HATEBREED

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Unwissenheit ist kein Segen

Mit „The Concrete Confessional“ erschien kürzlich auf Nuclear Blast das siebte Album der aus New Haven, Connecticut stammenden, 1994 gegründeten HATEBREED. Jamey Jasta ist seit damals charismatischer Kopf der einst ihre Karriere auf Victory Records beginnenden Metalcore-Band, von der Urbesetzung ist Bassist Chris Beattie geblieben sowie, nach längerer Pause von 1996 bis 2009, Gitarrist Wayne Lozinak. Jasta ist ein wacher, reflektierter Mensch, den zu interviewen Spaß macht.

Ihr seid eine Band, die einerseits Fans in der Hardcore-Szene hat, aber auch im Metal. Aber macht diese Unterscheidung überhaupt noch Sinn, wo seid ihr zu Hause?

Unser Zuhause ist die Bühne, und es spielt keine Rolle, wer vor uns und wer nach uns spielt. Wenn ich wie gestern in Amsterdam von der Bühne ins Publikum schaue, dann sehe ich die unterschiedlichsten Bandshirts, das reicht von SLAYER und CANNIBAL CORPSE bis zu DROPKICK MURPHYS und RANCID. Uns in eine Ecke zu drängen ist Blödsinn, wir haben Fans aus allen Bereichen. Ich sehe den Zwang, sich irgendwo einzuordnen zu sollen, als eine Folge des Social-Media-Phänomens. Da wird ständig verlangt, sich einzuordnen, und die Musik folgt da dem gesellschaftlichen Mainstream, der einfach sehr teilend und trennend ist. Uns hingegen war schon immer wichtig, nicht wie der Mainstream zu sein, und ich habe diese Trennung zwischen verschiedenen Szenen nie verstanden. Anfang der Neunziger sah ich gemeinsame Shows von BIOHAZARD und THE EXPLOITED, von AGNOSTIC FRONT und OBITUARY. Damals fragten auch Leute, warum AGNOSTIC FRONT zusammen mit OBITUARY spielen, und ich habe zurückgefragt: Why not?! Wenn jemand nach dem Warum fragt, gibt es eine einfache Antwort: Weil wir alle zusammenhalten müssen! Wenn im Mainstream mit Pop und Country und HipHop Wert darauf gelegt wird, sich abzuschotten, sauber zu trennen, wenn da Antisemitismus, Hass auf Trans-Menschen, Homophobie und Rassismus einen Platz haben, dann scheint das für diese Gesellschaft okay zu sein. Wenn Eminem „faggot“ sagt, dann ist das okay, dann lässt man das durchgehen, doch wenn von einer Hardcore- oder Metal-Band dieses Wort verwendet wird, ist das mindestens kontrovers. Je tiefer man in den Mainstream eindringt, desto mehr Abgrenzung findet statt, und ich finde, innerhalb des Bereichs der Heavy-Musik, wozu ich jetzt mal alles von Metal bis Punk zähle, sollte diese Abgrenzung, das Trennende, keinen Platz haben. Und deshalb kümmern wir uns nicht um vermeintliche Grenzen, spielen am einen Wochenende mit MACHINE HEAD und am nächsten mit NAPALM DEATH und dann mit AT THE GATES und THE CASUALTIES. 1995 lief das genau so! Entweder einer kapiert, dass es uns um Unity, Respekt und Offenheit geht, oder er will wie die Mainstream-Gesellschaft sein und kapiert es eben nicht.

Demnächst werden die Amerikaner auch die Wahl haben, zwischen zwei sich sehr feindlich gegenüber stehenden politischen Lagern. Die USA wirken sehr gespalten dieser Tage. Wie siehst du das als Amerikaner, der wie jetzt in Europa mit vielen Menschen über das Thema redet?

Bislang habe ich in jedem Interview, das ich jemandem außerhalb der USA gegeben habe, Fragen zu George Bush, Bill Clinton, Obama und so weiter beantwortet. Ich habe dadurch verstanden, dass die Politik der USA generell den Rest der Welt beeinflusst und daher auch alle daran interessiert sind. Was den aktuellen Wahlkampf betrifft, so habe ich diesmal etwas genauer hingeschaut und hingehört und festgestellt, wie manipuliert dieses ganze System der Kandidatenauswahl ist mit all diesen Vorwahlen und Delegierten. Unterm Strich entscheiden ja nicht die Wähler, letztlich haben die Großkonzerne und das große Geld das Sagen. Es wäre schön, wenn jemand wie Jill Stein eine Chance hätte, jemand, der nicht Teil des Zwei-Parteien-Establishments ist. Aber solange die Korruption und Manipulation nicht bekämpft wird, wird das nicht passieren.

Spaltet die Frage, wie man zu Trump steht, Familien und Freundeskreise, oder ist das eher ein Medienphänomen?

Bis zu einem gewissen Punkt ist es ein Mediephänomen, und was diese Band betrifft, so können wir uns ganz vernünftig über das Thema unterhalten. Aber die Emotionen schaukeln sich bei dem Kerl eben schnell hoch. Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob der Typ wirklich gewählt wird. Und damit sind wir wieder beim Thema: Wäre das ganze System nicht so manipuliert, könnte der tatsächlich eine Chance haben. Dass es einen Unterschied macht, ob man für einen Demokraten oder Republikaner stimmt, ist eine Illusion. Es gibt eine coole Website namens isidewith.com und auf der kann man durch Beantworten eines Fragebogens herausfinden, mit welchem Kandidaten man eigentlich sympathisiert. Das ergibt echt spannende Ergebnisse, genau wie so mancher Steuerrechner. Da stellen dann auch Menschen aus unserer Szene schnell fest, dass ein Kandidat wie Bernie Sanders für Selbständige wie uns gar nicht so gut ist. Wenn man sein Wahlverhalten an der Steuerlast ausrichtet, zahlt man da drauf. Jake von CONVERGE hat in meinem Podcast als Bernie-Supporter dazu gesagt, dass er wisse, dass er im Falle von dessen Wahlsieg zwei- oder dreimal soviel Steuern würde zahlen müsse, was er aber als eine Investition betrachte in Menschen, die nicht diese Möglichkeiten und Chancen erhalten, wie er selbst sie hatte, etwa was ein steuerfinanziertes Studium betrifft. Aber wie gesagt, man muss bei der ganzen Wahldiskussion aufpassen, dass sie nicht zu emotional geführt wird. Emotionen und entschlossenes Handeln stehen sich im Weg.

Apropos Emotionen: Was bringt dich runter, womit entspannst du dich?

Ich gehe spazieren. „Hit the concrete“, sage ich immer, „spüre den Beton“. Heute sind wir in England angekommen, und als wir am Venue waren, bin ich erstmals losspaziert. Den Kopf frei bekommen, etwas frische Luft, das hilft mir weiter. Und ich bin ein Großstadtkind, das muss gar nicht die freie Natur sein für mich.

Reicht dir die Band, um dich immer wieder aufs Neue zu motivieren, oder brauchst du anderweitige Reize?

Das Beste an der ganzen Bandsache ist der Moment, wenn es im Zuge des Produktionsprozesses plötzlich interessant wird, aber du gar nicht weißt, wie es dazu kam. Plötzlich ist die Inspiration da, ich fühle das immer kommen, und dann brauche ich schnell eine Gitarre oder ein Stück Papier, damit ich die Idee nicht wieder vergesse. Oder ich schicke mir selbst eine Mail, mache mir eine Sprachnotiz – mit einem Gitarrenhook, einer Textpassage, einer Artwork-Idee. So bleibt das für mich spannend, und ich achte darauf, offen für solche Einfälle zu sein, denn die kommen unvermittelt. Motivation und Inspiration schlagen unvermittelt zu. Gestern war das mal wieder so, und ich hatte mein Telefon nicht bei mir. Plötzlich summe ich eine Melodie, und ich muss die aufnehmen, sonst ist sie weg. Und in zwei oder drei Jahren kann es sein, dass ich auf diese Notiz stoße, sie meinem Studiomann zeige oder vorspiele, und das könnte dann der nächste HATEBREED-Hit sein, das nächste „Live for this“. Man kann nie wissen, und deshalb bin ich vorbereitet für meine Ideen. Denn ein Song kann das Leben eines Musikers verändern. Und hätte ich es mir nicht angewöhnt, alle meine Ideen festzuhalten, hätte ich heute nicht die Möglichkeit, mein Leben so zu leben. Deine ganze Karriere kann von einem Song abhängen.

Es gibt Möglichkeiten, seine künstlerischen Fähigkeiten zu fördern, sich weiterzubilden. Hast du jemals was in der Art gemacht?

Nein. Aber auf unserem ersten Album gibt es den Song „Driven by suffering“, es ist der letzte, und der fasst zusammen, was wir damals durchstehen mussten, all die Line-up-Wechsel, um diese Platte zu machen, gesignt zu werden, sie veröffentlichen zu können. Einfach all den Scheiß, den du als junge Band ohne Plattenvertrag mitmachen musst. „Ihr macht ja nur Lärm, ihr habt kein Talent, ihr könnt ja nicht spielen, man versteht die Texte nicht“ – all das mussten wir uns anhören, und das kam dann noch zu unseren sowieso schon schwierigen Biografien dazu, all die familiären Probleme, aus einer Ecke von New Haven zu kommen, die für Armut und Gewalt bekannt ist. Letztlich verwandelte sich unsere Leidens- in eine Erfolgsgeschichte, es eröffneten sich Möglichkeiten, Karrieren, Leute in aller Welt lieben die Band, haben den Namen auf ihren Körper tätowiert. Und wenn ich durch irgendeine Stadt laufe, begegnet mir immer jemand, der ein HATEBREED-Shirt trägt.

Könntest du dir ein Leben außerhalb der Musik vorstellen?

Es geht mir immer um Leidenschaft, wofür dein Herz schlägt. Wenn meine Leidenschaft das Kochen ist, dann ist das eben so – ich sehe keinen Beruf als den anderen überlegen an. Ich kann mir vorstellen, dass eine Karriere als Musiker immer noch mit Sex, Drugs & Rock’n’Roll in Verbindung gebracht wird, aber das ist kein Ideal. Es gibt zig andere Berufe, in denen man glücklich sein kann, und das nicht nur im künstlerischen Bereich. Mancher findet seine Berufung im Öffentlichen Dienst, als Feuerwehrmann, als Polizist, was auch immer, und es erfüllt ihn, gibt ihm Befriedigung. Wenn du in deinem Job oder deinem Leben generell unglücklich bist und das hier liest, dann überleg einfach, ob du dir mal eine Auszeit gönnen solltest, ob du nicht was anderes machen solltest. Mir fällt es schwer mir vorzustellen, was anderes zu machen, aber klar, wenn es sein müsste, könnte ich vielleicht auch mit Rasenmähen glücklich werden. Allerdings ist meine Haut so weiß wie die eines Gespenstes, und sobald ich in die Sonne gehe, habe ich ruckzuck eine Hautveränderung, die ich wegmachen lassen muss. Das Sonnenlicht ist nichts für mich, schon deshalb ist es für mich das Beste, in einer Band und nachts aktiv zu sein.

In „A.D.“ auf dem neuen Album singst du: „Corrupt beliefs, that some will call their heritage“. Was ist damit gemeint?

Das geht letztlich zurück auf einen Text von einem Literaten aus der Zeit der Bürgerrechtsbewegung, der sich mit der US-amerikanischen Geschichte beschäftigt, mit Rassismus und Rassentrennung. Und es hat was mit dem falsch verstandenen Nationalstolz zu tun, der in manchen Teilen der USA gepflegt wird und der im Gegensatz steht zu dem, was ich in der Schule gelernt habe über die amerikanische Geschichte. Es ist ja okay, wenn du auf deine Herkunft stolz bist, wenn du patriotisch bist – wenn du selbstlos etwas für die Gesellschaft tust, für die ganze Gesellschaft, nicht nur für eine kleine Gruppe. Wenn du aber als Kind in einer Familie aufwächst, in der deine Eltern dir ein ganz eng begrenztes Weltbild vermitteln, muss man klar sagen, dass Unwissenheit eben kein Segen ist! Dann muss man klar sehen, dass man solche Menschen mit neuen Ideen in Kontakt bringen muss. Nur weil jemand von klein auf irgendwelchen Blödsinn erzählt bekommen hat, ist er ja kein schlechter Mensch – man muss ihm eine Chance geben zu lernen, vielleicht gibt es ja eine Möglichkeit, sein Denken zu stimulieren.