VENEREA

Foto

Skatepunk at its best!

Eigentlich unfassbar, dass die Schweden von VENEREA nun mittlerweile auch schon seit 25 Jahren ihr Unwesen auf dem Gebiet Skatepunk treiben – und doch bringen sie zu ihrem Jubiläum erst ihr sechstes Album raus. „Last Call For Adderall“ reiht sich jedoch nahtlos ein in die Diskografie der Band. Was es mit dem merkwürdigen Albumtitel auf sich hat, und warum VENEREA nie so „groß“ geworden sind wie ihre schwedischen Kollegen MILLENCOLIN, SATANIC SURFERS oder NO FUN AT ALL und wieso sie schon wieder auf einem neuen Label gelandet sind – Gitarrist Flygare und Bassist Mike beantworteten diese und andere Fragen anlässlich ihres Auftritts im Kölner Underground.

Zu eurem 25-jährigen Bandjubiläum bringt ihr nach sechs Jahren endlich wieder ein neues Album raus. Das ist schon eine lange Zeit. Was habt ihr in der Zwischenzeit getrieben?

Mike: Wir haben in dieser Zeit zum Beispiel Musik in anderen Bands gemacht.

Flygare: Ja, ich und Dana, unser anderer Gitarrist, waren bei REVENGE, zusammen mit ehemaligen Mitgliedern von SATANIC SURFERS. Und die meisten von uns haben in dieser Zeit Kinder bekommen, außer Mike. Aber wir haben nie daran gedacht, die Band aufzulösen. Wir wollten und mussten einfach ein wenig zurückschalten. Doch jetzt hatten wir wieder das Bedürfnis, ein neues Album zu machen. Wir hatten schon vor zwei Jahren viele neue Songs geschrieben und auch aufgenommen, aber jetzt war einfach der perfekte Zeitpunkt dafür.

Mike: Und wir hatten wirklich viele neue Stücke, ungefähr vierzig. Wir mussten uns dann für 14 davon entscheiden, und mit dem Ergebnis sind wir jetzt wirklich glücklich

Was hat es also mit dem Albumtitel „Last Call For Adderall“ auf sich? Ich habe gelesen, Adderall sei eine dubiose, legale Modedroge.

Mike: Meist geben sie dieses Zeug Kindern mit Zwangsstörungen zum Runterkommen und zur Beruhigung. Bei Menschen ohne Zwangsstörungen wirkt es eher wie Speed. Und wir wollten ein energetisches Album machen, das Spaß macht.

Flygare: Und es klingt einfach gut. Wir fanden, das ist ein griffiger Titel. Ansonsten stehen dahinter aber keine anderen Intentionen.

Mit eurem neuen Album habt ihr mal wieder das Label gewechselt und seid nun bei Dirty Six beziehungsweise in Deutschland Destiny gelandet. Warum seid ihr in dieser Hinsicht so sprunghaft?

Mike: Irgendwas ändern wir immer. Entweder ist es das Label oder der Drummer, haha.

Flygare: Wir suchen eigentlich immer nur nach Leuten, die sich für unsere Musik interessieren.

Mike: Im Grunde genommen sind wir jetzt bei Dirty Six Records gelandet, weil sie mit Destiny Tourbooking verbandelt sind, die uns oft gebucht haben. Wir kennen die Jungs zum Teil schon 15 Jahre. Und so kam es bei Rolandos Geburtstag in Berlin, wo wir mit NO FUN AT ALL gespielt haben, zu dem Entschluss, dort zu unterschreiben. Und wir fanden, es sei eine gute und praktische Entscheidung, Label und Booking unter einem Dach zu haben.

War damals Burning Heart, das Label mit den „großen“ schwedischen Skatepunk-Bands, nie eine Option für euch?

Flygare: Wir wären früher wirklich sehr gerne bei Burning Heart gewesen. Keine Frage, aber irgendwie ist es nie dazu gekommen.

Mike: Es gab immer andere Leute, die uns gefragt haben, ob wir bei ihnen ein Album rausbringen wollen. Und wir haben fast immer ja gesagt, und so haben wir es dann auch wieder gemacht.

Ist das vielleicht auch ein Grund dafür, dass ihr nie so „groß“ geworden seid wie die anderen Bands?

Flygare: Zum Teil schon, aber nicht hauptsächlich, denke ich. Das Label ist nur ein Aspekt, dazu gehört meiner Meinung nach auch das richtige Timing. Außerdem hatten wir einige Probleme mit unseren Schlagzeugern über die Jahre, was die Sache mit der Konstanz nicht leichter gemacht hat.

Mir scheint „Last Call For Adderall“ euer bisher politischstes Album zu sein. In „Not my country“ setzt ihr euch beispielsweise mit der Situation der Flüchtlinge in Schweden auseinander.

Mike: Ja, aber wir beziehen uns nicht nur auf Schweden, sondern auf ganz Europa, ja, sogar die ganze Welt. In Bezug auf Schweden kann ich sagen, dass es Mitte der Neunziger Jahre einen großen Zulauf bei den Rechten gab. Viele wütende Menschen begannen, rechts zu wählen und Nazi-Skin-Musik zu hören. Damals wurden sie als außenstehende Gruppe von der Gesellschaft wahrgenommen. Doch jetzt könnte jeder deiner Nachbarn einer von ihnen sein, ohne dass du es weißt oder ihm ansiehst.

Flygare: Es ist jetzt einfach normal. Und das ist furchtbar.

Mike: Diese Menschen verstecken sich nicht mehr und sprechen jetzt ganz offen über ihre Einstellung.

Was ist mit dem toleranten, offenen Schweden passiert?

Flygare: Das gibt es immer noch. Aber die Rechten sind einfach lauter.

Mike: Ich habe kürzlich den deutschen Film „Er ist wieder da“ gesehen, wo Hitler im Jahre 2012 zurück nach Deutschland kommt. Es ist echt beunruhigend, dass es diese Gedanken, diese Einstellung bis heute gibt. Nicht nur in Deutschland, sondern eben auch in Schweden und anderswo. Es regt sich kaum einer noch darüber auf. Doch mit dem Song „Enemies of the allegiance“ nehmen wir auch kritisch Stellung zu den Linken, die sich als Aktivisten sehen, aber keine sind und nichts unternehmen, sondern sich nur beschweren und ausruhen.

Flygare: Es gibt auch immer noch konsequente Subkulturen, wenn auch keine wirkliche Gegenkultur mehr.

Mike: Ich denke, das hängt damit zusammen, dass es früher eine breite Mittelschicht und ausgeprägtes Elitedenken gab, so dass viele kleine Nischen entstanden, um sich abzugrenzen. Die konnten ganz verschieden sein, standen aber immer noch zusammen gegen die große, eintönige Mittelschicht.

Wenn ihr euch nicht gerade mit Musik und Politik beschäftigt, was macht ihr, um über die Runden zu kommen?

Flygare: Ich arbeite als Sozialarbeiter mit Jugendlichen. Dana ebenfalls. Martin, unser Drummer, ist im Musikbusiness und kümmert sich bei Bad Taste Events um Shows und so was. Er hat kürzlich zum Beispiel die Tour von DANKO JONES organisiert.

Mike: Und ich bin der Chef einer Parkaufsicht, haha.

Skatet ihr eigentlich noch aktiv?

Flygare: Ja, aber nicht mehr so viel. Ich habe eine Miniramp in meinem Garten. Und ich versuche, meinem Kind das Skaten beizubringen, aber noch will es nicht so richtig.