KMPFSPRT

Foto

Vetternwirtschaft

Karten auf den Tisch: Dennis Müller/Meyer ist Chefredakteur des Fuze Magazins, des „Bruderheftes“ des Ox, sein Schreibtisch steht im Büro nebenan. Und er ist Bassist bei KMPFSPRT. Früher war er mit seinem Bruder Richard der Kern von FIRE IN THE ATTIC, dessen Label Redfield Records im Vorderhaus des alten Ox-Hauptquartiers ansässig war. Und KMPFSPRT-Gitarrist David Schumann schrieb auch schon fürs Ox. Man kennt sich also. Logisch, dass ein Interview den Ruch von Vetternwirtschaft und Kungelei hat, aber ... wäre Dennis nicht so ein cooler Typ und würde mir das neue KMPFSPRT-Album „Intervention“ nicht gefallen, hätten wir uns nicht ins Lager- und Besprechungszimmer des Ox-HQ zurückgezogen, um über all das zu plaudern.

Als ihr Anfang 2014 euer erstes Album veröffentlicht habt, hatte dieser Beinahe-Hype um „deutschsprachige Bands mit Punkbezug“ noch nicht eingesetzt. Heute erleben Bands von LOVE A bis ADAM ANGST ungeahnten Zuspruch. Was ist das, wo ihr da reingeraten seid?


Ja, das ist interessant! Bis vor einer Weile noch waren wir bei Konzerten mit mehreren Bands oft die einzige deutschsprachige – und heute ist es schon mal so, dass alle Bands auf Deutsch singen. Das weitet sich aus, und auf Deutsch zu singen hat dieses Stigma verloren, das Deutschpunk lange Zeit anhaftete: Saufen, gegen Bullen, dieses „Schlachtrufe BRD“-Ding. So wollten viele Bands nicht sein und haben sich deshalb davor gescheut, deutsch zu singen – und uns ging das auch so. Für uns war das zu Beginn nur ein Versuch, wir waren bereit, das wieder aufzugeben. Aber es hat zum Glück funktioniert.

Andererseits gibt es Bands wie PASCOW oder TURBOSTAAT seit 15, 20 Jahren – die hatten doch bewiesen, dass es geht, deutsch zu singen.

Diese Bands hatten schon immer eine Sonderstellung, da wurde ja immer schon dazugesagt: „Das sind die mit den schlauen deutschen Texten“. In gewisser Weise ist das heute noch so, aber es sind nicht mehr nur eine Handvoll Bands, sondern das ist in die breite Masse gegangen – ich sehe das ja an den Bands, mit denen wir spielen, und auch an dem, was bei uns auf dem Schreibtisch landet. Oder auch im Freundeskreis, wo neue Bands gegründet werden, die ganz selbstverständlich auf Deutsch singen.

Dieses Phänomen ist breit gefächert, das reicht von KILLERPILZE und JUPITER JONES bis zu MARATHONMANN und HEISSKALT. „Deutschsprachig“ und „mit Punkbezug“ ist da eine sehr große Klammer und bildet viele Fraktionen. Ihr wart sogar mit JENNIFER ROSTOCK auf Tour ...

Wir spielen ja mit den verschiedensten Bands zusammen und auf Festivals, und im Publikum sind das häufig die gleichen Leute – ob wir nun mit HEISSKALT, MARATHONMANN, ADAM ANGST oder JENNIFER ROSTOCK spielen. Es gibt da große Überschneidungen und viele Leute unterscheiden hat nicht zwischen diesen Bands. Okay, KILLERPILZE, das ist dann doch noch mal was anderes ... Die anderen genannten Bands kommen alle aus einer ähnlichen Ecke, das stellt man im Gespräch schnell fest. Der musikalische Background reicht da vom Neunziger-Punkrock, diesen Fat Wreck- und Burning Heart-Bands, bis hin zu spätem Emo und modernem Hardcore à la EVERYTIME I DIE, BRAND NEW und so weiter. Obwohl die Bands auf Deutsch singen, kommt der musikalische Einfluss ganz woanders her, die Vorbilder sind nicht DIE ÄRZTE oder TERRORGRUPPE.

KMPFSPRT sind so was wie die „zweite Jugend“ für Richard und dich, ihr wart vor rund zehn Jahren mit FIRE IN THE ATTIC schon erfolgreich – mit englischen Texten. Was ist diesmal anders, mit deutschen Texten?

Sehr viel! Von anderen hört man oft die Aussage: „Das ist meine eigene Sprache, darin kann ich mich besser ausdrücken“, aber das finde ich gar nicht. Das Direkte, Offene der deutschen Sprache bietet nämlich auch eine viel größere Angriffsfläche. Was ich früher auf Englisch geschrieben habe, das würde ich heute auf Deutsch niemals so durchgehen lassen, weil oft zu phrasen- und klischeehaft. An deutsche Texte gehe ich vorsichtiger ran, lege jedes Wort auf die Goldwaage, habe einen anderen Anspruch an mich selbst. Als wir damals die Entscheidung fällten, war uns klar, dass die textliche Messlatte Bands vom Kaliber TURBOSTAAT sind – auch wenn unser Ansatz ein anderer ist.

Bei deutschsprachiger Musik ist man andererseits, mit den entsprechend klischeehaften, belanglosen Texten, auch ganz schnell im Bereich „Schlagerrock“ à la JUPITER JONES oder SILBERMOND. Wo verläuft die Schmerzgrenze?

Wir haben eine virtuelle, interne „rote Liste“ mit Wörtern, die man nicht verwenden kann, so Sachen wie „mein Herz“ oder „Liebe“. Die werden so oft in Texten benutzt, dass sie inhaltsleer sind. Bei manchen Bands hört man die in jedem zweiten Text, da rollen sich mir die Fußnägel auf. Und dann immer die gleichen Metaphern ... Wir achten also sehr darauf, was unserer Meinung nach geht und was gar nicht. Aber okay, das muss jede Band selbst entscheiden – was für uns nicht funktioniert, funktioniert für andere. Vielleicht hat das ja aber auch was mit unserem Durchschnittsalter zu tun. Wir sind so Mitte bis Ende dreißig – einer sogar über vierzig.

Was uns zurück auf das Stichwort „zweiter Frühling“ bringt. FIRE IN THE ATTIC hatten ja eine beeindruckende Karriere, ihr hattet große Storys in den Musikmagazinen, spieltet auf großen Bühnen – und dann wart ihr plötzlich weg. Was hat sich verändert, was ist gleich geblieben?

Musikalisch sind KMPFSPRT die logische Weiterentwicklung. Ich mache mit Richard seit zwanzig Jahren gemeinsam Musik, wir haben uns gemeinsam weiterentwickelt. Das ist also ein stetig laufender Prozess, und zwischen dem Ende von FITA und dem Anfang von KMPFSPRT verging ja nicht viel Zeit. Nach außen wirkt das natürlich anders, klar. Und was den „zweiten Frühling“ betrifft: keine Ahnung, ob wir zweimal ein richtiges Gespür hatten oder einfach nur zur richtigen Zeit am richtigen Ort waren. Als wir FITA gründeten, machte in Deutschland kaum eine Band diese Art von Musik, also diesen 2000er Emocore eben. Es gab da nur eine Handvoll ähnlicher Bands, und die trafen wir jedes Wochenende, wenn wir irgendwo spielten, haha. Das wurde dann total riesig, irgendwann konnten Bands wie TAKING BACK SUNDAY und THE USED das Palladium in Köln ausverkaufen, vor 4.000 Leuten spielen – wenn die heute touren, stehen sie im Luxor vor 400 ... Wir hatten das Glück, zweimal genau das Richtige zu machen, und es ist wirklich Glück für Typen in unserem Alter, noch mal so eine Band zu haben, die so gut „funktioniert“.

Zweimal das Fähnchen nach dem Wind gehängt, sagen die Lästerer ...?

Ach, es war und ist einfach die Musik, die wir mögen, auf die wir Lust haben. Wir machen das doch nicht, weil es angesagt ist. Und man darf auch nicht vergessen, dass wir vor FIRE IN THE ATTIC mit SUMMER’S LAST REGRET bereits eine Band hatten, die den Weg dorthin bereitete – das war so was HOT WATER MUSIC-mäßiges. Würde man sich durch unsere Diskografie kämpfen, sieht man den roten Faden – ich zumindest.

Was ist der rote Faden?

Im Zweifelsfall Richard und ich. Letztes Jahr stieg unser Schlagzeuger Max aus, dafür kam Nico, und der war schon Drummer bei SUMMER’S LAST REGRET gewesen. Und David, unser Gitarrist, den kennen wir auch schon seit 15 Jahren, mit dem hatte ich auch schon mal so ein Projekt. Und der alte FIRE IN THE ATTIC-Schlagzeuger Daniel sprang die letzten beiden Jahre immer ein, wenn Max keine Zeit hatte. Letztendlich bestehen unsere Bands also aus den immer gleichen zehn Leuten. Das ist wie eine Familie, und das fühlt sich gut an – das merken wir jetzt bei Nico: Man kennt sich, man musste niemanden suchen, sich auf niemand Neues einstellen. Deshalb ging es uns auch nicht darum, den besten Schlagzeuger zu finden, sondern einen, der in die Band passt. So ein junger Typ von Anfang zwanzig, das hätte nicht gepasst.

Tja, das Alter: Plötzlich ist man nicht mehr 25, sondern Ende dreißig. Was ist heute anders, wenn man dennoch jedes Wochenende irgendwo in Deutschland Konzerte spielen kann und soll? Da kommen ja schnell mal berufliche und familiäre Verpflichtungen dazwischen.

Alles ist viel aufwändiger, man muss viel genauer schauen, was man überhaupt leisten kann. Wir sind alle berufstätig, die Uni-Zeit ist lange vorbei, da ist es was anderes, auf Tour zu gehen oder ein neues Album zu schreiben und aufzunehmen. Andererseits haben wir uns aber alle so arrangiert, dass wir in unserem Leben Platz für die Band geschaffen haben. Ich bin mit meinem Job fürs Fuze relativ flexibel, David ist freiberuflich tätig, Nico hat seinen alten Job gekündigt und einen neuen gesucht ... Wir gehen heute viel zielgerichteter an die Bandsachen ran. Früher war Samstag um zwei Probe und dann hing man da bis sieben rum, während wir heute wirklich proben in der Zeit, für die wir uns verabreden.

Was würde dir fehlen, wenn du die Band nicht hättest?

Die Konzerte. Klar, vieles ist Routine geworden, das Gefühl von Aufgeregtheit von früher, das gibt es nicht mehr, aber das ganze Drumherum macht viel Spaß, das mag ich sehr gerne. Und ehrlich gesagt gehe ich nur noch selten auf Konzerte, außer wenn wir selbst spielen. Festivals würde ich mir sowieso nicht mehr antun ... das ist einfach nicht meine Welt. Drei Nächte im kalten Zelt, das brauche ich nicht. Und auch nicht, nach einem Konzert mit sechs Leuten im Schlafsack irgendwo im Keller zu liegen. Ein Bett ist mir heute schon wichtig. Bestimmte Dinge ändern sich eben.

Labels suchen vorzugsweise junge Bands, die es wirklich wissen wollen, die flexibel und unabhängig sind und die ganze Zeit touren können. Da fallt ihr in mancher Hinsicht durchs Raster, dennoch seid ihr mit dem neuen Album von der Sony-Tochterfirma Century Media für deren Sublabel People Like You gesignt worden.

Wir sind einen anderen Weg gegangen: Wir haben unser Album komplett fertig produziert und haben das fertige Produkt ein paar Labels vorgestellt. Das ist was anderes, als wenn ein Label erst noch investieren muss und dann nicht weiß, was dabei herauskommt. Klar achtet ein Label bei einer Band auf verschiedene Faktoren, aber wenn ich mir unsere Website so anschaue, wo wir in den letzten Jahren alles gespielt haben, dann kann ich selbst kaum glauben, wie wir das in unserem Leben unterbekommen haben. Das waren allein vier Touren, und parallel dazu habe ich alle zwei Monate eine Fuze-Ausgabe gemacht. Daran kann ein Label schon sehen, dass eine Band auch will, dass das was wird mit dem Album, denke ich. Aber klar, ein „Aufbauthema“ sind wir nicht. Wir sind eine gestandene Band, die weiß, wie der ganze Scheiß läuft – das macht die Zusammenarbeit für beide Seiten leichter. Und wir interessieren uns für jedes Detail des Geschäftes, was sehr viel Arbeit ist.

Machst du also auch das „Management“?

Wir haben verschiedene Bereiche aufgeteilt, ich bin vieles schon von FITA gewöhnt. Richard macht Grafik und Design sowie Songwriting, David kommuniziert mit der Booking-Agentur, ich kümmere mich um die Finanzen und den Shop – wir machen unseren Merch selbst – und bin Ansprechpartner für das Label. Wir versuchen also, möglichst viel selbst zu machen, weil man sonst viel Geld verschenkt. Je mehr externe Leute man sich ranholt, desto mehr musst du bezahlen, desto weniger bleibt für dich übrig.

... und deshalb hat Richard das Coverartwork gemacht. Was hat es damit und dem Titel auf sich?

Der vorherrschende Farbton ist blau, man sieht eine Berglandschaft und irgendwo im Hintergrund ist ein kleines Feuer zu sehen. Eine genaue Interpretation könnte sicher Richard liefern, aber jeder hat natürlich seinen eigenen Eindruck, und für mich spiegelt das in Zusammenhang mit dem Titel „Intervention“ die Stimmung in Deutschland wider: Alles ist so seltsam angespannt, irgendwo brennt ein kleines Feuer. Wenn ich mir dieser Tage die Kommentare bei so manchem Facebook-Eintrag anschaue, dann wird mir schlecht. Gefühlt halten da nur wenige Leute dagegen. Das ist meine Interpretation des Covers, aber da wird dir jeder in der Band was anderes sagen.

„Intervention“ ist also in dem Sinne zu verstehen, dass bei all dieser fiesen Stimmung auch mal jemand aufstehen und eingreifen muss?

Genau. Der Titel spiegelt das ganze Album wider, auf verschiedenen Ebenen, zudem hat das ja verschiedene Themen. Etwa, dass unser Schlagzeuger bewusst seinen Job hingeschmissen hat, mit dem er unglücklich war, um was Neues zu machen und wieder klarzukommen. Diese ganze PEGIDA-Geschichte ist ein weiterer Punkt, und die beiden genannten plus die anderen fasst „Intervention“ zusammen.

Würdest du euch als politische Band bezeichnen?

Auf jeden Fall. Wer sagt, dass seine Musik nicht politisch ist, ist entweder ein Lügner oder ein Idiot. Das geht einfach nicht, in der heutigen Zeit kann man sich das einfach nicht mehr erlauben, unpolitisch zu sein. Ich bekomme immer wieder mit, das Bands sagen, sie seien nicht politisch, aber irgendeine Message haben sie dann doch – und dann ist es eben politisch. Wenn eine Band wie FREI.WILD von sich sagt, sie sei unpolitisch, dann ist das totaler Blödsinn. Die Werte und Parolen, die sie verbreiten, sind politisch! Nur weil man für keine Partei einsteht, ist man nicht unpolitisch. Und deshalb bezeichne ich uns ganz klar als politische Band.

Wie kommst du mit deiner Doppelrolle als Chefredakteur und Journalist des Fuze einerseits und Bassist von KMPFSPRT andererseits klar? Mal bist du Musiker und Interviewter, mal Journalist und Interviewender.

Ich habe mir damals, als ich den Job übernahm, schon Gedanken gemacht, wie ich damit umgehen soll. Die letzten zwei Jahre kam ich jetzt ganz gut um eine Auseinandersetzung herum, weil wir keine Platte gemacht haben, aber jetzt bin ich dazu gezwungen. Ich werde das sehr transparent gestalten, damit es nicht heißt, KMPFSPRT sind ja nur in Fuze und Ox, weil ... Generell war meine Doppelrolle bislang nur von Vorteil, denn beispielsweise stelle ich in Interviews manche Fragen einfach nicht, weil ich aus eigener Erfahrung weiß, dass es nicht die spannendste Frage ist. Oder ich erlebe und treffe andere Bands in Momenten, wo sie mehr sie selbst sind als in einer typischen Interviewsituation. Ich kenne bei vielen Bands einfach den Hintergrund, da findet, gerade bei deutschen Bands, das Gespräch dann auf einer anderen Ebene statt.

Andererseits heißt es aber auch schon mal: „So, jetzt müssen wir uns benehmen, die Presse ist da“, wenn man als Journalist backstage kommt. Und die alte Regel „What happens on tour, stays on tour“ wird natürlich auch gefährdet, wenn der eine Musiker auch noch Journalist ist und vielleicht Aktionen mitbekommt, die durchaus die Szeneöffentlichkeit interessieren könnten?

Klar, solche Situationen gibt es, gerade mit befreundeten Bands, die man schon lange kennt. Da fällt dann auch mal ein Satz wie: „Aber das schreibste jetzt nicht, oder?!“ Da muss man schon wissen, wann man da als Privatmann unterwegs ist und wann als Journalist. Ich nehme mich da als Journalist eher zurück, gerade im Umgang mit Bands, die ich bislang nicht kannte – und andererseits macht es ein Interview manchmal auch leichter, wenn man sich vorstellt als der Bassist jener Band, mit denen sie mal zusammen auf Tour waren. Da wäre es peinlich, so zu tun, als würde ich den anderen nicht kennen. Alles in allem finde ich es eine interessante Erfahrung, denn als Journalist bekomme ich so ganz andere Einblicke und Ansätze für Interviews.