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Earth Crisis

„Gäbe es einen Knopf, der das menschliche Leben auf der Erde beenden könnte – würdest du ihn drücken? Es gäbe keine Warnung, kein weiteres Leiden, es wäre einfach so vorbei. Danach könnte die Welt sich wieder regenerieren und alle Lebewesen würden in Harmonie leben.“ Mit dieser Frage im Hinterkopf klingt „All Our Gods Have Abandoned Us“ wie das wichtigste Statement im Hardcore respektive Mathcore seit Jahren. Wir haben den Planeten ruiniert, sind zu Egoisten verkommen, die am Ende ihres gehetzten Lebens nicht mehr als Staub und Dreck zurücklassen werden. Da klingt es doch wie die Lösung aller Probleme, könnte man die Dinge einfach so zurücksetzen. Sänger Sam Carter spricht im Interview über das brachialste und vielleicht düsterste Album der Band aus England, die aber auch immer noch Hoffnung hat.

All Our Gods Have Abandonded Us“ ist euer fünftes Album und dabei das erste auf Epitaph. Eines kann man schon mal feststellen: es ist nicht euer eingängigstes geworden. Gibt es etwas, das ihr euch für diese Platte in den Kopf gesetzt habt?

Wir wollten beweisen, dass wir immer noch eine sehr wuchtige Band sind und es natürlich das Beste sein soll, was wir als Band schreiben können. Eine Sache stand jedoch tatsächlich im Vordergrund: Die Platte sollte nicht nur stumpf brachial, sondern auf eine gewisse Art intelligent klingen. Darüber hinaus wollten wir, dass die Leute auch nach Jahren noch sagen werden, „All Our Gods Have Abandoned Us“ sei eine sehr gute Platte geworden ist, mit der wir es geschafft haben, unseren jetzigen Standpunkt deutlich zu machen. Wir sind sehr stolz auf die Entwicklung, die wir als Band durchgemacht haben, und das soll nun auch zu erkennen sein.

Wie schon bei „Lost Forever/Lost Together“ habt ihr mit den Schweden Fredrik Nordstrom und Henrik Udd zusammengearbeitet. Habt ihr euren Sound nun endgültig gefunden?

Natürlich möchtest du immer die Platte machen, die du selber noch nicht in deiner Plattensammlung stehen hast. Uns war es dieses Mal aber auch sehr wichtig, dass die Aussagen und vor allem die Wut, die wir in unseren Songs transportieren, richtig in Szene gesetzt werden. Mit den beiden funktioniert die Zusammenarbeit perfekt, der Sound ist so düster, wie er sein sollte.

Ihr seid für eure kritischen Texte bekannt. Auf „Hollow Crown“ war es vor allem Gesellschaftskritik, die ihr gegenüber der britischen Regierung geäußert habt. Was steckt dieses Mal hinter den Texten?

Wir wollten über die Wurzel all dieser Fehlfunktionen und Desillusionierung schreiben, welche die Ursache für diesen ganze Mist ist, den wir momentan überall erleben – sowohl persönlich, politisch, aber vor allem auch ökologisch. Wir wollten über den Irrglauben schreiben, dass wir immer mehr brauchen, immer mehr konsumieren müssen, um zu existieren. Wir leben in einem Zustand stetiger Angst, Eifersucht und Missgunst. Natürlich sind daher so viele Menschen mit ihrem Leben unzufrieden und finden keinen wirklichen Sinn in dem, was sie tun. Tom Seals, unser Gitarrist und Hauptsongschreiber, hat sich dieses Mal sehr darauf konzentriert, eben dieser Suche nach dem Lebenssinn nachzugehen und zu beobachten, welche Folgen unsere Planlosigkeit haben wird. Es gibt so viele Dinge, die wir in unserem Leben verbessern müssten, dabei sehen wir den Wald vor lauter Bäumen nicht. Wir rennen im Grunde nur einem Ideal hinterher, von dem wir nicht einmal wirklich überzeugt sind. Wir arbeiten und sind gestresst. Aber wir ändern auch nichts daran, diesen Zustand zu verbessern. Wir denken zu viel an uns selbst und verlieren dabei eine Sache komplett aus den Augen: Der Klimawandel sollte uns eigentlich Warnsignal genug sein, dass wir so nicht weiterleben können. Wir tun jedoch nicht wirklich viel, um ihn aufzuhalten. Das ist eine sehr erschreckende Beobachtung. Vor allem ruinieren wir einen Planeten, der uns ja gar nicht gehört. Wir machen hier schlichtweg alles kaputt und steuern damit direkt in unser eigenes Verderben.

Inwieweit siehst du für deine Band eine Möglichkeit, an diesem Zustand etwas zu ändern?

In dem Moment, in dem wir uns mit den traurigeren und dunkleren Situationen unseres Lebens auseinandersetzen, haben wir die Möglichkeit, uns selbst zum positiven Denken zu bewegen. Wir sind nicht allein. Die Leute, die unsere Songs hören und sich endlich verstanden fühlen, sind nicht allein. Es ist sehr gut, wenn wir wissen, dass wir zusammen etwas bewegen können. Und obwohl die Platte vordergründig nicht hoffnungsvoll klingt, birgt sie somit doch sehr viel Hoffnung.

Der Titel „All Our Gods Have Abandoned Us“ klingt jedoch alles andere als hoffnungsvoll.

Der Titel rührt daher, dass wir im Moment in einer Gesellschaft leben, in der der Glaube an eine Art Gott und etwas Allmächtiges durch den allumfassenden Kommerz und einen steten Willen, immer mehr besitzen zu wollen, ersetzt wird. All das, was wir zunächst nicht verstehen können, wird mit einem anderen Gefühl betäubt: Ich kaufe, also bin ich. Wir sind so gehetzt, dass wir uns nicht mal mehr die Zeit für so banale Dinge nehmen, wie den Himmel und die Sterne zu beobachten und ins in Ruhe darüber Gedanken zu machen, was uns eigentlich antreibt, uns glücklich macht oder wie wir dieses Glück überhaupt erreichen können. Wenn wir uns jedoch mit genau dieser Situation auseinandersetzen und gerade diese Probleme ansprechen, können wir erkennen, wie viel Hoffnung und Licht noch in diesen dunklen Zeiten vorhanden ist. Das Leben ist eine wunderbare, großartige Sache. Und das Unbegreifliche, das Wundervolle sind die Dinge, die es so unglaublich machen. Wir haben so viele Fragen noch nicht beantworten können, weil wir so viel Zeit damit verbringen, uns vorzuwerfen, was wir alles hätten tun sollen oder was hätte passieren können. So verlieren wir den Blick für das Hier und Jetzt.

Wäre es bei solch einer Aussage nicht vielleicht logischer, für eine breite Masse etwas zugänglichere Musik zu machen?

Es ist mir sehr wichtig, mit dem richtigen Gefühl Musik zu machen. Ich kann einen Teil dieser Frustration durch meine Art zu Singen verarbeiten. Den anderen Jungs geht es da genauso. Wir haben etwas für uns gefunden, bei dem wir uns wohl fühlen. Grundsätzlich denke ich, dass man keine Musik machen sollte, wenn sie nicht von Herzen kommt. Die Kunst lebt von Leidenschaft und Emotionen, die sehr direkt dargestellt werden können. Ich persönlich bin mit Hardcore groß geworden und habe in dieser Szene eine einzigartige Stimmung gespürt. Angefangen bei D.I.Y.-Shows über kritische Statements gegen das Establishment bis hin zum veganen Lebensstil, all das hat mein Leben beeinflusst und mich zu dem Menschen werden lassen, der ich jetzt bin. Wie viele andere Kinder habe ich mich damals in der Schule gefragt, warum ich unbedingt den Kram lernen sollte, der unterrichtet wurde. Niemand konnte mir wirklich eine Antwort geben. Ich lernte mehr über Dinge wie Freundschaft und Gemeinschaft auf Hardcore-Shows als sonst wo.

Also kann Musik und insbesondere Hardcore die Welt verändern?

Nun ja, wie schon gesagt, habe ich durch die Musik meinen Horizont erweitern dürfen und einen Lebensweg eingeschlagen, den ich über den Hardcore kennen gelernt habe. Nimm zum Beispiel doch mal die Situation im Moshpit während einer Hardcore-Show. Wo sonst hilft dir jemand wieder hoch, wenn du gefallen bist? Es ist wie eine Familie, die zusammenhalten muss. Dass eine einzelne Platte eine Revolution auslösen kann, würde ich so nicht sagen. Jedoch besteht die große Chance, einzelne Personen zum Nachdenken anzuregen. Diese sprechen dann wiederum mit anderen über ihre Ideen und so kann eine Bewegung entstehen. Kendrick Lamar hat zum Beispiel einen sehr cleveren, direkten und konsequenten Weg gefunden, eine breite Öffentlichkeit über die Ungerechtigkeiten, welche den Minderheiten in den Vereinigten Staaten immer noch widerfahren, aufmerksam zu machen. Er nutzt seinen Bekanntheitsgrad, um die Menschen aufzuwecken. Es gibt noch unzählige andere Beispiele von Künstlern, die so sind wie er.

John Lennon war damals auch sehr eindeutig in seinen Aussagen, was den Pazifismus und Weltfrieden anging. Musikalisch waren die BEATLES sowieso revolutionär. Was ist euch als Band besonders wichtig?

Wir sind eine Band, die sich komplett vegan ernährt und versucht, sich bewusst auf durchs Leben zu bewegen. Alle Mitglieder der Band engagieren sich in Umweltdingen, wir protestieren zusammen, wenn wir die Chance haben. Ich persönlich versuche mich für Sea Shepherd einzusetzen, die für den Schutz der Meeresbewohner und Ozeane kämpfen. Das Mindeste, was wir als Band in diesem Umfeld tun können, ist es, Wohltätigkeitsorganisationen mit auf Tour zu nehmen, damit diese direkt mit unseren Fans in Kontakt kommen können. Ich freue mich über jeden, der mit einem Sea Shepherd-Shirt zu unseren Shows kommt. Wir haben das Privileg, auf solche Projekte aufmerksam zu machen, und freuen uns, wenn wir Leute unterstützen können, die sich mit Leib und Seele für die gute Sache einsetzen. Wir alle haben viel zu lange einfach nur weggesehen und unser Leben gelebt, als gäbe es noch eine zweite Welt, auf die wir umziehen können, wenn wir diese hier komplett zerstört haben. Unsere Ozeane werden immer weiter vergiftet, und dennoch scheint es die breite Masse nicht zu interessieren. Warum lehnen sich dagegen immer noch so wenige Leute auf? Wir sollten alle aktiv werden, statt noch länger zu warten.

Was läuft also falsch in unserer Welt?

Wir gehen ins Museum, um uns unsere Natur anzugucken, und spielen auf Kunstrasenplätzen Fußball, die ironischerweise auf Wiesen errichtet wurden. Wir haben Angst vor Tieren, wenn sie nicht tot auf unseren Tellern liegen oder an einer Leine gehalten werden. Wir Menschen müssen unseren Lebensstil und unsere Gewohnheiten ändern, um dem Planeten, auf dem wir leben, etwas Gutes zu tun – und um vor allem selbst mit einem guten Gewissen leben zu können.

Wieso wachen die Menschen nicht auf?

Uns beherrscht eine unbestreitbare Apathie, wir fühlen uns machtlos. Es gibt zu viele Menschen, die wegschauen, wo wir viel besser mal hinschauen sollten, und genau das führt eben dazu, dass wir anderen apathisch zusehen, wie wir uns selbst ins Verderben stürzen. Aber ein Wandel ist möglich, daran glaube ich. Spätestens dann, wenn es zu spät ist. Menschen haben die Angewohnheit, so lange das Falsche zu tun oder wegzuschauen, bis es zu spät ist. Und daran sind wir dann alle schuld.

Wie soll man aus dieser ganzen Entwicklung noch etwas Positives ziehen und nicht komplett in Depression verfallen?

Wir können mit kleinen Schritten sehr viel verändern. Es steckt so viel Geld in der Gewinnung von fossilen Stoffen, die wir einfach verbrennen und so den Klimawandel vorantreiben. Wir erzeugen so viel Müll wie niemals zuvor. Wenn jeder für sich damit beginnen würde, sich bewusster zu verhalten, entstünde eine große Bewegung. Schlussendlich wollen wir doch nicht die Generation sein, die alles kaputt gemacht hat und unseren Kindern nichts mehr von dieser Welt übrig lässt außer Schmutz und Dreck. Tom hat mal die Frage gestellt, ob es nicht besser wäre, noch mal komplett neu zu starten. Eine Erde ohne die Menschen, die ihr mehr schaden als nutzen. Gäbe es einen so Reset-Knopf, würden wir ihn drücken? Es wäre alles vorbei, kurz und schmerzlos, und die Welt hätte die Chance, sich endlich von den Schäden zu erholen, die wir Menschen ihr angetan haben. Alles wäre mit einander im Einklang. Weil es diesen Knopf aber nicht gibt, müssen wir anders versuchen zu retten, was noch zu retten ist. Wir fangen im Kleinen mit unseren Veränderungen an, leben sie und können am Ende nur hoffen, dass endlich alle aufwachen und sich dessen bewusst werden, was hier gerade passiert.