Colin Sears (DAG NASTY, MARSHES, ALLOY)

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My Little Drummer Boy, Folge 37

Sicherlich hat so gut wie jeder Ox-Leser die eine oder andere Platte in seinem Regal stehen, auf der Colin Sears zu hören ist, denn zahlreich sind die Meilensteine der amerikanischen Punk-Geschichte, die der sympathische Zeitgenosse mit seinem Drumming veredelt hat. Egal, in welcher Band er im Laufe der Jahrzehnte gerade gespielt hat, so hat er dieser doch immer seinen unverwechselbaren Stempel aufgedrückt. Als dann Anfang des Jahres sicher war, dass DAG NASTY für einige Shows nach Europa reisen würden, war natürlich klar, dass wir nichts unversucht lassen würden, um Colin als Ox-Drummerboy zu gewinnen und so kam ein spannender Einblick in die lange Karriere dieses Ausnahmedrummers zustande.

Colin, existieren aus deiner Kindheit eigentlich Geschichten, bei denen du bereits auf den Pfannen und Töpfen deiner Mutter getrommelt hast?

Ich wünschte, solche Geschichten würden existieren, aber offen gestanden war ich als Kind mehr der Sportler-Typ. Ich habe zuerst Hockey gespielt und später dann Fußball – also tatsächlich Fußball und nicht Football –, und zwar so lange, bis ich Punkrock und Schlagzeugspielen für mich entdeckte. Mein erstes Instrument war eigentlich die Trompete, denn als ich so acht oder neun Jahre alt war, hatte ich mich für ein Jahr bei einer Musikschule angemeldet und auch gleich die Jahresmiete für das Instrument bezahlt. Aber bereits nach einem Monat fand ich Trompete blöd und außerdem viel zu schwierig.

Wie kam es, dass du anfingst Schlagzeug zu spielen, und wann hast du dein erstes Drumset bekommen?

Als ich 13 Jahre alt war, hatte ich einen Freund, der für ein Jahr nach Kalifornien gezogen war und dann wieder zurückkehrte. In Kalifornien hatte er begonnen, Drums zu spielen, und ich erinnere mich, wie wir bei ihm zu Hause abhingen und ich ihm beim Trommeln zuschaute und so bei mir dachte: Das könnte ich auch tun ... Das war ungefähr zur selben Zeit, als ich auch begann, mich für Musik zu interessieren und Bands wie BUZZCOCKS, THE CLASH und THE STRANGLERS für mich entdeckte. In diesem Alter ließ ich dann bei meinem Vater durchblicken, dass ich gern ein paar Stunden Schlagzeugunterricht nehmen würde, aber er war wenig begeistert, da ich ja auch den Trompetenunterricht schon sehr frühzeitig abgebrochen hatte. Ich war damals bereits mit Roger Marbury befreundet und der fand bei sich zu Hause ein altes Schlagzeug, das wohl die Vorbesitzer vergessen hatten, und bot mir an, es mir zu leihen. Als mein Vater mitbekam, dass ich geradezu besessen vom Schlagzeugspielen war, kaufte er mir eine gebrauchte Snaredrum samt Ständer und half mir dabei, in den Kleinanzeigen der Tageszeitung weitere Teile für mein Schlagzeug zu finden. Endlich, als ich 15 war, kaufte mein Vater mir zu Weihnachten ein komplettes Set. Das war ein altes Ludwig-Schlagzeug, das wir von Danny Ingram, YOUTH BRIGADE D.C., erwarben und dieses Set spielte ich tatsächlich ein paar Jahre lang, bis hin zur Gründung von DAG NASTY im Sommer 1985.

Hattest du später doch noch Unterricht oder bist du Autodidakt?

Eigentlich bin Autodidakt, aber ich hatte zu Beginn ein paar Unterrichtsstunden, um erst mal die Grundlagen zu verstehen und später, als ich schon so Anfang zwanzig war, hatte ich noch mal fünf oder sechs Unterrichtsstunden. Als ich damals die Band GRAVE GOODS verließ, wurde ich ironischerweise durch meinen damaligen Schlagzeuglehrer ersetzt. Das hinterließ einen schalen Beigeschmack und ich habe seitdem nie wieder Stunden genommen. Im Nachhinein betrachtet, war das Aufhören mit dem Unterricht wohl eher eine schlechte Entscheidung für mich.

Was für Bands hast du gehört, als du zu trommeln anfingst, und gab es damals Drummer, denen du nachgeeifert hast?

Als ich mit dem Trommeln anfing, hörte ich alte Punk- und New-Wave-Sachen. THE JAM, THE DAMNED, PiL, XTC, THE POLICE, THE CLASH, PSYCHEDELIC FURS, GANG OF FOUR, SIMPLE MINDS ... Als Anfänger war es mein ursprüngliches Ziel, so zu klingen wie Stewart Copeland von THE POLICE auf deren ersten Alben. Alle diese Bands forderten mich heraus, besser zu werden und mich mich intensiv mit Bassdrum-Snare-Hi-Hat-Figuren zu beschäftigen. Kurze Zeit später entdeckte ich DC Hardcore, insbesondere GOVERNMENT ISSUE, BAD BRAINS, MINOR THREAT, und L.A.-Punkbands wie TSOL, ADOLESCENDTS und CIRCLE JERKS für mich und dadurch richtete sich mein Fokus deutlich in Richtung auf schnelleres Drumming.

Hast du zu Beginn immer nur allein gespielt oder hattest du Anschluss an eine Band?

Ich habe zunächst nur für mich alleine gespielt und habe immer versucht herauszufinden, was die Drummer, die ich mochte, auf ihren Platten so spielten. Die Elemente, die mir gefielen, habe ich dann in meinen eigenen Stil übernommen und später versucht, in den Sound meiner jeweiligen Band einzubringen. Meiner erste war die DC-Band CAPITOL PUNISHMENT. Wir waren nicht wirklich gut, aber immerhin spielten wir ein paar Kellergigs. Ich habe damals immer versucht, den MINOR THREAT-Beat von Jeff Nelson zu imitieren, aber was dabei herauskam, war ein Rhythmus, den wir später bei DAG NASTY immer den „Paddle Thrash Beat“ nannten. Irgendwie spastisch und mit Snare und Bass immer schön abwechselnd zu gleichen Teilen. Es war wirklich grausam, aber glücklicherweise habe ich mich ja weiterentwickelt und hart daran gearbeitet, besser zu werden.

Wie haben die unterschiedlichen musikalischen Ansätze von DAG NASTY, ALLOY oder den MARSHES deinen persönlichen Stil beeinflusst?

Mit Brian Baker zusammenzuspielen, als wir DAG NASTY gegründet hatten, brachte mich richtig vorwärts und half mir sehr dabei, meine Fähigkeiten auszubauen. Als wir anfingen, war mein Trommeln wohl okay, aber noch nicht sauber ausgeprägt. Ich habe damals gelernt, mehr Nuancen und Feinheiten einzubringen in meine Bassdrum- und Snare-Figuren – sowohl bei schnellen als auch bei Midtempo-Songs. Als wir 1985 begannen, habe ich etwa zehn Stunden pro Woche für mich alleine geübt und dazu kamen noch die vier oder fünf wöchentlichen Proben mit der Band. In diesem Sommer entwickelte ich so etwas wie meinen eigenen Stil. Das wirklich coole Ding an DAG NASTY war, dass ich Techniken von Nicht-Punk-Drummern, beispielsweise von XTC, in unsere Midtempo-Songs einbauen konnte, dass es mir endlich gelang, den Jeff Nelson-Stil hinzubekommen und „Ace of spades“ von MOTÖRHEAD mit nur einem Pedal – so wie es eigentlich gehört – zu spielen. Mit ALLOY Anfang der Neunziger hatte ich dann die Gelegenheit, mich mehr dem rockigen Post-Hardcore-Sound zusammen mit Midtempo-Punkrock zu widmen. Das gab mir die Chance, härtere, von Bass und Drum getriebene Songs zu spielen. Ich habe nicht wirklich meinen Stil geändert, sondern ihn eher in verschiedene Richtungen weiterentwickelt, um bei verschiedenen Songs neue Dinge ausprobieren zu können. ALLOY haben viele Songs geschrieben, die auf einem bestimmten Drumbeat aufgebaut waren und sich an den Drumfiguren entlang entwickelten. Das hat mich in gewisser Hinsicht manches Mal an Material von KILLING JOKE im Laufe ihrer Karriere erinnert. THE MARSHES haben mich dann über meine eigenen Grenzen hinaus getrieben, in einem Trio zu spielen hat mich angespornt, meinen Stil noch weiter zu straffen. Besonders auf die Entwicklung meiner Snarewirbel und die schnelleren, präziseren Fill-Ins habe ich viel Zeit verwenden müssen. Mir wurde bewusst, dass ich der Musik und dem Gesang viel mehr Raum zur Entfaltung geben kann, ohne dass ich andauernd mit den Gitarren oder dem Gesang um mehr Platz für meine Drums kämpfen muss. Mit Emil und Steven zusammen zu spielen war eine großartige Erfahrung für mich und das war ebenfalls der Zeitpunkt, an dem ich mein Set von einem Fünfer, das ich seitdem Beginn meiner Karriere gespielt hatte, auf ein reduziertes Vierer-Set umgestellt habe.

Gibt es Unterschiede zwischen deinem Live- und deinem Studiodrumming?

Wenn ich mal den Luxus hatte, meine Drumparts über einen längeren Zeitraum ausarbeiten zu können, was normalerweise zwischen intensiven Probephasen und Live-Auftritten der Fall war, dann kamen sich die Live- und die Studioversionen schon sehr nahe, weil ich dann die Zeit hatte, jede kleine Nuance genau so zu verfeinern, wie ich sie gern haben wollte. So waren die Songs dann für das Studio fertig und ich habe sie für die Auftritte gleich so beibehalten. Aber natürlich geht nichts über eine großartige Live-Show, bei der ich von der Energie und dem Enthusiasmus des Publikums und dem Rest der Band zehre. Obwohl ich immer versuche, mich auch im Studio soweit zu motivieren, wird diese Energie im Studio doch nicht immer erreicht. Ein Weg, dieses Live-Feeling auch im Studio einzufangen, ist, die Anzahl der Durchläufe pro Song auf höchstens vier oder fünf zu beschränken, um die Frische und den „menschlichen“ Sound der Songs zu erhalten. Das haben wir bei der neuen DAG NASTY -7“ gemacht, und ich bin mit dem Ergebnis sehr zufrieden. In manchen Fällen ist es auch so, dass ich eine fast perfekte Aufnahme im Studio abgeliefert habe, nachdem ich den Song vorher schon ganz anders live gespielt hatte. In diesen Fällen habe ich dann hinterher die Live-Version an die Studioversion angepasst. Im Fall von DAG NASTY, wo wir heute Songs live spielen, die vor Jahrzehnten geschrieben und aufgenommen wurden, spiele ich die Parts grundsätzlich so, wie sie damals geschrieben wurden. In wenigen Ausnahmen habe ich die Drumparts an die heutigen Versionen unserer Stücke angepasst, damit der Song besser fließen kann, kraftvoller ist oder ich nicht in Konflikt mit den Vocals komme.

Gibt es bei den vielen Platten, die du aufgenommen hast, eine, mit der du zu 100% zufrieden bist?

„Dag With Shawn“ von DAG NASTY, erschienen bei Dischord, weil ich die Art und Weise liebe, wie diese Platte die Zeit überdauert hat. Die Energie von Songs wie „Can I say“ und „One to two“ auf dieser Aufnahme sorgt bei mir nach all den Jahren auch heute noch für aufgestellte Nackenhaare. Wenn ich dreißig Jahre später zurückblicke, denke ich wirklich, dass wir genau das eingefangen haben, was wir erreichen wollten, als wir 1986 als Teenager ins Studio gingen. Und dann die THE MARSHES-7“ „Delinquence“ auf Dr. Strange, denn als ich von 1994 bis 1999 in Massachusetts lebte, waren THE MARSHES meine Lieblingsband unter denen, die nach DAG NASTY kamen. Wir könnten ein großartiges „Best Of“-Album machen, wenn unser altes Label Grass Records uns die Rechte an unseren Songs zurückgeben würde. Diese Single ist der erste Song, den wir für Dr. Strange Records gemacht hatten, und er ist mit seiner epischen Länge von vier Minuten sicherlich der beste, den wir je aufgenommen haben. Irgendwie klingt er ein bisschen nach RUTS – ich war immer ein Fan von Punk, der mit Ska und Reggae vermischt ist. Dieser Song war für uns irgendwie die Möglichkeit, uns auf diesem Territorium auszuprobieren.

Hast du jemals in Erwägung gezogen, nach vorne an den Bühnenrand zu treten, um zu singen oder Gitarre zu spielen?

Einige Jahre, bevor es mit DAG NASTY losging, hatte ich an der Highschool nur so zum Spaß angefangen, mir Keyboard beziehungsweise Klavier beizubringen. Zu dieser Zeit gründeten ein paar Freunde eine Band namens TROUBLED GARDENS und fragten mich, ob ich bei ihnen singen wollte. Ich habe also bei ein paar Proben gesungen und dann gemerkt, dass Gesang nichts für mich ist. Ich war zu dieser Zeit wirklich sehr schüchtern und, offen gestanden, auch überhaupt kein guter Sänger. Daher habe ich damals beschlossen, beim Schlagzeug zu bleiben und mich darauf zu konzentrieren, besser zu werden. Seltsamerweise haben TROUBLED GARDENS nie einen Sänger gefunden und einige Jahre als Instrumentalband gespielt, bevor sie sich dann auflösten.

Hast du jemals Pläne gehabt, in einer Band zu spielen, die so gar nichts mit Punk oder Hardcore zu tun hat

Die andere Band, in der der ich zur Zeit spiele, sind AIR KNIVES aus Portland. Die gibt es nun auch schon seit 2009 und die Intention war, eine Band aus lauter Musikern zu haben, die aus Punkbands kommen, aber keinen Punk spielen, doch irgendwie ist es anders gekommen. Immerhin haben wir ein Keyboard und spielen nicht immer nur laut. Das Songwriting basiert häufig auf Drum- und Basslinien, aber letztlich sind wir doch eine Punkband. Das steckt so in uns drin und egal, wie viele neue Einflüsse wir in unserer Musik verarbeiten, das Fundament ist eben doch Punkrock.