TALCO

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Bella Italia?

Kaum eine andere Band beschäftigt sich so konsequent mit politischen Missständen im Nach-Berlusconi-Italien wie TALCO. Die Ska-Band aus Marghera, einem Vorort von Venedig, steht seit 15 Jahren für hochpolitischen Highspeed-Ska, der gehörig Druck von unten macht. Auch das neue Album „Silent Town“ beschäftigt sich mit korrupten Politikern, erzählt von fehlenden politischen Idealen und der Gier nach Macht und Ruhm. „Silent Town“ ist ein Konzeptalbum und stellt den Abschluss einer Album-Trilogie dar. Und nicht nur das: Parallel zum Album „Silent Town“ hat Sänger Dema auch einen gleichnamigen Roman geschrieben.

Wie bist du auf die Story zu „Silent Town“ gekommen? Gibt es eine echte Stadt als Vorbild?


„Silent Town“ ist keiner realen Stadt nachempfunden. Die Bewohner dieser fiktiven Stadt leiden an den gleichen Symptomen wie überall in Italien: Populismus, Diskriminierung und Rassismus. Ohne Bildung, Vorbilder und Ideale geht in „Silent Town“ auch nichts voran. Ich versuche mit der Geschichte, die Ideale von Leuten aus der Partisanenzeit zu beleuchten. Das sind Ideen, die die Menschen in Italien aufgrund gezielter Propaganda nicht mehr kennen. Ein großer Einfluss auf „Silent Town“ war aber auch das Werk des kolumbianischen Schriftstellers Gabriel García Márquez, speziell das Buch „Hundert Jahre Einsamkeit“, in dem der Autor seine Leser in die fiktive Welt von Macondo entführt.

Wie kann ein korrupter Politiker wie Silvio Berlusconi nach all den Skandalen überhaupt noch politisch aktiv sein?

Weil er in dreißig Jahren ein System aufgebaut hat, das die Kultur Italiens Stück für Stück ruiniert hat. Durch seine Medienmacht hat er die Herrschaft über Moral und Information im Land. Und diese Mentalität, die er erschaffen hat, lässt ihn alles machen, was er will, ohne jeglichen Widerstand. Sein Triumph ist sein mafiöses System, das sein Denken in den staatlichen Institutionen und in den Köpfen der Menschen verankert hat. Und es ist eine Art von Krankheit, die immer noch schwer zu bekämpfen ist.

Zusammen mit dem Album „Silent Town“ soll auch ein Buch herauskommen. Wie sieht der Plan hinter dem Buch aus? Ist es das nächste Kapitel nach der Musik?

Es ist die gleiche Geschichte wie auf der Platte. Das Buch erzählt die Geschichte der Stadt und das Album versucht die Hauptdarsteller der Geschichte zu beleuchten. Mein Ziel ist es, Aufmerksamkeit auf die Probleme unserer Tage zu lenken: Populismus, Rassismus, Kulturkrise, Trash-TV und wichtige Persönlichkeiten unserer Zeit. Aber natürlich sind wir in erster Linie Musiker und wollen so viele Konzerte wie möglich spielen. Die Idee für das Buch hatte ein Freund von mir. Zuerst habe ich gesagt: Nein, das kann ich nicht. Aber dann habe ich es einfach ausprobiert. Und jetzt sitze ich hier und spreche über mein erstes Buch! Die Schriftstellerei ist eine Sache, die mir großen Spaß gemacht hat, aber nicht mehr.

Gibt es eine Verbindung zwischen „Silent Town“ und den beiden Vorgängeralben „La Cretina Comedia“ von 2011 und „Gran Gala“, 2013?

„La Cretina Commedia“ erzählt die Geschichte von Peppino Impastato und jeder Song bezieht sich auf ein aktuelles Problem Italiens, zum Beispiel die Krise der linken Parteien im Land. „Gran Gala“ erzählt die Geschichte eines Mannes, der nach vielen Jahren im Ausland wieder nach Hause kommt und sich wundert, wie sein Land so tief in eine gefährliche politische und moralische Krise rutschen konnte. Der Song „A picco“ handelt von einem Schiffbruch, bei dem Bürger, Politiker und Paten mit einem Schiff vor ihrer Schuld fliehen wollen und untergehen. Und an diesem Punkt von „Gran Gala“ setzt „Silent Town“ an.

Wie steht es um die Punk-Szene in Italien und speziell in eurer Heimatstadt Marghera?

Ziemlich schlecht. Ehrlich gesagt gibt es gar keine Szene mehr. Und verantwortlich dafür sind ein paar alte Bands, die ein mafiöses System aufgebaut haben, um zu überleben. Und das existiert immer noch, obwohl es diese Bands schon lange nicht mehr gibt. Und Promoter, Fernsehen und Fanzines haben das ganze Schlamassel noch schlimmer gemacht. Alle diese Dinge haben Punkrock in Italien zerstört und viele gute Bands haben keine Möglichkeit mehr, Konzerte zu spielen. Wir konnten zum Glück den Sprung ins Ausland schaffen und in einer ehrlicheren Szene spielen. Dafür sind wir sehr dankbar. Wenn wir in Italien geblieben wären, hätten wir wahrscheinlich über all die Jahre hinweg nicht auftreten können.

Wie sieht aktuell die Lage mit den Flüchtlingen in Italien aus?

Solange Bürger und Politiker keine echte Willkommenskultur entwickeln und eine bessere Lösung für die Unterbringung finden, profitieren die Populisten und Rechtsradikalen von der Situation und verbreiten ihre Bullshit-Propaganda. Einwanderung hat schon immer eine großartige Chance für ein Land mit sich gebracht. Aber in Italien erkennt man diese Möglichkeiten nicht.

In Deutschland gewinnen Rechtsradikale und Populisten immer mehr an Einfluss. Und die Zahl der rechten Anschläge und Gewalttaten steigt rasant. Ist das in Italien ähnlich?

Das hat schon unter Berlusconi angefangen und jetzt macht der Populismus Parteien wie Lega Nord groß. Die italienische Geschichte lehrt uns, dass Ausländerhass und Rechtsradikale immer dann gefährlich werden, wenn es eine wirtschaftliche oder kulturelle Krise gibt. Sie haben, unterstützt vom Volk, das Land ruiniert, und als die Bürger dann kapiert haben, dass all das zu einer Diktatur geführt hat, haben sich die Menschen versteckt und auf glorreiche Partisanen gewartet, die wieder einen Umsturz herbeiführen sollten. Das ist immer der gleiche Kreislauf in Italien, weil die Menschen hier immer alles vergessen.

Wie reagieren die Menschen in Italien auf eure sozialkritischen Texte?

Ich denke, da gibt es kein großes Problem. Nur einmal hat eine Zeitung geschrieben, dass wir den Partisanen-Song „Bella ciao“ singen und der Konzertveranstalter sich beschwert habe, weil er unpolitisch sei. Aber später haben wir herausgefunden, dass das eine Erfindung der Zeitung war und wir kein echtes Problem mit dem Promoter hatten. Es gibt eine Menge politische Bands, die in Italien Konzerte spielen, ohne Probleme zu bekommen. Natürlich bekommen sie keinen Platz in einem Sender von Berlusconi, aber wenn du politische Musik machst, sind das auch nicht unbedingt die Medien, in denen du auftreten willst.

Ihr habt eine sehr enge Verbindung zu Berlin. Dort haben euer Label und eure Booking-Agentur ihren Sitz. Woher kommt das?

2005 haben wir dort auf dem Punkitalia-Festival unsere erste große Show gespielt. Mehr als 900 Leute haben zu unserer Musik getanzt. Das war für uns als Band eine Art Startschuss und Berlin ist dadurch zu unserer zweiten Heimat geworden. Bis heute sitzt unser Management in Barcelona, das Booking läuft zwischen Berlin und Barcelona und deshalb bezeichnen wir uns als Barcelona-Berlin-Band, die in Marghera wohnt.

Es gibt noch eine weitere italienische Band in Berlin, die auch bei Destiny unter Vertrag ist: THE OFFENDERS. Habt ihr zu denen einen besondere Verbindung? Und gibt es noch mehr italienische Punkbands in Berlin?

Klar kennen wir die. Wir haben sie letztes Jahr drei oder vier Mal getroffen. Das sind gute Jungs und einige von ihnen kennen wir schon seit Jahren. Ich weiß aber nicht wirklich, ob es noch weitere italienische Punkbands gibt, die in Berlin leben. Ich glaube nicht.

Im Frühjahr wollt ihr mit einer bayerischen Band auf Tour gehen: THE PROSECUTION. Kennt ihr diese Jungs? Habt ihr sie als Support ausgesucht?

Kai Mutti von Muttis Booking und unser Manager David von HFM hat uns THE PROSECUTION vorgeschlagen und wir waren sehr glücklich damit. Sie spielen wirklich guten Skacore und machen eine gute Show. Das passt gut mit TALCO zusammen. Wir kennen sie bisher nicht persönlich.

Ihr seid auch große Fans vom FC St. Pauli, habt sogar einen Song über diesen Verein geschrieben. Wie seid ihr zu den Hamburgern gekommen? Gibt es keine linksgerichteten Clubs in Italien?

Wir haben den Club 2006 für uns entdeckt, so etwas kennen wir aus Italien nicht. Natürlich gibt es auch bei uns linksgerichtete Vereine, aber nicht so groß und organisiert wie der FC St. Pauli. Zwei Jahre später haben wir beschlossen, dem Verein auf unserem Album „Mazel Tov“ einen Song zu widmen. Und 2009 haben wir die Verbindung intensiviert durch die Single „St. Pauli“ und das Fanräume-Projekt. Wir lieben den Verein und wir sind sehr stolz auf diese Verbindung.