ZOO ESCAPE

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Bajuwarische Suicide-Popper

München wird kaum assoziiert mit einer aktiven Gegenkultur, doch es gibt sie, gab sie schon immer. Die Szene in der bajuwarischen Metropole ist lebendig, verborgen und kleiner vielleicht, doch engagiert. Und ZOO ECAPE sind ein Teil davon. Bierrevolutionäre Zeitbomben, der Urknall aus dem Müll eines lähmenden Systems, ein Mix aus Ballroom Punk mit Zigarre in der Schnute und Martini-Resten auf dem Rüschenhemd, ein verwilderter Straßenköter mit Blick für den Diskurs zwischen Dreck und Pop, zwischen Autonomie und Engagement, dessen Ursprüngen ich mit Sänger Marc Villon auf den Grund ging.

Lass uns mit einer Frage zu den Anfängen eurer Karriere als Punks beginnen. Wie seid ihr aus den Folterkellern Neuschwansteins entkommen, wo man in Bayern üblicherweise für die bloße Erwähnung der Namen Brecht und Adorno wochenlang mit Strauß-Reden gequält wird?


Von Schloss Neuschwanstein mussten wir gar nicht fliehen, wir wurden in hohem Bogen rausgeworfen, um dann am Münchner Hauptbahnhof wöchentlich kontrolliert und gefilzt, in der Schule mit Verweisen überzogen und als Antwort darauf schließlich Punks zu werden. Trotz des Ärgers und des Aneckens in Bayern hatten wir viel Spaß und waren nie Leidensgenossen, sondern immer gute Freunde. Hier gibt es einfach eine Trennung zwischen der fantasielosen Einöde, welche die meisten Menschen hier hervorbringen, und Andersdenkern, Queers und Hot Rods, welche damit ein Problem haben. So wie es sie schon 1848 zwischen dem herrschenden System und den Bierrevolutionären in München gab, die ja sogar von Friedrich Engels als ein Beweis dafür anerkannt wurden, was man alles bewegen kann.

Hand aufs Buch, wieso habt ihr euch aber auch ausgerechnet für Adorno und Brecht entschieden, es hätten doch auch Kästner und Böll sein können?

Ich empfinde eigentlich alles mich umgebende als solch eine Reihe von Ungereimtheiten, dass ein wenig surreale Bilder dem oft am besten gerecht werden. „First gloom“, der erste Song der Platte „Apart From Love“, beschäftigt sich textlich ja mit dem Ton, der noch nicht zu hören war, dem Leben, welches verschlossen liegt. Dabei wird zwischen Zeitformen herumgesprungen, Menschen werden in einen Zusammenhang gestellt, die sich in der Realität nicht kannten oder erleben konnten, Räume aufgebaut, die nicht existieren, und Adorno und Brecht, die sich nicht ausstehen konnten, zum gemeinsamen Tango geladen. Vielleicht geht es um verpasste Chancen und diese auf ein Maximum aufzuhäufen, vielleicht ist es auch eher diese beständige Sehnsucht nach etwas Unklarem, die ich täglich erlebe.

Wer von den beiden wäre wohl eher der RAMONES- und wer der SEX PISTOLS-Typ gewesen, oder wären sie gar NEW YORK DOLLS-like mit Federboa durch die Bowery getänzelt?

Adorno sehe ich nur in einem Wiener Konzertsaal, vielleicht mal zu Schönberg wippend. Brecht läge wohl näher dran, direkt, laut, häufig überspitzt, lieber zu früh als zu spät. Und das Bild von Brecht in Lederjoppe mit krächzender Stimme seine Balladen singend, natürlich noch mit Zigarre im Mund – häng ihm eine E-Gitarre um und schon sähe man da einen Johnny Thunders der Zwanziger Jahre.

Zurück ins Glockenbachviertel. Warum ist München im Gegensatz zu Berlin, Hamburg oder dem Ruhrpott nun nicht gerade eine der ersten Assoziationen, die einem bei Punk durch den Kopf schießen, obwohl die bayerische Landesregierung ja schon seit Jahrzehnten ausreichend Anlass für Rebellion und Krawall bietet?

„Hinter Franz-Josef-Strauß ein Disneyland (...)“, wie SUPERPUNK sangen. Eventuell passiert hier schon so lange recht wenig, dass man sich an das Jammern gewöhnt hat. Danach sieht es in vielen Fällen aus. Doch dieses Bild trügt. Es gibt überall Versuche und auch tatsächliche Aktivitäten in dieser Stadt. Überall finden Arten des Ausdrucks statt, auch wenn es häufig aus dem Rest der Republik so nicht wahrgenommen wird oder Menschen es so nicht wahrnehmen wollen. Denn sind wir mal ehrlich, es ist auch das Stereotyp von München, dass hier die Schickis hausen. Aber die meisten Leute, auch hier, sind nicht reich und dürfen jeden Tag sinnlosen Tätigkeiten nachgehen, um horrende Mieten zu zahlen. Klar, es geht ihnen hier vielleicht im Durchschnitt besser als irgendwo, wo es keine Arbeit gibt, die Häuser zusammenbrechen und es weniger schöne Grünanlagen gibt, aber deswegen können sie am Monatsende trotzdem nichts sparen und sind auch nicht cooler oder uncooler als die Leute aus Düsseldorf oder Hamburg oder dem Berliner Szenekiez. Und überall dort gibt es auch die ekelhaften Schickis wie in München. München ist nicht nur Maximilianstraße. In München gibt es auch großartige Freiräume wie das Kafé Marat, Kafé Kult oder das Feierwerk. Düsseldorf hat ebenfalls nicht nur die DIE SCHWARZEN SCHAFE, DIE TOTEN HOSEN, die BROILERS, die PUBLIC TOYS und die Kiefernstraße, sondern auch die Kö. Das mit dem Ärger über die bayrische Landesregierung, das kann man überhaupt nicht abstreiten. Da kann man leider nur schwarz sehen. Und doch ist das nicht der Grund, dass der Druck im Kessel steigt und es in München heiß hergeht, nein, man zieht dann eher nach Berlin, Hamburg oder Wien, wenn es einem hier zu viel wird. Das denken sich ja auch die Entnervten des deutschen Normalzustandes in Gütersloh, Brandenburg oder im Münsterland. Deswegen passiert auch in diesen Städten so viel mehr. Wir laden aber gerne jeden ein, aus Wattenscheid, Kempten oder Ludwigshafen, hier herunter zu ziehen und diese Stadt anders mitzugestalten, denn sie gehört uns allen.

Was hat euch in München gehalten?

Wir haben ja mit unter 14, 15 Jahren angefangen, in dieser Band zu spielen, die immer auch eine Gang war. Da existiert ein großer Freundeskreis herum, der sich mit allem Möglichen auseinandersetzt. Wenn du wirklich in München einen Abend Hullabaloo-Halflife haben willst, dann musst du eben deine Suicide Popper einpacken, den Kajalstrich noch mal dick nachziehen und schauen, was die Nacht so bringt. Man kann in jedem Laden, auf jedem Tresen und auf jeder Parkbank Pirouetten zu „Heart of glass“ drehen.

Obwohl ihr inzwischen schon seit 2009 unterwegs seid, muss ich gestehen, erst vor kurzem von euch Notiz genommen zu haben. Oder seid ihr bisher nicht so richtig in die Gänge gekommen?

Als wir 2009 angefangen haben, konnten Teile der Band noch überhaupt kein Instrument spielen, sondern bekamen es einfach in die Hand gedrückt. Da waren wir ja wie gesagt noch wirklich sehr jung. Somit hat es einige Zeit gebraucht, bis wir spielen konnten und noch länger, dass wir miteinander spielen konnten. Und über diese Zeit, in welcher wir wohl eher unbeholfen und doch sehr energiegeladene Konzerte gespielt haben, hat sich unser eigener Musikgeschmack noch einmal ein ganzes Stück verändert. Dadurch, dass ZOO ESCAPE immer ein Freundeskreis waren, ist niemand, der reingekommen ist, jemals wieder rausgekommen. Und in diesem Line-up machen wir das, was wir tun, auch erst seit 2012.

Wodurch zeichnet sich der gemeine Suicide Popper überhaupt aus, in welchen Teilen des Vinyl-Dschungels bewegt er sich, was verbindet ihn mit TV Smith und wie wird die Süddeutsche Zeitung auf ihn aufmerksam?

Wodurch sich der „gemeine Suicide Popper“, wie du das nennst, auszeichnet, lässt sich einfach beantworten: Wenn du dich in deinem Wochentrott verloren fühlst, nicht der tristen Langeweile in den Clubs Deutschlands ausgesetzt sein willst und dazu kein Arschloch bist, bist du gern bei uns gesehen. TV Smith ist ein grandioser Künstler und unglaublich liebenswerter Typ, der wunderbarerweise unserer Anfrage nachkam, auf unserer Record-Release-Party als Ehrengast mitzuspielen. Wir hatten ihm im Voraus unsere Platte zukommen lassen und uns dann echt gefreut, dass es ihm so gut gefallen hat, dass er tatsächlich dabei sein wollte. Dass die SZ uns zur Band der Woche ernannt hat und mittlerweile auch die Taz über unsere Scheibe geschrieben hat, das hat uns auch ziemlich positiv überrascht.

Was war der erste Gedanke, als ihr den recht geschwollen formulierten Artikel über euch gelesen habt?

Ich dachte: Cooles Foto! Und: Mum ist sicher endlich mal stolz auf mich!

Ist jede Presse gute Presse oder ist es schon wichtig, dass man euch als Band so sieht, wir ihr euch auch selber wahrnehmt?

Ich glaube, wenn man seinen Namen verbreiten möchte, muss man sich nicht über die Öffentlichkeit beschweren. Wenn sich die Presse für uns interessiert, hat der Plan funktioniert. Aber eine Kritik zu bekommen, in der man sich selber wiederfindet, ist schon ein besonders tolles Erlebnis.

Spielt es für euch eine Rolle, als Teil einer spezifischen Szene betrachtet zu werden?

Ich denke nicht so gern in Grenzen und deswegen finde ich Suicide Pop so interessant, denn es ist noch nicht definiert. Und die Mischung aus dem Verneinendsten und dem Reingewaschensten, also Suicide plus Pop, ist ein Spiel mit vergangenen Grenzen und lässt dadurch etwas Neues entstehen. Die Altlasten liegen lassen und auf nach vorn.

An alten Münchner Bands fallen einem beispielsweise CONDOM, MARIONETZ, ZSD, DAGOWOPS oder PACK ein, die Liste mit aktuellen Bands ist aber wesentlich kürzer.

Na ja, ich glaube, da kommen wir wieder bei deiner ersten Frage an. Es gab eigentlich immer eine Bandszene in München, auch und gerade im Punk/Hardcore-Bereich. Und wie überall gibt es da schlechte, mittelmäßige und sehr gute Combos. Nur wird das, was aus München kommt, deutschlandweit einfach nicht wirklich wahrgenommen. Das ist wie eine Kapsel, es dringt wohl wenig nach draußen. Ein paar wenige von den vielen guten Acts, die es hier gibt, haben sich trotzdem einen Namen gemacht. Dazu gehören die RANCORS, die GUMBABIES oder TODESKOMMANDO ATOMSTURM. Wenn eine Münchner Band außerhalb Bayerns oder Österreichs im deutschsprachigen Raum auftritt und nicht schlecht ist, darf sie meist das seltsame Kompliment hören: Gar nicht mal schlecht für Bayern.

Irgendwie passend, wenn für mich auch überraschend, ist da auf jeden Fall euer Label Still Unbeatable, war Malte doch bisher durchaus eher den älteren Semestern wie BOYS, STIFFS oder Sonny Vincent zugeneigt. Wie kam der Kontakt zustande, was hat ihn an euch begeistert?

Vielleicht wollte Malte einfach mal ein paar junge Häschen auf seinem Label rumspringen sehen. Unser sechster Mann Phil, der im Hintergrund herumtelefoniert, mailt und verstohlen Briefchen zur Post bringt, das Netzwerken übernimmt und für uns zu allen Rock’n’Roll-Meet-and-Greets fährt, kannte Malte und hat ihm unsere Platte vorab vorgespielt. Bald war Malte auch bei einem Konzert, und unsere Zusammenarbeit wurde nach einem reichlich zerstörerischen Zug durch die Straßen Münchens besiegelt ...

Welche Methoden wird Malte wohl nutzen, um euch als Band vermehrt durch den Rest von Deutschland zu scheuchen?

Wir brüten da momentan einiges zusammen aus. Dazu arbeiten wir ja auch noch mit einem zweiten Label, Campary Records. Armin, der Betreiber und Sänger von DIE SCHWARZEN SCHAFE, hat uns zum Beispiel das erste Mal hoch nach Düsseldorf geholt, was bald wiederholt werden soll. Also egal, welche Methoden, wir sind bereit.