DIKLOUD

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Auf Tour im „Wilden Osten“

Touren in Japan, China oder durch den Oberharz kann fast jeder, durch ein geschundenes Land wie die Ukraine dagegen nicht. DIKLOUD aus Dresden/Berlin haben dort getourt, wo andere nur von Krieg und Unruhen berichten. Wer noch nie etwas von DIKLOUD gehört haben sollte, der konsultiere Bandcamp oder stelle sich eine Kreuzung aus BLUMEN AM ARSCH DER HÖLLE und 3000¥ mit einer gehörigen Portion Hardcore im Hintern vor. Wir befragten Daniel Wilson, seines Zeichens Bassist der Band, zu seinen Tourerlebnissen.

Daniel, ihr habt kürzlich eine Ukrainetour absolviert. Nicht die erste, wenn ich das richtig im Kopf habe, oder?

Ja, beides stimmt. Leo hat mit seiner alten Band TOTAL KONFUS dort getourt und sich schnell ins das Land verliebt. Ich glaube, jeder, der mal dort war, kann das verstehen, jedenfalls ist das auch bei Stefan und mir so gewesen. Es gibt dort ein Atmen der Landschaft; die Menschen, die wir dort kennen gelernt haben, strahlen eine ungeheure Lust aufs Leben aus. Es hat was vom „Wilden Osten“, dort kann unterwegs alles passieren. Im Hinblick auf die dortigen Geschehnisse der letzten Jahre haben wir es für extrem wichtig gehalten, uns nicht von einer Tour abschrecken zu lassen und uns unmittelbar vor Ort unser eigenes Bild und die Auswirkungen auf die dortige Musikszene zu machen.

Wie kommt man in den Genuss, dort zu touren?

Das lief über Kontakte, die noch von TOTAL KONFUS existierten. Ich glaube tatsächlich, dass man einfach dorthin fliegen kann. Wenn man dort als Band ein oder zwei Freunde hat, lernt man schnell weitere Leute kennen, und es wird ein Konzert organisiert, es gibt dort noch echte Begeisterung. In Kiew ist es wahrscheinlich etwas schwieriger, aber in mehreren Städten, in denen wir spielten, haben wir nach dem Gig Leute, die wir dort getroffen haben, wegen einer Unterkunft gefragt. Wir sind dann mit ihnen dorthin gefahren und dann endete der Abend mit einer krassen Party. Alle Bands, mit denen wir gespielt haben, sind hungrig, so dass immer etwas zustande kommt. Vergleicht man das mit hier, muss man sagen, dass die Szene dort ohne die Eigeninitiative der Bands unmittelbar schlechter aussehen würde. Sie hängen sich wirklich in die Sache rein, wovor ich großen Respekt habe. Hier merkt man, dass Bands selber immer weniger zu einer Konzertorganisation beitragen, was einerseits auch positiv, an anderer Stelle negativ ist und komplexe Ursachen hat.

Dann lebt dort noch der pure D.I.Y.-Gedanken, ganz ohne örtliche Booker und Veranstalter?

Das nun leider auch wieder nicht. Die Leute, die Shows organisieren, kommunizieren mit Bookern oder Ladeninhabern, nur dadurch kommt man oft überhaupt in eine Location rein. Ob ein Inhaber cool ist oder was einen erwartet, sobald du ankommst, ist unterschiedlich. Manchmal gibt es einen Tontechniker, dann wieder nicht. Es kann sogar sein, dass es einen gibt, der dann aber kurz verschwindet und stockbesoffen wiederkommt. In Kiew spielten fünf Bands, und alles dauerte ewig. Gegen Ende wollten sie nicht mehr, dass wir auftreten, weil kurz darauf die letzte U-Bahn fuhr und der Mixer mit seinem Mischpult die noch erwischen wollte. Wir haben ihn dann mit Taxigeld bestochen, so dass wir spielen konnten. Wir sind unter anderem in einer Blues-Bar aufgetreten, mal in einer Dorfgaststätte, in einem Rockerclub in Uschgorod, in einem schicken Restaurant oder wie in Odessa in einer Tanzschule, mit einem Haufen Emo-Violence-Kids und Spiegeln an den Wänden.

Klingt nach einer ziemlich inhomogenen Szene.

Ja, kurz zusammengefasst ist es inhomogen und daher nicht so einfach zu erklären. Wir hatten mal mehr Publikum, mal weniger. In Kiew waren etwa vierzig bis fünfzig Leute und in Odessa waren es an die hundert. Ich hatte den Eindruck, dass es in manchen Regionen immer noch eine große Abneigung gibt, überhaupt auszugehen, weil sich in den letzten Jahren so viel ereignet und geändert hat. Aber wir haben von diesem riesigen Land auch nur einen kleinen Teil gesehen und die Eindrücke waren höchst unterschiedlich.

Und was hat euch der Spaß unter dem Strich gekostet?

Wir haben diesmal ein bisschen draufgezahlt, aber es gab einige Gründe dafür. Unter anderem ist die Inflation in der Ukraine durch die Decke geschossen. Vor zwei Jahren war der Wechselkurs noch 1:10 oder 1:12, also ein Euro gleich zehn bis zwölf Griwna, inzwischen liegt er aber bei 1:30. Wir wollten das nicht auf den Eintritt umrechnen, damit die Menschen weiterhin die Chance hatten zu kommen.

Gab es Dinge, die einem sonst so eher nicht passieren würden?

Ja, bei einem Gig wurde ein Handy gestohlen. Es stellte sich später raus, dass unser Gastgeber wusste, wer es mitgenommen hatte, und meinte, dass er versuchen würde, es für uns wieder zu bekommen. Wir mussten allerdings früh am nächsten Tag losfahren, so dass die Rückgabe etwas Organisation benötigte. Mitte Oktober kam das Handy aus der Ukraine mittels einem Überbringer und freundlichen Grüßen in Dresden an und ist wieder beim Besitzer. Für mich war es auch erstaunlich, dass wir am Merch mehrmals auf Deutsch von ukrainischen Konzertbesuchern angesprochen wurden. Also, sie lernen Deutsch, warum auch immer, sie erfahren, dass zwei Punk-Kapellen – wir waren mit PAAN unterwegs – aus Deutschland durchfahren, woher auch immer, und entscheiden sich dafür, dass sie vorbeikommen, um Kontakt aufzunehmen. Es ist bemerkenswert, weil es eine Kette von ganz bewussten Entscheidungen war und die Leute nicht zufällig aufgetaucht sind.

Wo bewegen sich ukrainische Bands musikalisch, ist das eigenständig oder eher am Sound ausländischer Bands orientiert?

Leider kann ich das nicht so einfach beantworten. Zum einen waren wir als Dreierpack unterwegs, DOPING, PAAN, DIKLOUD, und oft gab es dann keine anderen Bands an dem Abend. Zum anderen gilt für die Situation in der Ukraine: es ist ein Mischmasch aus allem Möglichen. Verallgemeinert ausgedrückt, in größeren Städten, die eine internationale Prägung haben, merkt man, dass die Einflüsse und Genres moderner sind, und dass sie teilweise dieselben Bands hören wie wir, oder zumindest Bands, von denen wir mal gehört haben. In Odessa haben wir beispielsweise mit zwei Emo-Violence-Bands gespielt, MINROUD und YOTSUYA KAIDAN. In Iwano-Frankiwsk spielten wir mit unseren Freunden FIFTY FIFTY und einer Dark-Wave-Punkband aus Kiew. Für mich gibt es in der Ukraine einen Neunziger-MTV-Sound und auf der anderen Seite einen modernen Sound, bei dem man merkt, dass manche aktuellen Bands angekommen sind.

Wie waren die Reaktionen unmittelbar auf den Konzerten, was geht dort bei und nach einer Show ab?

Wie die Shows waren? Vorher, nachher: Eine Telenovela der Punk-Szene. Während der Auftritte gab’s eine Katharsis. Die Zuschauer tanzten und ließen sich treiben. Deswegen ist es auch so spannend, dort zu spielen, um zurück zum Thema „Die Lust aufs Leben“ zu kommen. Obwohl DOPING, PAAN und wir zusammen ein breites Spektrum der Punkgenres abstecken, habe ich es niemals erlebt, dass jemand in der Ecke saß, eine Fresse zog und sagte, dass es „nicht seins“ wäre. Nach dem Konzert war es immer eine Mischung aus Saufen, Fotos machen, Konversation, natürlich auch Zeug zusammenpacken und ins Auto schmeißen. Generell wurden wir alle irgendwann nach einem Konzert angesprochen. Ich glaube, dass viele hier einen falschen Eindruck vom Bandleben haben. In Deutschland ist es nicht so üblich, dass man Kontakt mit den Bands sucht. Wenn, dann kurz, vielleicht am Merchstand. In der Ukraine sind wir fast jeden Abend von jemanden auf Getränke eingeladen worden und haben mit den Leuten so lange geplaudert, bis wir weiter mussten.

Wie sieht das nächste Abenteuer aus?

Keine Ahnung, wohin es als Nächstes gehen wird. Deutschsprachige Bands haben ein eingeschränkteres Publikum. Wir sind in Kontakt mit JARS aus Russland. Russland, Weißrussland und Osteuropa sind im Gespräch. Ich selbst komme aus den USA und wünsche mir schon länger, mal dort zu touren. Ansonsten finden wir es besonders spannend, irgendwo hinzufahren, wo selten getourt wird, in Länder, die Konzerte nur von Live-Übertragungen aus dem Fernsehen kennen, wo sie aber kaum je ein Live-Konzert von einer ausländischen Band erleben können. Die Politik und Menschen hinter einer solchen Szene finde ich interessant.