ROTJOCH

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Rotzgören-Radio

Die Punkrock-Chroniken ROTJOCH im Schnelldurchlauf: Gründung 1978 im niederländischen Hilversum, mit Songschreiber und Texter Ronald „Rebel“ Welgemoed und einem Bandnamen, der in etwa „Rotzgöre“ bedeutet. Mit „Tomorrow“, der A-Seite ihrer ersten 7“, gelingt ihnen 1981 ein kleinerer Radiohit, hellhörig werden Sammler der europäischen Punk-Peripherie jedoch erst bei ihrem zweiten Single-Output „Bad Boy“, der spätestens seit dessen Aufnahme in den fünften Teil des Killed By Death-Almanachs „Powerpearls“ zu einem gesuchten Juwel des Skinny-Tie-Powerpop wurde. Unter dem Namen REBEL sollte kommerziell größerer Erfolg winken, doch nach einer 7“ wurde 1985 das Handtuch geworfen. Der Name Welgemoed taucht zwar noch in zahlreichen Credits stilistisch breitgefächerter Projekte auf – 2007 rumorte es kurz auf der Reunion-Skala –, doch außerhalb eingeweihter Fankreise wurde er wohl erst jetzt anlässlich seiner Beteiligung an LIQUID BREAKFAST wieder zur Kenntnis genommen.

Ronald, knapp zwanzig Jahre hat man, sofern man es nicht explizit wollte, nichts von dir gehört. Was lief seit dem Ende von ROTJOCH?

Wirklich weg war ich nie. 1989 habe ich solo unter dem Namen REBEL eine LP namens „You’re Already Listening“ veröffentlicht, die zwar Airplay im holländischen Radio bekam, sich aber schlecht verkaufte. Zur gleichen Zeit geriet ich in die Dance-Szene und schrieb viele Texte für das Produzentenduo AK und andere; die meisten Songs überließ ich anderen Künstlern, aber dem ’95 veröffentlichten Song „Just a dream“ lieh ich auch meine Stimme. Bis dahin spielten REBEL auch noch Gigs, bis ich keine Lust mehr auf all die ständigen Besetzungswechsel hatte. 2011 bekam ich die Chance, elf Songs aufzunehmen, die ich 2007 als zweites REBEL-Album „The Morning Sun“ veröffentlichte, auf dem elektronische Sounds und Instrumente mit akustischen Elementen verknüpft werden. Zur gleichen Zeit fand ich heraus, dass „Bad boy“ 1999 auf dem „Powerpearls Vol. 5“-Sampler kompiliert worden war, woraufhin sich anschließend Leute aus allen Ecken der Welt auf der MySpace-Seite meldeten, die ich für ROTJOCH angelegt hatte. Da zwei meiner Lieblingsbands, THE ONLY ONES und RADIO BIRDMAN, damals Reunion-Touren gespielt hatten, fragte ich mich, warum wir das mit ROTJOCH nicht auch machen sollten.

Zu einer wirklichen Reunion ist es aber nicht gekommen.

Es was unmöglich, alle ehemaligen Mitglieder an einen Tisch zu bringen, also übernahm den Bass jemand, der ROTJOCH schon immer nahe stand. Der Leadgitarrist verbrachte zudem viel Zeit im Ausland, weshalb wir nach vier Aufnahmen feststellten, dass die ganze Reunion-Idee nicht funktionieren würde. Da ich jedoch eine Menge neues Material geschrieben hatte und weitermachen wollte, probte ich mit ein paar anderen Musikern, woraus dann schließlich die ROTJOCH -Single „Sexy/Say No More“ entstand. Gerade haben wir außerdem die „Nobody Knows“-EP herausgebracht und arbeiten an einem neuen Album.

Denkst du, dass ihr in der Geschichte von ROTJOCH Chancen vergeben habt, einen nennenswerten kommerziellen Erfolg zu erzielen?

Bereits beim Release unserer zweiten Single hatte sich die Aussicht auf einen größeren Erfolg im Sande verlaufen. Alles lief eigentlich super, die Kritiken waren gut und wir erreichten eine breite Masse an Menschen. Wir wurden jedoch einem Konflikt zwischen dem A&R- und dem Label-Manager geopfert, die immer wieder Absprachen nicht einhielten, wodurch das Ganze schon einmal merklich an Schwung verlor. Da es der Industrie an sich wirtschaftlich auch nicht wirklich gut ging, trennten wir uns von Polydor und standen plötzlich ohne Plattenvertrag da. Wir unterschrieben beim französischen Label VIP Records, die sich in Europa um den Vertrieb und die Promo von Motown kümmerten. Wir hielten das für einen cleveren Schachzug, denn der Typ, der uns kontaktierte, war Fan und wollte uns zu einer internationalen Karriere verhelfen. Wegen dieser sollten wir jedoch unseren Namen ändern und nannten uns dann REBEL, da ROTJOCH außerhalb der Niederlande vielleicht für Verständnisprobleme gesorgt hätte. Damals war das für uns okay, im Nachhinein halte ich das für keine kluge Entscheidung. VIP veröffentlichten dann die „Baby Baby Baby“-Single, aber die Promo lief nicht gut, also brachten sie sie noch einmal heraus. Dann aber gingen Motown ebenso wie besagter Typ zu Sony und plötzlich scherte sich bei VIP niemand mehr um uns. Das war es dann, wir lösten uns auf. Im Nachhinein finde ich es natürlich schade, dass wir nie den erhofften Erfolg hatten, aber wir leben eben in einem kleinen Land und hatten das Pech, kein Management zu haben, dass uns beim Treffen der richtigen Entscheidungen unterstützt hätte.

Klingt so, als ob die Musikindustrie das Interesse am Genre verloren hatte, nachdem Powerpop ertragreich ausgewrungen wurde und nun beliebigere, jedoch erfolgversprechendere New-Wave-Acts mehr Gewinn versprachen.

Das Musikbusiness hatte schon immer einen Hang zur nächstfolgenden kommerziellen Musikform. Selbst eine musikalische Revolution wie Punk wollten sie ja unter ihre Kontrolle bringen, um damit Gewinn zu machen. Damals benutzte übrigens auch niemand das Wort Powerpop, bereits als wir ’78 anfingen, sprach man von unseren Sound als New Wave. Das wurde später dann zu einer Beschreibung jener Bands, die eher nach depressiver Disco klangen. Wir selber nannten es einfach Poprock, erst Jahre später hörte ich zum ersten Mal den Begriff Powerpop.

Wenn man sich vor Augen führt, dass ROTJOCH-Singles in einigen Kreisen zu teuer gehandelten Sammlerstücken avanciert sind, ist es doch enttäuschend, dass der Erfolg in eurer aktiven Zeit ausblieb?

Nein, überhaupt nicht. Es ist natürlich nicht so gelaufen, wie wir es uns vorstellten, und wie es ’81 noch möglich schien. Ich war jedoch schon immer eher ein Spätzünder, mache immer noch Musik, versuche, Gesang und Songwriting zu verbessern, spiele in einigen Bands und eine Menge Konzerte, treffe viele interessante Leute und kann nicht zuletzt in solchen Projekten wie LIQUID BREAKFAST mitmischen. Vielleicht kommt ja der Triumph auch erst mit unseren neuen Songs. Ich schaue eher in die Zukunft als zurück auf die Vergangenheit. Die Dinge sind nun einmal so passiert und haben mich gelehrt, dass es auf Business-Seite in der niederländischen Musikszene oft wenig professionell zugeht. Was die Leute betrifft, die einen Haufen Geld für alte Platten ausgeben, hoffe ich nur, dass sie auch wirklich Liebhaber dieser Musik sind und nicht nur ein Statussymbol erwerben wollen.

Du redest viel von der Industrie, hatte der D.I.Y.-Gedanke keinen Einfluss auf deine Arbeit?

Als ROTJOCH ihre Singles und die „Bad Boy“-LP herausbrachten, hatten wir einen Vertrag mit einer Plattenfirma und einem Verleger sowie eine Booking-Agentur, die sich um alles kümmerten. Erst später musste ich selber das Booking anleihern, das Inlet der Demo-MCs gestalten, und machte so erste Schritte in der D.I.Y.-Welt. Als ich dann ein Soloalbum herausbringen wollte, musste ich dann wirklich alles selber machen beziehungsweise Freunde fragen, bestimmte Sachen für kleines Geld zu übernehmen. Heute ist alles, was wir machen, absolut D.I.Y. Auch wenn ich große Sympathien für diese Idee habe, hätte ich auch kein Problem damit, wenn sich eine Plattenfirma unserer annehmen würde.

Auf der A-Seite der LIQUID BREAKFAST-Single, dem von dir schon erwähnten Projekt mit Malte von Still Unbeatable Records an der Gitarre, Luc Bulles von THE VAN DAMS am Bass und dem alten ROTJOCH-Drummer William van Veenendaal, fordert ihr, dass es „’77 again“ sein sollte. Wie viel Revisionismus steckt in dieser Forderung und was sind die Lektionen, die ’77 jungen Bands mit auf den Weg geben kann?

Gute Musik ist gute Musik, ungeachtet ihrer Entstehungszeit. Viele Leute verstehen jedoch erst in der Retrospektive, was für einen musikhistorischen Effekt eine gewisse Phase hatte. Und so wünschen sich einige, die zu dieser Zeit noch nicht einmal geboren waren, dass sie sie miterlebt hätten. Das ist natürlich eine sehr romantische Vorstellung. Wichtiger ist da eher, zu schauen, wie diese Eruptionen guter Musik andere Musiker inspiriert haben. Man sollte nicht versuchen, das zu imitieren, sondern ausgehend vom Kern eines Sounds versuchen, seinen eigenen zu entwickeln.

Matti Bildt, Dirk Klotzbach