REAL MCKENZIES

Foto

Rebellenmusik

Sie sind eine Institution des Folkpunk – und haben unzählige Besetzungswechsel hinter sich. Man kann auch sagen: Frontmann Paul McKenzie und die Songs sind die einzigen Konstanten im Dasein dieser unverwüstlichen Band aus dem kanadischen Vancouver mit den schottischen Wurzeln ihres Namensgebers. Warum er immer wieder Kollegen aus Proberaum und Studio hinauskomplimentiert, wie man sich gegen verrückte Erlebnisse auf Tour wappnet und was es mit den Teufeln auf sich hat, das erklärt Paul im Gespräch über das neue Album „Two Devils Will Talk“.

Paul, in einem Vorabtext eurer Plattenfirma zum neuen Album werden die REAL McKENZIES als „nationales Kulturgut“ bezeichnet. Fühlst du dich so?

Haha, nein. Wir sind eher die hart arbeitenden Typen. Wenn wir nach einer Tour nach Hause kommen, ist da keine Begrüßungsparade. Da jubelt uns keiner zu und trägt uns auf den Schultern durch die Straßen. Dann gehen wir heim und schlafen aus – und gehen dann wieder arbeiten. Wir freuen uns einfach daran, dass unsere Fans zu unseren Shows kommen und feiern. Und wer weiß: Vielleicht bauen sie uns ja irgendwann sogar einmal ein Denkmal dafür, haha.

Warum ist „Two Devils Will Talk“ das beste REAL McKENZIES-Album aller Zeiten?

Ganz einfach: Ich habe eine Menge Leute rausgeworfen und im Gegenzug neue, tolle Bandkollegen dazugeholt. Diese neuen Musiker sind noch total aufgeregt und euphorisch. Und diese Emotionen haben wir ins Studio mitgenommen.

Das hört sich nach einem harten Einschnitt an ...

Ach, ich musste so handeln, denn die Gefeuerten hatten zuvor Schiss, von sich aus zu sagen: Ich gehe. Also nahm ich ihnen die Entscheidung ab – und sie können der Welt jetzt erzählen, sie wären gefeuert worden, und müssen nicht sagen, sie hätten die Flinte selber ins Korn geworfen.

Versteh mich bitte nicht falsch, aber du hast in der Vergangenheit meines Wissens nach häufiger mal Bandmitglieder aussortiert. Die Liste der Ehemaligen ist verdammt lang. Und das sieht dann schon ein wenig, nun ja, seltsam aus ...

Haha! Man muss das so sehen: Die REAL McKENZIES sind wie eine Drehtür. Es gehen Leute rein. Und es gehen Leute raus. Nur ich bleibe. Und die meisten, die gegangen sind, oder von mir gegangen wurden, sind nicht mehr dabei, weil sie ganz einfach mit dem Lebensstil, den diese Band ihren Mitgliedern abverlangt, nicht klarkamen. Es ist doch so: Solange du nur willst, kannst du da draußen alles erreichen. Du kannst alles schaffen und alles werden. Aber dazu brauchst du auf jeden Fall Disziplin. Ohne Disziplin schaffst du das nämlich nicht. Ohne Disziplin würde es die REAL MCKENZIES nicht seit 25 Jahren geben. Im schlimmsten Fall kannst du ohne Disziplin sogar umkommen. Auch das ist einigen alten Freunden von mir passiert. Ich selber habe mich beispielsweise immer ferngehalten von harten Drogen und Saufgelagen. Das Einzige, was ich wirklich gerne zu mir nehme, ist Bier. Das ist meine Droge, haha.

Ist es für dich also kein Problem, jemandem zu sagen: „Du bist raus!“?

Nein. Das war nur bei einigen wenigen von Dutzenden der Fall, die über die vielen Jahre hinweg Teil der Band waren. Es war der Fall bei denjenigen, die ich mitunter vor sich selbst schützen musste, weil sie Familie hatten und nicht für das Tourleben gemacht waren. Viele Musiker unterschätzen das Leben mit einer Band. Sie denken: „Kein Problem. Das kriege ich neben meinem Privatleben auch noch hin.“ Aber genau das schaffen sie eben nicht. Du musst viel aufgeben für so etwas. Das ist nicht für jeden so leicht umzusetzen.

Sprich: Du musst dein anderes, normales Leben dafür opfern beziehungsweise es ganz und gar der Band unterordnen.

Ja. Und du musst viele Enttäuschungen wegstecken. Denn es kann passieren, dass du nach Hause kommst von einer Tour – und plötzlich einen Fremden in deinem Bett findest! Alles schon passiert, haha.

Hast du Kinder?

Ja. Eins. Ein neunjähriges Mädchen.

Ist es schwer für dich, mit deiner Tochter und deiner Familie in Kontakt zu bleiben bei deinem exzessiven Tourleben?

Nein. Es gibt ja Skype. Kontakt ist also immer möglich. Das ist ja ganz anders als früher. Früher gab es keine Computer und es zählte das Motto: Was auf Tour passiert, bleibt auch da. Heute heißt es eher: Was fern von zu Hause passiert, landet sofort bei Facebook. Aber vielleicht macht das auch bessere Menschen aus uns, weil wir uns auch fernab von daheim nichts mehr erlauben können, haha.

In einem eurer neuen Songs singst du: „Wir werden niemals sterben!“ Das ist eine gewagte Aussage. Hast du keine Angst vor dem Tod?

Nein. Es gibt nämlich nichts zu fürchten außer die Furcht selbst. Aber dieser Song ist ja auch eher für all unsere verstorbenen Freunde. Er sagt aus, dass wir sie nie vergessen werden. Deshalb dieses „We will never die!“ Du musst wissen: Viele von denen, die ich aus den Siebziger Jahren kannte, sind eben schon weg. Und nicht wenige von ihnen sind nicht mehr da, weil sie eben – ich erwähnte es eben – zu schnell und wild gelebt haben. Wenn du zehn Jahre lang an jedem Tag so lebst, als seien es drei Tage, dann wirst du in diesen zehn Jahren eben nicht nur zehn, sondern dreißig Jahre älter.

In vielen deiner Songs geht es ums Reisen, vornehmlich auf dem Meer. Und nicht selten schilderst du dabei die Situation, kein Land mehr zu sehen. Wie oft hast du schon eine Situation der Art „Kein Land in Sicht“ erlebt?

Sehr oft. Und gerade erlebe ich sie wieder: Wenn ich an die kommende Tour denke, dann sehe ich nämlich noch so viele Dinge, die vorher erledigt werden müssen, und weiß nicht, wie ich das schaffen soll. Da ist tatsächlich gerade kein Land in Sicht. Oder nimm die aktuelle Lage bei unseren Nachbarn in den USA mit ihrem Präsidenten ... Da ist auch eher kein Land in Sicht, haha.

In „Seafarers“ heißt es, man könne nichts gegen die Wellen unternehmen, die einem im Leben entgegenschlagen. Man könne nur versuchen, ihnen irgendwie auszuweichen.

Genau. Da draußen laufen auch zig Raubtiere umher, denen du aus dem Weg gehen musst.

Kannst du uns – abgesehen von einem Dasein ohne harte Drogen – eine Taktik nennen, die sich diesbezüglich bewährt hat?

Ja. Wenn du auf der Straße einem Menschen begegnest, der einen aggressiven und verrückten Eindruck macht, dann wechsele sofort die Straßenseite und schaue ihm niemals in die Augen! Und wenn jemand in deiner Umgebung ausflippt, dann gieße kein Öl ins Feuer, sondern versuche, ihn zu beruhigen. Ich habe schon zahllose dieser Situationen erlebt. Leute trinken zu viel, haben Probleme, wissen nicht mehr weiter. Und wenn du dann bei ihnen den Abzug ziehst, dann riskierst du, dass du selber erschossen wirst. In Green Bay kam beispielsweise mal jemand auf mich zu und schrie mich an: „Schlag mir so fest ins Gesicht, wie du kannst!“ Das tat ich natürlich nicht. Darauf langte er unserem Bassisten eine und wollte eine Schlägerei mit ihm provozieren. Glücklicherweise ließ der sich, als sehr besonnener Mensch, ebenfalls nicht reizen. Wir sagten dann zu dem Typen, er solle doch bitte nach Hause gehen und sich beruhigen, worauf er drohte: „Gut, dann gehe ich nach Hause, töte meine Frau – und komme dann zurück, um euch alle umzubringen!“ Und das war uns dann zu hart. Wir hielten ihn mit beruhigenden Worten in Schach, riefen die Cops – und die nahmen ihn mit, ohne dass etwas passierte. Nicht auszudenken, was gewesen wäre, wenn ich oder unser Bassist nicht so ruhig reagiert hätten.

Beängstigend ...

Ja, aber die Sache mit dem Gürtel war auch krass: In Columbus wäre ich beinahe mal vor einem Club in eine Schlägerei geraten. Ich zog meinen Gürtel aus, schwang ihn über dem Kopf und verscheuchte die Typen, die mich anmachten, damit. Leider knallte der Gürtel dabei gegen eine Wand und die Gürtelschnalle ging kaputt. Darauf war irgendein Bild oder Markenlogo gewesen, das durch den Schlag abgefallen war. Im Hotel klebte ich mir dann als Ausgleich ein Porträt von Robert Burns, dem großartigen Dichter aus Schottland, auf die Schnalle. Und abends beim Konzert machte mich dann am Eingang des Clubs ein Besucher an: „Nun seht euch diesen arroganten Arsch an. Trägt einen Gürtel mit seinem eigenen Bild auf der Schnalle!“ Ich schaute ihn an, zog ihn zu mir und sagte: „Danke, mein Freund! Das war das größte Kompliment, das ich jemals bekommen habe. Mich mit Robert Burns zu verwechseln!“ Haha. Ich erklärte ihm, wer Robert Burns ist und gab ihm ein paar Leseempfehlungen mit auf den Weg. Es war ihm sofort peinlich und er entschuldigte sich zigmal. Und ich ließ ihn umsonst in den Club rein, haha.

Zurück zum Album. Es heißt „Two Devils Will Talk“ und auf dem Cover bist zu sehen mit zwei Teufeln auf deiner Schulter links und rechts, die dir etwas in Ohr flüstern. Was hat es damit auf sich?

Nun ja: Das bekannte Bild ist ja das, auf dem links ein Engel und rechts ein Teufel sitzen. Aber ich persönlich glaube nicht an Engel. Ich glaube nur an Teufel. Und zwar an gute und schlechte. Ich habe sogar viele Bücher darüber gelesen. Und es gibt eine Variante des Glaubens, in der die Teufel den Menschen nach dessen Tod abholen. Die Menschen sehen, weil sie noch am Leben hängen, aus wie Dämonen und werden von den Teufeln erst nach und nach ins Jenseits überführt. Sie tragen jede Schicht des Lebens vom Körper der Toten ab, bis das Dämonische ganz verschwunden ist. Und das macht sie zu guten Teufeln. Weil sie etwas Gutes tun.

Du scheinst so unverwüstlich zu sein wie der Folkpunk. Kannst du dir die Beliebtheit dieses Genres erklären?

Ganz einfach: Es geht bei Folkpunk nicht nur um die Musik, sondern auch – und vor allem – um die Kultur. Gerade deshalb ist ja der Punk auch so darauf angesprungen: Der keltischen Musik wohnt seit jeher ein Aufbegehren, der Wunsch nach Rebellion inne. Keltische Volksmusik ist ursprünglich nichts anderes als Rebellenmusik. Es gab Zeiten vor Jahrhunderten, in denen du ins Gefängnis kamst, wenn du irgendwo damit aufgetreten bist.

Gibt es selbst für einen Musikverrückten wie dich Situationen, in denen du einfach mal keine Lust mehr auf Musik und Band und Reisen hast? In denen du einfach müde bist?

Sicher. Das ist gerade nach einer Tour häufig der Fall. Die typische Situation ist dann, dass Kumpels auf mich zukommen und sagen: Hey! Paul ist wieder hier! Lass uns einen trinken gehen! Meine Antwort in diesen Fällen: Ruft mich in zwei Wochen an und fragt dann noch mal, haha.

Wie entspannst du am besten?

Meditation hilft sehr viel. Und eine Katze. Eine Katze, die bei dir auf dem Schoß sitzt und sich von dir kraulen lässt, während du ein Buch liest und eine Flasche Bier trinkst. Aber ganz ehrlich: Entspannung brauche ich derzeit nicht. Dazu passiert zu viel auf der Welt, das spannend und interessant ist. Schau dir an, was sich in den Siebziger und Achtziger Jahren ereignete, als wir Leute wie Ronald Reagan und Margret Thatcher hatten: Der Punk brach los! Die Leute begehrten auf. Das war wundervoll. Und ich bin gespannt, was in den kommenden Jahren passiert – etwa angesichts eines Präsidenten Donald Trump. Ich träume noch immer vom Aufbegehren der Menschen. Und von einer Welt nach der Revolution, die dann eben nicht mehr von Politikern und Konzernen regiert wird, sondern von Philosophen, Künstlern und Gelehrten.