LITTLE ROCKET RECORDS

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Zu Hause angekommen

In Zeiten, da viele Bands nicht müde werden zu betonen, man brauche ja gar kein Label mehr, ein solches zu gründen, erfordert Mut und eine gewisse Portion Starsinn. Graeme Philliskirk von Little Rocket Records hat beides. Er spielte auf dem letzten LEATHERFACE-Album „The Stormy Petrel“ und ist unter anderem auch auf dem MEDICTATION-Album zu hören.

Was war deine Motivation, ein eigenes Label zu gründen?

Während der ersten Gespräche über das Schreiben und Aufnehmen des MEDICTATION-Albums, wollte die Band, dass ich die Platte herausbringe, da ich während meiner Zeit bei LEATHERFACE bereits das Label Big Ugly Fish hatte. Dickie Hammond, der auch bei LEATHERFACE war und inzwischen leider verstorben ist, und Hugo Mudie, von THE SAINTE CATHERINES, schlugen vor, es bei Little Rocket zu veröffentlichen, ein Label, das ich mir für Bandcamp eingerichtet hatte, wo Bands zu finden sind, in denen ich mal gespielt habe. Der Grund war, dass mich oft Leute kontaktierten und wissen wollten, wo sie die jeweiligen Originalscheiben herbekommen könnten. Darunter waren Sachen wie RAN, RUGRAT/BULLTACO mit Andrew Laing, ebenfalls LEATHERFACE, und Ian Armstrong von SOFAHEAD. Wir hatten 7“s auf Rugger Bugger, dem Label von Sean Forbes, der frühere Frontmann von WAT TYLER, herausgebracht und eine „John Peel Session“ aufgenommen. Mir wäre eine Auszeit von der ganzen Arbeit, die ein Label so mit sich bringt, ja eigentlich lieber gewesen, deshalb hielten wir zunächst nach einem anderen Label Ausschau. Mit Paper and Plastick hätte es fast geklappt, dann gab es allerdings Probleme mit dem Zeitplan bei ihrem Presswerk. Daher entschied ich mich, das Vinyl doch selbst auf Little Rocket herauszubringen. Schließlich hatte ich Dickie Hammond vor seinem Tod versprochen, dafür zu sorgen, dass das Album definitiv veröffentlicht wird. Bei Paper and Plastick ist dann die CD erschienen.

Was hat es mit dem Namen Little Rocket auf sich?

Ich schätze mal, einige Leute in der Musik-Szene werden den Namen Chris Schaeffer schon einmal gehört haben, oder zumindest seinen bekannteren Spitznamen Big Rock. Er war der Tourmanager von LEATHERFACE und ADOLESCENTS und hat quasi nur für die Musik, auf Tour sein und den Punkrock gelebt. Er war ein großartiger Mensch, ein Freund und jemand, dem wir tagtäglich unser Leben anvertrauten, wenn er am Lenkrad saß. Er war Amerikaner, aber lebte in Prag. Früher war er ein sehr massiger Typ, hat aber irgendwann sehr stark abgenommen. Da dann quasi nur noch die Hälfte seines früheren Ichs vorhanden war, nannte ich ihn von da an Little Rocket. Chris ist leider gestorben, als er von einer Tour zurückkam. Grund dafür war eine durch einen defekten Boiler verursachte Kohlenmonoxid-Vergiftung. Genau wie bei Dickie ist das bis heute ein großer Verlust für uns alle gewesen. Daher fand ich, es wäre eine passende Art, sich an ihn zu erinnern, und benannte das Label nach ihm: Little Rocket Records.

Du machst das Ganze nicht alleine, wer sind deine „partners in crime“?

In Kanada hat mir John Di Marco von Rubber Factory Records geholfen, die Veröffentlichungen unter die Leute zu bringen. Er hat bereits in der Vergangenheit an zahlreichen LEATHERFACE-Projekten mitgearbeitet. Melanie Kaye, ebenfalls aus Toronto, steht zu 100% hinter mir. Sie arbeitet mit vielen Leuten zusammen, unter anderem Fat Wreck. Außerdem arbeite ich mit ihr beim Pouzza Festival in Montreal, wo ich als Kurator tätig bin. Und nicht zu vergessen Paul le Hat, der schon seit Jahren an etlichen Projekten wie Big Ugly Fish Recordings beteiligt ist.

Wie verrückt muss man im Jahr 2016 sein, um ein Label zu gründen? Es gibt doch haufenweise andere, weniger arbeitsintensive Möglichkeiten, sein Geld loszuwerden ...

Hahaha, ja, es ist ziemlich verrückt. Ich sehe es als eine Fortsetzung meiner Liebe für die Punk-Szene, die Musik und die Menschen, na ja, zumindest für diejenigen, die authentisch sind. Es gibt nichts Besseres, als Musik zu schreiben, zu spielen und aufzunehmen, aber es ist auch schön, anderen Bands und Künstlern zu helfen und sie zu unterstützen.

Downloads, Streaming, CD, Vinyl – was ist deine Maxime?

Vinyl steht immer an erster Stelle! Das hat etwas damit zu tun, ein Produkt des kreativen Prozesses in Händen zu halten, etwas, das man lesen kann – besonders jetzt, da ich eine Brille tragen muss, haha –, etwas Greifbares, das man anfassen und behalten kann. Du würdest dich wundern, was alles zu so einer Produktion dazugehört; es ist, im Gegensatz zu vielen anderen Dingen heutzutage, kein Teil unserer Wegwerfgesellschaft. Andererseits steht die Zeit niemals still, Technologie entwickelt sich weiter und man kann letztlich nicht alles einfach ignorieren. Obwohl ich Spotify verabscheue, ist es ja da und die Leute nutzen es. Vielen Bands ist es wichtig, alle Plattformen abzudecken, daher muss man wohl oder übel mit Spotify und Co. arbeiten.

Wie lief das erste Jahr, was waren die wichtigsten Releases und was erwartest du für 2017?

Es war eine emotionale Achterbahnfahrt. Besonders emotional ist viel um mich herum passiert, ich habe enge Freunde verloren. Meine wichtigste Veröffentlichung ist daher sicher „Warm Places“ von MEDICTATION. Es spiegelt den beschwerlichen Aufstieg nach oben wider, mit allem, was einem dabei in den Weg gestellt wird. Aber letztlich kommt man doch oben an, man erfährt, wer ein echter Freund und auf welche Menschen man sich in seinem Leben verlassen kann. Es kommt mir vor, als würde sich damit ein Kreis schließen. Ich bin jetzt wieder zu Hause angekommen ...