FREIBURG

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Große Träume? Nee.

Der Band FREIBURG ergeht es ähnlich wie vielen ihrer Genrekollegen: Mit dem Vergleich mit TURBOSTAAT scheint bereits alles gesagt. Dabei ist „Brief und Siegel“ bereits die dritte Platte dieser Band, die es verdient hat, für sich zu stehen. Das neue Album ist ein einziger Moment des Ausbruchs im Emo-Punk-Gewand, der wirkt, als wäre es einfach genauso aus ihnen herausgeplatzt. Im Gespräch zeigt sich schnell, dass dem nicht so ist, und sich die vier lange mit diesen Songs beschäftigt haben. So lange, dass es ihnen wie ein eigenes kleines Wesen vorkommt, ein wütendes und trauriges, aber vor allem ein lautes.

Im direkten Vergleich mit eurem Debüt „High Five Zukunft“ von 2010 klingt „Brief und Siegel“ jetzt doch sehr viel wütender. Hat sich da was aufgestaut?


Tom: Erst mal ja, aufgestaut hat sich da auf jeden Fall was.

Jonas: Aber ich glaube, das heißt nicht, dass jetzt jede Platte von uns immer wütender wird. Damals, als wir „High Five Zukunft“ gemacht haben, hatten wir noch gar keine Vorstellung, wie das klingen soll. Das lief eher so: Okay, wir haben 13 Lieder und so wird das jetzt gemacht. Diesmal haben wir sehr viel mehr drauf hingearbeitet.

Diesmal gab es also einen gewissen Plan, wie ihr die Platte angehen wollt?

Jonas: So ein gewisses Grundgerüst gab es schon. Mittlerweile wissen wir, wie das klingen soll, wie wir uns anhören wollen.

Nur 27 Minuten für zehn Songs kann ja doch „kurz und knackig“ genannt werden. Hattet ihr bewusst so ein kompaktes Wut- und Schrei-Paket im Sinn?

Jonas: Ehrlich gesagt, hatten wir große Angst, dass das alles viel zu lang wird. Wir haben die Songs einmal am Stück durchgespielt und dachten: Fuck!

Lars: Wir haben so drauflos gespielt und irgendwann gefiel uns das. Es gab Überlegungen darüber, ob da noch was hinter oder dazukommen muss, aber der Konsens war: Nee, eigentlich reicht uns das. Dabei sollten wir es belassen. Das reicht jetzt.

Jonas: Das war kein „Das reicht jetzt“. Wir haben ja auch verdammt viel ausprobiert, aber irgendwann haben wir gemerkt, dass es das kaputtmacht, und dann lässt man lieber die Finger davon. Wir haben jetzt nicht beschlossen, dass die Platte kurz wird oder so was, aber vielleicht passt die vierte ja dann auf eine 7“.

Die Platte hat ja sehr wenige Momente, in denen sie zur Ruhe kommt, am ehesten vielleicht noch beim Song „Es ist vergangen“. Darin gibt es so ein Gefühl des Erstickens. Wie passt so etwas zum Rest der Platte?

Jonas: Lustigerweise ist das tatsächlich der Hintergedanke gewesen. Es war schon klar, dass das auf jeden Fall der letzte Song als Outro wird, weil da ja sehr viel mit Nahtoderfahrungen umgegangen wird. Das ist wie eine Flamme, die erlischt, und dann ist es eben vorbei. Das hat sich da textlich so angeboten, weil wir den auch erst im Studio fertig geschrieben haben. Und da gab es den Gedanken, dass das auf jeden Fall mit rein muss. Schön, wenn das auch auffällt.

Ist das ein Gefühl von Ernüchterung oder wie würdest du es nennen?

Jonas: Für den Typen, um den es in dem Song geht, ist das eher eine Erlösung. Für mich passte es, weil da ist es einfach vorbei. Das ist, als ob man die Platte als kleines Wesen ansieht und mit dem ist es dann auch vorbei.

In den bisherigen Reviews kommt die neue Platte ja sehr gut an. Nehmt ihr eine Entwicklung innerhalb eurer Musik selbst auch wahr?

Tom: Wir haben schon gemerkt, dass es inzwischen sehr gut passt. Das hat wahrscheinlich damit zu tun, dass wir jetzt schon so lange Musik machen.

Lars: Es macht auch einfach Bock. Ich finde diese Ruhe auf der Bühne eigentlich scheiße, wir mögen es mehr direkt nach vorne raus. Und ich glaube, das spiegelt sich auch auf der Platte wider. Alles steht unter Strom und muss raus.

Jonas: Wir haben unheimlich viel herumexperimentiert und ich habe am Ende leichte Zweifel gehabt, ob das jetzt geil ist oder wir schon zuviel gemacht haben. Mittlerweile kann ich diese ganzen Reviews überhaupt nicht mehr lesen. Das war wie eine Sintflut, die über uns gekommen ist, aber es war dennoch gut zu sehen, dass sich das Experimentieren und der Bammel davor gelohnt haben.

Ihr habt in „Sommer, Roggen und er“ Tobi Neumann von DUESENJAEGER als Gastsänger dabei. Würdet ihr euch mehr solcher Kooperationen unter Musikern wünschen?

Jonas: Ja, warum passiert das eigentlich nicht so oft?

Lars: Ich finde so was lustig. Es ist nur schade, wenn ich irgendwo ein Konzert anschaue und mich auf einen solchen Gastauftritt freue und dann ist dieser Mensch aber gar nicht dabei.

Jonas: Ein komplettes Album dieser Art fände ich ja unglaublich lustig. Es wäre sehr cool, aber ich glaube, die Leute sehen sich alle zu sehr als Künstler. Es gibt eine gewisse Dynamik, nach der eine Band funktioniert, und in der Regel sind die komplett aufeinander eingestellt, bei dem, was sie tun. Da stört es natürlich, wenn jemand anderes dazukommt. Das soll nicht heißen, dass es zwingend stören muss, aber es ist schwierig, damit irgendwo hinzukommen. Es gibt gewisse Vorstellungen, wie die eigenen Sachen werden sollen, und ich glaube, das steht dem im Weg. Ich habe mich aber sehr gefreut, dass es mit Tobi geklappt hat. Es ist mir auch noch nie so schwergefallen, einen Text zu schreiben. Er hat einfach gesagt, dass ich das mal machen soll und er singt dann einfach nur. Das waren die schlimmsten Zeilen, die ich je geschrieben habe, weil ich die ganze Zeit nur dachte, dass das bestimmt richtig scheiße ist, was wird der denken, wenn er sich das durchliest? Ich bin saufroh, dass es jetzt nicht so ist, hatte mir da aber einfach einen unglaublichen Druck gemacht. Das war schrecklich, aber ich würde es immer wieder tun.

Ihr habt auf Facebook angekündigt, dass ihr vorhabt, limitierte Turnbeutel zu verkaufen, bei denen der Erlös an Pro Asyl geht. Das ist ein gutes Projekt, passend zu eurer Textzeile „Tote Herzen schlagen nur für ihr Land“, mit der ihr offensiv den Nationalismus angeprangert. Was glaubt ihr, kann man außerdem als Band oder auch als Mensch tun, um mit einem Thema wie der Ablehnung gegenüber Flüchtlingen umzugehen?

Jonas: Wenn man versucht zu helfen, wünscht man sich natürlich, dass das Feedback dementsprechend ausfällt. Ich sehe uns immer noch als so eine kleine Pissband an und frage mich ein bisschen, wer so was kaufen soll, wenn wir das anbieten. Aber viel wichtiger, als dass auf so einem Weg eine Spende rauskommt, finde ich es, damit einfach ein Statement abzugeben. Es ist erschreckend und man kann nur noch peinlich berührt sein davon, was für Reaktionen es auf die Flüchtlinge gibt. Mehr als Übelkeit, Wut und absolutes Unverständnis kommt da bei mir nicht auf. Meine Oma hat uns mal erzählt, wie es damals für sie als Flüchtling war, und wenn man sich anschaut, wie viele in Deutschland leben, die irgendwann mal Flüchtlinge waren, fragt man sich wirklich nur, wie Leute so dämlich abgestumpft sein können, dass sie jetzt so mit dem Thema umgehen.

Lars: Es ist auch einfach schlimm, wie viele Menschen nicht checken, wie unglaublich dämlich Rassismus ist. Das muss man auch gar nicht nur im Kontext von Flüchtlingen sehen.

Jonas: Bei den Rechten hat sich ja eigentlich nichts großartig getan, außer dass die sich vielleicht mehr trauen. Ansonsten ist doch das wirklich Peinliche, was die so genannte Mitte der Gesellschaft damit zeigt. Es fühlt sich an, als wäre es das, was gerade angesagt ist. Jeder behandelt das auf Facebook, als ob das ein Stammtisch wäre. Und das darf einfach nicht sein. Wenn du ein Mensch bist, dann solltest du auch deine Menschlichkeit gegenüber anderen zeigen. Fertig.