DICTATORS NYC

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Qualität vor Quantität

Im November letzten Jahres waren THE DICTATORS NYC in Europa auf Tour, dieses Mal mit dem Schwerpunkt Spanien. Die Band um Sänger Handsome Dick Manitoba spielte aber auch eine Show im Gleis 22 in Münster im Rahmen der fantastischen „Record Riot“-Reihe. Wir hatten die Gelegenheit, mit drei Bandmitgliedern zu sprechen – Daniel Rey, Songschreiber und Produzent der RAMONES und Gitarrist bei den DICTATORS NYC, Handsome Dick Manitoba und Ross The Boss, der zweite Gitarrist.

Wie läuft’s bei euch gerade?

Dick:
Unsere Tour läuft sehr gut, musikalisch, aber auch mit Blick auf die Stimmung innerhalb der Band. Das war nicht immer der Fall. Ein Bonus sozusagen. Die Shows bisher waren großartig, die Fans liebten uns. Vor ein paar Tagen spielten wir in Paris, also kurz nach diesen furchtbaren Anschlägen dort. Das war ein besonderer, ein emotionaler Moment für uns, denn wir konnten die Leute für eine Stunde von ihrem Leid ablenken.

Das Konzert wurde also nicht abgesagt?

Daniel:
Wir sollten ursprünglich in einem größeren Laden auftreten, was aber aus Sicherheitsgründen verboten wurde. Der Veranstalter fand dann einen anderen Club, in den zwar nicht so viele Leute passten, diese waren aber umso dankbarer. Wir kommen aus New York und wissen, was die Pariser durchmachen.

Ross: Nach der Show sagte ich zu den anderen, dass das in gewisser Weise das größte Konzert war, das wir bisher gespielt haben. So viele der Fans waren voller Trauer und auch Wut auf das, was in ihrer Heimatstadt passiert war, und konnten das noch immer nicht begreifen. Deshalb war es gut, dass wir dort aufgetreten sind.

Dick: Es macht einen großen Unterschied, ob dir nach dem Konzert jemand auf die Schulter klopft und sagt: „Good show, man“, oder ob jemand auf dich zukommt, dir in die Augen schaut und sich von Herzen bedankt.

Ist es okay, wenn man euch als THE DICTATORS vorstellt, oder sollte man besser THE DICTATORS NYC sagen?

Dick:
Das ist unterschiedlich. Es gibt Momente, wo letzteres unpassend ist. Ich selber sage auf der Bühne nie: „Wir sind THE DICTATORS NYC.“ Stattdessen sage ich: „Wir sind die DICTATORS aus New York City.“ Rein technisch und juristisch müsste der Zusatz NYC erfolgen, aber wenn es nicht passt, lassen wir ihn weg.

Euer Debütalbum „Go Girl Crazy!“ erschien 1975. Kann man sagen, dass ihr Punk wart, bevor Punk überhaupt losging?

Ross:
Durchaus, allerdings haben wir uns nie als Punks bezeichnet, sondern als Rock’n’Roll-Band. Wir waren ein Jahr vor den RAMONES dran und kurz nach den NEW YORK DOLLS. Die DICTATORS waren also genau dazwischen und wussten selber gar nicht, was genau Punk war, obwohl man uns dann so bezeichnet hat.

Daniel: Ich bin etwas jünger als diese Jungs hier. Als das erste Album herauskam, war ich vielleicht 15 und es war sofort meine Lieblingsscheibe.

Ross: Jetzt weißt du, warum er in der Band ist.

Daniel: Für mich stellten die DICTATORS die Verbindung zwischen smartem Hardrock von Bands wie BLUE ÖYSTER CULT und dann den RAMONES her. Sie öffneten in gewisser Weise die Tür für diese ganzen neuen, jungen Bands, allen voran die RAMONES.

Ross: Ich tue mich schwer mit der Bezeichnung Punk. Auf einmal war alles Punk und jede Band bekam dieses Label aufgedrückt, sogar Garage-Bands aus den Sechzigern wie die WAILERS. Wir sind mit Sicherheit nicht die Punkband schlechthin. THE DICTATORS sind eine Rock’n’Roll-Band mit vielen verschiedenen Einflüssen. Ein wesentlicher davon ist Punk. Nicht mehr und nicht weniger.

Ihr hättet das nächste große Ding sein sollen, wart es dann aber nicht. Ross, was ist schiefgelaufen?

Ross:
1975 gab es verschiedene Richtungen im Rock’n’Roll. Da waren vor allem Gruppen wie BOSTON, die oft im Radio liefen. Mit denen hatten wir wirklich nichts zu tun. Die Leute wussten uns einfach nicht richtig einzuordnen. Wir waren zu sehr Punk für die Metalfans und zu sehr Metal für alle Punkrocker. Dabei waren wir gute Musiker mit tollen Songs, die eigentlich beide Lager hätten ansprechen müssen. Dazu kam ein fantastisch aussehender Sänger. Kurz darauf gab es eine Band, auf die all dies genau so zutraf und die damit großen Erfolg hatte. Das waren MOTÖRHEAD. Uns hingegen wusste man nicht richtig zu nehmen.

Dick: Das wussten wir selber nicht, haha.

Dafür habt ihr euch gut gehalten. Wie kann es eigentlich sein, dass alle vier Ur-RAMONES tot sind und eine ganze Reihe anderer Musiker eures Alters ebenso und ihr immer noch putzmunter durch die Welt tourt?

Daniel:
Das fragen wir uns jeden Tag.

[/b]Ross:[/b] Ich liebte Joey, ich war mit Tommy befreundet und hatte überhaupt ein gutes Verhältnis zu allen vier Originalmitgliedern. Mit Marky nicht so sehr. Ich habe da meine eigene Theorie: Wenn man dreißig Jahre lang in einem Tourvan sitzt und die Atmosphäre untereinander geprägt ist von Hass, von Kämpfen und von Angst, dann wirkt sich das irgendwann aus. Ich glaube, man kann seine eigenen Krankheiten heraufbeschwören. Ich bin kein Arzt und vielleicht ist das völliger Blödsinn. Aber das ist einfach, was ich glaube. Und was uns betrifft: Wir hatten eben auch viel Glück.

„Supply and demand“ ist ein grandioser neuer Song von euch. Bedeutet das, dass möglicherweise bald ein neues Album von euch kommt, Ross?

Ross:
Das weiß ich nicht. Ein neues Album zu produzieren ist nicht so einfach. Andererseits schreiben wir ständig neue Songs. Abwarten.

Dick: Ich schaue nicht soweit in die Zukunft. Die Single hat sehr gute Kritiken erhalten. Einem der renommiertesten amerikanischen Kritiker hat unser erstes Album überhaupt nicht gefallen und dieser Typ hat jetzt „Supply and demand“ als meisterhaft bezeichnet. Das ist ein großes Kompliment, denn der Song ist der erste, den ich je geschrieben habe. Und so werden wir weitermachen: Wir schreiben einen Song, und dann schreiben wir einen neuen Song. Und irgendwann wird daraus vielleicht ein Album entstehen. Qualität vor Quantität!

Seit euren Anfängen vor mehr als vierzig Jahren hat sich New York sehr verändert. Gibt es da noch Platz für Rock’n’Roll?

Daniel:
Ja, in Brooklyn. In Manhattan geht so gut wie gar nichts mehr. Die Miete selbst für eine Einzimmerwohnung dort ist für viele Künstler unbezahlbar geworden. Deshalb ziehen viele nach Brooklyn.

Dick: Aber in die Außenbezirke von Brooklyn. Die Manhattan zugewandten Viertel wurden ursprünglich von ärmeren Schwarzen bewohnt. In den letzten Jahren haben immer mehr Weiße diese Viertel übernommen und die bisherigen Bewohner an den Rand vertrieben. Und selbst da wird es immer teurer. Das trifft auch auf Queens zu, wo viele meiner Freunde wohnen. Davon ganz abgesehen wird der Rock’n’Roll nicht nur in New York zunehmend vom HipHop verdrängt.

Es gibt allerdings einen Ort in Manhattan, wo man noch guten Rock’n’Roll erleben kann – deine Kneipe Manitoba’s, Dick.

Dick:
Ich habe als Barmann angefangen, denn so konnte ich Geld verdienen, wenn wir nicht auf Tour waren. Vor 15 Jahren habe ich dann meine eigene Bar aufgemacht. „Wie kann sich mein Laden von allen anderen unterscheiden?“, hatte ich mich gefragt. So kam ich auf die Idee, rund hundert Fotos von berühmten Rockfotografen aufzuhängen beziehungsweise an die Wand zu nageln. In New York werden die nämlich sonst gestohlen. Der Laden ist gar nicht so groß. Aber wenn man mit mir einen Rundgang macht und ich zu jedem Bild eine Geschichte erzähle, ist eine Stunde schnell vorbei. Für mich ist Manitoba’s mein Clubhaus und mein Rock’n’Roll Heaven.

Es gibt noch eine Band, über die wir kurz reden sollten. Als sich die DICTATORS Ende der Siebziger auflösten, hast du, Ross, dir die Situation zunutze gemacht und MANOWAR gegründet und vermutlich einen Haufen Kohle verdient.

Ross:
So ungefähr. Zu der Zeit entdeckte der Manager der DICTATORS, Sandy Pearlman, die französische Band SHAKIN’ STREET, die einen neuen Gitarristen brauchte, weil der alte seine Gitarre gegen Heroin eingetauscht hatte. So wurde ich nach Paris eingeflogen. Bei der ersten Probe stöpselte ich meine Gitarre ein und fing an zu spielen. Nach zehn Sekunden sagten die anderen: „Du bist in der Band.“ Kurz darauf traten wir in England im Vorprogramm von BLACK SABBATH auf. Deren damaliger Sänger Ronnie James Dio war ein großer Fan der DICTATORS und machte mich mit ihrem Roadie Joey DeMaio bekannt. So ging das los mit MANOWAR.

Wie war das, in einer Band zu sein, deren Songs von Monstern und alten Göttern und all so was handelten?

Ross:
Anders. Wir wollten aber auch anders sein. Wenn wir wie IRON MAIDEN oder JUDAS PRIEST aufgetreten wären, wären wir nicht zu dem geworden, was wir dann schließlich waren. Wir sind bewusst als Wikinger oder Jäger aufgetreten, um uns abzusetzen. Wir wollten originell sein. Und das waren wir. Wir waren die Väter des Power Metal.