PIXIES

Foto

Alles auf Null

Bei den PIXIES herrscht zur Stunde beste Laune. Mit Neuzugang Paz Lenchantin konnte die Band endlich die große Lücke schließen, die Bassistin Kim Deal nach ihrem Ausstieg hinterlassen hatte. Mit „Head Carrier“ hat die Band aus Boston, Massachusetts ein neues Album produziert, das an die glorreichen Tage Ende der Achtziger, Anfang der Neunziger anknüpfen kann. Nach „Indie Cindy“, das vor zwei Jahren eigentlich nur die haptische Veröffentlichung von drei digitalen EPs war, ist „Head Carrier“ das erste echte PIXIES-Album nach der Reunion 2004. Produziert von Tom Dalgety (ROYAL BLOOD, KILLING JOKE) und nicht wie sonst von Gil Norton. Mastermind Black Francis alias Frank Black alias Charles Thompson hat den PIXIES endgültig neues Leben eingehaucht und Gitarrist Joey Santiago ist geradezu euphorisch, wenn er im Interview von den zwölf neuen Songs erzählt.

Joey, du scheinst sehr glücklich mit dem neuen Album zu sein.

Das bin ich auch. Wir haben der Vergangenheit auf eine sehr coole Art einen Besuch abgestattet, konnten gleichzeitig nach vorne schauen und eine sehr erwachsene PIXIES-Platte machen. Das gefällt mir sehr.

Zusammengerechnet habt ihr sechs Wochen im Studio an „Head Carrier“ gearbeitet. So viel Zeit habt ihr noch nie für ein Album investiert, oder?

Wir haben drei Wochen mit der Vorproduktion verbracht und dann drei Wochen lang aufgenommen. Wir waren sehr gut vorbereitet. Ich würde sagen zu etwa 83 Prozent. Es gab dann im Studio noch ein paar spontane Veränderungen an unserem Baby.

Wart ihr diesmal besser vorbereitet als vorher, als ihr ins Studio gegangen seid?

Auf jeden Fall, sonst sind wir immer mit weniger konkreten Vorstellungen ins Studio gegangen. Wir konnten uns musikalisch viel besser mit dem identifizieren, was wir machen, und unbewusst wollten wir klingen wie in den frühen Tagen. Das ist uns auch gelungen. Das ist einfach so passiert. Wir sind viel pixie-ischer geworden, weil wir genug Zeit dazu hatten.

„Head Carrier“ ist das erste PIXIES-Album mit der neuen Bassistin Paz Lenchantin, vorher bei A PERFECT CIRCLE und ZWAN. Wie habt ihr sie gefunden?

Wir haben uns vorher drei Bassistinnen angeschaut und Paz hat uns einfach am besten gefallen. Ich habe dann einen Freund von mir angerufen, den Drummer Josh Freese, der mit Paz bei A PERFECT CIRCLE gespielt hat. Ich war mir unsicher, ob sie auch die hohen Harmonien singen kann, und er hat sie uneingeschränkt empfohlen. Ihre Vorschläge waren einfach hervorragend, sie hat von Anfang an verstanden, was die PIXIES sind. Und wir haben ihr zugehört. Sie hat außerdem eine neue Leichtigkeit in die Band gebracht. Sie war so wunderbar aufgeregt bei den Aufnahmen. Und das hat sich dann auf uns übertragen. Ich würde sagen, wir waren schon seit Jahren nicht mehr so aufgeregt im Studio.

Warum haben die PIXIES eigentlich immer Frauen am Bass?

Das hat mit unserer Vergangenheit zu tun. Wir brauchen das weibliche Element für unsere Live-Shows und unsere Backing-Vocals. Ein Mann würde das wohl nicht hinbekommen. Wir brauchen einfach diese spezielle Energie auf der Bühne, die nur Frauen mitbringen. Wir haben uns außerdem an diese Konstellation gewöhnt und wollten keinen vierten Mann in der Band. Wir haben uns über all die Jahre einfach daran gewöhnt, eine Bassistin zu haben.

Habt ihr jemals über Kim Gordon von SONIC YOUTH nachgedacht? Sie hatte doch auch gerade Zeit.

Wir haben wirklich darüber nachgedacht, aber uns war ziemlich schnell klar, dass sie ihren eigenen Weg geht.

Paz hat mit „All I think about now“ gleich einen eigenen Song zu „Head Carrier“ beigesteuert. Ein sehr interessanter Song, eine Art Dankesbrief an ihre Vorgängerin Kim Deal. Wie kam es dazu?

Der Song war ein Vorschlag von ihr. Und wir waren sofort begeistert von der Idee, dass sie einen Song singt. Und Charles hat dann einen Text für den Song geschrieben. Sie wollte Kim einfach für die einmalige Gelegenheit danken, bei den PIXIES einzusteigen. Sie wollte ihr also nicht dafür danken, dass sie die Band verlassen hat, sondern, dass sie ihr die Möglichkeit gegeben hat, dabei zu sein. Das war eine Herzensangelegenheit für Paz. Und Charles hat dann die perfekten Zeilen dafür gefunden.

Steht ihr noch in Kontakt mit Kim Deal? Wisst ihr was sie so treibt?

Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung und das ist auch normal für die PIXIES, wenn wir nicht zusammen sind. Wenn wir nicht mit der Band unterwegs sind, haben wir so gut wie keinen Kontakt untereinander. Und das ist auch gut so, weil wir alle mit anderen Dingen sehr beschäftigt sind. Und wenn wir dann miteinander sprechen, blödeln wir oft nur herum.

In einem Interview hat Charles verkündet, dass Paz jetzt Teil der PIXIES-DNA sei. Was bedeutet es, ein Pixie zu sein?

Das bedeutet in erster Linie erst mal, dass man es mit uns aushält. Das ist wohl der schwierigste Teil der Kriterien. Man muss außerdem ein Spinner sein, irgendwie komisch. Um es mit uns auszuhalten, muss man einfach selbst seltsam sein. Und natürlich muss es auch musikalisch passen. Sie muss auch auf dieser Ebene mit uns kommunizieren können und Paz hat dieses Element in sich. Wir haben jemanden gesucht wie sie, die sich beim Songwriting einbringt und auch mitsingen kann. Sie ist mit uns ins Studio gegangen und es hat auf Anhieb gepasst. Sie hat es einfach drauf. In jeder Beziehung ist sie jetzt ein Teil von uns. Und es ist wirklich nicht leicht, für keine Band, jemanden zu finden, mit dem man gut auskommt. Das betrifft nicht nur uns.

Gibt es so etwas wie eine neue Chemie in der Band?

Das ist definitiv so. Nichts gegen Kim Deal, aber es ist plötzlich ein ganz anderes Feeling. Es fühlt sich an wie am Anfang, als ob wir die Band gerade gegründet hätten. Wir sind alle so aufgeregt, als hätten wir gerade unser erstes Album aufgenommen. Alle in der Band sind gerade glücklich. Wir haben jeden Abend nach dem Aufnehmen noch ewig zusammen abgehangen. Wir waren so um 20 Uhr fertig und haben uns dann noch bis weit nach Mitternacht gegenseitig Musik vorgespielt. Und das gehört auch einfach zu dem Job dazu, sich mit dem Musikgeschmack der anderen Bandmitglieder vertraut zu machen. Wir haben dadurch eine weitere Sprache gefunden, mit der wir im Studio arbeiten können.

Bevor Paz eingestiegen ist, hattet ihr kurzzeitig noch eine andere Bassistin, Kim Shattuk von THE MUFFS, die nach kurzer Zeit aber wieder gehen musste. Was war da los?

Sie war einfach nicht Teil unserer DNA. Sie war irgendwie keine von uns. Sie ist auf ihre Art großartig, aber sie gehört zu anderen Leuten. Sie hat ihre eigene Band, mit uns hat das einfach nicht so gut funktioniert. Das muss sie eigentlich auch selbst zugeben, wenn sie ehrlich ist. Sie war wahrscheinlich selbst nicht glücklich mit unserer Art. Wir sind eine sehr leise Band und sie ist eher laut.

Nachdem Kim Shattuck die PIXIES verlassen hat, hat sie in Interviews erzählt, sie sei telefonisch vom Management gefeuert worden, und zwar vor allem, weil sie bei einem Konzert einmal ins Publikum gesprungen wäre. Das sei nicht so gut angekommen, sagt sie. Stimmt das?

Sie hat das wirklich gemacht und wir sind nicht die Art von Band, in der man so etwas macht. Wir springen nicht ins Publikum. Da ist nichts Schlimmes dran, das machen viele Bands, aber die PIXIES machen es eben nicht. Wir performen einfach unsere Songs, wir sprechen nicht einmal mit dem Publikum. Ich würde auch nie jemanden aus dem Publikum abklatschen. Das mache ich nicht einmal privat. Sie hatte einfach kein Feingefühl dafür, wie wir uns verhalten. Offensichtlich hatte sie keine Idee davon, wer die PIXIES sind. Es war irgendwann einfach die Kim Shattuck-Show. Um ehrlich zu sein, ist sie nicht einmal richtig von der Bühne gesprungen.

Fühlt sich „Head Carrier“ für euch wie das erste echte Album nach der Reunion an? Weil „Indie Cindy“ vor zwei Jahren ja aus bereits veröffentlichten Songs bestand.

„Indie Cindy“ war ein völlig anderes Album, weil Kim Deal mitten in den Aufnahmen die Band verlassen hat. Und wir waren völlig am Boden zerstört, das hatten wir einfach nicht erwartet. Deshalb hört sich „Indie City“ völlig anders an. Es wird als das Album in die Bandgeschichte eingehen, auf dem Kim Deal bei den PIXIES ausgestiegen ist. Und mit Paz haben die PIXIES ihr Talent wieder neu entdeckt. Der Sound der Vergangenheit konnte so wieder aufleben. Wir können jetzt wieder in die Zukunft schauen und fühlen uns wieder wohl, die PIXIES zu sein.

Wofür steht eigentlich „Head Carrier“?

Eigentlich sollte das Album erst „Kephalophor“ heißen, das stammt aus dem Griechischen und bezeichnet jemanden, der seinen abgeschlagenen Kopf in der Hand trägt. Aber am Ende hat sich Charles dann doch für die englische Übersetzung entschieden und das Album „Head Carrier“ getauft. Und ich finde es auch besser, denn es klingt mehr nach einem Rock’n’Roll-Album als „Kephalophor“. Und natürlich gibt es eine Geschichte hinter diesem Bild. Charles könnte sie dir erzählen – ich nicht.

Diesmal habt ihr euch entschieden, nicht mehr mit eurem langjährigen Produzenten Gil Norton zu arbeiten. Warum wolltet ihr diesmal Tom Dalgety haben?

Wir wollten einfach aus unserer Komfortzone herauskommen. Wir wollten uns von alten Gewohnheiten trennen und neue Wege gehen. Wir wollten uns einem völlig neuen Publikum stellen. Wir sind ins Studio gegangen, um uns weiterzuentwickeln. Wenn wir auf der Bühne stehen, ist das Publikum unser Boss, aber wenn wir ins Studio gehen, ist es unser Job, uns selbst zu unterhalten. Gil und Tom sind beide auf ihre Weise gut, aber sie haben einfach unterschiedliche Herangehensweisen. Tom hat uns auf jeden Fall extrem gefordert. Mehr kann ich nicht dazu sagen.

Wie auf allen PIXIES-Platten gibt es eine Menge unterschiedlicher Themen in den Songs. In der ersten Single „Um Chagga Lagga“ zum Beispiel geht es um Prostitution in Belgien und Frankreich. Wie seid ihr bloß darauf gekommen?

Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung. Ich kann mich nur erinnern, dass diese Frauen in den Schaufenstern saßen, als wir in Belgien unterwegs waren. Das habe ich als total merkwürdig empfunden. Und ich habe keine Ahnung, warum Charles daraus einen Text gemacht hat. Vielleicht hat er einfach ein Thema für den lautmalerischen Titel „Um chagga lagga“ gebraucht. Ich denke, er hat einfach eine Bedeutung dafür gesucht.

Mein persönlicher Favorit auf dem Album ist „Talent“, ein Song über den Schauspieler Jack Palance. Welche Beziehung habt ihr zu dem?

Ich glaube, Charles hatte einen merkwürdigen Traum, in dem dieser Schauspieler aufgetaucht ist. Und deshalb hat er diesen Song geschrieben, indem er eine erfundene Unterhaltung mit ihm führt. Ich denke, das ist ein sehr lustiger Song. Er kam mit dieser Nummer in letzter Minute an und ich bin sehr zufrieden damit, er hat wieder diesen typischen Humor. Die PIXIES waren schon immer eine Band mit viel Humor, aber dieser Song hat den Nagel auf den Kopf getroffen.

Wie ist es, mit Bands aufzutreten, die euch als Idole verehren? Es gibt eine Menge jüngere Bands, die die PIXIES als großen Einfluss angeben.

Das fühlt sich großartig an. Die sind teilweise genauso jung wie unser Publikum. Und wenn eine Band zu uns sagt, ihr habt uns sehr beeinflusst, dann ist das natürlich sehr schmeichelhaft für uns. Irgendwie ist das aber auch normal. Wir wurden auch von anderen Musikern beeinflusst wie Howlin’ Wolf, den ROLLING STONES oder den BEATLES.

Was macht ihr, wenn ihr nicht mit den PIXIES unterwegs seid? Ich habe gelesen, dass euer Schlagzeuger Dave Lovering auch als Zauberer tätig war. Macht er das immer noch?

Ich glaube nicht. Er macht das schon noch, aber nur um Leute backstage auf Tour zu unterhalten. Das macht ihm großen Spaß. Wenn ich im Flieger neben ihm sitze, übt er die ganze Zeit Kartentricks. Er lässt sich dabei aber nicht in die Karten schauen.

Und schreibst du immer noch Musik fürs Fernsehen?

Aktuell nicht, aber ich schaue mich gerade um. Ich kontaktiere gerade die Leute, die ich kenne, denn es sieht so aus, dass wir noch ein paar Monate Zeit haben, bevor wir mit den PIXIES auf Tour gehen. Deshalb will ich zwischen Dezember und Februar was machen. Das habe ich mir vorgenommen. Ich habe schon Musik für TV-Serien wie „Undeclared“ oder „Weeds“ geschrieben, aber auch für Dokumentationen. Außerdem habe ich mal was für Nike gemacht, was dann in Läden abgespielt wurde, um Fußball-Zeug zu bewerben.