FALCON

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Deutsche Komplimente

Wenn sich eine Band-DNA unter anderem aus SLAPSTICK, THE LAWRENCE ARMS, ALKALINE TRIO, THE BROADWAYS, THE SMOKING POPES, THE LOVED ONES und RISE AGAINST zusammensetzt, sollte jeder mit ein wenig Kenntnis von Punkrock aufmerksam werden. Eine erste EP erschien 2004, zwei Jahre später folgte das Album „Unicornography“, von nun an mussten sich die oben erwähnten Bands an THE FALCON messen lassen und nicht umgekehrt. Die aktuelle Besetzung besteht aus Brendan Kelly, Neil Hennessy, Dan Andriano und Dave Hause – hier passt der Begriff Supergroup tatsächlich. Aktuell erschien mit „Gather Up The Chaps“ auf Red Scare ihr zweites Album. Aus diesem Grund telefonierte ich mit Brendan Kelly, dem Kopf der Band.

Brendan, nachdem ich euer neues Album ein paarmal gehört habe, gefällt es mir inzwischen sehr gut. Die Erwartungen waren nicht gerade gering ...


Du bist die erste Person außerhalb meines Freundes- und Bekanntenkreises, deren Meinung ich dazu höre, deswegen freut es mich, dass es dir gefällt. Mir selber war schon lange klar, es wird ein zweites Album geben. Also hatte ich auch schon immer gewisse eigene Erwartungen. Dass es so gut wird, hätte ich nicht gedacht. Dank Dave als neuem Mitglied hat sich die musikalische Qualität gesteigert, das wird jeder bestätigen können. Ich bin aber auf der anderen Seite die letzte Person, die du fragen solltest. Immerhin habe ich das Album geschrieben, und bin viel zu nah dran, als dass meine Einschätzung ernst zu nehmen ist. Wenn du es cool findest, beruhigt mich das. Ich war schon ein paarmal in Deutschland und weiß, dass ihr nicht gerade mit Lob um euch schmeißt.

Das „German compliment“ ist dir also vertraut?

Haha, auf jeden Fall. Auch wenn ich die Bezeichnung nicht erfunden habe, in meinem Umfeld ist sie durch mich sehr populär geworden. Ihr seid einfach gut darin, Lob mit einer zusätzlichen Kritik zu verbinden. Ich weiß es wirklich zu schätzen, wenn euch etwas gefällt und nicht „I like your record, but ...“ kommt.

Hättest du am Beginn deiner Karriere gedacht, dass es Menschen gibt, die von dir als Musiker etwas Besonderes erwarten?

Als ich mit der Musik angefangen habe, war ich zwölf Jahre alt. Auf meiner Highschool gab es eine Talentshow, und da waren diese älteren Jungs, die ihre eigenen Songs spielten. Das hat mich total begeistert. Du darfst nicht vergessen, ich war noch in einem Alter, in dem es schon gereicht hat, sich auf eine Bühne zu stellen und „The weight“ von THE BAND zu covern, um mich zu beeindrucken. Am Anfang ging es vor allem darum, mir und anderen zu zeigen, dass man eigene Musik zustande bringt. Von da ging es dann immer weiter, bis jetzt, da ich den Großteil meines Erwachsenenlebens als Musiker verbracht habe. Ich bin nicht einmal besonders gut – weder was die Beherrschung eines Instruments noch was den Gesang angeht. Also ist es für mich durchaus bemerkenswert, dass die Leute Erwartungen haben.

Euer erstes Album klang wie eine Mischung aus OPERATION IVY, THE SMITHS und FIFTEEN. „Gather Up The Chaps“ ist schwieriger zu beschreiben. Es wirkt nicht mehr ganz so aufgekratzt.

Vielleicht ist es ist weniger aufgekratzt und dafür stellenweise aggressiver, auf der anderen Seite ist es aber auch nachdenklicher und ein gutes Stück düsterer als sein Vorgänger. Die Songs sind dynamischer. Der Opener „The trash“ ist so hart, wie THE FALCON nur klingen können, und zugleich ziemlich albern. Wir haben Momente mit sauberem Gesang zugelassen, aber es gibt nach wie vor gesangliche Ausbrüche.

Seit dem ersten Album sind fast zehn Jahre vergangen. Wodurch wurde die Band reanimiert?

Es ist folgendes passiert: Red Scare, das Label, welches von unserem Freund Toby Jeg betrieben wird, hatte 2014 sein zehnjähriges Bestehen mit einer Show gefeiert. Da die THE FALCON-EP „God Don’t Make No Trash Or Up Your Ass With Broken Glass“ 2004 der Anlass für die Gründung von Red Scare war und unser Debüt „ Unicornography“ nach wie vor eine der bestverkauften Veröffentlichungen des Labels ist, bat uns Toby, als Headliner aufzutreten. Wir haben ein wenig geprobt, und standen beim ersten Mal gleich auf einer Bühne vor 1.500 Leuten. Seitdem stehen THE FALCON für uns momentan wieder im Fokus. Wir begreifen uns als feste Band.

Wo wir gerade dabei sind, ihr habt mehrere Bands und Soloprojekte. Wer von euch hat den vollsten Terminkalender?

Das bin wohl ich. Allerdings aufgrund von Verpflichtungen, die nichts mit Musik zu tun haben. Bei den anderen bin ich mir sicher, dass sie ausschließlich als Musiker auf Tour und im Studio beschäftigt sind. Ich arbeite ansonsten noch in einem Bürojob und in einer Bar. Außerdem schreibe ich momentan ein Buch und bin seltsamerweise im Vorstand eines Fastfood-Unternehmens. Mein Terminkalender ist also der vollgepackteste, aber auch der am wenigsten coole.

Schreibst du gezielt für die einzelnen Bands oder ergibt sich das erst im Nachhinein?

Mir ist der Unterschied immer direkt bewusst. Ich erwarte aber nicht, dass andere Menschen das nachvollziehen können, wo ich etwas abgrenze beziehungsweise wie die jeweiligen Unterschiede definiert sind. Wenn ich mich hinsetze und schreibe, passiert das zielorientiert und mit einer klaren Vorstellung, für welche Band es sein soll. Vor einer Albumproduktion sind das pro Tag 15 Seiten in meinem Notizbuch. Für „Gather Up The Chaps“ habe ich ein Jahr geschrieben, da fällt eine Menge Müll an, der wieder verworfen wird. In diesem Prozess bleibt gelegentlich etwas liegen, was dann für ein anderes Projekt verwendet wird.

Für mich grenzen sich THE FALCON mit ihrem Humor von deinen anderen Bands ab.

Humor ist die wichtigste Zutat überhaupt. Jede Form von Kunst, die gut ist, enthält ein Quäntchen Humor. Kunst, die keinen Humor enthält, ist völlig wertlos. Humor bedeutet Selbsterkenntnis. Humor ist für meine Musik ausschlaggebend. Sollte ich die Bands diesbezüglich einordnen, stehen die WANDERING BIRDS auf Platz eins, danach kommen THE FALCON. THE LAWRENCE ARMS funktionieren teilweise auch ohne Humor.

Das WANDERING BIRDS-Album habe ich als recht ernsthaft wahrgenommen.

Das Album besitzt aber eine Absurdität, die daher rührt, dass Punkrock sehr moralisierend ist. Sobald Dinge an- und ausgesprochen werden, die außerhalb des Gewohnten liegen, wissen die Leute nicht damit umzugehen. Nach den Aufnahmen war ich mir sicher, dass sich das Album negativ auf meine Kariere auswirken würde, besonders in Hinsicht auf weibliche Hörer. Ich hätte nicht falscher liegen können. Frauen lieben das Album. Anscheinend ist es für die meisten okay, wenn übers Vögeln gesungen wird. Der Anteil an Frauen im Publikum bei einem WANDERING BIRDS-Konzert ist merklich höher als bei den anderen beiden Bands.

Nelson Algren, Ida B. Wells und Brendan Kelly, alles keine gebürtigen Chicagoer. Wer hat die Stadt am meisten geprägt?

Ich denke, Nelson Algren. Der Typ wird sträflich vernachlässigt, man kann ihn aber gar nicht genug wertschätzen. Er hat Formulierungen wie „Walk on the wild side“ und „Monkey on my back“ erfunden. Außerdem ist er das personifizierte Chicago, sein Herzschlag hat dem der Stadt entsprochen. Er war grob, aber mit einer wunderschönen und herzlichen Hingabe, die häufig übersehen wird.

Chicago hat beziehungsweise hatte den Ruf einer rauhen Stadt. Wie sieht die Realität aus?

Hier wird es im Winter verdammt kalt, deswegen bleiben die meisten Leute drinnen und der Müll auf der Straße liegen. Das sehen die Touristen natürlich nicht, die im Sommer kommen. Natürlich hat die Stadt ihre eigene Romantik und wie jeder andere auch, vermisse ich die alte Zeit. Das liegt aber daran, dass ich da noch jünger und naiver war. Ich habe die Lebensumstände für besser gehalten, als sie waren. Nostalgie ist ein Trugschluss, auf den man nicht reinfallen sollte. Es ist nichts besser oder schlechter als vor zehn Jahren.

In den letzten Jahren hat sich durch soziale Medien das Marketing von Musik stark verändert. Glaubst du, dass Punkrock dadurch einen Vorteil hat?

Absolut. Punkrock hatte von Anfang an die Absicht, Barrieren zu beseitigen. Früher ging es um die Musiker auf der Bühne und das Publikum davor. Heute gibt es die Möglichkeit, sich über soziale Medien miteinander auszutauschen. Dadurch wird eine Menge neue Musik entdeckt. Diese Form von Öffentlichkeit bringt Konsumenten und Schaffende näher zusammen, was sich wiederum auf die Sache als solche auswirkt. Kommunikation ist für Kunst, egal welche, immer etwas Positives.