GREG GRAFFIN

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Zurück zu den Wurzeln

Greg Graffin nimmt uns mit seinem dritten Solo-Album an die Hand und schleppt uns in einen Saloon irgendwo in Wisconsin. In den zehn neuen Songs beschäftigt sich der promovierte Evolutionsbiologe mit seinen musikalischen Wurzeln: Country, Folk und Musik aus seiner Kindheit. Dementsprechend die Instrumentierung: Banjo, Steel-Guitar, Klavier und Geige. Gespielt von Musikern von SOCIAL DISTORTION. „Millport“ ist wohl das erste Album, dass auch Gregs Oma gut gefallen hätte. Als Inspiration nennt er unter anderem den A-Capella-Gesang in einer kleinen Kapelle in Indiana bei ihrer Beerdigung. Ein sehr persönliches Stück Musik, wie der BAD RELIGION-Sänger im Interview erklärt.

Greg, Solo-Alben machen gerade viele Punkrocker wie Chuck Ragan oder Joey Cape. Für mich klingt dein neues Solo-Album aber nicht wie ein Solo-Album, sondern wie die Interpretation deiner Songs von einer anderen Band. Wie siehst du das?

Es ist schon mein drittes Solo-Album und es ist wieder eine Akustik-Rock-Platte geworden. Das hat inzwischen Tradition bei mir. Diese Songs sind von alten amerikanischen Folk-Songs inspiriert. Chuck Ragan ist ein großartiger Songwriter, der einen sehr direkten akustischen Zugang zu seiner Musik wählt. Ich habe mich eher für einen Sound mit einer kompletten Band entschieden. Wir haben alle Elemente des Songwritings in unsere Produktion integriert. Für mich ist es großer Spaß, nebenbei so ein Seitenprojekt zu betreiben. Es reflektiert Musik, die ich seit vielen Jahren liebe, diesen amerikanischen Roots-Rock.

Bei deinem letzten Solo-Album „Cold As The Clay“ waren drei Jungs von THE WEAKERTHANS in deiner Backing-Band. Warum hast du dich jetzt für eine andere Besetzung entschieden?

Teil dieser Entscheidung war sicher Brett Gurewitz. Er hat das Album produziert. Er meinte, es wäre eine gute Idee, die Jungs von SOCIAL DISTORTION zu fragen. Denn sie und BAD RELIGION kennen sich schon ewig. Wir sind damals vom gleichen Ort aus gestartet. Vor 36 Jahren standen wir auf der gleichen Bühne in einem verlassenen Lagerhaus in Santa Ana in Kalifornien. Ein Schuppen, der zu einem Punkrock-Club umfunktioniert worden war. Das war damals mein erster Gig als Sänger von BAD RELIGION. Deshalb hielten wir es beide für eine gute Idee, Jonny, Brent und David zu fragen. Die beiden Songwriter von BAD RELIGION und die komplette Rhythmus-Gruppe von SOCIAL DISTORTION, zwei der einflussreichsten Punkbands aus Los Angeles. Eine gute Entscheidung, und zwar nicht nur wegen der gemeinsamen Geschichte. Wir wurden beide von ähnlichem Songwriting inspiriert, nämlich dieser alten amerikanischen Roots-Musik. Dieser Sound ist in der Musik von SOCIAL DISTORTION und BAD RELIGION aufgegangen.

Zwischen deinen drei Solo-Alben liegen jeweils gut zehn Jahre Abstand. Im Vergleich zum Vorgänger „Cold As The Clay“ hat sich der Sound deutlich verändert. Damals hast du viel mehr mit Akustikgitarre gearbeitet, jetzt mehr mit Instrumenten wie Banjo, Klavier oder Geigen. Woran liegt das?

Wir nennen das Old-Time Music, andere nennen es Hillbilly. Das Musik, die es vor Country gab und die viele Country-Musiker inspiriert hat. Auf „Cold As The Clay“ findest du eine Menge dieser Old-Time-Music-Songs. Nur vier oder fünf Songs auf dieser Platte habe ich selbst geschrieben, der Rest sind solche Traditionals. Auf „Millport“ habe ich alle Songs selbst geschrieben, bis auf einen, nämlich „Lincoln’s Funeral Train“. Der wurde von einem dieser Old-Time-Musiker geschrieben und wir haben ihn einfach mit elektrischer Gitarre aufgenommen. „Millport“ ist also ein viel persönlicheres Album geworden, „Cold As The Clay“ beinhaltet mehr Songs aus der amerikanischen Kulturgeschichte.

Welche Rolle spielt Brett Gurewitz für deine Solo-Alben? Das ist ja eigentlich dein ganz persönliches Ding ...

Brett ist schon seit über 35 Jahren mein kreativer Partner, was das Songwriting betrifft. Er ist einer meiner größten Vertrauten, wenn es um Musik geht. Ich denke, wir haben eine ganz besondere Beziehung, und das auch schon für eine ziemlich lange Zeit. Es macht mir außerdem eine Menge Spaß, mit ihm zusammen dieses Projekt durchzuziehen. Für mich war das ungefähr so aufregend wie die Aufnahme vom BAD RELIGION-Album „Suffer“. Alles hat irgendwie automatisch zu diesen Songs geführt, ganz natürlich. Und zwar in kürzester Zeit. Es war wirklich wie damals. Songs schreiben, die mir etwas bedeuten, und sie dann auf eine ganz ehrliche Art und Weise abliefern. Und das Brett bei dieser Sache dabei ist, war mir natürlich ganz wichtig.

Planst du, mit diesen Songs auch auf Tour zu gehen?

Ja, tatsächlich spiele ich hier in den Staaten einige Shows. Der Trip startet in New York und endet in Los Angeles. Ich spiele außerdem in Chicago und Toronto. Und hoffentlich kann ich auch ein paar Konzerte in Europa spielen.

Wenn ich mir diese Shows vorstelle, muss ich zwangsläufig an die Performance aus dem Film „Blues Brothers“ denken, als sie in diesem Hillbilly-Country-Schuppen Bob’s Country Bunker den Song „Rawhide“ spielen. Hinter einem Hühnergitter, damit sie nicht von Flaschen getroffen werden.

Haha! Ich erinnere mich an diesen Film. Es gibt hier einige Clubs, die dafür geeignet wären. Aber ernsthaft: alle Songs für BAD RELIGION wurden auf der Akustikgitarre oder am Klavier geschrieben. Und die werden dann auf 300 bpm beschleunigt und mit verzerrter Gitarre gespielt.

Wie wichtig waren deine Kindheitserinnerungen beim Entstehungsprozess von „Millport“?

Erinnerungen sind genauso wichtig wie aktuelle Ereignisse. Ich habe versucht, Songs mit zeitlosen Metaphern zu schreiben. Dinge, die wir aktuell in unserer Welt sehen und fühlen können. In Deutschland ist es zum Beispiel nicht so ungewöhnlich, ein Gebäude in einem kleinen Dorf zu finden, das seit dem Mittelalter steht. Hier in den Staaten gibt es so eine lange Geschichte gar nicht. Wir haben zwar überall Dörfer und Städte, in denen es Häuser gibt wie das auf dem Albumcover. Das Haus stammt aus dem Jahr 1830. Für uns ist das schon alt. Und es ist eine Erinnerung an eine Art zu leben, und das ist wichtig für unsere heutige Art zu leben. Darüber habe ich versucht zu schreiben.

Wofür steht „Millport“?

Millport ist ein gängiger Name von kleinen Ortschaften, die vor vielen Jahren gegründet wurden, als das Land noch sehr jung war. Und viele dieser Dörfer wurden um eine zentrale Mühle herum gebaut. Wie in Europa wurden die meisten Orte auch bei uns an Wasserstraßen gegründet. Und diese Flüsse waren nicht nur wichtig für den Transport, sie wurden auch als Energiequelle genutzt, um die Mühle anzutreiben. Das ist der Ursprung dieser Ortschaften, die es heute immer noch gibt. Fast jede Stadt hatte anfangs eine Mühle, deshalb gibt es unzählige Ortschaften mit dem Namen Millport. Und bei mir zu Hause im Staat New York gibt es eben auch eine.

Wie reagieren BAD RELIGION-Fans auf deine Solo-Alben?

Ich denke, es gibt unterschiedliche Typen von Punkrock-Fans. Es gibt welche, die Melodien, Harmonien und Gesang mögen. Sie schätzen gutes Songwriting. Und diese Leute reagieren sehr positiv auf meine Musik. Sie lieben es, neue Songs und neue Ideen zu hören. Aber natürlich gibt es auch Punkrocker, die vor allem auf den aggressiven Sound und das schnelle Tempo abfahren. Und wenn es das ist, was sie wollen, sollten sie sich lieber die Songs von BAD RELIGION anhören. Denn sie werden diesen Sound nicht auf „Millport“ finden.

Mir gefällt vor allem der Song „Lincoln’s funeral train“, der klingt fast wie ein langsames BAD RELIGION-Stück.

Ganz offensichtlich bist du Fan von verzerrten Gitarren. Das ist der einzige Song auf dem Album mit verzerrten Gitarren. Den haben wir im Stil von Neil Young und CRAZY HORSE produziert. Mir gefällt aber auch der Track „Shotgun“, der schon sehr nach Old-Time Music klingt. Das wäre auch ein Kandidat für verzerrte Gitarren gewesen, aber wir wollten ihn lieber akustisch lassen.

Derzeit ist es unmöglich, sich mit einem Amerikaner zu unterhalten, ohne über Donald Trump zu reden. Das Internet ist voll von Witzen über den neuen amerikanischen Präsidenten. Jeder macht sich lustig über den Mann. Ich finde es langsam nicht mehr so amüsant. Ich habe inzwischen eher ein bisschen Angst vor dem Mann und seiner Macht.

Zuallererst muss ich sagen, ich habe ihn nicht gewählt. In meinen Augen ist das alles ein Witz. Es ist ein bisschen unglücklich, aber es sagt weniger über Donald Trump aus als darüber, wie viel Zeit die Menschen aktuell in sozialen Netzwerken verbringen und Reality-TV schauen. Es sagt viel aus über die Qualität des politischen Lebens in Amerika. Es gibt in diesem Land immer noch eine große Mehrheit von Menschen, die sich um andere Menschen bemühen und sich gegenseitig helfen. Selbst wenn es fast die Hälfte ist, ist es eine Minderheit, die so ein sorgloses Leben führen, dass sie einen Reality-TV-Star wählen. Möglich gemacht durch unser Wahlsystem. Der Fakt, dass Trump Präsident wurde, drückt klar und deutlich aus, dass wir den Akt des Wählens nicht ernstnehmen. Und hoffentlich ist das so ein heftiges Warnsignal, dass es nicht noch einmal passieren wird. Der einzige Grund, Angst zu haben, ist in meinen Augen die Intoleranz und die Ignoranz der Leute, denn die existiert, egal ob Donald Trump Präsident ist oder nicht.

Und was denkst du als Wissenschaftler über den Begriff „alternative Fakten“?

Du musst kein Wissenschaftler sein, um zu wissen, dass es so etwas nicht gibt. Es gibt entweder Fakten oder Unwahrheiten. Alternative Fakten existieren also nicht.

Wie sehen die aktuellen Pläne mit BAD RELIGION aus?

Wir kommen noch dieses Jahr nach Deutschland, im Juli 2017. Wir spielen eine ganze Reihe von Konzerten. Gerade sind wir dabei, ein neues Album vorzubereiten, und stecken gerade mitten im Songwriting. Aber um ehrlich zu sein, das ist eine sehr zeitraubende Angelegenheit, weil „True North“ so ein gutes Album ist. Ich möchte kein Album nachschieben, das nicht annähernd so gut ist. Ich kann nur sagen, BAD RELIGION werden wieder ein großartiges Album machen, aber wann es herauskommen wird, kann ich nicht sagen.

Es ist das erste Album mit zwei neuen Jungs in der Band: Gitarrist Mike Dimkich und Schlagzeuger Jamie Miller.

Die beiden sind längst integriert, sie haben sich schon auf Tour bewährt. Und das Songwriting teile ich mir wie gewöhnlich mit Brett. Da hat sich also nichts geändert.

Und du arbeitest gerade an einem neuen Buch, oder?

Ja das stimmt, ich arbeite an einem neuen Buch. Wir sind kurz davor, den Inhalt zu präsentieren. Wenn du mich in sechs Monaten noch einmal fragst, kann ich dir viel mehr erzählen. Ich kann aber so viel sagen: Es ist diesmal eine erfundene Geschichte. So viele Leute haben mich als Wissenschaftler gefragt: Wie werden genetisch veränderte Organismen in der Zukunft aussehen? Und statt diese Fragen heute zu beantworten, habe ich mich entschieden, die Antwort in eine spekulative, ausgedachte Geschichte zu verpacken.