35 Jahre später: BAD BRAINS - Bad Brains (MC, Roir, 1982)

Foto

So etwas hatte man in dieser Intensität und Dichte zuvor nicht gehört, bis die BAD BRAINS ihr Debütalbum, das etliche Jahre nur als Tape erhältlich war, in den Punk-Kosmos schossen. Die nach New York umgesiedelte Band hatte sich bereits in Washington, D.C., ihrem Gründungsort, einen Ruf als herausragende Live-Band erspielt, die auch aufgrund der explosiven Bühnenshow ihres Sängers HR erhöhte Aufmerksamkeit erfuhr und wegen ihrer ausschließlich afroamerikanischen Mitglieder Exotenstatus besaß. Exzentrische Performances und musikalische Intensität sind nicht gerade ein Alleinstellungsmerkmal im Punk. Doch während viele Bands diese Intensität vor allem durch eine Verringerung der Komplexität erreichten, waren die BAD BRAINS intensiv ohne eine solche Reduktion. Und schnell, verdammt schnell. Die Songs chaotisch, wild, stets vielschichtig, sowie technisch versiert. Zudem so tight eingespielt, dass noch nicht einmal die etwas matschige Produktion ihrer druckvollen Musik schaden konnte.

Dieser Sound war so weit von den RAMONES entfernt, nach deren Song „Bad brain“ man sich immerhin noch benannt hatte, dass „Bad Brains“ zu Recht nicht mehr als Punk galt, sondern als eines der Alben, auf denen die Abnabelung des Hardcore vom Punk manifest wurde Der besagte HR fegte dabei in einem Moment kreischend wie ein Schwarm attackierender Hornissen über die Hörer hinweg, meist begleitet von ebenso rasenden Gitarrenpeitschen, um im nächsten Moment geradezu zurückgelehnt zu singen. Die Bandbreite der Ausdrucksformen, gesanglich wie instrumental, hob die BAD BRAINS hervor. Ihnen gelang die Einbindung vieler genrefremder Elemente, ohne dabei einem eklektizistischen Baukastenprinzip zu frönen, sondern als Erschaffer eines neuen Sounds.

Dazu kommt natürlich der Reggae. Auch dies kein Alleinstellungsmerkmal, von anderen Bands zuvor wurde es gar konsequenter verschmolzen, stehen doch Hardcore- und Reggae-Songs auf dem Debüt eher nebeneinander. Doch die BAD BRAINS trugen auch Vorstellungen der Rastafari in den Hardcore hinein, wobei gerade die Betonung einer positiven Lebenseinstellung und die Hingabe an die Idee, die Welt durch Musik verbessern zu können, sich auch vorzüglich mit der zunehmenden Abgrenzung des Hardcore vom Punk als destruktiver, rein negierend verstandener Ausdrucksform vertrug und diese bestärkte. HR fiel aber auch durch reaktionäre, religiös verbrämte Aussagen auf, die zu Recht Widerspruch hervorriefen, und fortan stand die Band unter einem Generalverdacht. Und dass hier auch immer die Ignoranz und Überheblichkeit der vornehmlich weißen Hardcore/Punk-Szene gegenüber afroamerikanischen Kulturen und Religionen zum Ausdruck kam, ist ein dabei kaum thematisierter Aspekt.