FJØRT

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Soundtrack für die dunkle Jahreszeit

Aachen ist bekannt für Printen, Alemannia, den Karlspreis, Reitturniere und Maschinenbaustudenten – nicht unbedingt für Musik. Schon gar nicht für Post-Hardcore. Und doch kommt mit FJØRT eine der interessantesten und ambitioniertesten Post-Hardcore-Bands aus der Grenzstadt im äußersten Westen Deutschlands. Interessant deshalb, weil ihre Musik mit viel Melodie und Einfallsreichtum aus dem Einheitsbrei heraussticht und mehr Wert auf Punk denn auf Hardcore legt. Ambitioniert, weil FJØRT mit ihren Songs, ihrem Artwork und ihren Videos ein umfassendes ästhetisches Konzept verfolgen, das sie uns anlässlich des neuen Albums „Kontakt“ im folgenden Gespräch ausgiebig erklären.

Würdet ihr mir zustimmen, wenn ich sage, ihr seid eine Stimmungsband? Im Sinne von, dass man in einer gewisser Stimmung sein muss, um euch zu hören, am besten in einer melancholischen?

David:
Ja, das stimmt, Melancholie, das passt. Ich glaube, eine FJØRT-Platte im Sommer herauszubringen, wäre nicht so gut. Das überlassen wir lieber Shakira. Wir sind eher für die dunkle Jahreszeit da, haha.

Wie kommt das? Schreibt ihr Songs nur, wenn ihr schlecht drauf seid?

Chris:
Ich glaube einfach, dass uns das Schreiben von Songs, die sich mit negativen Dingen befassen, wesentlich mehr liegt. Zudem sind wir selber Fans von Musik, die eine gewisse Tiefgründigkeit und Nachdenklichkeit besitzt. Letztlich haben wir schlichtweg nicht das Talent, eine Ska-Uptempo-Nummer zu schreiben.

David: Wir finden außerdem, dass die tollen Zeiten im Leben nicht unbedingt besungen werden müssen. Dafür gibt es andere Künstler. Die stellen sich hin und sind megageil drauf und sagen: Jetzt haue ich mal eine ordentliche Spaßnummer raus! Für uns sind eher die Themen relevant, die uns wirklich nerven und im negativen Sinne bewegen. Themen, die uns über Sachen nachdenken lassen. Und die passen nicht in einen wunderschönen Dur-Akkord.

Apropos „passen“: Was sehr gut zu eurer musikalischen Melancholie passt, sind die mitunter kryptischen Texte, die viel Spielraum für Interpretationen lassen. Warum nennt ihr das Kind nicht beim Namen?

Chris:
Das hängt damit zusammen, dass wir es selbst spannend finden, die Songs anderer Bands zu hören und dabei nur eine gewisse Ahnung oder ein gewisses Gefühl zu haben, um was es darin gehen könnte. So muss ich mich noch einmal intensiver mit den Songs befassen, um da etwas für mich rauszuziehen. Im anderen Fall hakt man das für sich persönlich zu schnell ab – und das ist schade.

Chris, du bist derjenige, der bei euch hauptsächlich für die Texte zuständig ist. Über was schreibst du auf diese frei interpretierbare Art?

Chris:
Das sind in der Regel persönliche Geschichten. Aber ich verpacke sie eben ein wenig, so dass nicht alles zu offensichtlich ist. Es ist schön, wenn jeder für sich selbst etwas in den Songs findet.

Halten wir also fest, dass wenn du Maler wärst, würdest du die Leute vor deine Bilder stellen und ihnen sagen: Ich erzähle euch nichts dazu. Seht sie euch an und macht euch eure eigenen Gedanken.

Chris:
Auf jeden Fall. Bei Kunst ist eben immer auch eine gewisse Eigenleistung erforderlich.

David: Das ist ja das Großartige an uns als Lebewesen: Wir sind alle unterschiedlich. Und als FJØRT ist es nicht unser Anliegen, die Menschen an die Hand zu nehmen und zu missionieren und ihnen zu sagen: Ihr müsst das so und so machen! Das tun schon genug andere Menschen – und die machen das, meines Erachtens nach, allesamt falsch. Es geht uns darum, bestimmte Punkte anzusprechen, die einen emotional berühren. Und bei denen denkt man dann: Das sagt mir etwas über mich selber. Auch wenn Chris das beim Schreiben vielleicht ganz anders sieht. Aber der Umstand, dass jemand dadurch über sein Leben nachdenkt und vielleicht etwas daran ändert – das reicht uns schon.

Interessanterweise gibt es somit auch nur einen Song auf „Kontakt“, bei dem ich sofort wusste, um was es geht: „Paroli“ spricht Fremdenhass an.

Chris:
Ganz genau. Und dieses Thema konnte auch nicht anders angesprochen werden. Denn trotz allem gibt es natürlich Themen, wo wir keine andere Deutung oder Meinung zulassen können. Und Fremdenfeindlichkeit ist ein solches Thema. Das ist indiskutabel.

Euer Konzept der kryptischen Texte und der Stimmungsmusik wird in gewisser Hinsicht fortgesetzt beim Artwork, denn die Cover eurer Platten zeigen seltsame Bilder: eine traurig schauende Frau mit Wollmütze bei „D’Accord“. Und jetzt bei „Kontakt“ ein Paar im Siebziger-Jahre-Chic, das in die Kamera lächelt.

Chris:
Das Paar steht wunderbar für den Begriff „Kontakt“ und ist zudem ein echtes Bild. Und ein echtes Bild sagt viel mehr aus über das Album als ein gestelltes Bild.

David: Wir spielen sehr gerne mit ambivalenten Motiven. Beim Bild zu „Kontakt“ denkt man zuallererst ja mal: Klar, ist eine Schlagerplatte! Es ist entstanden im Rahmen einer Reise, die mehrere Paare gemeinsam unternommen haben. Und wir fanden, es gibt nichts Gegensätzlicheres als unsere fragenden Texte im Vergleich zu diesem Motiv, das eine unglaublich positive Ausstrahlung hat. Und genauso war es beim „D’Accord“-Cover. Das hat uns irgendwann angesprungen und nicht mehr losgelassen.

Darf man fragen, wer auf dem Cover von „Kontakt“ zu sehen ist?

Chris:
Ja, darf man, haha. Es sind meine Eltern. Ich habe das Bild mal bei ihnen entdeckt, als ich sie besuchte, und sie gefragt, ob sie mir das geben. Ich finde, es ist das stärkste Foto, das ich von ihnen jemals gesehen habe. Ich habe mir dann einen Abzug in meine Wohnung gehängt, die Jungs haben es gesehen – und waren ebenfalls total begeistert, haha.

Hast du deinen Eltern gesagt, dass sie nun ein Plattencover zieren – oder werden sie demnächst fassungslos im Laden stehen und in ihre eigenen Gesichter blicken, wenn sie die Platte ihres Sohnes aus dem Regal ziehen?

Chris:
Keine Sorge: Ich habe sie gefragt, haha. Und sie haben gesagt: „Wenn dich das unterstützt in deiner Sache, dann kannst du das Foto gerne verwenden. Uns erkennt da sowieso keiner mehr drauf.“

Wenn man all das einmal zusammen betrachtet – die Stimmung der Songs und die Cover – und sich dazu eure Videos anschaut, dann kann man sagen: Ihr seid eine Band, die auf Ästhetik achtet.

Chris:
Auf jeden Fall. Wir wollen Gefühle transportieren. Und Musik, Bilder sowie Videos transportieren ja ein bestimmtes Gefühl. Wir versuchen, in dieser Hinsicht aus dem Vollen zu schöpfen.

Wie man ja auch an eurem aktuellen Video zum Song „Lichterloh“ sehen kann, in dem zwei Balletttänzer mitwirken.

Chris:
Was die Videos angeht, so haben wir mit Regisseur Michael Winkler jemanden, der das, was wir uns vorstellen und in die Songs hereinlegen wollen, perfekt umsetzen kann.

Bei diesem ausgeprägten Sinn für Ästhetik, geht ihr da auch mal gerne ins Museum?

David:
Eigentlich nicht, haha. Wir sind auch nicht diejenigen, die sich zu Hause tolle Bilder an die Wand hängen, sondern bei denen es eher chaotisch aussieht. Wir kanalisieren unsere Feinästhetik ausschließlich in unserer Musik.

Mittlerweile seid ihr beim Hamburger Label Grand Hotel van Cleef gelandet. Das ist nicht gerade bekannt für Hardcore- und Post-Hardcore-Bands.

David:
Wir haben uns mit FJØRT eigentlich immer schon für Dinge entschieden, die untypisch für uns sind und die man uns anhand unserer Musik niemals zugetraut hätte. Das fing damals bei der Booking-Agentur an: Da wollten wir keine haben, die mit Hardcore zu tun hat. Wir waren früher als Kids auch eher auf Konzerten unterwegs, auf denen ruhigere Musik, Indie-Musik, lief. Wir waren nie die Turnschuh-Hardcore-Fraktion aus der harten Szene. Daher war es für uns auch eine große Sache, als die Anfrage von Grand Hotel van Cleef kam. Da fühlen wir uns gut aufgehoben. Musikalisch. Und menschlich, denn wir lieben es, mit bodenständigen Leuten zusammenzuarbeiten. Wir müssen uns wohlfühlen. Und wohlfühlen tun wir uns nur im Team und bei Leuten, die mit uns auf einer Augenhöhe sind. Das war bei unseren vorherigen Labels ganz sicher nicht anders. Aber aufgrund der Tatsache, dass eine der ersten Bands auf Grand Hotel van Cleef ausgerechnet unsere Aachener Freunde PALE waren, schloss sich mit diesem Deal eben auch ein Kreis.

„Kontakt“ klingt wie der perfekte Nachfolger von „D’Accord“: homogen, bandtypisch. Und doch ist es völlig anders. Es ist abwechslungsreicher, verspielter. Was hat sich für euch bei der Arbeit an diesem Album geändert?

Frank:
Wir haben beim Aufnahmeprozess an sich nicht viel anders gemacht. Aber wir haben früher angefangen, die Songs für „Kontakt“ zu schreiben, um die Stücke zwischendurch auch mal eine Weile liegen zu lassen, ehe wir uns wieder dransetzen. Wenn man das nicht tut, dann läuft man Gefahr, sich zu wiederholen. Wenn man zu früh nach einer Platte anfängt, schon wieder neue Songs zu schreiben, und diesen Songs keine Zeit lässt, dann wiederholt man sich schnell, weil man noch zu sehr mit der vorigen Platte beschäftigt ist.

Interessant an euren Songs ist auch die Tatsache, dass Chris zwar seine Screamo-Technik beherrscht, aber trotzdem zu verstehen ist. Das ist leider bei vielen anderen Bands aus dem Genre nicht der Fall. Da wird gebrüllt und gekreischt – und der Hörer versteht kein Wort ...

Chris:
Daran habe ich tatsächlich auch gearbeitet. Das ist mir wichtig. Die Texte müssen verständlich sein. Sie dürfen nicht am Hörer vorbeifliegen. Sie müssen ihn attackieren. Ich will nicht, dass sie nur Beiwerk sind in den Songs und die Leute erst beim 18. Mal rauskriegen, um was es da jeweils geht. Ich investiere zu viel Arbeit in die Texte und will jedes Wort an der richtigen Stelle haben. Dann sollen sie auch verstanden werden.

Kommen wir noch mal auf die Musik zu sprechen: FJØRT-Songs hören sich mit ihren vielen Breaks, messerscharfen Riffs und den Tempowechseln für mich so an, als entstünden sie entweder komplett am Reißbrett – oder aus wilder Improvisation. Welches ist der richtige Weg?

Chris:
Ehrlich gesagt passen beide Alternativen nicht zu uns. Wir haben meist eine komplette Songstruktur und testen dann, ob das passt oder nicht. Es ist eher ein gefühlsmäßiger Prozess während des Spielens. Wir merken sehr schnell, ob uns die Songs Spaß machen oder nicht. Und wenn ein Song keinen Spaß macht, dann schaut man eben, was man noch daran ändern kann.

David: Die Erfahrung, die ich aus allen bisherigen Bands und Projekten mitgenommen habe, ist die: Songwriting funktioniert nur, wenn man einander achtet. Und wenn man keine verdammten Diskussionen beginnt. Denn wenn ich versuche, meinem Gitarristen zu sagen, dass der Part, den er da spielt, scheiße ist, und wenn er diesen Part eine halbe Stunde verteidigt, bis wir uns um des lieben Friedens Willen auf einen Kompromiss einigen, den eigentlich beide Seiten blöd finden – dann bekommt das der Hörer am Ende auf der Platte mit. Garantiert!

Gibt es bei euch also keine solchen Diskussionen?

David:
Nein. Und diese Band ist meine erste, in der es so läuft. Wir haben einfach das Glück, dass wir uns so gut kennen und dass wir uns alles sagen können. Wir nehmen die Hinweise der anderen an. Wenn Chris mir sagt: „Dein Basslauf ist nicht gut“, dann spiele ich ihn nicht noch einmal. Und genauso entstehen Songs im Kollektiv: Man steckt die Energie nur in Neues, nicht in Altes und Überflüssiges.

Trotzdem ist doch jeder Musiker irgendwie auch ein Alphatier, das seinen Stolz hat. Fällt das Zurückstecken da nicht manchmal schwer?

David:
Bei uns ist der Respekt vor den anderen größer als das Ego des Einzelnen. Natürlich ist es nicht geil, wenn dir jemand sagt, dass dein Riff scheiße ist. Aber nur so funktioniert es. Und bei uns war es von Anfang an so. Wie gesagt: Wir haben aus Erfahrung gelernt. Nicht alle Bands machen das so. Und ich sage: Wenn sie es anders machen, dann hört man das auch raus.

Nun erklärt mir zum Schluss doch bitte noch, wie man in Aachen, der Stadt der Maschinenbaustudenten, zum Post-Hardcore kommt?

Frank:
Wir können so endlich mal rausschreien, in was für einer miesen Stadt wir eigentlich leben, haha.

David: Wir sind hier in der Punkrock-City Aachen musikalisch sozialisiert worden. Es gab Zeiten, da waren hier bei jeder Punk-Show 200, 300 Leute und die Hütte hat gebrannt. Das war eine richtige Szene. Wir hatten hier großartige Konzerte. Und das hat uns extrem beeinflusst. Leider ist das mit der Zeit zurückgegangen, weil die Leute älter wurden und mitunter wegzogen. Und tatsächlich hat sich mittlerweile eine neue und elitäre Szene – so eine elektronische Maschinenbauer-Sache – entwickelt. Aber das stört uns nicht. Wir können hier in aller Ruhe arbeiten und haben beispielsweise mit dem Musikbunker eine perfekte Infrastruktur mit Proberäumen und Auftrittsort und allem, was wichtig ist. Wir könnten auch in Köln oder Berlin leben. Aber hier gefällt es uns gut.