YELLOW CAP

Foto

Warum man häufiger mal etwas auf die brasilianische Art tun sollte

YELLOW CAP aus Görlitz waren nun schon zum vierten Mal in Brasilien, und natürlich lassen sich diese Erlebnisse nicht in ein paar Sätzen vollständig wiedergeben. Stattdessen wollen wir anhand von ein paar ausgewählten Szenen versuchen zu erklären, warum wir dem Land und den Menschen sofort verfallen sind.

Der Sache mit der Freundlichkeit

Zu den Dingen, die wir in unserem eigenen Land oft schmerzlich vermissen, gehört unter anderem der ungezwungene, respektvolle Umgangston zwischen Menschen verschiedener Altersklassen. Bei uns ist es eher üblich, dass Ü40 für U30 nur Unverständnis und Verachtung übrig hat. Die Jugend wird immer dümmer, kann nicht anständig sprechen, hat von Verantwortung keine Ahnung und hängt nur noch am Smartphone, vor der Glotze oder besoffen im Park rum. Die Alten sind humorlose Spießer und haben keine Ahnung, wie schwer man es heute hat als junger Mensch.

Mit diesen stereotypen Ansichten im Hinterkopf werden wir in Rio de Janeiro Zeugen eines Unfalls, der in Deutschland wahrscheinlich anders verlaufen wäre. Vier oder fünf Kids kommen auf Skateboards eine recht steile Straße runtergerollt und rasen in eine Traube Menschen an einer Bushaltestelle, die gerade in den Bus einsteigen wollen respektive ausgestiegen sind. Zehn Personen gehen zu Boden. Klar, der Unfall wäre vermeidbar gewesen. Eindeutig sind die Kids schuld. Zu unserer Überraschung bleibt alles ruhig. Alle helfen sich gegenseitig hoch. Eine vielleicht fünfzigjährige Frau holt auf Knien eines der Boards unter dem Bus vor. Irgendwie cool, oder? Auch ein schönes Detail: Viele Brasilianer fragen den Verkäufer, den Kellner oder den Tankwart zuerst nach seinem Namen, um ihn besser ansprechen zu können.

Die Sache mit der Musik

Stellt man sich Deutsche vor, die zusammen singen, kommen einem doch oft Bilder von Menschen, die beduselt vom Schnaps zu „Ein Prosit der Gemütlichkeit“ oder „Es gibt kein Bier auf Hawaii“ am Tisch sitzen und schunkeln. Daran ist an sich nichts schlimm. Aber im Vergleich zu singenden Brasilianern sieht das einfach ein bisschen doof aus.

2015. Unsere Show im Centro Cultural Rio Verde in São Paulo ist seit zwei Stunden vorbei. Der Club hat gerade die Türen geschlossen, aber die 250 Gäste, die noch da sind, wollen noch nicht nach Hause. Statt zu gehen, bleiben sie vor dem Club auf der Straße stehen. Jemand hat eine Triangel, ein anderer eine Ukulele. Und dann singen 250 Stimmen das gleiche Volkslied. Viele tanzen eng umschlungen Forró und knutschen – einfach so. „Pagode“ heißt dieser Straßen-Samba. In Brasilien muss sich dazu niemand mit Schnaps locker machen. Niemandem ist es peinlich, mit Fremden und vor Fremden zu singen und zu tanzen. Wenn jemandem dazu etwas Vergleichbares in Deutschland einfällt, bitte Mail an contact@yellow-cap.com

Die Sache mit der Hilfsbereitschaft

Wir sind als Band in Brasilien ständig auf die Hilfe der Brasilianer angewiesen. Ob wir mitten in der Nacht ohne Unterkunft in Ouro Preto stehen oder den Veranstalter um vier Uhr morgens bitten, uns noch mal zu der Tanke ins Stadtzentrum zu fahren, weil die Hotelbar „schon“ zu hat, egal worum wir unseren Fahrer Ronaldo bitten oder wonach wir unseren Tourbegleiter Fred fragen, die Antwort lautet stets: Natürlich ist das möglich. Selbstverständlich können wir das machen. Ja, das ist kein Problem. Ist bei uns weniger selbstverständlich und seltener, finden wir.

Brasilien hat auch unschöne Seiten, das wissen auch die Brasilianer und deswegen gehen sie zu Millionen auf die Straße und protestieren. Gegen Korruption, gegen Polizeigewalt, gegen Rassismus, gegen Homophobie, gegen Geschlechterdiskriminierung, gegen Umweltverschmutzung, gegen Drogenhandel und Kriminalität. All diese Dinge gehören leider ebenso zum brasilianischen Alltag wie der Samba und der Caipirinha. Aber trotzdem merkt man sehr schnell, dass die Menschen sich näher sind als wir Deutschen. Sie wirken fröhlicher, gelassener, freundlicher und unvoreingenommener – und das, obwohl sie viel mehr Probleme haben. Woran das liegt, bekommen wir hoffentlich auf der nächsten Tour raus.

Kay Natusch