SWANS

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Alles über Solingen

2010 reaktivierte Michael Gira seine ursprünglich von 1982 bis 1997 von New York aus aktive und damals gleichermaßen von ihm und Co-Sängerin Jarboe dominierte Band. Mit neuen Musikern veröffentlichte er auf seinem eigenen Young God-Label in Kooperation mit Mute die Alben „My Father Will Guide Me Up A Rope To The Sky“ (2010), „The Seer“ (2012) und „To Be Kind“ (2014). Gira kehrte damit zum in den Achtzigern kultivierten noisigen Post-Rock-Sound der SWANS zurück, die seinerzeit im Kontext von Bands wie SONIC YOUTH, FOETUS und EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN wahrgenommen wurde. Mit dem im Juli erschienenen Album „The Glowing Man“ und nach Abschluss der aktuellen Tour beendet Michael Gira, Gitarrist und Sänger der von ihm 1982 in New York gegründeten SWANS, die „Version 2.0“ seiner Band.

1996 schrieb ich in der Rezension zur „Die Tür ist zu“-CD der SWANS: „Michael Gira, der in seiner Jugend mal eine Weile in Solingen lebte ...“ Was steckt dahinter – und wieso sprichst du leidlich gut Deutsch?

Das ist eine sehr komplizierte Geschichte: Ich war damals mit meinem Vater in Europa, lief von zu Hause weg und war ein obdachloser Hippie. Das war 1969, ich war 14 oder 15. Mein Vater, der mit einer Deutschen verheiratet war, ließ mich über Interpol suchen. Als sie mich gefunden hatten, besorgte mir die Frau meines Vaters einen Job in einer Fabrik in Solingen, und da arbeitete ich dann zehn Monate. Mein Vater war Manager, und er wollte mich in ein Internat in der Schweiz schicken. Ich weigerte mich, und er meinte, dann müsse ich in die Fabrik. Er ging davon aus, dass ich das sowieso nur ein paar Wochen durchhalten würde, um mich dann fürs Internat zu entscheiden, aber ich blieb zehn Monate. Nach zehn Monaten wollte er mich trotzdem ins Internat stecken, und so lief ich erneut weg. Die Firma hieß Walter Gott Werkzeugfabrik, und ich war dort Lehrling, abends ging ich noch in die Schule, um Deutsch zu lernen.

Hast du dich damals schon für Musik interessiert, warst du in Kontakt mit der „Musikszene“?

Am Wochenende ging ich immer in so eine Hippie-Bar, aber ich habe keine Ahnung, wie die hieß, das ist so lange her. Ich kann mich nur an den coolen Hippie-Barkeeper erinnern. Und ich weiß, dass ich da in der Jukebox die STOOGES gehört habe, „1969“. Nach zehn Monaten hatte ich aber genug von Solingen, trampte los nach Süden, nach Bayern, und dann weiter durch Jugoslawien und Griechenland nach Istanbul. Ich war mit ein paar älteren Hippies unterwegs, und von Istanbul flogen wir nach Israel, wo ich ein Jahr lang blieb – und wegen Drogen ein paar Monate im Knast saß. Eigentlich hatten wir ja nach Südafrika gewollt, da hätten wir unproblematisch arbeiten können. Irgendwie wurde da aber nichts draus, hungern wollten wir auch nicht, und so wurde es Israel.

Hast du in der Werkzeugfabrik irgendwas gelernt, was dir in deinem späteren Leben geholfen hat? Damals war das Leben für einen Azubi kein Zuckerschlecken, da herrschte noch der Geist der Nachkriegszeit.

Ich habe auf jeden Fall gelernt, dass dieser Beruf nichts ist, was ich für den Rest meines Lebens machen will. Ich erzähle das immer wieder und es stößt auf ungläubige Reaktionen, aber über dem Eingangstor war da ein Schild, auf dem stand: „Arbeit macht Spaß“. Unglaublich, oder? Und das sah auch noch ungefähr so aus wie das „berühmte“ andere Schild.

Was für einen Hintergrund hatte dein Aufenthalt in Deutschland?

Mein Vater war Interims-Manager, Consultant, er baute neue Standorte für Firmen auf, löste Probleme, immer für ein, zwei Jahre. Meine Mutter war eher eine typische, wunderschöne Kalifornierin, sie war Hausfrau.

Und wo kam das Künstlerische her?

Das habe ich nicht vom Elternhaus mitbekommen. Schon früh fing ich an zu zeichnen, ging dann später an die Kunsthochschule, aber erst mit Punkrock fand ich etwas, das für mich wirklich relevant war. Die Kunstwelt empfand ich immer als elitär, die Sprache der Kunst schien nur für ein paar wenige gedacht zu sein. Nichts davon war so zwingend und nachdrücklich wie das, was dann mit der Punk-Explosion passierte und was ich sehr aufregend fand. Ich war 22, 23, als Punk losging, war damals aber eigentlich schon zu alt, um ein Punk zu sein und zu jung für einen Hippie. Zusammen mit einem Freund von der Art School machte ich ein Fanzine namens No Magazine, wir interviewten Bands wie X, THE GERMS, THE GO-GO’S und SUICIDE, die ein großer Einfluss für mich waren. Und wir schrieben über Kunst, und etwas Pornografie fand sich auch darin. Ich hatte zu meiner Zeit in Los Angeles, wo ich geboren wurde und wohin ich nach der Zeit in Israel zurückgekehrt war, auch eine Band namens THE LITTLE CRIPPLES. 1979 zog ich dann mit meiner damaligen Freundin nach New York. Ich hatte von der No-Wave-Szene dort gehört, das klang interessant, und mir schien, New York ist „the place to be“.

Das New York jener Jahre wird oft als Ort beschrieben, an dem musikalisch alles möglich war und wo die seltsamsten musikalischen Verbindungen ausprobiert wurden.

Ja, und genau das hat mich interessiert. Diese rohe, emotionale Ausdrucksweise des Punk war anfangs großartig, aber dann wurde das schnell zu einer rein formalen, konformistischen Verhaltensweise. Mir gefiel die Idee, Klänge zu erschaffen als rohe Gefühlsausbrüche, ohne sich an konventionelle musikalische Gepflogenheiten zu halten, etwa wie John Cage. Aber auch Brian Eno und KRAFTWERK interessierten mich, Musik, die nicht nur mit den üblichen Vier-Akkorde-Strukturen arbeitet. Und so was versuchte ich dann auch selbst.

Diese Absicht prägt deine Musik bis heute, gerade live spürt man das sehr, die Musik ist laut und nimmt einen extrem mit.

In gewisser Weise ist meine Musik über die Jahre konventioneller geworden, aber auch durchdachter und komplexer. Was in gewisser Weise auch logisch ist, schließlich machen ich und meine Begleiter auch schon viele Jahre Musik. Ich sehe den Aufnahmeprozess als das Organisieren verschiedener Klänge an, und eine Gitarrenline hat für mich keinen größeren Wert als irgendein atonales Geräusch. Ich lebe in meiner eigenen Welt, ich setze meine Musik nicht in irgendeinen Kontext. Und ich bin sehr dankbar dafür, wenn meine Musik anderen Menschen etwas gibt, denn für uns, die wir auf der anderen Seite stehen, ist das ja auch so: Wir spüren, wenn unsere Musik wirkt. Für mich ist es das Höchste der Gefühle, wenn wir völlig in der Musik aufgehen und dieses „Beast“ uns komplett verschlingt. Ich denke, jeder, der das schon mal selbst mit Musik erlebt hat, kann das nachvollziehen. Ich kann mir nichts Besseres vorstellen, als mit dieser Band, dieser Gruppe von Menschen so was zu erleben, und das auch noch vor einem Publikum, das versteht, was wir da tun. Was nun den Sound betrifft – das Wort „Noise“ mag ich in diesem Kontext nicht –, so geht es um eine fast schon physische Qualität von Musik, in der man sich verlieren kann. Wenn die Töne und Resonanzen der Gitarren, die körperliche Präsenz von Bass und Schlagzeug einen bestimmten Punkt erreichen, dann ist das wie wenn sie sich bei „Star Trek“ in den Transporterraum begeben, dieser Transportstrahl aufleuchtet, sich die Moleküle auflösen – so ein Zustand ist das.

Wie gehst du an die Umsetzung eines neuen Albums heran? „Passiert“ so ein Album einfach oder gibt es ein Konzept?

Ich lege nicht mit der Arbeit los mit einem alles überspannenden Konzept. Es geht eher darum, das Material zu ordnen, das ich beziehungsweise wir angesammelt haben. Dabei handelt es sich zum einen um Elemente, die sich im Rahmen unserer Konzerte entwickelt haben, aus Improvisationen. An einem Abend spielen wir etwas, am nächsten Tag sprechen wir darüber und greifen beim folgenden Auftritt etwas daraus auf, und so wächst das immer weiter. Es ist ein sehr instinktive Arbeitsweise, und die „Regel“ ist nur, dass sich das, was wir spielen, authentisch anfühlen muss. Zum anderen finden Songs ihren Weg auf das Album, indem ich mit fertigen, auf akustischer Gitarre geschriebenen Liedern ankomme und wir diese dann im Studio orchestrieren. Auch hier folge ich einfach nur meinem Instinkt. Ich habe meine eigene Ästhetik, aber ich setze mich nicht hin und komponiere auf klassische Weise.

Das aktuelle Album, das hast du angekündigt, wird das letzte Album in jener Besetzung sein, die die Alben der letzten Jahre aufnahm und live spielte. Warum?

Wir haben die letzten sieben Jahre jeweils mehr als 200 Tage im Jahr zusammengearbeitet. Wir sind, bitte entschuldige diesen etwas abgedroschenen Vergleich, wie ein Wein, der jetzt seine beste Reife erreicht hat, bevor er sauer wird. Ich spüre einfach, dass wir derzeit zwar richtig gut sind, wir uns aber, wenn wir weitermachen, aufreiben. Aus ganz egoistischen Gründen will ich nach dieser Tour 2016 einfach was Neues machen.

Das ist ja in gewisser Weise typisch für die SWANS, die verschiedene Phasen hatten. Hast du diesen Drang, alle paar Jahre etwas Neues anzufangen?

Ja, und ich finde es wichtig, es sich selbst unbequem zu machen, wenn man etwas schaffen will, das lebendig ist. Ich bin ein rastloser Typ, und mich treibt die Angst um, immer das Gleiche zu machen. Klar, ein roter Faden, eine Verbindung ist wichtig, aber alles Bisherige trägt auch schon das Neue, Kommende in sich. Ich kann auf dem aktuellen Album schon viel erkennen, was in die Richtung des Kommenden deutet, aber ich höre auch, was verschwinden muss.

Da die eine Bandphase mit diesem Album und der Tour dazu zum Jahresende enden wird: Hast du Angst vor dem Neuen, was danach kommt?

Ja. Und genau darum geht es. Ich will mich unbequem fühlen, dem Druck aussetzen, etwas Neues machen zu müssen. Die Hölle für mich wäre, auf ewig das immer Gleiche machen zu müssen, wie diese Bands, die nur ihre alten Hits spielen. Das ist eine schreckliche Vorstellung für mich. Der Erfolg der letzten Jahre war und ist sehr befriedigend. Als ich die SWANS 2010 neu formierte, wusste ich nicht, was mich erwartet. Vor allem konnte ich nicht davon ausgehen, dass es so geschätzt wird, was wir tun. Tja, und jetzt muss ich das alles zerstören und stehe dann wieder wie ein Versager da ...

Du bist 62. Ist Alter ein Thema für dich?

Klar. Eine SWANS-Tour wie in den letzten Jahren auf sich zu nehmen, ist eine körperliche Herausforderung. Drei Stunden lang zu spielen, fünf, sechs Tage am Stück, das fordert einen – und wir waren wirklich viel auf Tour. Das ist in der Tat einer der Gründe, jetzt einen neuen Kurs einzuschlagen. Ich kann das noch leisten und ich liebe das auch, aber ich kann nicht erkennen, dass das in ein paar Jahren auch noch so sein wird.

Wohin kehrst du nach einer langen Tour zurück, wo ruhst du dich aus?

Ich lebe nördlich von New York City, aber ich bin ja kaum zu Hause gewesen die letzten Jahre. Ich habe mich da neulich noch mit meiner Frau darüber unterhalten – ich war letztes Jahr nur 75 Tage oder so daheim. Und ich habe ja auch noch zwei kleine Kinder, das geht also eigentlich gar nicht ... Ich sage denen, ihr Papa sei Matrose. Aber selbst wenn ich da bin, habe ich viel zu wenig Zeit für sie, denn wenn ich nicht toure, bin ich im Studio, muss mich um die geschäftliche Seite der Band kümmern, neue Songs schreiben – und zwischendurch versuche ich auch mal, was zu lesen. Mein Plan für die Zeit nach der jetzigen Bandphase ist also auch, viel zu lesen, denn ich liebe es zu lesen, aber auf Tour klappt das nie, da ist immer irgendwas. Wenn wir touren, bin ich immer in diesem seltsamen Modus, voller Adrenalin einerseits, andererseits völlig erschöpft: Ich bin wie ein Streichholz, das zwar brennt, aber bald erlöschen wird.

 


Arbeiten für Gott

„Im Mai 1929 entstand die ,Solinger Gesenkschmiede Engels, Rauh und Co.‘ als Zusammenschluss aller Hersteller von Rohartikeln für die Remscheider Werkzeug- und Thüringer Meßwerkzeugindustrie im Solinger Raum. Im November 1931 pachtete Walter Gott [...] die Firma und kaufte sie 1938 gemeinsam mit der Felix-Werkzeugfabrik auf. Zum 1.1.1943 erfolgt die Umbenennung in ,Walter Gott, Gesenkschmiede und Werkzeugfabrik‘. 1957 waren noch 526 Mitarbeiter beschäftigt, 1973 ging die Firma in Konkurs.“

Quelle: http://www.archive.nrw.de/LAV_NRW/jsp/bestand.jsp?archivNr=147&tektId=350