ILLEGALE FARBEN

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Besser als die MÜNCHENER FREIHEIT

Musikalisch schillernd gestaltet sich die Welt des selbstbetitelten Debütalbums von ILLEGALE FARBEN. Manch einer nennt das NDW, Punk ist es auch und irgendwie auch ein bisschen Pop – es funktioniert einfach. Die Fünf aus Köln und Dortmund – die Gitarristen Thilo (GENEPOOL) und Thomas (BAZOOKA ZIRKUS), Drummer Jens (ebenfalls GENEPOOL), Bassist Chris (TOBEY TRUEBLOOD) und Sänger Thom (FRICTANE) – machen aber ja auch nicht erst seit gestern Musik, haben viel erlebt, viel eingefangen und manches abgelehnt. Erfahrung ist deshalb sicherlich nicht der einzige Faktor, durch den diese Platte so viel Reiz besitzt.

Bei Rookie Records heißt es, dass die Entscheidung, eure Platte rauszubringen, sehr schnell gefallen ist. War das ein Glücksfall für euch oder wolltet ihr die Fühler lieber noch ein bisschen ausstrecken?

Thilo:
Eigentlich wollten wir das noch gar nicht. Aber ich spiele ja auch bei GENEPOOL und deren Platten erscheinen auch da, wir kennen uns also gut. Bei Rookie hat man unser Album gehört und wollte es direkt machen. Wir haben erst nein gesagt und nach dem zweiten Nachfragen doch zugestimmt. So richtig umgeguckt haben wir uns nicht. Eigentlich wollten wir uns etwas mehr Zeit lassen. Im Endeffekt war das dann doch ein Glücksfall.

Ist die Platte deswegen unter einem gewissen Druck entstanden?

Chris:
Ich glaube, den haben wir uns eher selbst gemacht. Von Rookie gab es da keinen Stress.

Thilo: Wir haben ja wirklich alles selbst gemacht und auch im eigenen Proberaum aufgenommen. In der heißen Phase der Aufnahmen ist mir aufgefallen, dass ich eigentlich noch in den Urlaub fahren wollte. Danach haben wir echt Stress gehabt. Nach meiner Erfahrung ist es aber auch so, wenn man sich gar keinen Druck macht, wird so was nie fertig. So hatten wir eine Deadline. Und die zweite haben wir dann auch geschafft.

NDW nennt ihr selbst als Einfluss für eure Musik. Was ist das Reizvolle an diesem Genre?

Thomas:
Der Witz ist ja, dass diese NDW-Sachen, die man für einen Euro auf dem Grabbeltisch findet, gar nicht das sind, was NDW ausgemacht hat. Das hat ja angefangen mit frühen Hamburger-Schule-Sachen, alles, was aus der Punkszene kam und wo dann auf Deutsch gesungen wurde, viel Avantgarde und Elektronik-Sachen. Das war ja nicht alles Trash, sondern hatte auch eine tiefere Idee. Das war auch keine bewusste Entscheidung von uns, sondern wurde nach dem ersten Konzert vor gerade mal einem Jahr an uns herangetragen. Da haben wir uns erst gefragt, ob das stimmt, und sind so erst drauf gekommen. Genau bei diesem Konzert draußen vor der Tür das beste Statement, nämlich: „Wenn die jetzt noch bayrisch singen würden, wäre das wie MÜNCHENER FREIHEIT.“ Dabei singen die überhaupt nicht auf Bayrisch. Auf der anderen Seite gab es ein nettes Kompliment von jemanden aus Nürnberg, der sagte, es sei genau die Art von Musik, die es nicht mehr gab, seit die NDW scheiße wurde.

Ihr grenzt euch auf eurer Website explizit von „Dicke-Eier-Rock“ ab. Schien es euch notwendig, das zu betonen?

Thilo:
Das hatte etwas mit der Vergangenheit zu tun, als wir in Bands waren, die vielleicht eher laute Rockmusik gemacht haben. Und genau das wollten wir nicht. Die Idee war eine Gitarrenband zu gründen, aber ohne Gitarrenmusik zu spielen.

In einem Interview habe ich gelesen, eure Stärke sei sehr spontanes Songwriting. Ist es wirklich so, dass die Songs alle sehr spontan entstanden sind?

Thomas:
Das läuft tatsächlich in dieser Band anders als bei den anderen, in denen wir vorher gespielt haben. Wir haben einen Pool von Ideen, in den jeder was reinschmeißt. Die Agenda für eine Probe war stets: Ein Abend, ein Song. Das haben wir auch bei allen Songs, die wir für die Platte geschrieben haben, so gemacht. Insgesamt hat der konzeptionelle Ansatz funktioniert.

Chris: Wir haben uns im Sommer getroffen und der Plan war, Anfang des nächsten Jahres Shows spielen zu können. Dafür brauchten wir zwölf oder dreizehn Songs und die waren mit Hilfe dieser Herangehensweise dann auch bis auf kleine Finessen fertig.

Viele Songs widmen sich dem Nachtleben oder spielen zumindest nachts. Sind das Situationen, in denen bei euch das Spannendste passiert?

Thomas:
Das hängt eher mit dem grüblerischen Unterton der Songs zusammen. Das mit dem Nachtleben kennen wir ja nur noch aus unserer Jugend. Ich glaube, es geht um dieses Alleinsein können und Alleinsein müssen. Das um die Häuser ziehen wird auf jeden Fall aufgegriffen, aber nicht auf eine hedonistische Art, sondern eher auf eine nachdenkliche.

Kriegs-Metaphorik scheint auch häufiger aufzutauchen.

Thomas:
Wobei das keinen tieferen Sinn hat. Bei „Schwarz“ zum Beispiel war der Gedanke zu überlegen, was das Krasseste ist, was man auf „Tanz tanz tanz“ erwidern kann. Ich habe Krieg ja zum Glück selbst noch nicht erlebt, aber ich könnte mir vorstellen, dass Tanzen das Letzte ist, woran man in so einer Situation denkt. Das spielt sich im Song in diesem eigentlich Zwischenmenschlichen, aber doch irgendwie größeren Kontext ab. Bei „Staub“ war das mit den Molekülen und Soldaten ein bisschen vom japanischen Anime-Regisseur Hayao Miyazaki inspiriert. Da gibt es in einem Film auch solche Rußmännchen. Das Bild finde ich einfach schön. Dass Moleküle sich wie Soldaten aufstellen und etwas bekämpfen. Es geht eigentlich darum, dass es nichts mehr gibt. Schon witzig, was das mit Leuten anstellt, wenn man solche Worte verwendet.

Die Platte endet recht ruhig und mit den Worten „Niemals zurück“. Wohin nicht zurück?

Thomas:
Ich kann es dir gar nicht sagen, der Song ist ganz zum Schluss entstanden und der Text war komplett improvisiert. Wir haben ihn einfach genauso gelassen und so gehörte er auch ans Ende.

Thilo: Eigentlich wollten wir den gar nicht aufnehmen. Erst als die Platte fast fertig war, haben wir das Gefühl gehabt, dass da noch was fehlt. Das Buch war nicht zu Ende. Und dann haben wir den noch sehr schnell und spontan aufgenommen.

Chris: Wie ein Epilog vielleicht ...

Das Video zu „Schwarz“ ist sehr künstlerisch gestaltet. Wie wichtig ist es, Musik noch visuell zu unterstützen?

Thilo:
Die visuelle Komponente gehört grundsätzlich dazu. Nicht nur in Form eines Videos, sondern auch, dass man auf der Bühne steht. Es wäre lächerlich, was anderes zu behaupten. Ich finde es interessant, andere Künstler an Dingen, die wir gemacht haben, teilhaben zu lassen. Derjenige, der das Video gemacht hat, hatte freie Hand, genauso ist das bei dem Video zu „Staub“ gelaufen. Da war Thomas allerdings beteiligt. Die Ergebnisse finde ich toll.

Chris: Es war schön zu sehen, wie Thomas versucht hat, da selbst noch eine Ebene reinzubringen. In der Band herrscht der Konsens, dass Performance-Videos nicht gehen, weil das auch schon wieder so ein Dicke-Hose-Ding ist.

Thilo: Wir machen das ja auch wirklich nur, weil das Business verlangt, dass es zu den Songs auch bewegte Bilder gibt. Oft hat man das Gefühl, dass damit nur Marktmechanismen bedient werden sollen. Das passiert hier alles im Independent-Rahmen und mir ist egal, ob wir zehn Platten mehr oder weniger verkaufen. Am liebsten würde ich auch keine Bandfotos machen. Seit mehreren Jahren versuche ich, in einer Band zu spielen, wo es gar nicht so sehr um die beteiligten Leute geht. Deswegen fand ich die Idee der GORILLAZ auch super interessant. Das lässt sich halt nur nicht auf Dauer durchziehen. Obwohl es ja völlig egal ist, wer in einer Band Gitarre spielt.

Wenn über euch geschrieben wird, wird ja auch gern angemerkt, in welchen Bands ihr vorher wart oder noch seid. Wird das neue Projekt ILLEGALE FARBEN dadurch erleichtert?

Chris:
Das ist auch so ein Marketing-Kram. Es hilft sicherlich zu sagen, da sind Leute dabei, die schon was auf die Reihe bekommen haben. Beim Booking ist das auch hilfreich, weil schon eine Connection da ist. Es hilft ein bisschen weiter, spielt aber für uns nicht so eine große Rolle.

Thilo: Ich hätte das gern verheimlicht. Wir sind aber eben keine zwanzig mehr und haben schon in vielen Bands gespielt. Der größte Türöffner waren neben Rookie auch die Konzerte mit LOVE A, weil dadurch ein größeres Publikum auf uns aufmerksam wurde.