HANBA!

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Lernen wir aus der Geschichte?

Vorgeblich 1931 gegründet im Krakauer Ghettoviertel Podgórze, wollen HANBA! (deutsch: Schande) eine musikalische und literarische Fiktion sein, entworfen, um den Menschen klarzumachen, dass Punkrock nicht in den Siebziger Jahren und weder in Großbritannien, noch in den USA, geboren wurde, sondern der Zweiten Polnischen Republik der Zwischenkriegszeit entspringt, einer Periode außergewöhnlichen kulturellen, künstlerischen und wirtschaftlichen Wachstums, aber auch gekennzeichnet von systematischer Zerstörung der Demokratie durch einen autoritären Staat und imperialistische Impulse. Die musikalischen Inspirationen sind polnischen Ursprungs und reichen von traditioneller Volksmusik bis hin zum Punkrock im Polen der Achtziger Jahre. HANBA! sind längst über die Landesgrenzen hinaus bekannt, haben im Mai 2016 die USA besucht und werden in diesem Jahr auch in Deutschland unterwegs sein. Ihr selbstbetiteltes Debüt gibt es seit Mitte Juni als CD und Vinyl und dürfte jeden Fan von Polka-Klezmer-Folkpunk mit Streetpunk-Attitüde begeistern. Im wahrsten Sinne des Wortes Musik von der Straße für die Straße, schließlich werden hier nur akustische Instrumente gespielt, wenngleich man aufgrund des wachsenden Zuspruchs immer mehr auf Mikrofonierung zurückgreifen muss, um auch den letzten Winkel einer Halle beschallen zu können. Schlagzeuger Adam Sobolewski gab mir zu dieser Konzeptband Auskunft.

Wie kommt man auf die Idee, sich durch eine Band mit einem bestimmten Abschnitt der Geschichte seines Landes auseinanderzusetzen?

Es gibt ja viele polnische Bands, die über Polen singen. Die meisten davon gehen damit sehr unreflektiert um. Es bleibt bei einem Ausdruck von Stolz ohne kritisches Hinterfragen. Wir wollten die andere, düstere Seite Polens ans Licht bringen, so wie es die normale Bevölkerung erlebt haben muss, nicht die Perspektive der führenden, der kriegführenden Köpfe. Die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen lieferte trotz allem menschlichen Elend, trotz Armut und sozialen Konflikten großartiges künstlerisches Material – Erfindungen, Kunst und Literatur –, mit dem wir arbeiten wollten.

Angesichts eines Europas, das sich lediglich für Wirtschaftsinteressen stark macht, während humane Aspekte auf der Strecke bleiben, wäre es nicht gerade jetzt wichtig, dass sich Punk auf der Straße anstatt zur Unterhaltung auf Festivals abspielen sollte?

Das stimmt. Am wohlsten fühlen wir uns auch, wenn wir auf der Straße, in Parks oder in kleinen Clubs spielen. Dennoch glauben wir, dass unsere Musik auch ein größeres Publikum verdient hat, wie man es eben auf Festivals vorfindet. Wir sind keine reine Unterhaltungsband. Wir haben den Leuten durch unser Konzept durchaus etwas mitzuteilen, neue Erkenntnisse zu vermitteln, und wollen damit mehr Menschen erreichen. Darum werden wir unsere Texte demnächst ins Englische übersetzen, nicht zuletzt, weil wir 2016 sehr oft außerhalb Polens gastieren. Nur so können die Zuhörer die Gesamtheit von HANBA erfassen. Ohne die Originaltexte aus dem Jahr 1926 und die teilweise dazugehörigen Gedanken wird man uns lediglich als bedeutungslose, wenn auch recht lustige Polka-Punk-Truppe wahrnehmen. Und das ist ja nicht Sinn der Sache.

Welche Parallelen seht ihr zwischen Polen um das Jahr 1926 und dem Polen von heute?

Auf den ersten Blick kann man das Polen von damals mit heute schlecht vergleichen, sieht man sich beispielsweise die Grenzen oder die Ethnizität an. Aber bei genauerer Betrachtung gibt es leider durchaus Parallelen. Menschen werden immer noch durch politische Entscheidungen diskriminiert und wir wissen immer noch nicht, wie wir diesem Teufelskreis entkommen sollen, um gemeinsam die Zukunft zu gestalten. Und immer mehr Menschen denken wieder, dass wir es in Polen mit Patriotismus und nationalistischem Egoismus besser haben würden.

In den letzten Wochen gingen Hunderttausende Polen gegen die Regierung auf die Straße. Hierzulande wurde das von den Medien kaum wahrgenommen, lediglich die polnische Einstellung zur Flüchtlingspolitik sorgte für etwas Empörung. Was ist bei unseren östlichen Nachbarn derzeit los?

Unserer Meinung nach hat die Debatte über die Flüchtlingskrise ein äußerst gefährliches Level im politischen Konsens in Polen erreicht. Hier neigt man vielerorts zu fast schon panikartigen und leider auch aggressiven Überreaktionen. Man scheint zu vergessen, wie viele Einwanderer das Land längst schon wieder verlassen haben. Doch auch all die multikulturellen Traditionen, die bis ins Mittelalter zurückreichen, verschwinden langsam, aber sicher. Polen war lange Zeit das Zuhause für viele Nationen, Kulturen und Religionen. Einmal mehr sind Menschen aus den immer gleichen, immer wiederkehrenden und uns allseits bekannten Gründen auf der Flucht: Habgier, Korruption und unsinnige Konflikte. Auch das wollen wir unserem Publikum vermitteln.

Seid ihr noch in anderen Bands aktiv?

Ja, da gibt es noch die volkstümlichen IGLIKA sowie die eher dem Electro-Genre zuzuordnenden Bands UNITRA PRODIZ und LUDWIK ZAMENHOF.

Wie lässt es sich als Künstler vermeiden, trotz regelmäßiger Veröffentlichungen und Auftritte irgendwann selbst Teil eines Systems zu werden, das lediglich dem allgemeinen Entertainment dient?

Wir sind viel zu weit vom Mainstream entfernt, um mit unserer Musik unseren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Konzerte und Tonträger sind für uns Mittel zum Zweck, um den Leuten unsere Geschichte näher zu bringen. Und wir haben daran sehr viel Spaß und hoffen, dass das noch lange so bleiben wird.