TIPS

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Under the influence

Aus Düsseldorf kommen THE TIPS, die soeben via Long Beach ihr neues Album „Twists’n’Turns“ veröffentlicht haben, mit dem bewährten Mix aus Punk und Ska sowie etwas Soul und Reggae. Wir baten Sänger und Gitarrist Ali, sich für das Ox seine musikalische Sozialisation in Erinnerung zu rufen.

Seitdem ich denken kann, interessiere ich mich für Musik. Es war nie eine bestimmte Richtung, sondern alles, was mich berührt. Alles, was man ohne Worte und ohne Beschreibung versteht, ohne dass es jemand erklären muss. Zu meinen ersten musikalischen Einflüssen gehört neben den BEATLES („Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“), Billy Joel („Storm Front“) und Joe Cocker („With A Little Help From My Friends“) insbesondere Elton John. Von ihm lernte ich, wie man Harmonie auf dem Klavier umsetzt. So ist der Song „Honky cat“ eine meiner frühesten Kindheitserinnerungen. Das Album „Honky Chateau“ bewegte mich dazu, Klavier zu lernen. Außerdem war ich schon von Kindheit an durch meinen Vater, der selbst Pianist ist, stark vom Blues beeinflusst. Künstler wie BB King, John Mayall und Eric Clapton gehören zu meinen absoluten Favoriten. Wenn ich Musik höre, will ich, dass man hört, dass der Musiker alles gibt und zu 100% bei der Sache ist. Beim Blues geht es für mich darum, sich mit seiner Gitarre, seinem Klavier oder seiner Mundharmonika auszudrücken, ohne auch nur ein Wort zu verlieren.

Als meine Mutter mir im Alter von sechs Jahren BOB MARLEY & THE WAILERS („Uprising“) vorspielte, öffnete sich mir sofort eine neue Welt und ich wusste: Ich will unbedingt Reggae spielen. Der Groove von Schlagzeuger Carlton Barret und Bassist Aston Barett war etwas völlig Neues für mich und Gitarrist Al Anderson zeigte mir, dass man Rockgitarre zum Reggae spielen kann. Seit jeher ist Bob Marley nicht nur ein musikalisches, sondern auch ein persönliches Vorbild von mir. Dass er mit seinen Songs stets wichtige Botschaften verbreitete, wie etwa über die politischen Missstände und Unterdrückung in Jamaika, ließ mich hinter die Fassade von Reggae schauen. Viele Leute sagen immer: „Reggae handelt sowieso nur von Sonnenschein und Kiffen!“, doch hat Reggae erst einmal gar nichts damit zu tun – was nicht heißt, dass ich mir nicht auch gerne mal ’ne Tüte rauche. Reggae ist für mich viel eher ein rhythmisches Ventil, um Dampf abzulassen und seine Sicht der Dinge auszudrücken. Mit Bob Marley einhergehend lernte ich Ska kennen – THE WAILING WAILERS und THE SKATALITES. Aus Ska entstand Reggae, aber ich kam durch Reggae auf Ska und lernte die Wurzeln des Reggae erst später kennen. Ska kam schon viel eher heran an die Geschwindigkeit von Punkrock.

Ein weiterer Meilenstein war für mich Jimi Hendrix. Meiner Meinung nach gab es nie einen besseren Gitarristen. Seine Kreativität hat vielen die Augen geöffnet und gezeigt, dass man vor seinem Instrument keine Angst haben braucht, sondern eins mit seiner Gitarre werden muss, um sie richtig zu beherrschen. Mein Gitarrenspiel ist von ihm inspiriert und man findet hier und da ein paar Sachen bei den TIPS wieder. Allerdings gehört auch Punk zu meinen musikalischen Wurzeln. Damals zeigte mir ein Freund die deutsche Punkband FAHNENFLUCHT. Mit dem Album „Beißreflex“ habe ich die Band kennen gelernt und es war eine der wenigen deutschsprachigen Bands, die ich mir anhören konnte. Einige Jahre später spielte ich für kurze Zeit selbst dort Gitarre, was für mich als 19-jährigen ein absolutes Highlight war.

Deutsch ist zwar meine Muttersprache, doch hatte ich nie das Gefühl, in deutschen Texten das sagen zu können, was ich sagen will. Da meine Mutter Englisch unterrichtet, kam ich schon früh mit der Sprache in Berührung. Mit der US-Hardcore-Band BAD BRAINS entdeckte ich einen Kompromiss zwischen Punk und Reggae. Ihre Balance zwischen schnellem Punk und ruhigem Reggae Dub hat mich stark fasziniert, und sie zeigten mir, wie viel Ähnlichkeit die beiden Musikrichtungen haben.

Mit 18 Jahren habe ich den Entschluss gefasst, nach Amerika auszuwandern. Ich hatte in Deutschland einige Probleme und wollte Abstand von allem gewinnen. Es gab nichts, was mich hier gehalten hätte. Ein Freund bot mir an, bei ihm in Glendale, Arizona unterzukommen – und so nahm ich den Flieger von Düsseldorf nach Phoenix. Im Radio hörte ich dort seit langer Zeit wieder die Band SUBLIME. Mir war die Band zwar vorher schon flüchtig bekannt, jedoch habe ich mich bis dato nicht wirklich mit ihr auseinandergesetzt. Dies änderte sich daraufhin und ich interessierte mich immer mehr für ihre Geschichte und die Songs und ich erkannte die Ähnlichkeit der musikalischen Einflüsse von mir und SUBLIME. Ich bin lange auf der Suche nach dem Sound gewesen, den ich wirklich machen will. So spielte ich in Punk-, Crossover-, Metal- und Progressive-Bands, um dann wieder zu meinen persönlichen Wurzeln zurückzukehren. SUBLIME erschufen eine Szene rund um Longbeach und es entstanden viele Bands wie SLIGHTLY STOOPID, LONGBEACH DUB ALLSTARS oder PASSAFIRE. SUBLIME wurden nach dem Tod von Bradley Nowell 1996 weltweit bekannt, aber viele wissen nicht, dass es noch immer eine riesige Szene in Amerika gibt.

Schließlich hat es mich doch wieder zurück nach Deutschland verschlagen. Franky lernte ich durch meine Schwester kennen. Er war der erste Bassist und Mitgründer der TIPS. Ich brannte ihm damals eine CD für sein Auto und er fuhr total auf den SUBLIME-Sound ab. Wir wollten Reggae-Rock spielen. Ich fragte den Drummer der letzten Band, in der ich vor meinem Amerikaaufenthalt gespielt hatte, ob er Lust hätte, in einer Reggae/Rock-Band zu spielen. Janosch wollte es ausprobieren und das hieß für mich, dass er ab sofort unser Schlagzeuger ist. Anfangs spielten wir auf Konzerten viele SUBLIME-Cover, doch mit den Jahren entwickelte sich unsere Musik immer mehr zu etwas Eigenem, so dass die Leute nicht nach jedem Konzert sagten: Ihr klingt ja wie SUBLIME! Am Anfang drehte sich unser Leben allerdings nur um Gras und Drogen. Wenn Proben für 18 Uhr angesetzt waren, kamen Frank und ich meist erst gegen 21 Uhr am Proberaum an. Dann wurde erst einmal der Grinder ausgepackt und eine Tüte gedreht. Danach kam dann der Kasten Bier hinzu. Wir zelebrierten jede Probe genauso. Jeden Tag gegen 16 Uhr, sobald Frank von der Arbeit kam, klingelte er mich wach und das Erste, was wir taten, war, uns zwei oder drei Köpfe zu rauchen. Janosch hingegen war immer der Vernünftige in der Band, der den Proberaum von dem örtlichen Jugendzentrum zur Verfügung stellte und der versuchte, uns in die richtige Richtung zu lenken. Genau das spiegelt sich in dem Album „High Sobriety“ wider. Frank verließ die Band 2012, weil es wahrscheinlich zu viel war. Faf kam hinzu, der aus der Punk-Ecke kommt. „Trippin’“ wurde wahrscheinlich auch aus dem Grund wesentlich härter als das Album davor. Durch Einflüsse von Bands wie RAGE AGAINST THE MACHINE, RED HOT CHILI PEPPERS und SKINDRED entstand der neue THE TIPS-Sound.

Ich wollte nie, dass die Musik, die ich schreibe, nach einer anderen Band klingt. Ich wollte, dass es sich zu etwas Eigenem entwickelt. Es hat allerdings lange gedauert, bis ich es geschafft habe, meine Scheuklappen abzunehmen und über die kleinen Reggae-Rock-Punk-Schublade hinaus zu denken. Ich habe schon immer nebenbei andere Musik geschrieben – so zum Beispiel Klassik und Blues – und wollte genau das in die TIPS bringen. Mit der Zeit widmete ich mich zusätzlich immer mehr elektronischer Musik. Dies zeigt sich vereinzelt in einigen Songs von „Twist’n’Turns“. Überhaupt ist das neue Album für mich etwas Besonderes, weil es in der Entstehungszeit vielseitigen Einflüssen ausgesetzt war. Daher bin ich sehr gespannt, wie es bei den Leuten ankommen wird. Ich habe auf dem Album viel verarbeitet – nicht nur musikalisch, sondern auch emotional. Die Texte handeln zum Teil von der Zeit, als ich keinen festen Wohnsitz hatte und nicht wusste, wie ich es schaffen soll, weiterhin Musik zu machen. Das Meiste sind Erzählungen aus dem Leben und den Sachen um einen herum.