AT THE DRIVE-IN

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Briefe aus der Dystopie

Nach Jahren der Neben- und Seiten- und weiteren Hauptprojekten wie ANTEMASQUE, THE MARS VOLTA und Co. haben Cedric Bixler und Omar Rodriguez ihre von vielen fast schon kultisch verehrte Band AT THE DRIVE-IN nicht nur wieder für Konzerte aus der Versenkung hervorgeholt, sie haben mit „in•ter a•li•a“ auch ein neues Album aufgenommen. Sänger Cedric erzählte uns, wie er und seine Bandkollegen sich wieder zusammengerauft haben, was die neue Platte vom übermächtigen „Relationship Of Command“ aus dem Jahre 2000 unterscheidet und wie rosig die Zukunft für AT THE DRIVE-IN nun aussieht.

Cedric, ich denke, man kann ohne Untertreibung sagen, dass euer neues Album sehnsüchtig von den Leuten erwartet wurde. So etwas passiert nicht allen Bands.

Das haut mich, ehrlich gesagt, auch ziemlich um. Ich wusste schon, dass viele Leute gespannt und aufgeregt waren, als es hieß, es kommt ein neues Album von AT THE DRIVE-IN. Aber für mich persönlich ist dieser Enthusiasmus trotz allem überwältigend.

Gab es einen bestimmten Moment, der den Weg zu „in•ter a•li•a“ ebnete?

Ich denke, das war 2012 der Zeitpunkt unserer Reunion. Wir hatten uns zusammengesetzt und gesagt: Lasst uns wieder rausgehen und diese großartigen Songs spielen. Und irgendwann dachte ich mir: Warum eigentlich nur die alten Stücke? Ich notierte also ein paar Ideen, die mir kamen, und ging mit ihnen rüber zum Haus von Omar, unserem Gitarristen, der damals direkt gegenüber wohnte, und besprach sie mit ihm. Und an diesem Punkt fiel uns auf: Okay, es ist uns wirklich ernst. Hier passiert gerade etwas. Hier entstehen gerade womöglich neue AT-THE-DRIVE-IN-Songs. Ich schickte sie später an die anderen Mitglieder der Band. Von denen kam dann das Feedback: Du hast recht, lasst es uns machen! Und es nahm seinen Lauf.

So einfach ging das?

Nun, natürlich dauerte es noch eine relativ lange Zeit, ehe wir die Sache auf den Weg brachten. Die Geschichte dieser Band ist mitunter eben verworren. Wir mussten erst wieder lernen, miteinander zu kommunizieren und miteinander klarzukommen. Und das brauchte schon noch zwei, drei weitere Jahre. Aber der Startschuss fiel damals.

Was hättest du vor der Reunion demjenigen erwidert, der dir gesagt hätte: „AT THE DRIVE-IN werden in Zukunft wieder ein neues Album aufnehmen“?

Das kommt aufs Jahr an. Aber wäre das beispielsweise 2008 gewesen, dann hätte ich geantwortet: „Bist du verrückt? Das wird nicht passieren!“ Zumal ich damals intensiv mit THE MARS VOLTA beschäftigt war und für andere Dinge überhaupt keine Zeit hatte. Aber schon ein Jahr später hätte die Sache wieder anders ausgesehen. Denn da hatten wir nach Jahren der Funkstille ein erstes Treffen im Haus von Omar in Mexiko City, wo er lebte, bevor er wieder zurück in die USA kam. Und dort lernten wir uns alle wieder neu kennen. Es war der erste, kleine Beginn des gegenseitigen Entschuldigens. Und da hätte ich womöglich schon gesagt: „Es könnte vielleicht irgendwann etwas daraus werden.“

Du sagst, ihr habt euch zusammengesetzt und geredet. Sind AT THE DRIVE-IN reifer und erwachsener geworden?

Ja, du sagst es. Es ist unerlässlich, Gespräche zu führen. Gerade, wenn – wie in unserem aktuellen Fall – fünf Menschen involviert sind. Und das mussten wir erst lernen und begreifen. Man darf ja nicht vergessen: AT THE DRIVE-IN begannen einst als Highschool-Band. Wir begannen als Gang und sahen die Welt eben mit den Augen von Zwanzigjährigen. Das ist ein gewaltiger Unterschied zu heute.

Was ist das Wichtigste, das du im Laufe der vergangenen Jahre als Künstler gelernt hast?

Ich habe gelernt, dass der Rock’n’Roll nicht gerade das beste Umfeld dafür bietet, deine Kommunikationsfähigkeiten zu erweitern. Es geht im Rock’n’Roll vielmehr darum, peinlich und verrückt zu sein. Rock’n’Roll ist perfekt für Durchgeknallte. Außerdem lebst du als Musiker in dieser Umgebung dein Leben unter einem Vergrößerungsglas, unter dem alles infrage gestellt wird und wo sogar die Frage, warum du deine Gitarre auf der Bühne zerschmetterst, wichtig zu sein scheint. Das ist eine Bürde. Du wirst quasi unter Beobachtung der Öffentlichkeit erwachsen. Für jemanden, der sich – wie wir damals – gerade in seinen Zwanzigern befindet, ist das verdammt hart. Du darfst dir im Prinzip keine Fehler erlauben. Und das, obwohl du doch vom Leben noch gar nichts weißt. Deshalb verstellst du dich. Erst später, wenn du Erfahrungen gesammelt hast, verstehst du, was Menschlichkeit ist und Menschsein bedeutet: Nämlich dass man Fehler machen darf. Und dass man anderen Menschen ihre Wut, Trauer, Freude und andere Emotionen zugestehen muss. Und damit schließt sich der Kreis, denn solange man miteinander redet, kann man seinen Mitmenschen eben auch erklären, warum man sich gerade so und so fühlt, und muss sich nicht verstellen. Das Leben passiert uns. Es lässt sich am besten bewältigen mit Respekt und guten Freunden. Und wir sind füreinander nun diese Freunde.

Heute stellt sich bei AT THE DRIVE-IN also nicht mehr die Frage, ob es weitergehen wird in Zukunft, sondern nur noch wie es weitergehen wird?

Exakt. Für uns gibt es nur noch Nach-vorne-Gehen.

Gab es einen Unterschied zwischen der Arbeit an eurem Mammut- und Erfolgsalbum „Relationship Of Command“ und der an „in•ter a•li•a“?

Das war ein großer Unterschied. „Relationship Of Command“ war eine laute, eine sehr laute Platte, die AT THE DRIVE-IN vor allem als Live-Band zeigte. Diese Platte entstand schneller, ungezwungener, auch weil wir als Band eben noch keine Geschichte hatten. Bei „in•ter a•li•a“ konnten wir hingegen die ganze Erfahrung, die wir in der Zwischenzeit menschlich und musikalisch in unseren anderen Bands gesammelt hatten, einfließen lassen in die Musik. Jede einzelne davon spielt eine Rolle.

Du sagst, jede einzelne Erfahrung spielte eine Rolle. Rührt daher auch der Name des Albums, „in•ter a•li•a“, was übersetzt ja bedeutet „Unter anderem“ oder „unter anderen Dingen“?

So kann man das sagen. Die Arbeit an dieser Platte war einfach wesentlich komplexer. Auch weil es auf ihr um eine konzeptionelle Handlung in den Songs geht. Omar und ich haben uns ein bisschen wie Method-Acting-Schauspieler gefühlt. Also als Schauspieler, der das, was er da gerade verkörpert, in diesem Moment auch wirklich denkt. „in•ter a•li•a“ ist ein klein wenig wie ein Film.

Und wie würdest du diesen Film in einem Satz beschreiben?

Der passende Satz wäre „Briefe aus der Dystopie“. Es sind Briefe, geschrieben von einem Kind, das in einer postapokalyptischen Welt lebt. In dieser Welt ist die gesprochene Sprache illegal und das Kind sprüht Parolen an die Wände seiner Stadt, um die Menschen aufzurütteln. Wenn das Kind zu Hause aus dem Fenster schaut, dann sieht es Panzer, Tränengas, Straßenkämpfe. Und es sieht Menschen, die dafür bestraft werden, dass sie lachen. „in•ter a•li•a“ ist ein Aufruf an die erwachsenen Menschen, sich zu fragen, was für eine Welt wir unseren Kindern hinterlassen wollen. Es ist ein Aufruf, endlich aktiv zu werden.

Das erinnert ein bisschen an George Orwells „1984“ oder „Fahrenheit 451“ von Ray Bradbury. Dystopische Romane, in denen Menschen vom Staat überwacht und unterdrückt werden und in denen Bücher verboten sind.

Ganz genau. An diese beiden Romane haben wir auch gedacht und sogar Elemente daraus übernommen. „in•ter a•li•a“ schafft eine paranoide, alternative Realität, in der wir wie Ratten ums Überleben kämpfen. Und in dieser Welt sind es die Kinder, die uns zeigen, dass wir falsch handeln. Die Kinder haben einen besonderen Blick auf die Realität.

Hört sich an, als sei auch „in•ter a•li•a“ von Trump beeinflusst.

Haha, so ist es. Aber nenne mir eine Platte, die das derzeit nicht ist. Gerade im Punkrock wiederholt sich gerade das, was damals schon zu Reagan- und Bush-Zeiten passierte.

Ist es nicht schrecklich, dass es immer wieder Anlass für Künstler gibt, solche Songs zu schreiben?

Ja. Schrecklich ist aber vor allem, dass wir es Rockmusikern überlassen, uns zu zeigen, wie schlimm diese Welt geworden ist, haha.

Fühlst du als Rockmusiker also eine Verantwortung, dem Hörer zu vermitteln, was falsch läuft?

Vielleicht schon. Ich weiß es nicht. Ich hoffe einfach, dass eine neue Generation heranwächst, die es anders macht. Die irgendwann diese Ära überwindet, in der die Menschen sich gegenseitig abknallen und in der das Geld die Welt regiert.

Hast du Kinder?

Ja. Zwei vier Jahre alten Jungen.

Denkst du manchmal darüber nach, in was für eine Welt du deine Kinder hineingeboren hast?

Ja. Und ich kenne viele Menschen, die so denken. Aber letztlich sage ich mir: Es ist doch die Natur des Menschen, Kinder zu bekommen und sie großzuziehen. Das gehört dazu. Und es ist das Schönste an diesem Leben. Also darf man nicht verzagen. Zudem gibt es Hoffnung: Meine beiden Söhne kommen schon von sich aus zu mir und fragen mich: „Wo ist die Mülltonne für das Recycling?“ Himmel! Darüber denke ich selber manchmal nicht nach, haha!

Wie bekommt ihr neben AT THE DRIVE-IN all diese anderen Bands, in denen ihr noch spielt, unter einen Hut – ANTEMASQUE, MARS VOLTA, OMAR-RODRIGUEZ-LOPEZ GROUP, um nur ein paar zu nennen?

Es gibt für jedes Projekt seine Zeit. Wobei ANTEMASQUE eine besondere, seltsame Rolle unter diesen Bands einnimmt, denn diese Gruppe wurde zu einer Zeit gegründet, als noch nicht alle Mitglieder von AT THE DRIVE-IN endgültig bereit waren oder Zeit hatten, neue Musik mit dieser Band aufzunehmen. ANTEMASQUE wurde letztlich gegründet, um die Zeit zu überbrücken und den anderen kein Ultimatum setzen zu müssen, nach dem Motto: Los, wir müssen jetzt. Macht mit! Es war für Omar und mich die Möglichkeit, sofort und unmittelbar neue Songs zu veröffentlichen, solange AT THE DRIVE-IN noch nicht soweit waren. Wir sind eben Künstler. Und Künstler müssen Kunst machen, haha.

Würdest du sagen: „Ich liebe zwar alle diese Bands, mit denen ich Musik aufgenommen habe und vielleicht noch aufnehmen werde – aber AT THE DRIVE-IN, das ist meine eigentliche musikalische Heimat“?

Definitiv ja! AT THE DRIVE-IN waren sogar meine Heimat, als ich schlecht über diese Band geredet habe, weil wir Jungspunde untereinander Probleme hatten. Denn genau das tut man ja als junger Mensch gerne: Man redet in seiner Eingeschnapptheit und Enttäuschung ausgerechnet über das schlecht, was man eigentlich wahrhaftig liebt.