BIZNAGA

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Immens idealisierter existenzieller Druck

BIZNAGA aus Madrid fanden 2011 zusammen, 2014 veröffentlichten sie ihr Debüt „Centro Dramatico Nacional“ auf Holy Cuervo, davor gab es 2013 zwei Kleinformate, und nun sollte dem Vierer international etwas mehr Aufmerksamkeit zuteil werden, als es spanischen und zudem noch spanischsprachigen Bands gewöhnlich vergönnt ist. Denn mit Slovenly haben sie für ihr zweites Album „Sentido Del Espectaculo“ ein Label gefunden, das seine Basis gleichermaßen in Reno in den USA wie in Europa (Berlin und Amsterdam) hat. Es ist eine dieser Platten, die einen schon beim ersten Hören für sich einnehmen – so wie man manchmal Menschen trifft, die einem spontan sympathisch sind: grandiose, hymnische Melodien, teils mehrstimmiger Gesang, konstant den Song vor sich her treibendes Schlagzeug, Beat und Groove, Wut und Melancholie, und Gitarrenarbeit ohne Soli. Dazu kommt cooles Coverartwork, und die Texte sind auch smart, weshalb ich der Band per correo electrónico ein paar Fragen zukommen ließ.

Wer, wo, wieso und wann?

Milky: Es begann alles Ende 2011 in Madrid, als die aus Andalusien hergezogenen Jorge und Álvaro anfingen, Songs zu schreiben. Wenig später nannte ein Freund sie scherzhaft „Biznaga“, was Jorge schon lange nicht mehr witzig findet. Nach und nach fingen sie an, als Trio Konzerte zu geben, anfänglich in den heruntergekommensten Bars und Clubs. Bald kamen ein zweiter Gitarrist, Pablo Garnelo aus Vigo, der zu der Zeit auch in Madrid lebte, und ein Drummer namens Hernán, der für den Großteil der Drum-Parts der ersten Phase zuständig war, hinzu. Ich, Milky Ballarín, ersetzte Hernán dann Ende 2013. Auf das Demo 2012 und die erste EP 2013, die bei Musagre erschienen, folgte 2014 das erste Album „Centro Dramatico Nacional“ bei Holy Cuervo. Es wurde in der aktuellen Besetzung aufgenommen, die zu dem Zeitpunkt schon gut eingespielt war. Dieses Frühjahr haben wir dann „Sentido Del Espectáculo“ auf Slovenly herausgebracht.

So sehr „los Alemanes“ Spanien auch als Urlaubsziel schätzen, findet doch sehr wenig kultureller Austausch statt, wenn es um Punkrock geht. Wie kommt das – und wann werdet ihr mal hier auftreten?

Milky: Ich schätze, Spanien hat einen Minderwertigkeitskomplex, was Musik angeht, was für uns bedeutete, dass wir die USA, England und Lateinamerika als Vorbilder ansehen. Ganz nach popularmusikalischer Tradition haben wir uns nicht wirklich mit andernorts produzierter Musik auseinandergesetzt. Ein weiterer Faktor, der zu diesem Austauschdefizit beitragen mag, ist die Sprache. Englisch ist die Schnittstelle, durch die die Globalisierung uns in all ihren Facetten und Erscheinungsformen beeinflussen und durchdringen kann. Stell dir vor, wie unser Deutsch sein muss, wenn wir noch nicht einmal in der Lage sind, vernünftig Englisch zu lernen. Allerdings hat spanischer Punk immer die deutsche Untergrundszene im Auge behalten. Das lag weniger an den Bands, über die weiß ich überhaupt nichts, sondern an dem Netzwerk und den qualitativ hochwertigen und einflussreichen D.I.Y.-Projekten. Das wurde deutlich, als wir in Hamburg auf dem Get Lost! Fest gespielt haben. Für uns und andere befreundete Bands ist es ein absolutes Muss, in Deutschland zu spielen, wenn wir die Chance haben. Kleine Anekdote am Rande: Meinen ersten Auftritt hatte ich mit einer Band aus Berlin, als ich gerade 16 geworden war.

Man hört sehr viel darüber, wie schlecht die wirtschaftliche Situation in Spanien gerade für junge Erwachsene ist. Wie schlimm ist es wirklich und wie stark ist eure Band betroffen? Habt ihr Arbeit?

Milky: Für jüngere Leute, die die Uni abschließen, ist es sehr wahrscheinlich, dass sie Spanien verlassen müssen, um eine Anstellung zu finden, die ihrer Ausbildung gerecht wird. Die einzige andere Option ist, hierzubleiben und ein Arbeitsleben zu führen, das ihre Erwartungen nicht erfüllt. Das sind nun mal nach wie vor die Aussichten in Spanien. Álvaro hatte wahrscheinlich das meiste Glück, auch wenn er sehr hart arbeiten musste, um Krankenpfleger zu werden. Da Jorge inzwischen sein Studium abgeschlossen hat, hat er vermutlich am stärksten mit der unsicheren Jobsituation zu kämpfen. Einen Teil seiner Jugend hat er sich von Job zu Job gehangelt, allesamt unangenehm und unmenschlich – obwohl er sich nicht direkt kaputtgearbeitet hat. Pablo arbeitet sehr hart in einer psychologischen Praxis und ich beende gerade ein Bachelorstudium in Musikgeschichte und -wissenschaft. Einige meiner Freunde streben einen noch höheren Abschluss an, damit sie von Kellnern zu Rezeptionisten befördert werden.

Wie steht es in Madrid um die Punk-Szene? Welche Veranstaltungsorte und Bars sind angesagt und welche Bands sollte man sich abgesehen von BIZNAGA noch anhören?

Jorge: Vor einiger Zeit war das Rock Palace noch der absolute Brennpunkt, aber seit es einen neuen Besitzer hat, ist es nicht mehr dasselbe. Das Weirdo und das Nueva Visión, in der Gegend von Malasaña, sind zwei Orte, die der Invasion noch widerstehen. Ansonsten wären da das Wurli in einer Seitenstraße der Gran Vía, das Tommy Gun in Lavapiés, Fun House und Trash Can bei Bilbao/Quevedo ... Die sind alle in der Nähe des Stadtzentrums gelegen, wo wir so rumlaufen. Was die Bands angeht, die uns gefallen, ist die Auswahl reich und vielfältig. Wenn wir es auf Punk, speziell den in Madrid, beschränken, wären da zum Beispiel AVT, SATÉLITE, VENEZIA, CALVARIO, OBEDIENCIA, Juana Chicharro, PELUQUERÍA CANINA, JUVENTUD JUCHÉ, LAS CRUCES, COMPULSIF, RATA NEGRA, TROIKA, MUERTE MORTAL, WILD ANIMALS, R.O.B.O., PORTADORES DEL TINGA TINGA, MÁRTIRES DE UGANDA, TENSIÓN, BIT OF, SECCIÓN FEMENINA, NUEVA AUTORIDAD DEMOCRÁTICA, ACCIDENTE ...

Ich habe euch mit ROCKET FROM THE CRYPT, FUCKED UP und RIPPERS verglichen. Welche spanischen Bands, die ihr mögt, würdet ihr als Einfluss bezeichnen?

Jorge: Die sind fast alle aus den Achtzigern: PARALISIS PERMANENTE, GABINETE CALIGARI, ESKORBUTO, ILEGALES, KORTATU ...

Blöde Frage: Warum singt ihr auf Spanisch und nicht auf Englisch?

Jorge: Warum nicht? Es ist unsere Muttersprache und wird außerdem noch von 400 Millionen weiteren Menschen gesprochen. Es ermöglicht uns zu sagen, was wir wollen, wie wir wollen. Englisch dient nur für Geschäftliches und internationale Beziehungen, wie zum Beispiel dieses Interview.

Soweit ich sie verstehe, sind eure Texte sehr komplex und politisch. Könnt ihr etwas zu den Songs „Una nueva época del terror“, „Jóvenes ocultos“ und „Mediocridad y confort“ sagen?

Jorge: In „Una nueva época del terror“ haben wir uns der Jakobiner und der Zeit des „Großen Terrors“ in der Französischen Revolution angenommen, um Gewalt als formative Instanz und treibende Kraft in der Menschheitsgeschichte darzustellen. Sie zeichnet eine chronologische Landkarte Europas im Laufe der Jahrhunderte und nutzt verschiedenste Utensilien wie Gift, Guillotine oder Pistole. „Jóvenes ocultos“, auf Deutsch „Verborgene Jugendliche“, handelt, so wie „Mala sangre“ auf unserem letzten Album, von urbanen Mythen über Vampire. Diese „okkulten Jugendlichen“ sind Jungs, die gerne nachts herumstreunen auf der Suche nach ihrem eigenen Untergang. „Mediocridad y confort“, das könnte man in etwa mit „Mittelmäßigkeit und Bequemlichkeit“ übersetzen, bezeichnet die Art und Weise, wie unserem Leben durch konstruierte Faszination Sinn verliehen wird. Der Song beschäftigt sich mit der Präsentation des alltäglichen Lebens über die verschiedenen virtuellen Kanäle, der Herstellung von Fiktion aus einem nie versiegenden Quell sinnentleerter Zeichen, und wie dies einen immens idealisierten existenziellen Druck erzeugt, der letztlich das Zeichen unserer Zeit darstellt: die Hyperrealität.