SPIZZENERGI

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Wo ist Captain Kirk?

Alles begann, als Kenneth „Spizz“ Spiers 1977 bei einem Gig von SIOUXSIE & THE BANSHEES auf die Bühne sprang und mitsang, was ihm umgehend zu einem Plattenvertrag verhalf. Bekannt wurden er und seine wechselnden Mitmusiker dann vor allem durch ihre ständigen Umbenennungen, von ATHLETICO SPIZZ 80 über SPIZZLES bis hin zu SPIZZENERGI, und natürlich durch ihren Hit „Where’s Captain Kirk?“, der um die Jahreswende 1979/80 erschien. 1991 markierte die Geburt von Spizz’ Tochter Molly das vorläufige musikalische Ende – erst 2007 kam es zu einem Comeback von SPIZZENERGI in neuer Besetzung mit Festivalauftritten in Italien und Belgien sowie einem Gig mit den NEW YORK DOLLS im Londoner 100 Club.

Spizz, lass uns zuerst über die aktuelle Tour sprechen: Wie ist es zu den beiden Gigs in Augsburg und München gekommen? Und warum nur zwei Shows?


Wir haben eine gute Beziehung zum unabhängigen Promoter Bazooka Booking. Vor drei Jahren spielten wir an zwei Abenden in Berlin im Cortina Bob, 2014 spielten wir in Lübeck, Berlin, Stuttgart und letztes Jahr in München und Augsburg. Momentan können wir nur von Freitag bis Sonntag spielen, deshalb gab es nur zwei Shows, aber dieses Jahr werden vielleicht mehr daraus. Anfang 2015 hatten wir fünf UK-Auftritte mit SPEAR OF DESTINY und im Dezember fünf mit THEATRE OF HATE, vielleicht schaffen wir es 2016 für einige Auftritte nach Europa. Von England mal abgesehen ist Deutschland das Land, in dem ich bisher am häufigsten aufgetreten bin.

Kannst du mir mehr über „Augsburg calling Bremen“ erzählen? Bist du ein Fußballfan? Spielst du in deiner Freizeit selbst?

Ich bin Anhänger von Aston Villa, dem Team, das den Europacup mit einer Mannschaft von 14 Spielern gewonnen hat! Fußball hat in meinem Leben immer eine große Rolle gespielt. Gerhard, der aus der Augsburger Szene kommt, hat mir ein Augsburg-Shirt besorgt. Ja, ich spiele auch selbst, weil ich das ganz gut kann, aber in diesem Jahr musste ich das reduzieren. Es gab mehr Konzerte und ich konnte weniger spielen, darüber war ich gar nicht glücklich.

Wie sahen die Reaktionen auf die neue Single „City Of Eyes“ bisher aus?

Bei Live-Gigs in Großbritannien singen die Leute mit. Und ich habe nicht genügend Vinylsingles auf die Deutschlandtour mitgebracht, alles war schnell ausverkauft. Ich hoffe, beim nächsten Mal habe ich genügend Exemplare dabei.

Erzähl mir mehr über den Hintergrund des Songs. Was hat dich dabei inspiriert?

Er handelt von der Bedrohung durch E-Mail-Überwachung, Facebook-Stalking, Videoüberwachung und allen anderen Dingen, die unsere persönliche Freiheit aushöhlen. Wegen der rechten Regierung hier ist diese Bedrohung momentan sehr real. London und überhaupt Großbritannien setzen die meisten Überwachungskameras ein, mehr noch als Nordkorea, Russland und die Vereinigten Staaten. Die Abschaffung der Rechte, für die wir ein Jahrhundert lang hart gekämpft haben, bringt mein Blut in Wallung. Ja, es sind diese Orwellschen Ängste, die mich antreiben. Ich bin natürlich auch ein Entertainer, aber ich kann nicht nur eine Comedy-Show liefern und versuche, bei meinen Auftritten immer ein Gleichgewicht zu finden. Ich muss dem Publikum auch meine Sicht der Dinge weitergeben, in erster Linie deshalb stehe ich auf der Bühne, deshalb bin ich Künstler.

Also ein erneutes Aufgreifen eines alten Themas, SPIZZORWELL? Hat Orwell einen großen Einfluss auf dein Werk gehabt?

Genau so ist es.

Gerade ist die Dokumentation „The Road To Wakefield Pier“ über euren Auftritt 2015 im Warehouse in Wakefield erschienen. Hat der Regisseur Phil Calland beim Filmtitel George Orwells Buch „The Road To Wigan Pier“ im Kopf gehabt?

Auf dem Weg zu dem Auftritt hat mein Gitarrist „The Road To Wigan Pier“ gelesen und das hatte ich im Kopf, als Phil fragte, wie wir die DVD nennen sollten. Es fiel mir einfach so ein und ergab Sinn.

Mit „Here Come The Machines“ steht bald eine weitere neue Single an ...

Ja, und wir haben den Song auf der Tour zum ersten Mal live gespielt. Der Soundcheck in München war so eine Art Probe, weil wir ihn davor nur ein einziges Mal gespielt hatten.

Wie sieht die derzeitige Besetzung aus?

Seit 1996 sitzt Jeff Walker am Schlagzeug, er ist der beste Drummer mit dem ich jemals gearbeitet habe. Seit 2012 spielt Luca Comencini Gitarre, Phil Ross ebenfalls, jedoch hauptsächlich Rhythmusgitarre, und Ben Lawson ist am Bass dabei. Für unseren ersten gemeinsamen Auftritt im Oktober 2012 hat das jetzige Line-up nur einmal geprobt.

Die Originalbesetzung sah ja noch etwas anders aus ...

Eigentlich gab es nie eine Originalbesetzung. 1979 haben wir sieben Gitarristen und fünf Drummer verschlissen. Mein damaliger Bassist Jim Solar hatte wenig Geduld mit Leuten, die den ersten Gig vergeigten – du hattest nur einen Versuch. Meist hatte er auch recht damit. Mal abgesehen von Gitarrist Pete Petrol und Drummer Alan Wave. Die gehörten zur Besetzung, die auf „Soldier Soldier/Virginia Plain“ und „Where’s Captain Kirk?“ spielte, und die war einfach cool!

Wo fand euer erster Gig statt?

Mein erster öffentlicher Auftritt fand am 29. August 1977 auf einem Punkfestival statt, dem Bank Holiday Wochenende, vor tausend Leuten im Barbarellas Club in Birmingham bei einem Auftritt von SIOUXSIE & THE BANSHEES.

„Where’s Captain Kirk?“ ist für mich eine der besten Punk-Singles überhaupt – wie ist der Song entstanden?

Nach einer Probe in der Wohnung unseres Keyboarders Mark Coalfield spielte er einen Song an, den ich nicht so richtig mitbekam. Danach ging ich in den Pub. Auf dem Heimweg im Bus hatte ich einen Einfall für zwei Strophen im Kopf, aber ich hatte weder Papier noch einen Stift dabei. Ich stieg aus, rannte heim und schrieb alles schnell auf, und als ich das tat, fiel mir auch die dritte Strophe ein. Bei der nächsten Probe sagte ich, dass ich einen neuen Text hätte. Wir spielten den Song und Jim Solar und Mark Coalfield sagten, dass er großartig wäre, und wir spielten ihn gleich noch fünf oder sechs Mal.

Es gibt ja recht viele Coverversionen von „Captain Kirk“, unter anderem von R.E.M., welche gefällt dir am besten? Macht es dir etwas aus, den Song heute noch zu spielen?

Ich habe sieben oder acht Coverversionen davon gehört, weiß aber nicht, von wem die stammen. Die beiden besten sind übrigens von deutschen Bands. So um 1984/85 hatte ich eine Phase, wo ich ihn nicht mehr hören konnte und einige Gigs ohne ihn spielte. Das war ein großer Fehler, den ich lange bereut habe.

„Where’s Captain Kirk?“ ist ja nicht der einzige Song zum Thema Raumschiff Enterprise, es gibt ja zum Beispiel noch „Spock’s missing“. Welche Bedeutung haben die Abenteuer von Captain Kirk und seiner Crew für dich?

Damals dachte ich, dass so eine mögliche, positive Zukunft aussehen könnte. Viele Dinge davon sind inzwischen Wirklichkeit geworden, aber es wird wahrscheinlich noch hundert Jahre oder länger dauern, bis es Warp-Geschwindigkeit und Beamen geben wird. Und natürlich schaue ich auch immer noch „Star Trek“.

Du bist dafür bekannt, die Band fast im jährlichen Rhythmus umzubenennen. ATHLETICO SPIZZ 80, THE SPIZZLES, SPIZZOIL ... Warum so viele verschiedene Namen?

SPIZZ77 war damals die Gegenwart und hätte ein Jahr später, also 1978, nicht mehr funktioniert! Als ich dann die englischen Ölbohrinseln sah, welche für mich die größten von Menschen gemachten Objekte zu sein schienen, die jemals auf der Erdoberfläche standen, musste es SPIZZOIL sein. Aber dann haben Pete Petrol und ich uns am Ende der „Hong Kong Garden“-Tour mit SIOUXSIE & THE BANSHEES zerstritten und es hat nicht mehr gepasst.

Wie viele Male hat John Peel dich eingeladen?

Viermal. 1978 mit SPIZZOIL, 1979 zweimal mit SPIZZENERGI und 1980 dann noch mit ATHLETICO SPIZZ 80.

Ist „Do A Runner“ euer einziges Album, das zu dieser Zeit erschienen ist? Was ist danach passiert?

Es gab nicht nur „Do A Runner“, sondern 1981 auch noch „Spikey Dream Flowers“, die beide bei A&M erschienen sind. Danach ging es mit einer Compilation unserer größten Hits zurück zu Rough Trade.

Du hast eine Weile Gitarre bei HEAVEN 17 gespielt. Wie ist es dazu gekommen?

Nun ja, Martyn Ware saß hinter seinen Keyboards fest, ebenso wie Ian Craig-Marsh, und Glenn Gregory hatte eine Knieverletzung. Und da ein Auftritt im italienischen Fernsehen unbarmherzig näher rückte, brauchten sie jemanden, der die Sache ein wenig auflockerte und lebendiger machte. Als guter Kumpel übernahm ich den Job und nach dem Auftritt in Italien ging es auf Tour nach Spanien, Belgien und wieder nach Italien, danach nach Deutschland und noch einmal nach Italien. Eine großartige Zeit!

Was ist das Merkwürdigste, das dir jemals auf der Bühne passiert ist und welches war der schrecklichste Club?

Viel zu viele seltsame Sachen. Und über scheußliche Clubs denke ich nicht weiter nach, sorry.

Du postest auf Facebook viele Fotos aus Venedig, hast du mal dort gelebt?

Ich mag Venedig und bin oft dort, habe aber nie da gelebt. Wenn man die Zeit, die ich dort verbracht habe, zusammenzählt, kommt man nur auf sechzig Tage in vier Jahren.

 


DISKOGRAFIE

ATHLETICO SPIZZ 80 Do A Runner (LP, A&M, 1980) • THE SPIZZLES Spikey Dream Flowers (LP, A&M, 1981) • SPIZZHISTORY Rough Trade Singles (LP, Rough Trade, 1981) • SPIZZ OIL The Peel Sessions (12“, Strange Fruit, 1987) SPIZZENERGI Unhinged (CD, Damaged Goods, 1994) • Spizz Not Dead Shock! (CD, Cherry Red, 1996) • The Custard Channel (CD, Spizzcom, 1999)