DIE AERONAUTEN

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Literarische Discomusik

DIE AERONAUTEN sind ein Phänomen. Seit inzwischen 24 Jahren werden die Schweizer von ihren Fans für ihren vielfältigen Stilmix aus Garagen-Punkrock, Pop, Soul, New Wave, Jazz und Country geliebt, den sie mit weisen und zutiefst komischen Texten verbinden und in mehreren Sprachen präsentieren. Obwohl sie für ihren einzigartigen Facettenreichtum bekannt sind, schaffen sie es trotzdem immer wieder zu überraschen. Zuletzt mit ihrem im Oktober erschienenen Album „Heinz“ mit seiner Vielzahl tanzbarer Discostampfer. AERONAUTEN-Urgestein Olifr M. Guz, Frontmann und Texter der Band, beantwortete mit Esprit und Verve Fragen zum neuen Album.

Eines der bekanntesten Zitate der AERONAUTEN lautet: „Im Alter fängt man an, sich für Countrymusik zu interessieren“. Muss das jetzt umformuliert werden in: „Im Alter fängt man an, sich für Discomusik zu interessieren“?


Ja, das werden wir zukünftig bei unseren Konzerten auch so singen. Wobei es natürlich vorrangig nicht darum geht, sich dafür zu interessieren, sondern sie auch zu spielen. Und die Wahrheit ist, dass wir es tatsächlich machen, und zwar weil es uns Spaß bereitet. Und weil es eine gute Gelegenheit ist, Dummheiten zu machen und sich blöd anzustellen.

Ihr selbst bezeichnet das neue Album als „literarische Discoplatte“. Widerspricht sich das nicht?

Das widerspricht sich überhaupt nicht. F.S.K. haben das früher auch häufiger gemacht. Eigentlich gibt es überhaupt keine Musik, die Literatur ausschließt, höchstens Instrumentalmusik.

Wie viel Punkrock steckt noch in den AERONAUTEN?

Eine ganze Menge, sonst hätten wir auch keine Discoplatte eingespielt. Discomusik ist nicht das, was man mit uns verbindet, darum machen wir es gerade. Und genau deshalb ist es Punk. Wir machen nicht das, was von uns erwartet wird, wir machen das, worauf wir Lust haben und was uns Spaß macht. Punk ist für mich immer noch mehr eine Haltung als ein Musikstil. Wir gehen noch immer mit einem ordentlichen „Scheiß drauf“-Faktor an den Start und deshalb steckt auch noch viel Punkrock in den AERONAUTEN drin.

Bei euch habe ich das Gefühl, dass sich die Band immer wieder neu erfindet. Ist das eine Notwendigkeit, um auch nach mehr als zwanzig Jahren noch mit Spaß dabei zu sein?

Als Band hat man generell zwei Möglichkeiten: Entweder man hat ein Erfolgsmodell, das richtig Geld einbringt, oder man schafft es, sich damit selbst so gut zu unterhalten, dass es für einen funktioniert. Mit der Band unterhalten wir uns erst mal selbst. Das ist dann schon eine gute Grundlage, lange durchzuhalten. Über unsere Entwicklung machen wir uns dabei nicht viele Gedanken. Wir erfinden uns nicht neu, wir werden neu erfunden. Wir machen einfach nur das, wozu wir Lust haben. Dabei spielt es einfach auch eine große Rolle, dass wir sehr viele sehr verschiedene Inspirationsquellen haben, Bücher und diverse Musikstile. Das ist aber kein bewusster Vorgang. Was wir beim neuen Album gemacht haben, ist etwas, das jede gescheite Band tun sollte. Immer dann, wenn es etwas zum Aufnehmen gibt, sollte man diese Chance nutzen. Das sind dann viele einzelne Momentaufnahmen, die genau das abbilden, wo die Band gerade steht. Unser Album „Hier“ von 2005 ist eine richtige Punkrock-Platte. Das stand uns gut, da hatten wir Lust drauf. Das neue Album „Heinz“ hat sich immer wieder geändert. 2013 haben wir damit angefangen, erste Songs aufzunehmen. Die ersten Stücke für ein neues Album sind generell schwierig, man hat noch das Vorgängeralbum im Kopf, man probiert ein bisschen was und man merkt, wo es anschlägt und wo nicht. Einige Songs des Albums haben wir zwei- oder dreimal eingespielt. Hier haben wir sicherlich den Vorteil, dass wir im eigenen Studio aufnehmen können.

Habt ihr die neuen Songs auch schon bei Konzerten präsentiert? Gibt es auch Sachen auf dem neuen Album, die live nicht funktionieren?

Einige Songs haben wir schon auf der Bühne gespielt, teilweise ging es super, teilweise leider auch nicht. „Ottos kleine Hardcore Band“ entwickelt sich live offensichtlich zum echten Hit. Der Song hat das Potenzial, live ein AERONAUTEN-Klassiker zu werden. Obwohl das noch niemand kannte, wurde gleich mitgesungen. Auch „Mittelland“ ist live prima eingeschlagen. Wir haben auf alle Fälle vor, alle Songs live zu versuchen, dann wird sich zeigen, welche funktionieren und welche nicht. Das haben wir beim letzten Album auch so gemacht. Was live nicht ankommt, fliegt aus dem Programm raus.

Seht ihr die Gefahr, dass sich langjährige AERONAUTEN-Fans aus frühen Punkrock-Tagen von euch abwenden?

Die Gefahr sehe ich ehrlich gesagt überhaupt nicht. AERONAUTEN-Fans sind prinzipiell sehr tolerante Menschen. Es kommt natürlich immer wieder vor, dass irgendwem irgendwas nicht gefällt. Aber schließlich geht es auch um den Geist der AERONAUTEN, das mag man an uns. Und wenn dann mal ein Song nicht gefällt, dann wird uns das zumeist auch verziehen. Wobei wir eigentlich überhaupt keine doofen Stücke haben.

In „Ottos kleine Hardcore Band“ singt ihr von einer Band, die noch immer das System fickt. Schwingt da Mitleid für eine Band mit, die auch nach vielen Jahren noch durch kleine Drecklöcher touren muss, oder ist das doch eher Bewunderung für das konsequente Durchhalten? Hat das eventuell auch etwas Autobiografisches?

In dem Song kommt schon beides zum Ausdruck, da gibt es durchaus so etwas wie Mitleid, aber auch Respekt. Wenn ich davon singe, dass sich der Sänger vor dem Auftritt Nietenjacke und Nagelhalsband anzieht, dann trifft das so auf uns nicht zu, aber wir erkennen uns schon im Text wieder. Als ich den geschrieben habe, hatte ich die alte finnische Hardcore-Band KAAOS vor Augen. Ich hatte früher zwei EPs von denen, das war so richtig heftiger Staubsaugersound, das hat mir richtig gut gefallen, wirres Rauschen, echt geile Mucke. Und dann habe ich nach vielen Jahren erfahren, dass es die tatsächlich immer noch gibt. Da habe ich mir vorgestellt, wie das ist, wenn du nach so langer Zeit immer noch konsequent dein Ding durchziehst. Und auf den Titel bin ich gekommen, weil ich mal eine Hardcore-Band im Studio hatte, deren finnischer Schlagzeuger Otto hieß. Jetzt wünsche ich mir nur noch, dass es tatsächlich irgendwann mal eine Band gibt, die sich „Ottos kleine Hardcore Band“ nennt.

Beim Titelsong „Heinz“ hatte ich das Gefühl, dass im nächsten Moment Ian Anderson von JETHRO TULL auf einem Bein um die Ecke gehüpft kommt.

Stimmt, das klingt tatsächlich so. Querflöte ist für viele Bands tatsächlich ein No-Go-Instrument. Und genau aus diesem Grund wollten wir die schon immer mal einsetzen. Gesagt, getan. Unser Saxophonist Roger hat sich endlich eine Querflöte ergattert und dann bei „Heinz“ zum Einsatz gebracht.

Gibt es den wirklich, diesen im Titelsong besungenen Heinz?

Klar. Das ist ein Lebenskünstler um die sechzig, Freak und Hippie seit ungefähr 1970, wohnt in einem Wohnwagen, ist im Sommer im Boot unterwegs, lebt davon, dass er Dinge und Personen von einem Ort zum anderen transportiert, ist das ganze Jahr barfuß unterwegs, abends kifft er, verteilt regelmäßig kostenlos Lollies an jeden. Ein netter Typ, nicht besonders gescheit, mit sich und der Welt im Reinen, jeder mag ihn, ein wirkliches Stadtoriginal. Er hängt auch regelmäßig bei unseren Konzerten rum. Das Foto auf dem Albumcover ist er tatsächlich. Das Foto stammt aus einer Ausstellung, die ihm gewidmet war und die ihn thematisierte. Als wir ihn fragten, ob wir ihn aufs Cover bringen dürfen, sagte er nur, dass es ihm egal sei. Das sagt er eigentlich immer. Innerlich hat er sich dann wahrscheinlich aber doch tierisch gefreut, weil er schon auch ein bisschen eitel ist.

Was ist so toll an den ganzen Heinzes dieser Welt?

Dieses Thema der Freaks haben wir auch noch im ersten Song des Albums, „Schaffhausen calling“, verarbeitet. Heinz und die ganzen anderen abgedrehten Typen gibt es tatsächlich. Typen, die in einer Kleinstadt auffallen, in der Großstadt aber untergehen. Das Tolle an ihnen ist einfach, dass sie anders sind, dass sie von der Norm abweichen. Schräge Vögel, die auf dem platten Land als verrückt angesehen, aber trotzdem akzeptiert werden. Ich frage mich schon, wie anders ich eigentlich bin. Letztlich unterscheide ich mich von diesen Freaks nur in Kleinigkeiten. Für mich als Texter ist es schon eine anregende Fragestellung, wie das Leben als Heinz so abläuft.

Ihr habt mal die Aussage getroffen, dass man diese Band nur mit den Füßen voran verlässt. Jetzt ist euer langjähriger Bassist Hipp ausgestiegen, hoffentlich nicht horizontal?

Hier geht es um das Thema Interessenverlagerung. Hipp hat die Band immer geliebt. Aber wir mussten feststellen, dass er in letzter Zeit immer mehr das Interesse an der Musik verloren hat, und so etwas geht auf Dauer nicht gut. Die Trennung war auch keine Entscheidung von heute auf morgen, das war ein Prozess, der sich bestimmt über eineinhalb Jahre hingezogen hat. Da war auch kein Bruch, wir verstehen uns immer noch prima. Seine Interessen liegen jetzt einfach stärker beim Filmen und nicht mehr bei der Musik. Das muss man dann auch akzeptieren, selbst wenn eine Trennung nach zwanzig gemeinsamen Jahren natürlich nicht einfach ist. Hipp hat jetzt auch einen Film über uns produziert, eine Dokumentation. 24 Jahre AERONAUTEN in einer Stunde.

Geht das überhaupt, solch einen langen Zeitraum in nur einer Stunde abzubilden?

Wie aussagekräftig und gelungen der Film ist, ist natürlich schwer zu beurteilen, da wir selbst involviert sind. Er ist aber schon sehr informativ und unterhaltsam. Es kommt gut rüber, wie die Band funktioniert. Der Humor spielt bei uns eine große Rolle und ich denke, dass der Film das auch gut vermitteln kann. Und mehr Material war über uns auch gar nicht aufzutreiben.

Die AERONAUTEN singen in Hochdeutsch, Schweizerdeutsch, Französisch und auf dem neuen Album auch noch auf Holländisch. Wann vertretet ihr endlich die Schweiz beim Eurovision Song Contest?

Ja, wann wird das sein? Wahrscheinlich, wenn die Hölle zugefroren ist. Vorstellbar wäre das von unserer Seite generell schon. Wenn uns das jemand antragen würde, würden wir uns das auf alle Fälle überlegen. Es gibt ja so manchen Scheiß, den man einmal in seinem Leben gemacht haben sollte. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass uns nie jemand fragen wird.

Wie kommt man überhaupt auf die Idee, als Schweizer Band einen Song auf Holländisch zu singen?

Das ist ein Coversong, den ich ursprünglich in einer Version der deutschen Band BLIZZARDS aus dem Jahre 1965 kenne. Die wiederum haben den Song von einer holländischen Band gecovert. Ein tolles Stück, das wir unbedingt mal spielen wollten. Außerdem wollten wir schon immer mal in Holland ein Konzert geben, vielleicht gibt es jetzt den schönen Nebeneffekt, dass wir durch den Song endlich mal dorthin kommen. Auf jeden Fall war es ein schönes Experiment.

In euren Songs geht es oft um die kleinen Geschichten des Alltags. Durchaus gesellschaftskritisch, ohne dabei aber beispielsweise korrupte Politiker und gierige Banker direkt an den Pranger zu stellen. Ist euch solch eine direkte Kritik zu platt?

Wir finden einfach die kleinen Geschichten über die Typen von nebenan spannender. Es ist nicht die Aufgabe der Musik zu belehren, dass Kriege böse und Banker schlecht sind. Wenn ich etwas darüber wissen möchte, dann sollte ich ein Buch zur Hand nehmen, um einfach mehr Hintergründe zu erfahren. Dass Raffgier nicht gut ist, weiß ich, seit ich zwölf Jahre alt bin. Vor vierzig Jahren hatten wir noch eine andere Situation, da hat ein bestimmter Teil Öffentlichkeit gefehlt. Da mussten politische Liedermacher einfach dafür sorgen, dass auch Vietnam-Protest und Anti-AKW-Bewegung in der Öffentlichkeit stattfinden. Die Zeiten haben sich aber geändert, so dass entsprechende Belehrungen und Statements heute nicht mehr notwendig sind. Die Leute, die zu unseren Konzerten kommen, wollen keinen Krieg und sind auch keine Banker. Einfache, kleine Geschichten geben in unserem Kontext einfach mehr her.

Wie ist die Stimmungslage in der Schweiz und bei den AERONAUTEN hinsichtlich der aktuellen Flüchtlingssituation?

Das Thema ist im Grunde durch, es ist da und wird kontrovers diskutiert. Die ganze Situation ist schlecht, da sind Menschen auf der Flucht, fliehen von einem Ort, von dem sie eigentlich nicht weg wollen. Das Thema ist viel zu komplex, als dass wir das hier in wenigen Sätzen abhandeln können. Wir sind keine Parolenband, die solch ein Thema aufgreift.