NEUES GLAS AUS ALTEN SCHERBEN

Tausend Schritte beginnen mit dem Ersten – nach TON STEINE SCHERBEN (Teil 1)

Ich denke, dass jeder seine Geschichte hat, wie er oder sie zu den SCHERBEN gekommen ist. Bei mir war es mein Freund Uwe, aus dessen reichhaltiger Plattensammlung ich mir vor einigen Jahren eine ganze Menge ausleihen und aufnehmen durfte. Neben THE CLASH und EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN waren es TON STEINE SCHERBEN, die ich so kennen und lieben lernte. Als ich das erste Mal die optisch zunächst unscheinbare "Keine Macht für Niemand"-LP hörte, war ich wie geplättet: Diese Energie, diese Lieder! Hit auf Hit – und das Beste: Zum Schluß hin wird sie immer besser! Dabei wirkt sie keinen Moment angestaubt. Logo, man kann die frühen 70er raushören, aber die Songs sind an sich zeitlos. Auch wenn ich bis heute nicht alle Platten der SCHERBEN kenne, schon mit ihren frühen Alben, die zu einer Zeit entstanden, als anderenorts spätere Lederjacken- und Iroträger mit ihren Eltern noch Coronation Street schauten, nahmen sie vieles von dem vorweg, was später mal Punk heißen sollte.

Bis heute haben sie kaum etwas von ihrer Aktualität verloren. Nach ihrer Auflösung Mitte der Achtziger war es zunächst hauptsächlich noch Rio Reiser, der hochcharismatische Frontmann, der mit allen seinen musikalischen Äußerungen zwischen einem hingerotzten "Macht kaputt, was euch kaputt macht" und dem inbrünstig-zarten "Halt Dich an einer Liebe fest" jeden in seinen Bann schlug, der weiter in der Öffentlichkeit stand. Nach seinem Tod 1996 sind es nun – neben vielen Bands, die die SCHERBEN covern – vor allem NEUES GLAS AUS ALTEN SCHERBEN, u.a. mit der Scherbe Funky K. Götzner, die die Songs weiterspielen. Und was für Songs! In den rund 15 Jahren, in denen es TON STEINE SCHERBEN gab, spielten sie alles, vom frühen Agit-Rock, für den sie immer noch hauptsächlich bekannt sind, aber auch herzzerreißende Balladen, einfache Rocksongs bis hin zu stark experimentellen Einflüssen zur Zeit der "schwarzen" Platte "IV". Genauso abwechslungsreich wie ihre Musik war die Biographie der Band selber: Aus der studentischen, linken Protest-Bewegung Ende der 60er in Berlin hervorgegangen, später genau deswegen ins nordfriesische Fresenhagen wechselnd, um dort in einer Landkommune zu wohnen, haderten sie bis zum Schluß mit dem Siegel des Politischen, das ihnen anhaftete wie ihre immer weiter wachsenden Schulden, die schließlich für den Split Mitte der 80er mitverantwortlich waren. Die Geschichte der Band und ihrer Mitglieder ist so umfangreich und voller Anekdoten, dass eine Handvoll Seiten im Ox all das nur unzureichend fassen können. Da kann ich jedem nur die 2000 erschienene Band-Biographie "Keine Macht für Niemand", die u.a. SCHERBEN-Bassist Kai Sichtermann verfasste, ans Herz legen.

Jeder kennt die Namen, die automatisch fallen, wenn beschrieben wird, wie Punk entstand. Wohl auch, weil dann oft über England und die USA gesprochen wird, werden meistens nur die üblichen Verdächtigen genannt: MC5, STOOGES, etc. Doch wer weiss schon, dass die SCHERBEN zusammen mit den MC5 gespielt haben und für damalige Zeiten unheimlich Arsch getreten haben (man höre nur die erste LP "Warum geht es mir so dreckig?"). Oder dass sie als erste in D-Land ihr eigenes Label hatten ("David Volksmund"), das sich noch heute um ständige Verfügbarkeit ihrer Platten kümmert. Oder dass "König von Deutschland" eigentlich ein SCHERBEN-Song ist. Oder dass die heutige Grünen-Chefin Claudia Roth mal Managerin der SCHERBEN war.
All das – und auch der neulich erschienene Film "Der Traum ist aus" – waren Grund genug, mich mal mit Funky und Kai zu treffen und sie ein wenig zu den wichtigsten Themen zu befragen. Weil es so viel Interessantes zu fragen und zu sagen gab, wurde daraus ein zweiteiliges Interview, dessen zweiter Teil in der nächsten Ausgabe folgt.
So trafen wir uns also an einem lauen Septembertag in einem Berliner Café.

Wie kam es dazu, dass du das Buch geschrieben hast, bzw. warum gerade jetzt?

Kai: Es war so, dass der 30. Geburtstag der SCHERBEN anstand. Bis dahin wollten wir das ganz schnell fertig haben. Da sind wir zum Schluss ein wenig unter Druck geraten. Aber die Idee ist eigentlich einfach so entstanden. Es gab so viele Geschichten, die einfach nicht gestimmt haben, da wollten wir mal aufschreiben, wie das wirklich gewesen ist.

Die SCHERBEN haben sich über Jahre gehalten und inzwischen zur Kult-Band geworden. Das kann man wohl so festhalten.

Kai: Ja, offensichtlich. Ich mag den Begriff "Kult" im Zusammenhang mit den SCHERBEN zwar nicht, aber der wird von den Kids gebraucht und das muss man wohl akzeptieren. Jeder weiss, was damit gemeint ist...

Was bedeuten euch die SCHERBEN denn heute?

Kai: Ich finde, wir hatten schöne Lieder mit ´ner guten Qualität, die teilweise richtig zeitlos sind. Das ist, glaub ich, das Geheimnis der SCHERBEN und warum wir immer noch erfolgreich sind.
Funky: Mir ist das heute klarer, als damals, was schon komisch ist. Damals habe ich ganz naiv einfach drauf los gemacht, und wenn ich mir heute die Sachen anhöre und die Texte von Rio durchlese, dann hab´ ich einen viel grösseren Respekt davor und vor ihm als früher. Ich hab´ natürlich auch Texte geschrieben, wir haben da ja alle mitgemacht, aber letztendlich wird mir immer klarer, was das eigentlich für eine Quelle der Kreativität war. Und das sieht man besonders jetzt, wo es die SCHERBEN nicht mehr gibt viel stärker. So wie wir unsere Vorbilder hatten, werden wir in der jüngeren Generation zum Vorbild. Und deswegen ist die Bedeutung der Band für mich eigentlich noch gestiegen.

Wenn ich das richtig gelesen habe, dann waren die SCHERBEN die ersten, die Rockmusik mit politischen, deutschen Texten gemacht haben. Oder gab es davor schon jemanden, bzw. was waren eure Einflüsse?

Funky:
Es gab keine deutsche Band als direktes Vorbild, aber wir haben auch unsere Geschichte, aus der wir gewachsen sind, z.B. Elias Hoffmann und sein HOFFMANNS COMIC THEATER oder Carl Orff – das ist für mich auch eins der deutschen Vorbilder. Oder die COMEDIAN HARMONISTS und Hans Albers – so kriegen die SCHERBEN auch ihren historischen Stellenwert.
Kai: Kurt Weill, Hans Eissler...

Habt ihr denn heute immer noch Kontakt zur linken Szene bzw. versteht ihr euch als Teil der linken Szene?

Funky: Im Sommer habe ich mit NEUES GLAS AUS ALTEN SCHERBEN in Hamburg in der Markthalle gespielt gegen Abschiebung und für die neue Linke – Regenbogen, ein Hamburger Grünen-Splitter, die da neulich zur Wahl antraten. Dirk Seifert hat das alles arrangiert und so haben wir auch in Lüchow-Dannenberg gegen den Castor-Transport gespielt. Wir wollen auch bestimmte politische Bestrebungen unterstützen, ohne uns auf eine Sache oder eine Partei festlegen zu müssen, das wollen wir nicht. Aber man könnte sich jetzt z.B. für den Wahlkampf in Berlin überlegen, was da das Beste wäre, und man könnte dazu beitragen, dass sich die Stimmung in der Stadt verändert oder das politische Bild.

Könnt ihr euch heute noch vorstellen, für die Grünen zu spielen?

Funky: Ja, warum nicht? Claudia Roth war ja mal unsere Managerin...

Mein Gedanke dabei war, dass die Grünen jetzt Teil einer Regierung sind, die Soldaten in den Krieg schickt. Und ich hatte das Gefühl, dass wäre früher nicht unterstützenswürdig gewesen.

Funky: Das müsste man mal ausdiskutieren, wie das früher gewesen wäre. Die Grünen waren ja damals noch gar nicht in der Situation, geschichtlich solchen Einfluss zu haben. Da machte man seinen Kriegsdienstverweigerer und ging demonstrieren, und das war´s dann schon.
Kai: Wir haben ja früher auch für die SPD gespielt. Auf Veranstaltungen des SDAJ, der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend, oder von SPD Ortsvereinen. Und da war die SPD an der Regierung und alle haben auf Helmut Schmidt geschimpft! Man kann nicht so generell sagen, dass die jetzt plötzlich die Bösen sind.

Im Film wird ja angerissen, dass die SCHERBEN heute auch Vorbild für andere Bands sind...

Funky: Sie sind es ja auch. Und das aus verschiedenen Gründen, es gibt da ja viele verschiedene inhaltliche Ebenen, die in der SCHERBEN-Musik stattfinden, von politischen Sachen bis hin zu Liebesgeschichten – es ist ein sehr grosses Spektrum und da gibt es viel zu finden!

Darauf wollte ich auch hinaus. Ist es heute überhaupt noch möglich, dass eine Rockband diese politischen Inhalte transportieren kann und auch so in der breiten Masse angenommen wird? Damals waren ja die Inhalte untrennbar mit der Musik verbunden und ich denke, dass Rockmusik in diesem Sinne gar nicht mehr diesen rebellischen Stellenwert haben kann.

Funky: Hm, das ist schwer... JAN DELAY macht vielleicht sowas und vielleicht noch ein paar andere Rapper. Es hängt einfach mit der allgemeinen Bewegung zusammen und mit dem, was drumherum passiert, also dem Zeitgeist und ob für so was ein Potential da ist. Zu der Zeit der SCHERBEN gab es ja zum Beispiel in Amerika auch Demonstrationen gegen den Krieg – überall auf der Welt definierten sich die Generationen völlig neu, sowohl politisch als auch gefühlsmäßig – da wurden Normen gebrochen.
Kai: Bei einer aktuellen Bewegung wie Techno wurde nicht viel hinterfragt – da ging es ja nur um Abtanzen und Spaß haben. Deshalb finde ich bei den momentanen Globalisierungsgegnern interessant, dass es da wieder junge Leute gibt, die kritisch nachfragen. Da kann auch eine Gruppe wie die SCHERBEN wieder entstehen und politische Inhalte transportieren. Ganz bestimmt.
Funky: Wenn wieder eine Rezession kommt und viele Leute bzw. Jugendliche auf der Strasse stehen und die Probleme so anschwellen, wie wir das schon mal hatten, dann werden sich die Leute auch wieder auf die Beine machen und zusehen, dass was passiert. Bei uns war das insofern anders, weil wir damals einen geburtenstarken Jahrgang hatten – da waren doppelt, vielleicht dreimal so viele Leute auf der Strasse. Da ist dann ein ganz anderer Druck da.

Wie passt denn jetzt NEUES GLAS da rein? Versucht ihr den Geist der SCHERBEN weiterzutragen? Spielt ihr nur SCHERBEN-Songs oder auch andere?

Funky: Wir spielen SCHERBEN-Songs, die Songs von Rio und auch andere Sachen. Zuerst haben wir bei der Verleihung des Rio Reiser-Songpreises gespielt. Das hat riesigen Spass gemacht und jeder hatte für sich gedacht, dass es doch prima wäre, wenn man die alten Songs nochmal spielen könnte. Da gab es aber noch keinen Sänger, bzw. waren es vier Sänger auf der Bühne. Dann tauchte Michael Kiessling auf und Mischka (Tasten bei NEUES GLAS) hat ihn gefragt, ob er Lust darauf hätte, und so ging das mit ihm los. So gingen wir dann 1999 auf Tour, aber im kleinen Rahmen, ohne grosse Ankündigung und Zeitungsartikel. Das braucht man mit den SCHERBEN-Sachen auch nicht zu machen. Man muss versuchen, sie gut rüberzubringen, so dass man selber Spass dabei hat. Das ist das Wichtigste und kommt bei den Leuten gut an. Im Grunde genommen also ganz einfach. Jeder im Publikum weiss genauso wie wir, dass man Rio nicht ersetzen kann. Und die Zeit ist auch eine andere, das kann man nicht einfach wiederherstellen.

Als ich das Buch gelesen habe, wurde das indirekt angesprochen: Da gab es einen Vergleich mit THE WHO, als es um Reunions ging, und dass man bei einer Reunion nur sich selbst kopiert. So siehst du das also nicht...

Funky: Absolut nicht. Ab und zu höre ich schon ältere Live-Sachen von den SCHERBEN und vergleiche die natürlich. Mir als Musiker fällt auf, dass ich heute viele Sachen anders spiele – besser. Man kann ja auch nicht die Stimmung, den Geist, den man z.B. bei einem Demo einfängt, reproduzieren. Das war bei den SCHERBEN genauso. Und wenn ich heute auf die Bühne gehe, heisst es für mich, dass ich das gebe, was ich geben kann. Und wenn ich schlecht drauf bin, geb´ ich immer noch mein Bestes. Der Moment auf der Bühne zählt.

So, das war der erste Teil des Interviews mit Kai und Funky. Weiter geht es in der nächsten Ausgabe, in der es dann darum geht, ob die SCHERBEN von Punkseite angemessen gewürdigt worden sind, um Fresenhagen und noch einiges mehr!