DYSNEA BOYS

Foto

Ich bin ein Berliner

Nach einer 7“ und einer Split-7“ erschien im April endlich „Forgot How To Read“, das Debüt-Album der (Wahl-)Berliner, die sich selbst mal als „hommage to 1980’s west coast punk rock“ beschrieben haben, und bei denen man auf Jason Honea (Gesang, einst bei SOCIAL UNREST, San Francisco), CC Voltage (Bass, einst unter anderem bei den SPITFIRES aus Vancouver) sowie auf den ebenfalls aus Vancouver stammenden Chris Frey (Gitarre, u.a. RADIO BERLIN, DESTROYER) und Tom Fanore (Drums, SORRY MY SOX, und der einzige Deutsche in der Band) trifft. Und die spielen brillanten Freistil-Punk, so vielfältig und zwingend und eigenwillig, wie man das heute nur noch bei wenigen Bands findet.

Ist „Dysnea“ eine bewusste Falschschreibung von „Disney“? Für mich verkörpert Disney alles, was mit den USA zu tun hat.

Chris: Ja, am Anfang hieß es noch „Disney“, aber dann dachten wir, dass uns eventuell markenrechtliche Probleme einen Strich durch die Rechnung machen. Und so wirkt es auf mich wie eine Mischung aus „Dystopie“ und „Nausea“, also Ekel, und steht, wie du schon sagtest, für die USA im Allgemeinen.

Ihr habt euch mal als „hommage to 1980’s west coast punk rock“ bezeichnet. Was war der Plan, als ihr angefangen habt, miteinander Musik zu machen?

Chris: Es gab keinen wirklichen Plan. Die Hauptsache war, einfach nur Musik zu machen. Dadurch, dass Jason der Sänger ist, wurden wir ein bisschen in diese Richtung getrieben. Er ist ein Frontmann, der so etwas definitiv mit Charme und Energie forcieren kann. Chad und ich sind beide als Skatepunks an der Westküste aufgewachsen und stehen ziemlich auf diesen Sound. Aber wir wollen DYSNEA BOYS auch nicht allzu sehr auf etwas Bestimmtes beschränken. DYSNEA BOYS ist eine Nummer für sich.

CC: Jason und ich haben uns, kurz nachdem ich vor sechs Jahren in Berlin angekommen bin, auf einer Party getroffen. Wir haben direkt darüber gesprochen, eine Band zu gründen, aber es hat mehr als drei Jahre gedauert, das dann zu realisieren. Chris hat einen Proberaum und die ganze Ausstattung. Ohne das würden wir nicht existieren. Skateboarden hat meine ganze Weltanschauung geformt und die Musik, die in den Achtzigern dazugehörte, hatte sehr großen Einfluss auf mich. Ich denke, uns geht es allen gleich, was das angeht, und unsere Musik entwickelte sich einfach von selbst in diese Richtung.

Jason: Ich denke, was wir machen, ist vielseitig genug, um zu zeigen, dass wir unseren musikalischen Horizont über die letzten paar Jahrzehnte definitiv erweitert haben. Für meine Ohren haben wir einen bestimmten nordamerikanischen Sound, etwas, das auf jeden Fall ganz natürlich aus uns spricht. Ich bin mir jetzt gar nicht so sicher, ob ich da einen Skaterock-Einfluss raushöre, aber ich kann mir definitiv vorstellen, dass Leute zu unserer Musik skaten. Was ich höre, ist die Summe von allem, wofür wir uns über lange Zeit hinweg interessiert haben.

DYSNEA BOYS hören sich weder an wie SOCIAL UNREST oder SPITFIRES, noch wie die KNIT SEPARATES, aber sie sind ganz klar eine Punkband. Warum immer noch – oder wieder – Punk nach all den Jahren?

CC: Die SPITFIRES waren mehr Garagerock und dann, am Ende, einfach nur noch Rock. Die Jungs hatten keinen echten Punk- oder Skate-Hintergrund. Deshalb macht es mir jetzt wirklich Spaß, mit Leuten in einer Band zu sein, die ähnliche Interessen, einen ähnlichen Background haben. Es kommen immer viele Geschichten aus der „guten alten Zeit“ hoch, wenn wir zusammen sind.

Jason: Na ja, wenn ich gefragt werde, wie wir uns anhören, sage ich, wir haben einen nordamerikanischen Achtziger-Jahre-Sound, manchmal schnell, manchmal schleppender. Tendenziell haben wir ein paar mehr Akkorde auf Lager und die Texte behandeln die verschiedensten Themen. Ich kann völlig verstehen, dass das jemand als „Punk“ auffasst, aber ich sehe uns absolut nicht als Punkband. Für mich ist es eine natürliche Äußerung. Denn ich versuche noch immer herauszufinden, was Musik für mich bedeutet und wie sie für mich funktioniert. Was ich wirklich genieße daran, wieder solche Musik zu machen, ist die pure Körperlichkeit bei den Live-Shows, aber auch diese Realitätsblase, die einen bei den Proben umgibt.

Jason ist seit vielen Jahren ein Freund und hat zeitweise für das Ox geschrieben, CC kenne ich von den SPITFIRES. Was muss man sonst noch über euren Background und den von Chris Frey und Tom Fanore wissen?

Chris: Ich bin in Vancouver in Kanada groß geworden und habe in vielen Bands gespielt, die ganz unterschiedlich waren: SLUDGE, THE MEASURE, RADIO BERLIN, DESTROYER, THE BOOK OF LISTS ...

CC: Ich bin ebenfalls in Vancouver aufgewachsen, aber mehr am Stadtrand. Chris und ich kannten uns damals nicht wirklich, aber wir sind überzeugt, dass unsere Bands irgendwann mal auf den gleichen All-Ages-Shows aufgetreten sein müssen. Ich hatte eine Band namens THUMBSCREW, zusammen mit Leuten, die danach BY A THREAD gegründet haben. Dann war ich zeitgleich bei BLACK HALOS und SPITFIRES. Aber nachdem die Halos bei Sub Pop unterschrieben haben, stieg ich aus und wurde ihr Tourmanager. Ich fürchte, ich werde ihnen als weltschlechtester Tourmanager im Gedächtnis bleiben. Später habe ich in London mit Rich Jones die LOYALTIES gegründet, wir haben eine EP aufgenommen und waren in Europa auf Tour. SPITFIRES waren ja immer schon mehr so halb-aktiv. Die Jungs sind einfach wirklich gute Freunde.

Jason: Ich komme aus South Bay in Nordkalifornien und war in ein paar Bands: GRIM REALITY, SOCIAL UNREST, KNIT SEPARATES, TEENAGE PANZERKORPS und SHITTY LISTENER.

Wie und bei welcher Gelegenheit seid ihr vier zusammengekommen?

CC: Die Idee mit der Band hat uns einige Zeit begleitet, aber Chris hat es dann mit seinem Proberaum erst wirklich möglich gemacht. Meine Erinnerungen sind inzwischen etwas verschwommen, aber ich glaube, ich habe als Gitarrist angefangen und wurde dann zum Bassisten degradiert, haha.

Jason: Heute im Auto haben wir versucht zu rekapitulieren, wie lange wir eigentlich schon zusammen spielen. CC hat recht. Chris’ Proberaum war der Katalysator für so einiges. Auch auch unsere ersten paar Shows waren so intensiv, dass ich nicht mehr widerstehen konnte.

Hat die Tatsache, dass ihr „Expats“ seid, irgendwas damit zu tun, wie ihr Musik macht? Hätte diese Band genauso in San Francisco oder Vancouver entstehen können?

Chris: Ich wüsste nicht, warum nicht ...

CC: Ehrlich gesagt, glaube ich nicht, dass wir uns so in Kanada oder Kalifornien aufeinander eingelassen hätten. Ich denke schon, dass uns genau die Tatsache, dass wir alle weit weg von zu Hause sind, zusammengebracht hat. Nicht, dass wir nicht auch mit Deutschen spielen hätten können, aber von der Westküste zu sein, war ein riesiger Anknüpfungspunkt für uns. Wir haben viel mehr Gemeinsamkeiten als jemand, der in einem anderen Teil der Welt aufgewachsen war.

Jason: Gute Frage. Ich beschäftige mich hier viel mehr mit Musik als zuletzt in San Francisco, ob Aufnehmen oder Live-Spielen. Wenn ich meinen Lebensweg der letzten zehn Jahren so anschaue, erscheint es mir durchaus sinnvoll, alte Ideen noch mal aufzugreifen, die in Zukunft für mich wieder eine Rolle spielen können.

Seid ihr eine Berliner Band?

Chris: Durch und durch.

CC: Diese Frage hat mich tatsächlich sehr zum Grübeln gebracht. Ich denke nicht, dass wir zur Berliner Szene gehören. Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass man uns nicht akzeptiert hätte, oder wir als Zugezogene einfach außen vor sind. Wir sind Berliner, aber würden Berliner so denken? Ich weiß es nicht.

Jason: Berlin ist mein Zuhause. Ich sage den Leuten, dass wir aus Berlin kommen. Ich kenne mich gut mit der Musikgeschichte in dieser Stadt aus, die Rolle, die sie gespielt hat ... Aber ich kenne nur wenige der Bands von hier. Ich denke nicht, dass ich irgendjemandem zuverlässig darüber berichten könnte, was im Berliner Punk so abgeht.

Zum Schluss hätte ich gerne noch kurze Kommentare zu drei Songs.Worum geht es in „Find water“?

Jason: Um die drei Kriegseinsätze meines jüngeren Cousins in Afghanistan und im Irak.

Und in „Christian bail“?

Chris: Wurde so benannt, weil es einem Riff entspringt mit einem Batman-Vibe. Christian Bale ist ein guter Batman. CC hat einmal „Christian bail“ auf die Setlist geschrieben und das hat sich dann durchgesetzt. Es ist weder anti-, noch pro-christlich; und „bail“ erinnert so an skaten!

Jason: Die Heilkraft von Träumen und/oder Träume als Zeichengeber.

„Here she comes“?

Chris: Ein beliebiger No-Wave-Song.

CC: Der eine Song, den man entweder liebt oder hasst. Das Stück verwirrt die Leute, es zu spielen ist dadurch besonders spaßig.

Jason: Kennst noch jemand die britische Band MARCH VIOLETS? „Here she comes“ handelt von einem ihrer Albumcover.