Wine for Punx

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Nippen statt kippen

Eine Weinprobe ist eigentlich eine ziemlich spießige Angelegenheit. Schick gekleidete, tendenziell eher ältere Menschen stoßen mit blankpolierten Gläsern an, lassen die edlen Tropfen im Mund kreisen und faseln mehr oder weniger kompetent über Bukett und Aroma. Eigentlich eine Veranstaltung, zu der man seine Oma oder seinen Chef begleitet. Im nordbayerischen Anbaugebiet an der fränkischen Mainschleife, genauer gesagt in Volkach, gibt es einen jungen Winzer, der seinen Wein auch Außenseitern näherbringen möchte. Wine For Punx nennt er sein Projekt – Weinproben für Punkrocker.

Welcome to Volkach!“, begrüßt Winzer Markus Müller die schwedische Post-Hardcore-Band NATALIE ROOTS in der Probierstube des Weinguts. Die Jungs mit Dreadlocks und kahl rasierten Schläfen wirken ein bisschen deplatziert zwischen den edlen Flaschen und Gläsern. Der kleine Familienbetrieb von Markus’ Vater Karl Müller baut auf sechs Hektar Fläche Wein an – vor allem typisch fränkische Weißweinsorten wie Silvaner, Müller-Thurgau oder Bacchus. Traditionell verarbeitet das Weingut nur eigene Trauben, füllt den Wein selbst in Flaschen ab und verkauft vom Hof direkt an die Endverbraucher. Grinsend erklärt Markus den Schweden, wie das funktioniert mit dem Weinmachen. „Die Punk- und Hardcore-Bands sind einfach nicht das typische Weinpublikum, das man vom normalen Hofgeschäft kennt“, sagt der Jungwinzer. „Es ist alles viel spontaner, nicht ganz so förmlich und einfach lustiger. Schön ist es auch, wenn sich Stammkunden und Punks hier im Weingut treffen, das sind immer spannende Begegnungen.“

NATALIE ROOTS haben zehn Stunden Fahrt in den Knochen und sollen am Abend die erste Show ihrer kurzen Europatour spielen. Die drei Jungs aus Karlskoga in der Nähe von Örebro blinzeln ein bisschen verschlafen aus müden Augen, nippen aber durchaus interessiert an den fränkischen Weinen. Und sie amüsieren sich über die kleine bauchige Flasche namens Bocksbeutel, die typisch für das Anbaugebiet Franken ist. „Ich finde es cool, dass so ein kleiner Betrieb so etwas Kompliziertes wie Wein macht“, sagt Bassist und Sänger Mattias Lönnström. „Ich hab nicht viel Ahnung davon, aber der hier schmeckt sehr lecker. Obwohl wir alle natürlich vor allem Bier lieben.“ Bier ist vor allem für Bands aus Skandinavien erste Wahl, gerade im Ausland, weil das Bier zu Hause in Schweden sündhaft teuer ist. Künstlern aus allen Teilen der Welt den Frankenwein näherzubringen, war die Idee von Hubi Dötsch, der unter dem Label VCHC Partys seit Jahren Punk- und Hardcore-Shows in dem beschaulichen Weinort veranstaltet. Und die Bands, die er im örtlichen Club Dschungel auf die Bühne bringt, wirken zwischen den ganzen Touristen regelmäßig wie absolute Fremdkörper. „Es hat damit angefangen, dass ich den Leuten nicht nur die Auftrittsmöglichkeit bieten, sondern auch was vom Ort zeigen wollte“, sagt Hubi. „Deshalb haben wir mit kleinen Dorfrundgängen angefangen. Dann habe ich immer einen Bocksbeutel am Marktplatz gekauft und selbst ein bisschen was zum Frankenwein erzählt, weil wir nun mal in einer Weinbauregion leben. Das kam so gut an, dass wir mit den Bands verschiedene Weine probiert haben. Und mittlerweile haben wir die Führungen von Markus durchs Weingut.“

Winzer Markus Müller ist selbst mit Punkrock aufgewachsen und besucht regelmäßig die Shows im Dschungel. So ist die Verbindung entstanden. Und jetzt führt er immer wieder Bands zu den riesigen Bottichen und Fässern, in denen der Wein reift. Die Führung macht einen Zwischenstopp in der Kelterhalle, der Ort, wo die Trauben gepresst werden. An der Wand steht ein riesiger Behälter mit Rotwein, der dort vor sich hin gärt und blubbert. Die Schweden stecken kurz ihre Nasen rein und folgen dann dem Winzer eine steile Treppe hinunter in den Weinkeller, wo die edlen Tropfen in riesigen Edelstahl-, Plastik- oder Holzfässern reifen. „Die meisten Bands sind wahnsinnig interessiert“, freut sich Markus Müller. „Mit NOOPINION aus Garmisch-Partenkirchen zum Beispiel habe ich im Keller lange über den Unterschied zwischen Wein aus dem Supermarkt und handwerklich gut gemachtem Wein direkt vom Weingut diskutiert.“

Die meisten Bands würden sich wohl nie in so ein Weingut trauen, vermutet der Winzer. Schuld daran ist das exklusivere Image des Getränks, sagt er. Einige Bands wie LOST IN SOCIETY und THE SCANDALS aus New Jersey oder SIGNALS MIDWEST aus Cleveland konnte er schon vom Gegenteil überzeugen. Das große Geschäft will der Winzer mit seinen internationalen Gästen aber nicht machen. „Natürlich nehmen sich manche Bands aus Amerika mal zwei oder drei Flaschen mit, aber darum geht es mir nicht“, sagt Markus. „Wir wollen mit diesen Führungen kein Geld verdienen. Es geht einfach darum, dass es mir selbst Spaß macht, Punkrock zu hören und den Bands was von meiner Arbeit zu zeigen. Später gehe ich dann auch aufs Konzert und höre mir deren Arbeit an. So ergänzt sich das ganz gut.“ Im Weinkeller blubbern derweil die Weine fröhlich vor sich hin und es riecht intensiv nach vergorenen Trauben. NATALIE ROOTS dürfen auch einen Wein in seiner frühen Form probieren, den man in Franken „Bremser“ nennt. Und sie werden vom Winzer nach Aufklebern gefragt, denn die will Markus Müller als Andenken in seinem Weinkeller an die Fässer pappen. „Das ist natürlich schön, wenn die Bands aus der ganzen Welt hier verewigt sind“, sagt Veranstalter Hubi. „Wir hatten schon Bands aus St. Petersburg, Tel Aviv oder den USA hier. Wenn man denen ein Jahr später ein Bild schickt, wie ein Sticker von ihnen an einem Weinfass klebt, dann ist das auch für die was Besonderes.“

Winzer Markus erklärt, dass die meisten Bands sich meistens für typische Einsteiger-Weine begeistern, die nicht so trocken sind. Die typische Rebe für den Punkrocker ist also eine fruchtige Sorte wie Scheurebe oder Bacchus. Nebenan steht derweil der langhaarige Songwriter Zekimin aus Bremen, der überhaupt keinen Alkohol trinkt. Er lebt schon seit 14 Jahren völlig abstinent und ist trotzdem bei der Weinprobe dabei. „Ich schaue mir einfach gerne an, wie Menschen Sachen mit ihren Händen selbst schaffen“, erklärt er. „Ich war auch vor kurzem in Schottland und habe drei Whiskey-Destillerien besucht. Es ist cool zu sehen, wie Markus dafür brennt. Er ist mit ganzem Herzen dabei, das spürt man. Ich mag es einfach, wenn Leute Sachen selbst machen und keine Massenprodukte herstellen.“

Was die Handarbeit betrifft, liegen Punkrocker und Winzer auf einer Linie. Aber natürlich haben die meisten Musiker eine andere Vorstellung von Genuss. Punks trinken in erster Linie Bier und Wein, um betrunken zu werden. Und das möglichst billig. Deshalb ist eine Weinprobe auch schon mal ausgeartet, gesteht Veranstalter Hubi. „Wir hatten da eine Band aus Nürnberg, die hat dann während des Konzerts aufgehört zu spielen, sich zerstritten und die Gitarren weggelegt. Das hatte wohl unmittelbar mit dem Alkoholpegel zu tun. Aber generell übertreiben wir es bei der Weinprobe nicht, wir schütten uns hier nicht zu. Es gibt hier nur Achtel im Glas. Und wir probieren auch keine zwanzig Weine, sondern nur eine Handvoll typisch fränkische Sorten.“ Deshalb schaffen es auch die meisten Bands nach der Weinprobe auf die Bühne im Dschungel. Zum Abschluss gibt’s noch ein Glas Rotwein und NATALIE ROOTS spüren auch schon deutlich den Alkohol im Blut. Die Schweden genießen die frische Luft nach dem intensiven Geruch im Weinkeller. Gitarrist Simon Eriksson macht schnell noch ein Selfie im Flaschenlager und Schlagzeuger Erik Lundh mit den langen Dreadlocks meint lachend: „Ich hoffe, ich kann dann auf die Bühne gehen und treffe die Trommeln noch richtig!“

Nach der Weinprobe im Weingut geht’s zurück in den Dschungel, dort steht noch eine zweite Verkostung für die restlichen Acts an, unter anderem der New Yorker Songwriter Adam Rubinstein oder TYPESETTER aus Chicago. Es gibt einige Weine, Holzofenbrot und Gerupften, ein speziell zubereiteter Camembert, auch etwas für Veganer. Und Winzer Markus Müller erzählt jetzt noch mal alles auf Deutsch. „Wir können unmöglich vierzig Musiker durch das kleine Familienweingut jagen“, erklärt Veranstalter Hubi. „Und weil wir das geteilt haben, haben wir die Weinprobe im Dschungel diesmal auch den Gästen angeboten.“ Damit auch Punkrocker ohne Instrument in den Genuss eines Frankenweins kommen, der nicht aus dem Supermarkt, sondern direkt vom Hersteller kommt.