MILEMARKER

Noise goes Pop

Manchmal dauert´s eben etwas länger: schon seit dem "Future Isms"-Album verfolge ich begeistert das Tun von MILEMARKER (einst Chapel Hill, jetzt Chicago), doch wie´s eben manchmal so läuft hatte ich´s nie auf die Reihe bekommen, den Vierer mal mittels eines Interviews die ihm zustehende Aufmerksamkeit zukommen zu lassen Doch das neue Album "Anaesthetic", kürzlich auf Jade Tree erschienen, erhöhte die Neugier meinerseits so stark, dass ich endlich meinen Hintern in Richtung einer MILEMARKER-Show bewegte. Mit mir im Backstageraum des Zwischenfall zu Bochum saßen: Noah (drums), Dave Laney (guitar, vocals), Roby Newton (synthesizer, vocals) und Al Burian (bass, vocals, synthesizer) - und erwiesen sich als supernette, sympathische Menschen. Ach ja, die Musik: Synthesizer und so, die Achtziger striken back und trotzdem nix retro. Parlez-vous Post New Wave?

Ihr seid nur wenige Tage nach dem Anschlag auf das World Trade Center via New York nach Europa geflogen - habt ihr wie andere Bands erwogen, die Tour zu canceln?


Roby: Wir hätten die Tour abgesagt, wenn wir keinen Flug bekommen hätten. Es ist ganz gut, sich mit einer Tour von den Ereignissen in den USA abzulenken. Wäre ich jetzt in den USA, wäre ich aber wahrscheinlich ständig auf Demos unterwegs - alleine zuhause in Chicago rumzusitzen, das könnte ich nicht. Ich denke, das Beste ist es, das zu tun, was man normalerweise auch getan hätte - in unserem Fall ist das die Europatour. Das hat ausserdem den Vorteil, dass wir so eine ganz andere Perspektive der Anschläge und ihrer Folgen mitbekommen, denn die derzeitige Propaganda in den USA macht einen wirklich krank.

Ich finde es erschreckend, wieviele patriotische eMails ich in den letzten Tagen aus der US-Punkszene erhalten habe - aber es gab natürlich auch jede Menge kritischer Töne.

Al: Es ist definitiv keine gute Zeit für Leute aus dem linken politischen Spektrum, darüber zu diskutieren, was zu diesen Anschlägen geführt haben mag, und vor allem auch ganz offen ihre Meinung zu äussern. Die Fahnenschwenker dagegen haben Hochkonjunktur, die gewinnen derzeit in jeder Diskussion die Oberhand.
Dave: Es ist schwierig für die Linke, denn diese Angriffe waren so anders als alle anderen zuvor, und nur Pearl Harbor scheint ein möglicher Vergleich zu sein.
Roby: Es war zudem der erste Angriff auf den nordamerikanischen Kontinent überhaupt.
Dave: Zudem war Pearl Harbor ein militärisches Ziel, während in New York Zivilisten angegriffen wurden, in einem Gebäude, das wirklich jeder in den USA kennt. Es hat irgendwie jeden getroffen, und es war, wenn man es sich mal genau überlegt, auch so ziemlich die einzige Möglichkeit die USA wirklich zu treffen. Denn es wäre wohl nicht möglich gewesen, eine Militärbasis anzugreifen.
Roby: ...vom Pentagon mal abgesehen, von der Zentrale des ganzen Militärapparates, haha.
Dave: Ja, aber die Regierung an sich ist unangreifbar, die haben ein System entwickelt, das sie völlig unerreichbar macht - die kann man nur treffen, wenn man Unschuldige trifft.

Nun, ohne die Anschläge nur im Geringsten rechtfertigen zu wollen, aber in dieser Hinsicht hat sich die US-Regierung bei Angriffen oder Kriegen in Panama, Nicaragua oder Irak nicht anders verhalten. Da sind ja keine Diktatoren und ihre Helfer getötet worden, sondern tausende Zivilisten.

Roby: Ja, und jetzt ist die Verblüffung groß: Warum haben die uns das angetan, wir haben doch nie jemandem was getan. Nein, es ist eine böse, fremde Macht, die uns angreift.
Al: Es ist auch erstaunlich, wie schnell die Medien in den USA zu einem Begriff wie "evil", "böse" gegriffen haben, eine Schlagzeile lautete sogar "blood for blood".
Roby: Und man muss sich mal vorstellen, was da plötzlich im Fernsehen ablief: Auf Fox gab es eine Diskussionsrunde mit Oliver North, Rush Limbaugh und noch ein paar dieser üblen alten Typen. Das sollen unsere politischen Experten sein? Oliver North mit seiner Verstrickung in die Waffenlieferungen an die Contras in Nicaragua als Fachmann für Aussenpolitik?
Dave: Ich habe ein zwiegespaltenes Verhältnis zur Medienlandschaft der USA: ich war in anderen Ländern und habe gesehen, wie begrenzt mancherorts Berichterstattung ist. Von daher denke ich, dass die Presselandschaft der USA eigentlich ganz gut ist. Aber: ein paar wenige Konzerne besitzen und kontrollieren die Medien.
Roby: Ja, und die haben kurz nach der Katastrophe eine Abmachung getroffen, auf all ihren TV-Kanälen nur mit den gleichen Bildern zu arbeiten, um die Konkurrenz um Bilder zu unterbinden. Damit hatten sie ein Monopol geschaffen.
Dave: Angemerkt werden sollte auch, dass George W. Bush vor den Anschlägen sehr wenig Zustimmung von der Bevölkerung hatte, auch wegen der Umstände seiner Wahl. Jetzt ist das alles fast vergessen."
Roby: "Ich finde es auch schwer an das Konzept einer "Vergeltung" zu glauben, wenn der Angriff schon so etwas wie ein Vergeltungsschlag war. Wie oft soll das dann hin- und hergehen?
Al: Die ganze Sache hat auch etwas mit Rache zu tun, und die Attentäter waren sicher der Meinung, mit einer gewissen moralischen Berechtigung zu handeln, als Rache für, wegen mir, 100.000 toter afghanischer Kinder.
Roby: Leider haben sie die falschen Leute erwischt in den USA, was aber eben nicht heissen darf, dass wir jetzt im Gegenzug irgendwen töten. Ich denke, es sollte jetzt vielmehr angesichts des von den Anschlägen ausgelösten Schmerzes ein Bewusstsein entstehen, dass man mit solchen Methoden nicht weiterkommt.
Dave: Als ich die Bilder im Fernsehen sah, wie der Kongress geschlossen vor einer US-Flagge "America the beautiful" sang, kam mir nur das Malcolm X-Zitat in den Sinn "An eye for an eye leaves everyone blind".
Al: Verblüffend fand ich auch, wie schnell alle Welt "wusste", wer für die Anschläge verantwortlich ist, nämlich Osama Bin Laden. Es scheint, als brauchten die USA ein Gesicht für das Böse, und ein Land, eben einen tatsächlich vorhanden Ort, den man auch bombardieren kann. Dabei ist der wirkliche Feind ein ganz anderer: es ist diese amorphe Masse der Verlierer der aktuellen Weltordnung, und gegen diesen Feind können die USA nicht gewinnen, denn es ist jeder, der von der Ungerechtigkeit der aktuellen Strukturen der Weltwirtschaft leidet. Und was immer passieren wird, der einzige langfristige Effekt wird sein, dass die USA sich noch mehr Feinde schaffen.
Dave: Ich finde es auch erschreckend, wie diese Anschläge uns gezeigt haben, wie einfach es offensichtlich ist, die USA ins Herz zu treffen: angeblich haben die die Flugzeuge mit Teppichmessern in ihre Gewalt gebracht und haben dann einen Angriff mitten ins Zentrum der Weltwirtschaft ausgeführt - und scheinbar konnte niemand das verhindern.

Wie geht ihr damit um, dass ihr während eurer Tour als Amerikaner wohl ständig auf dieses Thema angesprochen werdet?

Roby: Lass es mich so ausdrücken: besser wir können was zu dem Thema sagen als jemand, der die US-Regierung total unterstützt, als irgendwelche patriotischen Fanatiker.
Al: Ich glaube, ein Teil der Tourabsagen geht auch darauf zurück, dass manche es nicht schaffen, sich dieser Situation zu stellen, dass sie sich und ihr Tun angesichts der Situation für unwichtig halten. Bis zu einem gewissen Punkt kann ich das nachvollziehen, denn man ist schon erstmal einen Schritt zurückgetreten und hat sich gefragt, welche Relevanz das eigene Tun da noch hat. Ich habe mich dafür entschieden über das Thema zu reden und bin froh, die Möglichkeit dazu zu haben. Die paar Shows, die wir nach den Anschlägen in den USA gespielt haben, waren für uns willkommene Inseln in einem Meer von patriotischer Fähnchenschwenkerei, wo man doch noch, wenn auch mit gesenkter Stimme, Fragen stellen durfte. Jetzt hier in Europa freut es mich die Möglichkeit zu haben, die Meinungen anderer Menschen zu erfahren. Bei unserer ersten Europa-Tour 1999 war das übrigens eine ähnliche Situation, da hatte gerade der Kosovo-Krieg begonnen.

Würdet ihr sagen, dass MILEMARKER eine politische Band ist?

Roby: Zu einem gewissen Maße schon.
Dave: Wir alle haben ein politisches Bewusstsein und sind offen für neue Ideen - in diesem Sinne lautet die Antwort ja.
Al: Jede Band ist ein Ausdruck der in ihr aktiven Charaktere, und da wir alle uns Gedanken machen, ist Politik schon Teil der Band, ohne dass wir das jedoch plakativ vertreten.
Noah: Ich denke, unsere Band ist kritisch, aber nicht dogmatisch. Politik sollte nicht der Dreh- und Angelpunkt einer Band sein.
Al: Falls es in Plattenläden ein Fach "Politische Bands" gibt, dann gehören wir da sicher nicht hinein.

Also kein A im Kreis im Falle von MILEMARKER.

Roby: Eher ein schwarzer Stern...
Al: Ich mag den Gedanken, dass wir eine Band sind für Leute, die Fragen stellen und nicht für jene, die´s gerne in Form von Slogans auf T-Shirts haben.

Auch sonst habe ich MILEMARKER immer als Band wahrgenommen, die absolut ihr eigenes Ding macht, die immer aus der Masse herausragt. Was ist der Trick, um als Band aus der Masse hervorzustechen?

Al: Wir haben schon immer das gemacht, was in der jeweiligen Situation scheinbar "falsch" war, was den normalen Erwartungen der Leute widerspricht. Wenn wir einen Song schreiben, kommt es fast nie vor, dass wir uns sagen "Das wird den Leuten aber gefallen", sondern eher "Hm, was werden wohl die Leute dazu sagen?". Sollte sich die Situation ergeben, dass irgendwem gefällt, was wir machen, versuchen wir sofort was ganz anderes zu machen. Das ist unsere verquere Logik, haha. Ich kann nicht glücklich sein, wenn ich mir vor der Veröffentlichung einer Platte nicht beinahe in die Hosen mache angesichts der möglichen Reaktionen darauf.
Noah: Die Show heute ist zwar erst mein sechstes Konzert mit euch, aber ich habe das Gefühl, dass ihr drei euch schon sehr lange kennt und sehr gut darin seid, zusammen in musikalischer Hinsicht zu experimentieren, neue Sachen auszuprobieren, eben weil ihr euch gut kennt und ihr auf der intuitiven Ebene sehr gut kommunizieren könnt.
Al: Unsere Idee von der Band war es auch noch nie, dass wir ein bestimmte Art von Band sein oder in eine bestimmte Schublade oder Szene gehören wollten. Nein, es war immer nur die Band der daran beteiligten Leute, wo immer das auch hinführt.
Dave: Fünf Jahre sind für eine Band vielleicht keine lange Zeit, aber es ist für mich schon eine lange Zeit, und angesichts von anderen Bands, die sich nach ein paar Monaten und gerade mal einer Platte schon wieder auflösen, ist das schon recht konstant. Wir haben ein recht stabiles Line-Up, aber versuchen trotzdem die Band für alle Beteiligten interessant zu halten. Das bedeutet auch, dass selbst wenn wir mal mit einem Album Erfolg haben sollten, würden wir das nächste Album sicher ganz anders machen. Wir wollen ständige Veränderung und vor allem für uns selbst die Sache spassig gestalten.
Roby: Dazu gehört für mich, nicht von Anfang an eine bestimmte Vorstellung des Endergebnisses im Kopf zu haben. Wenn wir spielen, spielen wir einfach nur drauflos, da haben wir nicht im Kopf so oder so klingen zu wollen, und das hält die Sache für uns so frisch und in Bewegung. Wir erfinden uns ständig neu.

Würdet ihr sagen, dass ihr seit eurer ersten Probe einen weiten Weg zurückgelegt habt?

Dave: Oh ja! Als wir damals die erste Platte rausbrachten, lebten wir in so einem abgefuckten Haus, das einem Drogendealer gehörte...
Roby: Was?!?
Al: Dafür wird der dich verklagen...
Dave: Der hat damit gedroht, das Haus niederzubrennen!
Roby: Okay, aber das macht ihn noch nicht zu einem Dealer. Er war aber schon ein "Slumlord".
Dave: Auf jeden Fall hat er für ´ne Menge verhaftete Drogendealer die Kaution gezahlt.
Roby: Er war ja auch der reichste Schwarze in der Stadt -
und kein Dealer.
Dave: Aber ziemlich seltsam. Jedenfalls haben wir die erste Platte dort in meinem Schlafzimmer aufgenommen und dort auch geprobt. Es war ziemlich eng, und ausser uns stand da noch mein schrottiger alter Computer. Heute arbeiten wir zum Glück unter etwas anderen Bedingungen.
Al: Wir haben auch schon nach drei Proben unsere erste Single rausgebracht: drei Proben, drei Songs, eine Single. Dann zwei weitere Proben, zwei weitere Songs, und mit fünf Songs ging´s auf die erste Tour. Wir sind seit fünf Jahren zusammen, wir haben fünf Alben raus, sind ständig auf Tour und haben ´ne Menge Sachen ausprobiert. Uns ist wichtig, ständig in Bewegung zu bleiben, immer produktiv zu sein, unsere eigenen Grenzen immer weiter zu verschieben. Es ist nicht unser Ding, ein Jahr an einem Song zu feilen, sondern lieber machen wir in der Zeit einen ganzen Stapel voller Songs, bei denen wir dann auch mal in dieser oder jener Richtung zu weit gehen. Wir sind ja noch nicht am Ende der Welt angekommen, es ist nur ein neuer Song, der vielleicht passt, vielleicht aber auch nicht.

Ihr setzt stark auf den Einsatz von Synthesizern. Die waren ja in der Punk-/Hardcoreszene lange sehr verpönt, sowas war auf der Bühne ja überhaupt nicht "erlaubt"...

Al: ...und deshalb haben wir ja angefangen einen Synthie einzusetzen.
Dave: Und heute ist beinahe das Gegenteil der Fall, da ist man unmodern, wenn man keinen hat.
Al: Als wir "Future Isms" aufnahmen, waren eher thrashige Gitarrenbands angesagt, und so sagten wir uns, lasst uns ein Album ohne Gitarren, nur mit Keyboards machen. Ja, heute hat scheinbar jede Band wieder ein Keyboard im Einsatz, aber das wiederum ist für uns kein Grund darauf zu verzichten.
Dave: Wie wär´s stattdessen mit ´ner Sitar?
Al: Hm , ist ´ne Überlegung wert... Der Unterschied zwischen uns und den meisten anderen Bands ist, dass die die Keyboards eher im Achtziger-Stil einsetzen. Die Herausforderung ist, ein Instrument - in diesem Fall das Keyboard - nicht so einzusetzen wie alle anderen, auch und vor allem nicht zu kopieren: A FLOCK OF SEAGULLS waren eine gute Band, aber du wirst es nicht hinbekommen, eine Platte so gut wie die ihren zu machen.

Und vor allem dürfte es schwerfallen, so scheisse auszusehen wie die. Die Fotos auf deren LPs sind echt unglaublich.

Al: Als ich klein war, lief immer ihr Hit "I ran" im Radio, und ich dachte, die meinen das Land Iran...
Noah: Ganz allgemein ist es sowieso unmöglich, im Bereich der elektronischen Musik die Meister KRAFTWERK zu erreichen. Auf ihre Weise waren die damals Punkrock, denn sie machten etwas, was sich bis dahin niemals hatte vorstellen können, nämlich rein elektronische Musik.

Euer neues Album halte ich auch für euer bislang zugänglichstes.

Al: Äh, hast du damit ein Problem?

Nein, überhaupt nicht!

Roby: Vielleicht hast du ja recht. Auf jeden Fall macht es Spass, die Songs zu spielen und wir haben es auch geschafft, unsere Instrumente halbwegs musikalisch klingen zu lassen, haha. Das war keine bewusste Entscheidung, das hat sich so ergeben, und wenn das Album dadurch zugänglicher geworden ist als die bisherigen, dann okay.
Dave: Uns war aber von Anfang an klar, dass wir nicht noch eine Platte mit kreischigen Hardcoresongs machen wollten. Davon haben wir schon ein paar auf Platte, und wenn jemand diesen Aspekt unserer Band auf dem neuen Album vermisst, kann er sich ja die alten Platten anhören.
Al: Ich bin von der neuen Platte schon beinahe wieder enttäuscht, ich hätte sie gerne noch etwas weiter in diese Richtung getrieben. Mein Ding war es sowieso noch nie, anderen meine Meinung direkt ins Gesicht zu schleudern, sondern sie lieber nett zu verpacken: ein netter Song, der hängenbleibt, aber mit einem aussagekräftigen Text. Wenn man nur mit direkter Konfrontation arbeitet, schalten viele der Leute, die man erreichen will, ganz schnell auch wieder ab.

Ihr seid mit eurem neuen Album zu Jade Tree gewechselt, einem der derzeit größten und renommiertesten US-Indielabels. Was hat sich dadurch für euch verändert?

Dave: Bisher noch nichts, da die Platte jetzt gerade erst veröffentlicht wird. Ich denke aber schon, dass ein paar Leute verwirrt sein werden und Vorwürfe kommen in der Art, dass wir jetzt zu poppig seien, dass da ja richtig gesungen werde, und so weiter. Dazu kann ich nur sagen, dass das Label damit überhaupt nichts zu tun hat, die Scheibe hätte sich auch auf jedem anderen Label so angehört. Für mich ist das Album ganz klar unser bisher politischstes, das mit den deutlichsten und klarsten Aussagen zu gesellschaftlichen Themen. Seine Metaphorik ist ganz unmissverständlich.
Roby: Eine Freundin drückte es so aus: wir seien heute viel verständlicher als früher, sie würde jetzt auch mal mitbekommen, was wir wollen und machen, während das früher in einer Wand aus Lärm unterging. Ja, stimmt: auf diese Weise kann man Wut und Unzufriedenheit gut zum Ausdruck bringen, aber konkrete, ausgearbeitete Ideen nicht.

Mit "Shrink to fit" habt ihr einen richtigen Hit auf dem Album, der schon beim ersten Hören hängenbleibt.

Roby: Dave, Al und ich haben den Song zusammen geschrieben, und es geht darin um Kleidung, um Leute, die nicht in die Kleidung passen, in der sie stecken - Girlieshirts, Hotpants und so weiter. Die Konsequenz? Reiss dir die Kleider vom Leibe und näh dir selber welche, die passen. Die Kritik richtet sich gegen die Schönheitsideale vom perfekten Körper.
Al: Es ist doch eine seltsame Vorstellung, dass Menschen eigentlich schrumpfen müssten, um überhaupt in die für sie produzierte Kleidung zu passen - und was das für Konsequenzen hat, etwa Magersucht bei jungen Frauen. Oder etwas weniger konkret, dass mensch seine Persönlichkeit "schrumpfen" muss, um in die Schublade zu passen, die ihm die Gesellschaft zuweist.
Dave: Für mich sagt dieser Song auch etwas aus über den Einfluss der Massenmedien auf die Leute - und niemand kann sich dem komplett entziehen, auch wenn man sich des Einflusses bewusst ist, ganz gleich ob´s da nun um Mode oder ganz aktuell um Politik geht.
Al: In den USA gibt´s derzeit einen Gegentrend zum Markenfetischismus in Sachen Kleidung und mehr und mehr Leute fangen an, sich entweder selbst etwas zu schneidern oder eben Second Hand zu kaufen. Dazu kommt, dass Kleidung heute oft unter menschenunwürdigen Bedingungen in der sogenannten Dritten Welt hergestellt wird und jeder, der diese Sachen kauft, auch diese Bedingungen unterstützt. Kleidung ist ein Lebensbereich, in dem jeder sehr leicht sein Verhalten ändern kann.

Was macht ihr denn, wenn ihr nicht auf Tour seid?

Al: Ich arbeite in einem alternativen Buchladen in Chicago, das lässt sich ganz gut mit der Band unter einen Hut bringen.
Roby: Ich arbeite in einem Plattenladen, um Geld zu verdienen und so zum Spass mache ich noch bei einem Puppentheater mit und bin in verschiedener Weise künstlerisch tätig - ich nähe, ich male...
Noah: Ich arbeite beim Theater.
Dave: Und ich arbeite als Grafikdesigner und mache ausserdem noch das Mediareader-Fanzine.

Danke.

Foto: Achim Friedrich

Diskographie:
"s/t" (7", Clocked Out, 1998) • "Non Plus Ultra" (LP/CD, Paralogy, 1998) • "Future Isms" (LP/CD, Point The Blame, 1998) • "Red" (7", 208, 2000) • "Sex Jams" (7", Bloodlink, 1999) • "Changing Caring Humans" (CD, Stickfigure, 2000) • "Frigid Forms Sell" (LP/CD, Lovitt, 2000) • "Anaestethic" (LP/CD, Jade Tree, 2001)