projekt WÖLLI & DIE BAND DES JAHRES.

2011

Das Album „Das ist noch nicht alles“ von WÖLLI & DIE BAND DES JAHRES, das er unter anderem gemeinsam mit den Hosen produziert hat, erscheint auf deren Label JKP. In den von Rohde selbst geschriebenen Texten geht es hauptsächlich um sein Leben als Musiker.

2014

Nachdem dem mittlerweile 64-Jährigen im Juni 2013 eine vom Krebs befallene Niere entfernt worden war, wird im November bei einer Nachuntersuchung Lungenkrebs diagnostiziert. Seitdem kämpft er gegen seine Krankheit an.

 


Doch Chemo

Beim Interview mit dem Ox war Wölli noch recht gut drauf, weil er kurz zuvor die Chemotherapie abgebrochen hatte und sich nach eigener Aussage ohne die Medikamente besser fühlte. Es folgten die Auftritte beim Gig der TOTEN HOSEN in Leipzig und das Konzert mit den SUURBIERS in Berlin. Bei einem Telefonat kurze Zeit später jedoch hatte sich die Lage wieder geändert. „Mir geht es derzeit gar nicht toll“, sagte er da. „Ich werde wohl doch wieder eine Chemo beginnen, da der Tumor gewachsen ist.“ Er hoffe jetzt darauf, dass er die Behandlung dieses Mal besser vertrage. Zudem werde er Ende dieses oder Anfang des kommenden Jahres ein neues Medikament testen, das in den USA gegen Krebs entwickelt worden sei. „Ich gebe jedenfalls nicht auf und kämpfe weiter“, versicherte Wölli. Auf seiner Facebook-Seite werde er weiter über den Stand der Dinge berichten.